Entscheidungsdatum: 04.07.2013
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 8. Juni 2012 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 186.553,18 €.
I.
Die Eltern der Klägerin und des Streithelfers der Beklagten bestellten zwischen 1954 und 1964 insgesamt sechs Grundschulden auf einem ihnen gehörenden Grundstück mit einem Betrag von umgerechnet 186.553,18 € zzgl. Zinsen. Sie übernahmen zugleich für die Grundschuldbeträge die persönliche Haftung und unterwarfen sich wegen der Ansprüche der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen. Inhaber aller dieser Ansprüche wurde später die Kreissparkasse S. (im Folgenden: Zedentin).
Der Vater der Klägerin und des Streithelfers (im Folgenden: Vater) gründete im Jahr 1995 eine Familienstiftung (im Folgenden: Stiftung), deren Vorstand der Streithelfer war. Die Stiftung nahm 1996 und 1997 drei Darlehen auf, die u.a. durch die o.g. Grundschulden abgesichert wurden. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2001 schlug der Streithelfer die Erbschaft aus; die Klägerin wurde als Alleinerbin des Vaters Eigentümerin des mit den Grundschulden belasteten Grundstücks.
Im Jahre 2005 schlossen die Stiftung, der Streithelfer und die Klägerin mit der Zedentin einen Vertrag über ein Darlehen mit einem Nettokreditbetrag von 22,9 Mio Japanischen Yen, mit dem die im Jahre 1997 aufgenommenen Darlehen abgelöst wurden. Als Sicherheiten dienten neben Grundschulden auf einem Grundstück der Stiftung auch die auf dem Grundstück der Klägerin lastenden Grundschulden. Die Klägerin unterzeichnete zur selben Zeit eine formularmäßige Zweckerklärung, nach der die vorgenannten Grundschulden der Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen der Zedentin gegen die Stiftung, den Streithelfer und die Klägerin dienen sollten.
Über das Vermögen des Streithelfers wurde im Januar 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Streithelfer machte danach Ausgleichsansprüche gegen die Klägerin in Höhe von einem Drittel der von der Stiftung auf die Darlehen gezahlten Zins- und Tilgungsleistungen geltend, die die Klägerin zurückwies. Mehrere Klagen der Stiftung gegen die Klägerin, sie von den Verpflichtungen aus den im Jahre 2005 aufgenommenen Darlehen freizustellen, blieben ohne Erfolg. Der Fremdwährungskredit wurde im Februar 2009 durch einen Kredit in Höhe von 196.566,62 € abgelöst. Die Klägerin weigerte sich, den geänderten Darlehensvertrag zu unterzeichnen, den die Zedentin im Mai 2009 kündigte.
Im November 2009 löste die Beklagte, die Lebensgefährtin des Streithelfers, sämtliche Darlehensverbindlichkeiten der Stiftung, des Streithelfers und der Klägerin gegenüber der Zedentin ab. Diese trat an die Beklagte die Darlehensansprüche sowie alle Sicherheiten ab. Nach Umschreibung der Vollstreckungsklauseln auf die Beklagte als Gläubigerin und die Klägerin als Schuldnerin leitete die Beklagte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin ein.
Die Klägerin hat eine Vollstreckungsgegenklage mit dem Ziel erhoben, die Zwangsvollstreckung aus den Urkunden über die Bestellung der Grundschulden für unzulässig zu erklären. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision will die Beklagte in einem Revisionsverfahren die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen.
II.
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten aufzuheben, weil das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Die in Art. 103 Abs. 1 GG normierte Gewährleistung stellt eine Ausprägung des Rechtsstaatsgedankens für das gerichtliche Verfahren dar (BVerfGE 55, 72, 93). Rechtliche Hinweise müssen danach unter Berücksichtigung der Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es den Parteien auch tatsächlich möglich ist, Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis zu nehmen, sie also nicht gehindert sind, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen (BVerfGE 84, 188, 190 und 86, 133, 144). Dem Inhalt des Verfahrensgrundrechts entnimmt der Bundesgerichtshof daher in ständiger Rechtsprechung, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (Senat, Beschluss vom 26. Juni 2008 - V ZR 225/07, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 15. März 2006 - IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937, Rn. 4 mwN). Der Berufungsbeklagte darf darauf vertrauen, dass ihn das Berufungsgericht, wenn es in der tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung dem Erstrichter nicht folgen will, darauf hinweist, und zwar so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (vgl. BVerfG, NJW 2003, 2524 und Senat, Beschluss vom 26. Juni 2008 - V ZR 225/07, aaO).
2. Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es das Vorbringen der Beklagten zu den Absprachen zwischen dem Streithelfer und dem Vater über die Übernahme der Darlehensverbindlichkeiten nach § 525 Satz 1 i.V.m. § 296a Satz 1 ZPO zurückgewiesen hat. Diesen Vortrag hätte es berücksichtigen müssen, selbst wenn es sich dabei um neues Vorbringen der Beklagten in einem nachgereichten Schriftsatz handelte, der von dem durch Schriftsatznachlass nach § 283 Satz 1 ZPO gewährten Recht zur Replik auf ein nicht rechtzeitig vor dem Termin vorgebrachtes Vorbringen der Klägerin nicht mehr gedeckt war.
a) Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte nicht von sich aus vor der mündlichen Verhandlung über die Berufung weitere Tatsachen zur Widerlegung des von der Klägerin darzulegenden und zu beweisenden Rechtsmissbrauch vorgetragen hat. Hierzu war sie nicht verpflichtet, da das erstinstanzliche Gericht die Vollstreckungsgegenklage unter anderem mit der Begründung abgewiesen hat, ein aus dem Innenverhältnis der Darlehensnehmer untereinander begründeter Einwand eines Rechtsmissbrauchs der Klägerin bei der Durchsetzung der von der Zedentin (Sparkasse) an die Beklagte abgetretenen Ansprüche sei unerheblich. Daher musste die Beklagte dazu zunächst nichts weiter vortragen. Hierzu war sie - wie vorstehend ausgeführt - erst auf Grund des Hinweises des Berufungsgerichts gehalten, dass es die Rechtslage in diesem Punkt anders als das erstinstanzliche Gericht beurteile und der Einwand der Klägerin, dass die Beklagte die abgetretenen Rechte rechtsmissbräuchlich geltend mache, begründet sein könne.
b) Dieser Hinweis ist jedoch erst in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2012 erteilt worden. Das war zu spät, weil die Beklagte so nicht mehr rechtzeitig vor dem Termin auf die abweichende Beurteilung der Rechtslage durch das Berufungsgericht reagieren konnte.
c) Das Berufungsgericht hätte danach das Vorbringen in dem nachgereichten Schriftsatz nicht zurückweisen dürfen, sondern berücksichtigen müssen. Reagiert nämlich eine Partei - wie hier die Beklagte - auf das nicht ordnungsgemäße, weil gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Vorgehen des Berufungsgerichts, indem sie einen nicht nachgelassenen Schriftsatz einreicht, so muss das Berufungsgericht das darin enthaltene neue Vorbringen berücksichtigen und - wenn es sich als entscheidungserheblich darstellt - die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999 - IX ZR 341/98, NJW 2000, 142, 143 und vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, NJW-RR 2007, 412 Rn. 4).
Dies gilt entgegen der Ansicht der Erwiderung auch dann, wenn die Partei auf den erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis nicht in der angemessenen Weise reagiert, dass sie nach § 139 Abs. 5 ZPO eine Schriftsatzfrist beantragt, weil ihr eine sofortige Erklärung zu dem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist. Die durch § 139 Abs. 5 ZPO eröffnete Befugnis der von einem verspäteten Hinweis des Gerichts überraschten Partei, sich weiteren Vortrag vorzubehalten, führt nicht dazu, dass eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG zu verneinen wäre. Das Berufungsgericht kann nämlich, wenn es einen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt, nicht erwarten, dass die Partei die rechtlichen Konsequenzen des Hinweises sofort in vollem Umfang überblickt und entsprechend prozessual angemessen zur Wahrung ihrer Rechte reagiert. Deshalb stellt es einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Berufungsgericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ablehnt und damit das in einem nachgereichten Schriftsatz enthaltene Vorbringen nicht mehr zur Kenntnis nimmt (BGH, Urteil vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, NJW-RR 2007, 412 f. Rn. 6).
aa) Nicht berücksichtigt hat das Berufungsgericht das unter Beweis gestellte Vorbringen der Beklagten, wonach zwischen dem Vater und dem Streithelfer vereinbart worden sei, dass der Vater (und nach seinem Tod die Klägerin als Erbin) die Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der Zedentin übernehmen werde, wenn der Streithelfer auf die Erbschaft verzichte und die Klägerin dadurch Alleinerbin werde. Der Vater habe dem Streithelfer auch eine Vollmacht unter Befreiung von den Beschränkungen in § 181 BGB erteilt, um diese Wirkungen herbeiführen zu können. Vorgetragen ist zudem, dass die Klägerin - nachdem sie auf Grund der Erbausschlagung des Streithelfers Alleinerbin geworden war - in Anerkennung des Willens des Vaters, sich gegenüber der Gläubigerin (Zedentin) ausdrücklich damit einverstanden erklärt habe, die Stiftung und den Streithelfer aus der Haftung für die Darlehensverbindlichkeiten zu entlassen.
bb) Dieses Vorbringen ist auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts entscheidungserheblich. Zwar wäre eine Vereinbarung zwischen dem Vater und dem Streithelfer über einen Erbverzicht nach § 2348 BGB i.V.m. § 125 Satz 1 BGB wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Form nichtig, wenn man davon ausginge, dass auch die Verpflichtung (und nicht nur der Erbverzicht als solcher) der notariellen Beurkundung bedarf (KG, OLGZ 1974, 263, 265; OLG Köln, ZEV 2011, 384, 386: Keller, ZEV 2005, 229, 231; aA Kuchinke, NJW 1983, 2358, 2359). Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsfrage bisher offen gelassen (vgl. Senat, Urteil vom 4. Juli 1962 - V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, 328; BGH, Urteile vom 14. Dezember 1995 - IX ZR 242/94, NJW 1996, 1062, 1065 und vom 7. Dezember 2011 - IV ZR 16/11, NJW-RR 2012, 332, 333 f. Rn. 15). Sie bedarf auch hier keiner Entscheidung.
Selbst wenn die Vereinbarungen zwischen dem Vater und dem Streithelfer wegen Nichteinhaltung der für die Vereinbarung einer Verpflichtung zum Erbverzicht vorgeschriebenen Form insgesamt nichtig gewesen sein sollten, stellte sich die Geltendmachung der Rechte aus den Urkunden über die Bestellung der Grundschulden durch die Beklagte nicht als eine missbräuchliche unzulässige Rechtsausübung dar, mit der der Stiftung ein ihr nicht zustehender finanzieller Vorteil zum Schaden der Klägerin verschafft werden soll. Denn die Klägerin hätte durch die Ausschlagung der Erbschaft einen Vermögenszuwachs in der durch die Vereinbarung mit dem Vater begründeten Erwartung des Streithelfers erhalten, dass die Klägerin mit dem Anfall der Erbschaft auch die durch die Grundschulden auf ihrem Grundstück gesicherten Darlehensverbindlichkeiten übernehmen werde. Dann stellt es keinen Rechtsmissbrauch dar, wenn nunmehr die Beklagte als Lebensgefährtin des Streithelfers aus den zedierten Grundschulden gegen die Klägerin vorgeht, nachdem diese sich nicht mehr an diejenigen Abreden gebunden fühlt, auf denen die Erbausschlagung durch den Streithelfer beruhte. Vor dem Hintergrund der behaupteten Absprache wäre jedenfalls die Grundlage für die allein auf die Auszahlung der Darlehen an die Stiftung gestützte Annahme des Berufungsgerichts entfallen, dass die Verfolgung der Rechte aus den Unterwerfungserklärungen durch die Beklagte deshalb rechtsmissbräuchlich sei, weil im Innenverhältnis der Darlehensnehmer untereinander nur die Stiftung zur Rückzahlung der Darlehen verpflichtet gewesen sei.
3. Das Berufungsgericht wird sich daher in der neuen Verhandlung mit diesem Vorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auseinandersetzen müssen.
Stresemann Czub Brückner
Weinland Kazele