Entscheidungsdatum: 28.09.2012
1. Es liegt in der Kompetenz der Wohnungseigentümer, die Aufnahme eines Kredites zur Deckung des Finanzbedarfs der Wohnungseigentümergemeinschaft zu beschließen.
2. Dagegen fehlt es jedenfalls seit der vom Gesetzgeber nachvollzogenen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 10 Abs. 6 Satz 1 WEG) an der Kompetenz, den Wohnungseigentümern eine gesamtschuldnerische Haftung durch Mehrheitsbeschluss aufzubürden.
3. Ein Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass die Ausführung eines bestandskräftigen Beschlusses unterbleibt; etwas anders gilt nur dann, wenn schwerwiegende Gründe - etwa bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die Durchführung der bestandskräftig beschlossenen Maßnahme als treuwidrig (§ 242 BGB) erscheinen lassen.
Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 19. Juli 2011 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien bilden die im Rubrum näher bezeichnete Wohnungseigentümergemeinschaft. Auf der Eigentümerversammlung vom 29. April 2009 wurde zu dem Tagesordnungspunkt (TOP) 2 mit 14 von 17 Stimmen die Gesamtsanierung der Wohnanlage mit einem Aufwand von insgesamt 550.000 € sowie dessen Finanzierung „über staatliche Zuschüsse und zinsbegünstigte Kfw-Darlehen“ mit einer Zinsbindung von 10 Jahren und einer Laufzeit von 20 Jahren beschlossen. Die Finanzierungskosten sollten regelmäßig in den Wirtschaftsplan eingestellt und in monatlichen Teilbeträgen von den Wohnungseigentümern „gemäß den vorliegenden Einzelauswertungen“ getragen werden. Der Beschluss wurde nicht angefochten.
Auf einer weiteren Versammlung wurde am 6. November 2009 zu TOP 3 mehrheitlich die Zurückweisung des Antrags des Klägers beschlossen, diesen von jeglicher Haftung aus der Finanzierung freizustellen. Den Antrag hatte der Kläger damit begründet, dass er seinen Anteil aus eigenen Mitteln aufbringen und deshalb an der beschlossenen Finanzierung nicht teilnehmen wolle.
Die am 30. November 2009 eingereichte Klage, mit der der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses vom 29. April 2009 zu TOP 2 und die Ungültigkeitserklärung des Beschlusses vom 6. November 2009 zu TOP 3 beantragt hat, ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
I.
Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, dass der die Finanzierung betreffende Beschluss wirksam sei. Nichtigkeitsgründe lägen nicht vor. Die Entscheidung über eine Kreditaufnahme falle in die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer. Ob die Finanzierung ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche, sei nicht mehr zu prüfen, nachdem der Kläger den Beschluss zu TOP 2 nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 WEG angefochten habe. Entgegen der herrschenden Meinung könne davon abgesehen auch die Aufnahme eines langfristigen und höheren Kredites ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Der Beschluss zu TOP 3 sei nicht zu beanstanden. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Haftungsfreistellung zu. Bei Abwägung der widerstreitenden Belange überwögen die Interessen der Gemeinschaft an einer Haftung auch des Klägers.
II.
Der Revision bleibt der Erfolg versagt.
1. Der Beschluss vom 29. April 2009 zu TOP 2 ist bestandskräftig. Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor. Zutreffend bejaht das Berufungsgericht insbesondere die Beschlusskompetenz für eine Kreditaufnahme.
a) Die Befugnis der Wohnungseigentümer, den Finanzbedarf der Wohnungseigentümergemeinschaft auch durch die Aufnahme von Darlehen zu decken, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wohnungseigentumsgesetz, wird von diesem jedoch vorausgesetzt. Über die Deckung des Finanzbedarfs des nunmehr rechtsfähigen Verbandes (§ 10 Abs. 6 Satz 1 WEG) durch Beschluss zu befinden, ist Sache der Wohnungseigentümer. Dass hierzu auch die Entscheidung darüber gehört, ob der Bedarf durch einen Rückgriff auf vorhandene Rücklagen, durch die Erhebung von Sonderumlagen oder durch die Aufnahme von Darlehen gedeckt werden soll, hat der Senat bereits für die Rechtslage vor Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft entschieden (Beschluss vom 21. April 1988 - V ZB 10/87, BGHZ 104, 197, 202). Für die Rechtslage nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes gilt nichts anderes (vgl. Senat, Urteil vom 18. Februar 2011 - V ZR 197/10, NJW-RR 2011, 1093 Rn. 19; LG Bielefeld, NJW-RR 2012, 143; Abramenko, ZMR 2011, 897; Elzer, NZM 2009, 57, 59 u. 61; wohl auch BayObLG, NJW-RR 2006, 20, 23; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 27 Rn. 215; unklar Jennißen in Jennißen, WEG, 3. Auflage, § 10 Rn. 93a). Zunächst bietet das Gesetz mit der Regelung des § 27 Abs. 1 Nr. 4 WEG - danach ist der Verwalter berechtigt und verpflichtet, Tilgungsbeträge anzufordern, in Empfang zu nehmen und abzuführen, soweit es sich um gemeinschaftliche Angelegenheiten der Wohnungseigentümer handelt - zumindest einen Anhalt dafür, dass eine Beschlusskompetenz für die Deckung des Finanzbedarfs auch durch eine Kreditaufnahme besteht (Elzer, aaO, S. 59 aaO; vgl. auch LG Bielefeld, NJW-RR 2012, 143 unter Bezugnahme auf § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG a.F.). Vor allem aber bestand ein Kernanliegen der Reform gerade darin, die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums durch Stärkung der Beschlusskompetenz zu erleichtern (BT-Drucks 16/887, S. 1, 10 f.).
Im Detail heftig umstritten ist allerdings die hiervon zu trennende Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme eines Kredites, bei dem es nicht nur um die Deckung eines kurzfristigen Finanzbedarfes in überschaubarer Höhe geht, den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht (vgl. dazu und zum Streitstand BayObLG, NJW-RR 2006, 20, 23; LG Bielefeld, NJW-RR 2012, 143 ff.; Merle in Bärmann, aaO, § 27 Rn. 215; Abramenko, aaO, S. 897 f.; Elzer, aaO, S. 57, 61 f.; jeweils mwN). Nur kommt es darauf vorliegend nicht an, weil ein Beschluss zur Aufnahme eines nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechenden Kredits nach der Systematik des Wohnungseigentumsgesetzes nur auf fristgerecht erhobene Anfechtungsklage hin (§ 46 Abs. 1 Satz 2 WEG) zu beanstanden ist (vgl. nur Elzer, NZM 2009, 57, 61). Daran fehlt es hier. Der Finanzierungsbeschluss ist in Bestandskraft erwachsen.
b) Soweit die Revision auf Grundrechte des Klägers verweist, führt dies weder zu einer Einschränkung der Beschlusskompetenz im Wege der verfassungskonformen Auslegung noch wird dadurch die Wirksamkeit des Beschlusses unter dem Blickwinkel der Regelungen nach §§ 134, 138 BGB in Frage gestellt.
aa) Allerdings ist es richtig, dass bei der Auslegung und Anwendung des sog. einfachen Rechts der Ausstrahlwirkung der Grundrechte der Wohnungseigentümer - insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 GG - Rechnung zu tragen ist. Das daraus auch in vermögensrechtlicher Hinsicht fließende Selbstbestimmungsrecht jedes Wohnungseigentümers ändert jedoch nichts daran, dass es mit Rücksicht auf die besonders engen nachbarschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft in erhöhtem Maße einer gemeinschaftsverträglichen Ausbalancierung der widerstreitenden Belange durch Herstellung praktischer Konkordanz bedarf (zumindest im Ergebnis ebenso Hogenschurz in Jennißen, aaO, § 13 Rn. 2 u. § 14 Rn. 1; Timme/Dötsch, aaO, § 14 Rn. 1 f.; § 14 Rn. 7 ff. u. 31 f.; vgl. auch BVerfG, NJW 2010, 220 f. u. Abramenko, ZMR 2011, 897 f., der für eine starke Gewichtung der Interessen finanzschwacher Wohnungseigentümer eintritt). Es steht jedoch im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er der Wirkkraft der Grundrechte über die zivilrechtlichen Generalklauseln oder über andere Regelungen Geltung verschafft.
bb) Den zuletzt genannten Weg hat der Gesetzgeber hier in verfassungskonformer Weise beschritten. Er hat den Wohnungseigentümern die Kompetenz zugewiesen, die Aufnahme von Krediten durch die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband zu beschließen, und die Frage der Rechtmäßigkeit von Finanzierungen dem Kriterium der ordnungsgemäßen Verwaltung mit der Folge einer Überprüfungsmöglichkeit im Rahmen einer Anfechtungsklage zugewiesen. Bei der Frage, ob eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, ist zu berücksichtigen, dass die Wohnungseigentümer aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts in der Regel - und so auch hier - einen Ermessensspielraum haben, bei dessen Ausgestaltung alle relevanten Umstände abzuwägen sind (Timme/Elzer, WEG, § 21 Rn. 164 f.; Merle in Bärmann, aaO, § 21 Rn. 28; jeweils mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. September 2003 - V ZB 21/03, BGHZ 156, 192, 203). Hierzu gehören insbesondere auch grundrechtsrelevante Positionen und Interessen.
Dass ein Wohnungseigentümer insoweit effektiven Rechtsschutz grundsätzlich nur innerhalb der Ausschlussfristen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG erreichen kann, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die den zeitnahen Eintritt der Bestandskraft anfechtbarer Beschlüsse sichernde Regelung ist Ausdruck des legitimen gesetzgeberischen Anliegens, über die Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu gewährleisten, dass für die Wohnungseigentümer und für den zur Ausführung von Beschlüssen berufenen Verwalter zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber hergestellt wird, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden (vgl. Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230, 237 Rn. 20; Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307, 312 Rn. 14).
c) Soweit der Kläger schließlich der Sache nach argumentiert, es fehle jedenfalls an der Kompetenz, die Übernahme einer gesamtschuldnerischen Haftung durch die Wohnungseigentümer mehrheitlich zu beschließen, ist das im rechtlichen Ausgangspunkt zwar richtig. Spätestens seit der vom Gesetzgeber nachvollzogenen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband (§ 10 Abs. 6 Satz 1 WEG), die ganz entscheidend mit der Ausschaltung einer gesamtschuldnerischen Haftung begründet worden ist (Senat, Beschluss vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 163 u. 172 ff.), fehlt es an einer dahingehenden Kompetenz (Heinemann in Jennißen, aaO, § 21 Rn. 106 mwN; der Sache nach ebenso Jennißen in Jennißen, aaO, § 10 Rn. 93a; vgl. auch Klein in Bärmann, aaO, § 10 Rn. 304 i.V.m. Rn. 74: „zwingendes Recht“). Eine gesamtschuldnerische Haftung kommt nur noch in Betracht, wenn sich die einzelnen Wohnungseigentümer selbst neben dem Verband klar und eindeutig auch persönlich verpflichten (Senat, aaO, 172 f.; Klein in Bärmann, aaO, § 10 Rn. 304; Elzer, NZM 2009, 57, 59 mit Fn. 30). Dass der Gesetzgeber diese Sichtweise übernommen hat, wird dadurch bestätigt, dass er mit der Regelung des § 10 Abs. 8 WEG ausdrücklich und mit Bedacht nur eine anteilsmäßige (teilschuldnerische) persönliche Außenhaftung der Wohnungseigentümer angeordnet hat (vgl. BT-Drucks. 16/887, insbesondere S. 65 f.).
Der Kläger übersieht indessen, dass seine Argumentation zur gesamtschuldnerischen Haftung in dem Beschluss vom 29. April 2009 zu TOP 2 keine Grundlage findet. Maßgebend für die Auslegung von Beschlüssen der Wohnungseigentümer sind Wortlaut und Sinn, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegend ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (grundlegend Senat, Beschluss vom 10. September 1998 - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 291 f.; vgl. auch Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 1). Der Beschluss enthält jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass eine gesamtschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer begründet werden sollte. Er ist daher nächstliegend dahin auszulegen, dass vollen Umfangs lediglich der rechtsfähige Verband und die einzelnen Wohnungseigentümer nur entsprechend ihren Anteilen für die Darlehensverbindlichkeiten einstehen sollen (§ 10 Abs. 8 WEG).
2. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht erachtet das Berufungsgericht auch die gegen den Beschluss vom 6. November 2009 zu TOP 3 gerichtete Anfechtungsklage für unbegründet.
a) Der den Antrag des Klägers zurückweisende Beschluss entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung. Die Wohnungseigentümer haben sich bei nächstliegender Auslegung des bestandskräftigen Finanzierungsbeschlusses vom 29. April 2009 für eine Kreditaufnahme ohne Haftungsfreistellung einzelner Wohnungseigentümer im Innenverhältnis entschieden; sie haben eine solche Freistellung auch nicht einer gesonderten Beschlussfassung vorbehalten. Ob eine derartige schematische Regelung unter Einbeziehung auch derjenigen Wohnungseigentümer, die über ausreichende Liquidität verfügen und diese zur Abwendung einer Kreditfinanzierung einsetzen wollen, ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, ist streitig (bejahend etwa Abramenko, ZMR 2011, 897 f.; verneinend Jennißen in Jennißen, aaO, § 16 Rn. 10a mwN auch zum Streitstand), braucht hier aber nicht entschieden zu werden. Denn ein Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass die Ausführung eines bestandskräftigen Beschlusses unterbleibt, weil die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums vorrangig den Beschlüssen der Wohnungseigentümer entsprechen muss (§ 21 Abs. 4 WEG); ein bestandskräftiger Beschluss schließt zumindest den Einwand aus, die Beschlussfassung habe nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen (Senat, Urteil vom 13. Mai 2011 - V ZR 202/10, NJW 2011, 2660, 2661 Rn. 16; Urteil vom 3. Februar 2012 - V ZR 83/11, WuM 2012, 399, 400).
b) Etwas anders gilt allerdings dann, wenn schwerwiegende Gründe - etwa bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - die Durchführung der bestandskräftig beschlossenen Maßnahme als treuwidrig (§ 242 BGB) erscheinen lassen (zum Ganzen Merle in Bärmann, aaO, § 21 Rn. 54 mwN; vgl. auch Senat, Urteil vom 3. Februar 2012, aaO). Das ist hier jedoch nicht ersichtlich. Dass in fehlerhafter Umsetzung des Finanzierungsbeschlusses über die anteilige Haftung nach § 10 Abs. 8 WEG hinaus ein die gesamtschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer vorsehender Darlehensvertrag abgeschlossen worden wäre, ist nicht festgestellt; auch die Revision verweist auf kein dahingehendes tatsächliches Vorbringen. Im Übrigen wäre ein solcher Darlehensvertrag zumindest insoweit schwebend unwirksam gewesen (§ 177 Abs. 1 BGB i.V.m § 139 BGB), so dass es in der Macht jedes Wohnungseigentümers gestanden hätte, zumindest die eigene gesamtschuldnerische Haftung durch Verweigerung der Genehmigung abzuwenden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Roth Brückner
Weinland Kazele