Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.07.2012


BGH 20.07.2012 - V ZR 231/11

Wohnungseigentumsverfahren: Passivlegitimation bei Beschlussanfechtungsklage bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen Beschlüsse einer Untergemeinschaft; Voraussetzungen einer Aufhebung eines Berufungsurteils und Zurückverweisung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.07.2012
Aktenzeichen:
V ZR 231/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 14. September 2011, Az: 318 S 77/10, Urteilvorgehend AG Hamburg-St. Georg, 9. März 2010, Az: 980B C 30/09
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 18 - vom 14. September 2011 wird auf Kosten des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 9. März 2010 in der Weise zurückgewiesen bleibt, dass die Klage hinsichtlich TOP 3 und TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 29. April 2009 als unzulässig abgewiesen wird, soweit nicht zugunsten des Klägers entschieden worden ist.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die nach der Gemeinschaftsordnung in drei Untergemeinschaften gegliedert ist. Am 29. April 2009 wurden auf der Jahresversammlung der Untergemeinschaft A, der der Kläger angehört, unter anderen die Jahresabrechnung der Untergemeinschaft für das Jahr 2008 (TOP 3), der Gesamtwirtschaftsplan und die Einzelwirtschaftspläne für das Jahr 2010 (TOP 6) sowie die Verteilung der das Teileigentum betreffenden Verwaltergebühr in diesem Wirtschaftsplan (TOP 7) beschlossen.

2

Der Kläger hat am 25. Mai 2009 eine Klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer der Untergemeinschaft A bei dem Amtsgericht eingereicht, mit der er beantragt hat, die zu TOP 3, 6 und 7 gefassten Beschlüsse für unwirksam zu erklären. Die Klageschrift ist - nach Zahlung des am 30. Juni 2009 angeforderten Kostenvorschusses am 22. August 2009 - den Beklagten am 31. August 2009 zugestellt worden.

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat festgestellt, dass die zu TOP 3 und zu TOP 6 gefassten Beschlüsse teilweise, nämlich hinsichtlich der das Grundstück und alle Wohnungseigentümer betreffenden Kostenpositionen (Gehwegreinigung, Versicherungen und Verwaltungsgebühren), und der Beschluss zu TOP 7 insgesamt nichtig sind; im Übrigen hat es die Klageabweisung bestätigt. Mit der von ihm zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Antrag weiter, insgesamt die Nichtigkeit der zu TOP 3 und zu TOP 6 gefassten Beschlüsse festzustellen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht (dessen Urteil in ZMR 2012, 123 ff. veröffentlicht ist) meint, dass die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 3 und 6 teilweise nichtig seien. Zwar weise die Gemeinschaftsordnung den Untergemeinschaften eine eigene Beschlusskompetenz auch für die aufzustellenden Wirtschaftspläne und die Jahresabrechnungen zu. Diese sei jedoch auf die allein sie betreffenden Kostenpositionen beschränkt und schließe nicht die Befugnis zur Beschlussfassung über die auf alle Wohnungseigentümer zu verteilenden Lasten ein. Insoweit habe die Klage mit dem Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit teilweise Erfolg, weil in der Jahresabrechnung für 2008 und dem Wirtschaftsplan für 2010 auch solche Positionen enthalten seien. Im Übrigen sei die Klage auch mit dem Hilfsantrag, die Beschlüsse für ungültig zu erklären, unbegründet, da der Kläger die Anfechtungsfrist von einem Monat nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG nicht gewahrt habe.

II.

5

Die Revision bleibt ohne Erfolg, weil die Klage zwar nicht als unbegründet, aber als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen. Der Senat hat - allerdings erst nach Erlass des angefochtenen Urteils - entschieden, dass eine Klage, mit der ein Beschluss einer Untergemeinschaft der Wohnungseigentümer angefochten oder für nichtig erklärt werden soll (Beschlussmängelklage), gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG stets gegen alle übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft als notwendige Streitgenossen zu richten ist. Die nur gegen einen Teil der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft gerichtete Klage ist deshalb unzulässig (Senatsurteile vom 11. November 2011 - V ZR 45/11, NJW 2012, 1224, 1225 Rn. 10 ff., vom 10. Februar 2012 - V ZR 145/11, juris Rn. 5 und vom 2. März 2012 - V ZR 89/11, juris Rn. 6).

III.

6

Eine Aufhebung des Berufungsurteil (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) mit dem Ziel der Behebung des Zulässigkeitsmangels durch eine Klageerweiterung auf die anderen Wohnungseigentümer ist auch in diesem Fall nicht veranlasst.

7

1. Richtig ist allerdings, dass ein solches Verfahren grundsätzlich dann geboten ist, wenn der Umstand, dass die Klage nur gegen einen Teil der Streitgenossen erhoben wurde, auf Fehler oder Versäumnisse des Gerichts zurückzuführen ist und der Zulässigkeitsmangel nicht auf einem Verschulden des Klägers beruht (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2012 - V ZR 89/11, juris Rn. 7). Es entspricht dann dem Grundsatz fairer Verfahrensführung, der es den Gerichten insbesondere verwehrt, aus eigenen oder ihnen zurechenbaren Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten (BVerfGE 75, 183, 190; 110, 339, 342 und NJW 1996, 1811), dem Kläger Gelegenheit zur Behebung des Zulässigkeitsmangels zu geben. Ob ein solcher Fehler des Gerichts vorliegt, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.

8

2. Eine Aufhebung und Zurückverweisung kommt nämlich nicht in Betracht, wenn sie nicht zu einem Erfolg der Klage führen kann. So ist es hier.

9

a) Die angegriffenen Beschlüsse sind nicht deshalb nichtig, weil - wie der Kläger meint - einem Teil der Wohnungseigentümer (der jeweiligen Untergemeinschaft) die Kompetenz fehle, nach § 28 Abs. 5 WEG über den Wirtschaftsplan und die Jahresrechnung zu beschließen.

10

aa) Das trifft nicht zu, weil die Bestimmung in § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG, nach der die Wohnungseigentümer auch von den Vorschriften des Gesetzes abweichende Vereinbarungen treffen können, es ermöglicht, in einer Gemeinschaftsordnung im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander Untergemeinschaften mit eigener Verwaltungszuständigkeit und selbständiger Beschlussfassungskompetenz ihrer Mitglieder zu errichten (vgl. Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10 Rn. 85; Hügel, NZM 2010, 8, 13; Wenzel, NZM 2006, 311, 314; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 23 Rn. 5). Zulässig sind danach von § 21 Abs. 1 und Abs. 3, § 23 Abs. 1, § 28 Abs. 5 WEG abweichende Stimmrechtsregelungen für die Beschlüsse über Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse, nach der allein die Mitglieder der Untergemeinschaft anstelle aller Wohnungseigentümer über die auf das jeweilige Haus entfallenden Kostenpositionen zu entscheiden haben (vgl. Hügel, aaO, 13, 14; Vandenhouten in Köhler/Bassenge, Wohnungseigentumsrecht, 2. Aufl., Teil 4 Rn. 103). Ist in der Gemeinschaftsordnung - wie hier - ausdrücklich bestimmt, dass die Kosten und Lasten für die Untergemeinschaften nicht nur getrennt zu ermitteln und abzurechnen sind, sondern für jede Untergemeinschaft - soweit rechtlich zulässig - selbständig verwaltet werden sollen, hat der Verwalter hausbezogene Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen aufzustellen und den Untergemeinschaften zur Beschlussfassung vorzulegen (BayObLG, ZWE 2001, 269, 270; NJOZ 2004, 636, 641); die gegen diese Beschlüsse erhobenen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG allerdings gegen alle übrigen Wohnungseigentümer zu richten.

11

bb) Richtig ist jedoch, dass den Mitgliedern einer Untergemeinschaft nicht die Kompetenz zusteht, auch über die Kostenpositionen zu entscheiden, die das Grundstück, mehrere Gebäude oder gemeinschaftliche Anlagen betreffen (OLG Köln, NZM 2005, 550). Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen enthalten indes notwendigerweise auch solche Kosten, weshalb - auch wenn es sich um eine Mehrhausanlage handelt - alle Wohnungseigentümer zur Beschlussfassung über diese berufen sind (BayObLG, BayObLGZ 1994, 98, 101; NZM 2001, 771 = ZWE 2001, 269; OLG Düsseldorf, FGPrax 2003, 121, 122; OLG Zweibrücken, ZMR 2005, 751, 752).

12

Daraus folgt jedoch nicht, dass die von einer Untergemeinschaft beschlossenen Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen insgesamt nichtig sind, wenn in ihnen auch die auf die Mitglieder der Untergemeinschaft entfallenden anteiligen Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums nach einem in der Gemeinschaftsordnung bestimmten Schlüssel ausgewiesen und in den Einzelabrechnungen auf die Mitglieder verteilt worden sind. Sollen - wie hier - nach der Gemeinschaftsordnung die Untergemeinschaften in eigener Zuständigkeit, wie wenn sie selbständige Eigentümergemeinschaften wären, über die Lasten und Kosten entscheiden, wird die Grenze ihrer Beschlusszuständigkeit nicht bereits mit der Aufnahme der anteiligen Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums in die Wirtschaftspläne und Abrechnungen, sondern erst dann überschritten, wenn sie dadurch einen in der Gemeinschaftsordnung bestimmten oder den auf einer Gesamteigentümerversammlung beschlossenen Verteilungsschlüssel ändern (vgl. BayObLG, NJW-RR 2001, 1020 und ZMR 2004, 212, 213 = BayObLGR 2004, 98 (Ls)). Die Annahme einer Gesamtnichtigkeit der Beschlüsse steht zudem der Grundsatz entgegen, dass die Unwirksamkeit einzelner Positionen in einem Wirtschaftsplan oder einer Jahresabrechnung deren Wirksamkeit im Übrigen grundsätzlich nicht berührt (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 2012 - V ZR 193/11, Rn. 13, juris).

13

Dem Kläger dürfte insoweit ein Anspruch auf Ergänzung der unvollständigen Abrechnungen (vgl. BayObLG, NJW-RR 1992, 1169; OLG Hamm, NZM 1998, 923, 924; OLG Schleswig, ZMR 2006, 665, 667) durch einen Beschluss aller Wohnungseigentümer zustehen. Dieser Anspruch ist aber nicht Gegenstand des Rechtsstreits und daher auch kein Grund für eine Aufhebung des Berufungsurteils.

14

b) Ob die Beschlüsse der Untergemeinschaft für unwirksam zu erklären sind, weil sie nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, ist nicht mehr zu prüfen, da der Kläger die Frist für eine Anfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 Satz 2 WEG) versäumt hat. Wiedereinsetzung nach § 46 Abs. 1 Satz 3 WEG i.V.m. § 233 ZPO kann ihm nicht gewährt werden. Die Versäumung der Frist ist schon deshalb nicht als unverschuldet anzusehen, weil der Kläger den von dem Amtsgericht angeforderten Kostenvorschuss zunächst nicht gezahlt hat. Das sich aus der Vorschrift in § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG ergebende Hindernis, nach der die Klage erst nach Zahlung der Verfahrensgebühr zugestellt werden soll, hat der Kläger daher zu vertreten. Die Revision greift das Berufungsurteil insoweit auch nicht an.

IV.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                           Stresemann                                           Czub  

                        Brückner                                              Weinland