Entscheidungsdatum: 21.09.2018
Ein Grundstückseigentümer, der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 NachbG HE einen Anspruch auf Mitwirkung an der Errichtung der ortsüblichen Einfriedung auf der Grenze hat, kann von dem Grundstücksnachbarn die Beseitigung einer bereits vorhandenen Einfriedung verlangen, wenn und soweit dies zur Erfüllung seines gesetzlichen Einfriedungsanspruchs erforderlich ist.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt - 24. Zivilkammer/Berufungskammer - vom 6. Oktober 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Hessen. Das Grundstück der Klägerin ist mit einem Wohn- und Geschäftshaus, das der Beklagten mit einem Wohnhaus bebaut. Die Beklagte hat auf ihrem Grundstück unmittelbar neben der gemeinsamen Grenze eine 2 m hohe Wand aus glatten Metallplatten errichtet, die auf Metallrahmen verschraubt sind. Zuvor befand sich dort ein Maschendrahtzaun.
Mit der nach Durchführung eines Schlichtungsverfahrens erhobenen Klage verlangt die Klägerin die Beseitigung der Metallwand. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
I.
Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne nach § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 Abs. 1, § 15 Hessisches Nachbarrechtsgesetz (NachbG HE) Beseitigung der Metallwand verlangen. Bei der Wand handele es sich um eine Einfriedung, die nach § 6 Abs. 10 Nr. 6 Hessische Bauordnung (HBO) bauordnungsrechtlich zulässig, nachbarrechtlich aber unzulässig sei. Die Vorschriften der §§ 14, 15 NachbG HE konstituierten zwar in erster Linie einen Anspruch gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks auf Errichtung einer Einfriedung. Sie entfalteten aber in der Weise Schutzwirkung, dass einem Grundstückseigentümer unter den Voraussetzungen, unter denen er die Einfriedung des Nachbargrundstücks verlangen dürfe, auch ein Anspruch auf Beseitigung einer nicht ortsüblichen Einfriedung zustehen könne. Das gelte auch dann, wenn die Einfriedung, wie hier, neben der Grenze errichtet worden sei. Die insoweit von dem Bundesgerichtshof für das nordrhein-westfälische Nachbarrecht (§ 32 Abs. 1, § 35 Abs. 1 NachbG NRW) entwickelten Grundsätze seien auf das hessische Nachbarrecht übertragbar. Danach könne die Klägerin, weil sie zuvor die Errichtung einer andersartigen gemeinsamen Einfriedung gefordert habe, die Beseitigung der von der Beklagten aus eigenem Entschluss angebrachten Einfriedung verlangen. Sie sei nicht gehalten gewesen, beide Ansprüche in einer Klage zu verbinden. Die Metallwand stelle keine ortsübliche Einfriedung dar. Ob der von der Klägerin geforderte Maschendrahtzaun in einer Höhe von 1,2 m der Ortsüblichkeit entspreche, sei nicht entscheidungserheblich.
II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um einen Anspruch der Klägerin nach § 1004 BGB i.V.m. §§ 14, 15 NachbG HE auf Beseitigung der Metallwand zu bejahen.
1. Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass der Klägerin ein Anspruch auf Beseitigung der Metallwand nach § 1004 Abs. 1 BGB zusteht, wenn die Beklagte andernfalls, d.h. bei Beibehaltung der Wand, ihre gesetzliche Einfriedungspflicht (§§ 14, 15 NachbG HE) verletzte.
a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 NachbG HE ist der Eigentümer eines bebauten oder gewerblich genutzten Grundstücks auf Verlangen des Eigentümers des Nachbargrundstücks verpflichtet, sein Grundstück einzufrieden, soweit die Grenze zum Nachbargrundstück nicht mit Gebäuden besetzt ist. Sind - wie hier - beide Grundstücke bebaut, so sind die Eigentümer der beiden Grundstücke verpflichtet, bei der Errichtung der Einfriedung mitzuwirken (§ 14 Abs. 1 Satz 2 NachbG HE). Die Einfriedung ist in diesem Fall auf der Grenze zu errichten (§ 14 Abs. 2 NachbG HE). Nach § 15 Satz 1 NachbG HE besteht eine Einfriedung aus einem ortsüblichen Zaun; lässt sich eine ortsübliche Einfriedung nicht feststellen, so besteht sie aus einem 1,2 m hohen Zaun aus verzinktem Maschendraht (§ 15 Satz 1 Halbsatz 2 NachbG HE). In dieser Weise beschränken die §§ 14 ff. NachbG HE die Freiheit des Eigentümers eines Grundstücks, eine beliebige Einfriedung auf seinem Grundstück zu erstellen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Oktober 1996 - V ZR 3/96, NJW-RR 1997, 16) bzw. zu entscheiden, ob er eine vorhandene Einfriedung verändert oder beseitigt (vgl. Hodes/Dehner, Hessisches Nachbarrecht, 5. Aufl., § 14 Rn. 1; Entwurfsbegründung zu § 11 NachbG HE, LT-Drucks. IV/1092, S. 3315).
b) Ein Grundstückseigentümer, der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 2 NachbG HE einen Anspruch auf Mitwirkung an der Errichtung der ortsüblichen Einfriedung auf der Grenze hat, kann von dem Grundstücksnachbarn die Beseitigung einer bereits vorhandenen Einfriedung verlangen, wenn und soweit dies zur Erfüllung seines gesetzlichen Einfriedungsanspruchs erforderlich ist (§ 1004 BGB).
aa) Ein Einfriedungsanspruch entsteht, wenn der Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn die Errichtung einer ortsüblichen Einfriedung verlangt (vgl. § 14 Abs. 1 NachbG HE sowie Senat, Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 93/91, NJW 1992, 2569 für das NachbG NRW). Vorher ist der Nachbar nicht gehindert, einen Zaun zu errichten, der von den Vorgaben der §§ 14, 15 NachbG HE abweicht; denn diese Regelungen greifen nicht schon ein, wenn der Nachbar sein Grundstück aus eigenem Entschluss einfriedet, sondern knüpfen, wie der Senat für das Nachbarrecht von Nordrhein-Westfalen bereits entschieden hat (Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, BGHZ 73, 272, 273; Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 93/91, aaO), an die Einfriedungspflicht an. Für das Hessische Nachbarrechtsgesetz, das sich der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen bei Erlass des Nachbarrechtsgesetzes Nordrhein-Westfalen (NachbG NRW) am 15. April 1969 (GV NRW S. 190) zum Vorbild genommen hat (vgl. Senat, Urteil vom 11. Oktober 1996 - V ZR 3/96, NJW-RR 1997, 16, 17; Entwurfsbegründung LT-Drucks. VI/212, S. 27), gilt dies gleichermaßen.
bb) Ist eine gesetzliche Einfriedungspflicht entstanden, kann eine bereits vorhandene Einfriedung einen nachbarrechtswidrigen Zustand begründen und deshalb nach § 1004 Abs. 1 BGB zu beseitigen sein.
(1) Der Senat hat für das nordrhein-westfälische Nachbarrecht entschieden, dass der Grundstückseigentümer die Beseitigung einer vorhandenen, vom
ortsüblichen Erscheinungsbild wesentlich abweichenden Einfriedung des Nachbarn verlangen kann, wenn und soweit dies zur Erfüllung seines Einfriedungsanspruchs nötig ist (Senat, Urteil vom 23. März 1979 - V ZR 106/77, NJW 1979, 1409, 1410). Er ist dabei nicht gehalten, den Beseitigungsanspruch mit dem Anspruch auf Errichtung der ortsüblichen Einrichtung in einer Klage zu verbinden (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 93/91, NJW 1992, 2569).
Der Grundstückseigentümer kann auch verlangen, dass nicht neben eine solche ortsübliche Einfriedung eine weitere, andersartige gesetzt wird, welche das Erscheinungsbild der Einfriedung völlig verändern würde (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, BGHZ 73, 272, 274; Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 93/91, NJW 1992, 2569; vgl. dazu Anm. Räfle in LM BGB § 1004 Nr. 153). Zwar geben lediglich ästhetisch störende Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück dem davon betroffenen Nachbarn in der Regel keinen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 15. Mai 1970 - V ZR 20/68, BGHZ 54, 56, 59; Urteil vom 15. November 1974 - V ZR 83/73, NJW 1975, 170). Geht es indessen um die Wahrung einer durch das Nachbarrecht besonders ausgestalteten Rechtsposition des Eigentümers, nämlich um seinen Anspruch auf eine ortsübliche Einfriedung, bildet das Erfordernis der Ortsüblichkeit nicht nur den Maßstab dafür, welche Art der Einfriedung die Nachbarn kostenmäßig hinnehmen müssen (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, BGHZ 73, 272, 274). Es bestimmt vielmehr im beiderseitigen Interesse auch die zweckgerechte und darüber hinaus die ihnen optisch-ästhetisch zumutbare Beschaffenheit der Einfriedung, weil gerade in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild einer Einfriedung die Interessen der Nachbarn häufig widerstreiten und die Nachbargesetze solche Streitigkeiten in angemessener Weise auszugleichen suchen (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, aaO S. 275; Urteil vom 23. März 1979 - V ZR 106/77, NJW 1979, 1409, 1410; für eine Grenzeinrichtung nach § 921 BGB vgl. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2017 - V ZR 42/17, NZM 2018, 245 Rn. 18).
(2) Diese Grundsätze gelten nach einhelliger und zutreffender Ansicht auch für das Nachbarrechtsgesetz des Landes Hessen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 7. November 1996 - 15 U 173/95, juris Rn. 25, insoweit nicht abgedruckt in NJW-RR 1997, 657; Hodes/Dehner, Hessisches Nachbarrecht, 5. Aufl., § 15 Rn. 3; Hinkel/Stollenwerk, Nachbarrecht Hessen, 8. Aufl., S. 70; Reich, Hessisches Nachbarrechtsgesetz, S. 80; zur Übertragung der Grundsätze auf das Nachbarrecht anderer Bundesländer vgl. Räfle, LM Nr. 153 zu § 1004 BGB). Dem steht nicht entgegen, dass das hessische Nachbarrecht keine § 50 NachbG NRW entsprechende Vorschrift enthält, die bestimmt, dass dem Eigentümer des Nachbargrundstücks bei einer Verletzung der Vorschriften des Nachbargesetzes Ansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zustehen. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass die in den Nachbargesetzen enthaltenen weiteren Beschränkungen des Eigentums zu einklagbaren Rechten des Nachbarn führen, dass diesem also Abwehr- und Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB auch hinsichtlich der von dem Landesgesetzgeber bestimmten, über die im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Beschränkungen (vgl. Art. 124 EGBGB) zustehen sollen. Inhalt und Umfang des Anspruchs aus § 1004 BGB im Einzelnen ergeben sich bei derartigen Beeinträchtigungen aus den Vorschriften des Landesrechts (vgl. Senat, Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 7 zum Rheinland-Pfälzischen Nachbarrechtsgesetz). Anhaltspunkte dafür, dass für die Einfriedungspflicht nach dem Hessischen Nachbargesetz etwas Abweichendes gelten soll, sind nicht ersichtlich.
2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen aber nicht die Annahme, die Beklagte verstoße durch die Beibehaltung der Metallwand gegen ihre gesetzliche Einfriedungspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2, § 15 NachbG HE.
a) Allerdings hat die Klägerin in dem Schreiben ihres Anwalts vom 8. September 2016 von der Beklagten die Mitwirkung an der Errichtung einer gemeinsamen ortsüblichen Einfriedung verlangt und, wie es § 17 Abs. 1 NachbG HE vorsieht, hälftige Kostentragung angeboten. Richtig ist auch, dass es für das Entstehen der Einfriedungspflicht nicht darauf ankommt, ob der von der Klägerin gewünschte 1,2 m hohe Zaun aus verzinktem Maschendraht ortsüblich ist. Entscheidend ist, dass eine Einfriedung bzw. die Mitwirkung an der Errichtung der Einfriedung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 NachbG HE gefordert wird und die derzeitige Einfriedung nicht ortsüblich ist. Von Letzterem ist nach den für den Senat gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO bindenden Feststellungen auszugehen. Danach ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Metallwand keine ortsübliche Einfriedung darstellt. Ob eine Einfriedung ortsüblich ist, ist zwar eine Frage tatrichterlicher Würdigung (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, NJW 1979, 1408, 1409, insoweit in BGHZ 73, 272 nicht abgedruckt). Hat aber - wie hier - die von dem Nachbarn errichtete Einfriedung eine außergewöhnliche Beschaffenheit, und erklären die Parteien übereinstimmend, dass in ihrem Wohngebiet keine weitere derartige Einfriedung zu finden ist, bewerten sie die Einfriedung selbst als nicht ortsüblich. Auf der Grundlage eines solchen Vorbringens ist die Ortsüblichkeit einer Einfriedung einer tatsächlichen Feststellung durch den Tatrichter zugänglich.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen getroffen, ob in dem für die Beurteilung maßgeblichen Vergleichsgebiet eine bestimmte Beschaffenheit von Einfriedungen üblich ist. Das ist aber erforderlich. Die (vollständige) Beseitigung der Metallwand kann die Klägerin nämlich nur verlangen, wenn dies zur Erfüllung der gesetzlichen Einfriedungspflicht nötig ist, etwa weil die Metallwand die zu errichtende ortsübliche Einfriedung in ihrem Erscheinungsbild völlig verändern würde, diese also den Charakter als ortsübliche Einfriedung verlöre (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 1979 - V ZR 108/77, BGHZ 73, 272, 274, 275; Urteil vom 22. Mai 1992 - V ZR 93/91, NJW 1992, 2569; Urteil vom 17. Januar 2014 - V ZR 292/12, NJW-RR 2014, 973 Rn. 18), oder weil die ortsübliche Einfriedung nicht ohne Beseitigung der Metallwand errichtet werden könnte (vgl. Senat, Urteil vom 23. März 1979 - V ZR 106/77, NJW 1979, 1409, 1410). Das lässt nicht nur beurteilen, wenn feststeht, wie eine ortsübliche Einfriedung beschaffen ist. Wäre beispielsweise eine zwei Meter hohe dichte Hecke ortsüblich, hinter der die Metallwand vom Grundstück der Klägerin aus gesehen nicht oder kaum wahrnehmbar wäre, müsste die Wand jedenfalls nicht wegen der Veränderung des Erscheinungsbilds der Einfriedung beseitigt werden. Davon, dass ein 1,2 m hoher Zaun als Maschendraht ortsüblich ist, kann nicht ausgegangen werden, denn die Regelung in § 15 Satz 1 Halbsatz 2 NachbG HE findet nur Anwendung, wenn sich eine ortsübliche Einfriedung nicht feststellen lässt.
III.
Das Berufungsurteil kann hiernach keinen Bestand haben und ist gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden kann; vielmehr bedarf es weiterer Feststellungen durch das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
Stresemann |
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