Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.09.2011


BGH 16.09.2011 - V ZR 236/10

Dauerwohnrecht: Auslegung einer Regelung über die Kosten für die Instandhaltung und Instandsetzung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.09.2011
Aktenzeichen:
V ZR 236/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Köln, 21. Oktober 2010, Az: 1 S 151/09, Urteilvorgehend AG Köln, 6. Mai 2009, Az: 203 C 611/08
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21. Oktober 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks, die Beklagte Inhaberin eines unbefristeten Dauerwohnrechts gemäß § 31 WEG an einer der in diesem Haus befindlichen Wohnungen. Der Bestellung des Dauerwohnrechts liegt ein schriftlicher Vertrag aus dem Jahr 1955 zwischen der Klägerin und dem Rechtsvorgänger der Beklagten zugrunde, der als "Vertrag über eine Eigenwohnung" überschrieben ist. Danach hat der als "Eigenwohner" bezeichnete Wohnungsberechtigte eine monatliche Nutzungsgebühr zu zahlen, die neben Kapital- und Bewirtschaftungskosten die "Kosten für die Instandhaltung und Instandsetzung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" umfasst. Der auf diese Kosten bezogene Teil der Nutzungsgebühr ist getrennt von dem übrigen Vermögen der Klägerin zu verwalten und darf nur für diesen Zweck verwendet werden. Nachdem die Nutzungsgebühr insoweit über viele Jahre hinweg nicht erhoben wurde, möchte die Klägerin einen ihrem Vortrag zufolge erheblichen Renovierungsstau an dem Gebäude - unter anderem an Balkonen und Dach - beheben und zu diesem Zweck beginnend mit dem Jahr 2007 eine jährlich zu zahlende Rücklage für Reparaturen an dem Gebäude einführen. Der Anteil der Beklagten soll sich für das Jahr 2007 auf 478,50 € und für das Jahr 2008 auf 714,52 € belaufen. Nur den Betrag für das Jahr 2007 hat die Beklagte unter Vorbehalt gezahlt. Die Klägerin möchte festgestellt wissen, dass die Beklagte insoweit keine Rückzahlung verlangen kann, und macht darüber hinaus den Betrag für das Jahr 2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

Entscheidungsgründe

I.

2

Das Berufungsgericht meint, dem Wortlaut des Vertrages nach müsse die Klägerin für die Instandhaltung des Gebäudes aufkommen, weil sich der Eigenwohner nur an den Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung der "gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" beteiligen müsse. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung dieses Begriffs ergebe aber, dass davon auch das Gebäude erfasst sei, weil keine der Parteien vorgetragen habe, dass solche Anlagen überhaupt existierten und die Regelung bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung sinnlos sei. Zudem hätte die Klägerin zu Beginn der vertraglichen Beziehungen diesen Teil der Nutzungsgebühr im Einverständnis mit den Eigenwohnern als Rücklage angespart. Diese sei nur deshalb aufgelöst und nicht mehr fortgeführt worden, weil Reparaturen nicht erforderlich gewesen seien. Eine an wirtschaftlichen Maßstäben orientierte Verwaltung des Gesamtobjekts sei bei einem an dem Wortlaut haftenden Verständnis der vertraglichen Regelung nicht gewährleistet.

II.

3

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

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1. Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der formfreie schuldrechtliche Vertrag die Beklagte als Rechtsnachfolgerin bindet. Das ergibt sich aus § 38 Abs. 1 WEG.

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2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme, der Vertrag erlaube eine auf die allgemeine Gebäudesanierung bezogene Rücklagenbildung, weil mit dem in § 10 Nr. 2 Buchst. a des Vertrags genannten Begriff der "gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" das Gebäude insgesamt gemeint sei. Die Auslegung einer Individualabrede gemäß §§ 133, 157 BGB kann von dem Revisionsgericht zwar nur eingeschränkt überprüft werden, nämlich darauf, ob der Tatrichter die gesetzlichen und allgemein anerkannten Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die der Auslegung zugrunde gelegten Tatsachen ohne Verfahrensfehler ermittelt hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 23. Januar 2009 – V ZR 197/07, NJW 2009, 1810, Rn.8 mwN). Sie ist in diesem Rahmen aber zu beanstanden.

6

a) Der Wortlaut des Vertrags spricht - was auch das Berufungsgericht erkannt hat - gegen die Annahme, der Eigenwohner müsse anteilig für die Instandsetzung und Instandhaltung des gesamten Gebäudes aufkommen. Er differenziert durchgehend zwischen dem "Gebäude" sowie "Anlagen und Einrichtungen". Während der Eigenwohner die in § 2 Nr. 1 des Vertrags genannten Räume instand halten soll, obliegt die Instandhaltung und Instandsetzung des Gebäudes sowie seiner Anlagen und Einrichtungen insgesamt der Klägerin (§ 3 Nr. 2 und 3 des Vertrags). Die Finanzierung durch den Eigenwohner über die Nutzungsgebühr ist gemäß § 10 Nr. 2 Buchst. a des Vertrags auf die Instandhaltung und Instandsetzung der „gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks“ beschränkt.

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b) Seine von dem Wortlaut abweichende Auslegung hat das Berufungsgericht auf die Überlegung gestützt, die Vorschrift sei andernfalls sinnlos, weil die Parteien nicht vorgetragen hätten, dass derartige Anlagen und Einrichtungen vorhanden seien. Dabei hat es aber übersehen, dass sich "Anlagen und Einrichtungen" schon nach dem gesetzlichen Sprachgebrauch nicht nur außerhalb des Gebäudes auf dem Grundstück, sondern auch innerhalb des Wohngebäudes befinden können. Dieser Begriff ist nämlich § 33 Abs. 3 WEG in der - gegenüber der heutigen Rechtslage unveränderten - Fassung vom 15. März 1951 entnommen worden, in der das Nutzungsrecht des Berechtigten hinsichtlich der "zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes und Grundstücks" geregelt ist. Diese Vorschrift ist wiederum an § 1093 Abs. 3 BGB angelehnt, weil das in § 31 ff. WEG geregelte Dauerwohnrecht dem Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB nachgebildet worden ist und sich von diesem im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass es veräußerlich und vererblich ist und weitergehende Nutzungen erlaubt (Pick in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 31 Rn. 2). Auch § 1093 Abs. 3 BGB verwendet den Begriff der "zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Bewohner bestimmten Anlagen und Einrichtungen". Die Auslegung dieser Bestimmungen ist daher heranzuziehen.

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c) Als Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 33 Abs. 3 WEG sah man zur Zeit des Vertragsschlusses nicht nur den Hofraum, sondern auch das Treppenhaus, einen Trockenspeicher und andere Einrichtungen in dem Gebäude an (Weitnauer-Wirths, WEG, 2. Aufl. [1955] § 33 Rn. 10) und hielt die Verkehrsüblichkeit für maßgebend (Bärmann, WEG [1951] § 33 Nr. 4). Ebenso wird die Vorschrift heute verstanden (Pick in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 33 Rn. 103 ff.; Grziwotz in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 33 Rn. 16 ff.; Timme/Munzig, WEG, § 33 Rn. 27). Auch § 1093 Abs. 3 BGB wird dahingehend ausgelegt, dass im Zweifel allgemeinen Lebens- und Wohngewohnheiten entsprechend sowohl der Hof als auch Treppenhaus, Waschküche, Trockenboden etc. erfasst sind (Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl., § 1093 Rn. 13; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 1093 Rn. 9; Staudinger/Mayer, BGB [2009] § 1093 Rn. 31 f. mwN).

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d) Allerdings weicht der Vertrag insoweit von dem in § 33 Abs. 3 WEG gewählten Begriff ab, als durchgängig nur von „Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks“, nicht aber des Gebäudes die Rede ist. Die Auslegung nach dem Gesamtzusammenhang der vertraglichen Regelung ergibt aber, dass auch die gemeinschaftlich genutzten aufstehenden Gebäudeteile als Bestandteil des Grundstücks erfasst werden. Das folgt vor allem daraus, dass sich das Nutzungsrecht des Eigenwohners gemäß § 2 Nr. 2 des Vertrags neben der Wohnung auf die "gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" erstreckt. Das Nutzungsrecht ist ohne Zweifel nicht auf gemeinsame Einrichtungen des Grundstücks beschränkt, wie etwa eine Zuwegung oder eine Umzäunung, sondern erstreckt sich auch auf gemeinsam genutzte Gebäudeteile wie das Treppenhaus. Auch weitere Bestimmungen des Vertrags, die den Begriff verwenden, haben offensichtlich vor allem Gebäudeteile im Blick. Das gilt für § 5 Nr. 2 Satz 2 des Vertrags, nach dem eine Gewerbeausübung keine "übermäßige Abnutzung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" mit sich bringen darf. Ebenso ist die in § 14 Nr. 1 des Vertrags geregelte Haftungsfolge für Beschädigungen vornehmlich auf die der Nutzung unterliegenden Gebäudeteile bezogen. Schließlich darf dem Eigenwohner nach § 15 Nr. 1 Satz 2 des Vertrags die Nutzung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks nicht untersagt werden, soweit er dadurch von der Benutzung der dem Vertrag unterliegenden Räume ausgeschlossen würde. Damit soll insbesondere der Zutritt durch das Treppenhaus gesichert werden.

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e) Danach zählen zu den "gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des Grundstücks" zwar jedenfalls das Treppenhaus, aber weder das Dach noch die Balkone. Für letztere kommt allenfalls eine Instandhaltungspflicht der jeweiligen Eigenwohner gemäß § 3 Nr. 2 des Vertrags in Betracht.

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f) Allerdings merkt das Berufungsgericht zutreffend an, dass die vertragliche Regelung wirtschaftlich unbefriedigend ist. Die von dem Vertreter der Revision in der mündlichen Verhandlung zitierte Bestimmung in § 10 Nr. 2 a des Vertrags, nach der die Klägerin in die Nutzungsgebühr einen Posten für "Abschreibung" einstellen kann, kompensiert nur den altersbedingten Wertverlust des Gebäudes, nicht aber Renovierungskosten. Gleichwohl scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, weil der Vertrag keine Regelungslücke aufweist.

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3. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Zwar kann die Klägerin die Nutzungsgebühr jedenfalls um einen Posten für die Instandsetzung und Instandhaltung gemeinschaftlicher Anlagen und Einrichtungen erhöhen. Insoweit fehlt es aber an ausreichenden Feststellungen.

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a) Ohne Erfolg wendet die Revision ein, § 10 Nr. 2 Buchst. a des Vertrags erlaube nicht die Bildung einer Rücklage für derartige Maßnahmen. Allerdings ist die Nutzungsgebühr, die auch laufende Bewirtschaftungskosten und Kapitalkosten umfasst, monatlich zu zahlen (§ 9 Nr. 2 des Vertrags) und gemäß § 12 Nr. 3 des Vertrags am Ende des Kalenderjahres abzurechnen, wobei Überschüsse auf die Nutzungsgebühr des folgenden Kalenderjahres anzurechnen sind. Der Gesamtzusammenhang des Vertrages lässt aber erkennen, dass die jährliche Abrechnung nicht zu einer solchen Anrechnung von Überschüssen führen soll, soweit sie sich auf den Pauschalbetrag für Instandhaltung und Instandsetzung bezieht. Denn § 11 Nr. 2 des Vertrags regelt, dass dieser Teil der vereinnahmten Nutzungsgebühren nicht nur zweckgebunden zu verwenden, sondern auch getrennt von dem übrigen Vermögen zu verwalten ist. Die getrennte Verwaltung des Vermögens ist nur dann sinnvoll, wenn insoweit keine Anrechnung von Überschüssen auf die im folgenden Kalenderjahr zu zahlende Gebühr, sondern eine Ansparung erfolgen soll. So haben die Parteien - wie das Berufungsgericht festgestellt hat - die Regelung zu Beginn der vertraglichen Beziehungen  auch einverständlich gehandhabt. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, da das Berufungsgericht sie unterlassen hat und insoweit weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (st. Rspr., vgl. Urteil vom 25. September 1975 - VII ZR 179/73, BGHZ 65, 107, 112; Urteil vom 3. November 1993 - VIII ZR 106/93, BGHZ 124, 39, 45).

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b) Schließlich scheitert eine auf die gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen bezogene Erhebung der Nutzungsgebühr nicht von vornherein an dem Umstand, dass die Klägerin eine jährliche Einmalzahlung verlangt hat. Allerdings weist die Revision zu Recht darauf hin, dass der Vertrag keine Jahresgebühr, sondern eine monatliche Zahlung der Gebühr vorsieht; auf welche Weise deren Anhebung geltend zu machen ist, ist nicht geregelt. Im Zweifel kann eine solche Erhebung deshalb nicht rückwirkend erfolgen, sondern bedarf einer angemessenen vorherigen Ankündigung. Sollte die Klägerin die jährliche Gebühr im Voraus angekündigt haben, könnte dies als angemessene Information der Beklagten über die Erhöhung ausreichen. Die Erhebung als Jahresgebühr wäre nur im Zusammenhang mit der Fälligkeit der Forderung von Bedeutung und hier in der Hauptsache deshalb unerheblich, weil die Gebühr für zurückliegende Jahre verlangt wird. Zu der Frage, ob die erforderliche vorherige Ankündigung erfolgt ist, sind ausreichende Feststellungen indes nicht getroffen worden.

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4. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es ist aufzuheben und die Sache ist zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zu der vorherigen Ankündigung und zu der Höhe der Gebühr getroffen werden können.

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5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

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Weil § 10 Nr. 2 Buchst. a des Vertrags regelt, dass die Nutzungsgebühr - anders als es derzeit der Fall ist - einen Anteil für Instandhaltung und Instandsetzung der gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen enthalten darf, kann dieser Anteil für einen Grundbedarf an derartigen Maßnahmen ohne weiteres wieder erhoben werden. Weitere konkret erforderliche Aufwendungen können als "sonstige Maßnahme" im Sinne von § 12 Nr. 1 des Vertrags anzusehen sein, die die Klägerin zu einer weiteren Erhöhung der Nutzungsgebühr berechtigt. Die Bestimmung der Höhe hat gemäß § 315 Abs. 1 BGB jeweils nach billigem Ermessen zu erfolgen und ist durch das Gericht nur nach diesem Maßstab zu kontrollieren. Das Berufungsgericht wird daher festzustellen haben, welche Anlagen und Einrichtungen nach den oben beschriebenen Auslegungskriterien vorhanden sind und ob der von der Klägerin veranschlagte Betrag als Grundbedarf angemessen ist bzw. ob konkret erforderliche Maßnahmen eine angemessene Erhöhung der Gebühr erlauben. Dabei ist die Klägerin auch nicht daran gehindert, die Gebührenerhebung nunmehr allein auf diejenigen Maßnahmen zu stützen, die für die Instandsetzung und Instandhaltung gemeinschaftlicher Anlagen und Einrichtungen erforderlich sind.

Krüger     

RiBGH Dr. Lemke ist infolge

Urlaubs an der Unterschrift gehindert.

Karlsruhe, den 19. September 2011

Der Vorsitzende

Schmidt-Räntsch

Krüger

Brückner     

     Weinland