Entscheidungsdatum: 16.07.2015
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 5. September 2014 unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beträgt 428.760,88 €.
I.
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Hamburg, die rückwärtig an ein Fleet grenzen. Auf dem Grundstück der Klägerin steht ein Kontorhaus aus dem späten 19. Jahrhundert. Auch auf dem Grundstück der Beklagten stand ein Geschäftshaus. Beide Gebäude verfüg(t)en über eigene Giebelwände, die allerdings seinerzeit an der Grundstücksgrenze auf einem gemeinsamen Fundament standen, das aus Klinkersteinen mit eingemauerten Findlingen besteht. Wegen der schwierigen Bodenverhältnisse ließ die Beklagte den im Keller befindlichen Teil ihrer Giebelwand an der Grenze zum Grundstück der Klägerin zunächst stehen und erst nach Verfüllung ihres Grundstücks in diesem Bereich abbrechen. Auch ließ sie die für die notwendige Pfahlgründung ihres Neubaus benötigten über 100 Bohrpfähle nicht einrammen, sondern im Teilverdrängungsbohrverfahren einbringen. Während dieser und begleitender Arbeiten traten an der Giebelwand der Klägerin Risse auf, für die die Klägerin die Beklagte verantwortlich macht. Sie verlangt von ihr Ersatz der Kosten für die Restabilisierung ihres Gebäudes, die sachverständige und anwaltliche Begleitung des Vorhabens sowie die Beseitigung der unmittelbaren Schäden, die durch die Risse entstanden sind, und für die Abplanung ihrer Giebelwand. Diese Kosten beziffert sie mit 403.869,59 € nebst Zinsen. Die Beklagte lehnt eine Verantwortung ab. Die Risse seien die Folge allein der fehlende Standsicherheit des Gebäudes der Klägerin.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klägerin auf die im Berufungsverfahren erhobene Widerklage verurteilt, der Beklagten als Ersatz für die Kosten der Abdichtung einer Kellerwand am Gebäude der Klägerin 24.891,29 € nebst Zinsen zu ersetzen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitert ein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Eigentumsverletzung durch Verletzung der Verkehrssicherungspflicht daran, dass die Beklagte nicht selbst tätig geworden sei, sondern Fachfirmen mit der Planung und Durchführung der Arbeiten beauftragt habe und dass Fehler bei der Auswahl der Firmen oder bei der Organisation und Überwachung des Geschehens nicht ersichtlich seien. Das gelte im Ergebnis auch für eine Haftung der Beklagte wegen unzulässiger Vertiefung aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB, wobei schon Zweifel an dem Vorliegen einer Vertiefung im Sinne der genannten Vorschrift bestünden. Einen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB habe die Klägerin nicht schlüssig dargelegt. Sie stütze sich zwar auf das Gutachten im gerichtlichen Beweisverfahren. Der Gerichtsgutachter gehe aber von Voraussetzungen aus, die zwischen den Parteien umstritten seien und die die Klägerin weder schlüssig vorgetragen noch ordnungsgemäß unter Beweis gestellt habe. Den Widerklageanspruch habe die Klägerin dem Grunde nach anerkannt.
III.
Das angefochtene Urteil ist hinsichtlich der Klage nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht insoweit den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Hinsichtlich der Verurteilung der Klägerin auf die Widerklage liegen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO dagegen nicht vor.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift verlangt auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu gehört der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen, und zwar auch des Sachverständigen aus einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahrens. Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfach-rechtlich nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - IV ZR 47/14, NJW-RR 2015, 510 Rn. 8). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 und vom 28. Oktober 2014 - VI ZR 273/13, RuS 2015, 44 Rn. 6).
2. So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat den im selbständigen Beweisverfahren tätigen Sachverständigen nicht mündlich angehört, obwohl die Klägerin das beantragt hat. Dies findet im Prozessrecht keine Stütze.
a) Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt einer Eigentumsverletzung durch Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) und unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Vertiefung gemäß § 823 Abs. 2, § 909 BGB letztlich mangels eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens verneint, ist das zwar rechtlich nicht zu beanstanden.
b) Eine Haftung der Beklagten analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt sich aber ohne eine mündliche Anhörung des Gerichtssachverständigen nicht verneinen. Die Risse an dem Gebäude der Klägerin, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Abbruch- und Gründungsarbeiten auf dem Grundstück der Beklagten aufgetreten sind, wären der Beklagten zwar nicht als Störung des Eigentums der Klägerin zuzurechnen, wenn sie Folge der mangelnden Standsicherheit dieses Gebäudes wären. Gerade das hat der Gerichtssachverständige, dessen Ausführungen sich die Klägerin zu eigen gemacht hat, aber ausgeschlossen. Er ist in seinem Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass die neuen Risse und die dadurch ausgelösten Schäden auch eingetreten wären, wenn die Altrisse an dem Gebäude zuvor ordnungsgemäß beseitigt und die volle Standsicherheit dieses Gebäudes wiederhergestellt worden wären. Damit hat er seine Schlussfolgerung nicht von der - zwischen den Parteien umstrittenen - Wiederherstellung der Standsicherheit ihres Gebäudes durch die Klägerin abhängig gemacht, wie das Berufungsgericht offenbar annimmt. Vielmehr meint er, dass die Arbeiten auf dem Grundstück der Beklagten auch bei einem standsicheren Gebäude zu der Rissbildung und den dadurch verursachten Schäden geführt hätten. Träfe diese Einschätzung zu, könnte eine Haftung der Beklagten analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB jedenfalls im Ansatz nicht verneint werden. Dies wird jetzt aufzuklären sein.
3. In Ansehung der Verurteilung der Klägerin auf die Widerklage wirft die Rechtssache dagegen keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Eine Entscheidung ist insoweit auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Kazele Göbel