Entscheidungsdatum: 25.01.2018
Setzt ein Wohnungseigentümer, gegen den ein gerichtliches Verfahren auf Entziehung des Wohnungseigentums anhängig ist, die in der Klage beanstandeten gemeinschaftswidrigen Verhaltensweisen fort, ist hinsichtlich des fortgesetzten Verhaltens eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2017 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungs-beschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 160.000 €.
I.
Die beiden Beklagten sind Mitglieder der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2015 fassten die Wohnungseigentümer den Beschluss, gegen die Beklagten wegen etlicher Übergriffe auf Eigentümer und Hausverwaltung, die Ausdruck krimineller Energie seien, Klage auf Veräußerung ihres Wohnungseigentums zu erheben. Die anschließend erhobene Klage stützte die Wohnungseigentümergemeinschaft auf die Behauptung schwerwiegender Pflichtverletzungen der Beklagten und auf einen Zahlungsrückstand aus der Jahresabrechnung 2014 und dem Wirtschaftsplan 2015. Wegen des Zahlungsrückstandes hat das Amtsgericht die Beklagten verurteilt, ihr Wohnungseigentum zu veräußern. Auf deren Berufung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft die Zulassung der Revision erreichen.
II.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es an der für eine Entziehung des Wohnungseigentums erforderlichen Abmahnung der Beklagten. Zwar bedürfe es einer Abmahnung nicht, wenn sich ein Veräußerungsverlangen ausschließlich auf Beitragsrückstände stütze. Dies gelte jedoch nicht, wenn daneben auch ein sonstiges pflichtwidriges Verhalten des Wohnungseigentümers als Entziehungsgrund geltend gemacht werde. Eine Abmahnung sei hier nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass offenbar über Jahre das beanstandete Verhalten der Beklagten - jedenfalls ohne durch Abmahnungen tätig zu werden - geduldet worden sei, wäre es zwingend erforderlich gewesen, ihnen vor der Beschlussfassung deutlich vor Augen zu führen, dass sie bei einer Fortsetzung des Verhaltens mit einem Entzug des Wohnungseigentums zu rechnen hätten.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Das Gericht muss sich in den Entscheidungsgründen zwar nicht ausdrücklich mit jedem Vorbringen der Prozessbeteiligten befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZR 146/14, NJW-RR 2016, 210 Rn. 4 mwN).
2. Danach liegt ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das Vorbringen in der Berufungserwiderung vom 18. Januar 2017 nicht berücksichtigt habe. Darin hat die Klägerin vorgetragen, dass sich nach der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom August 2016 im Oktober und Dezember 2016 sowie im Januar 2017 weitere Vorfälle ereignet hätten. Der Beklagte zu 1 habe den Hausmeister unter Androhung von Gewalt gezwungen, den Hof zu verlassen. Anlässlich einer Besprechung zwischen dem Verwalter und dem Umweltamt in den Kellerräumen des Anwesens habe er dem Verwalter mit erhobenem Zeigefinger und Gebärden gedroht und aufgefordert, den Mund zu halten, weil er nichts zu sagen habe. Bei einer weiteren Auseinandersetzung habe der Beklagte zu 1 einen Müllsack vor den Füßen des Hausmeisters ausgeleert und ihn aufgefordert, den Müll wegzuräumen. Dabei habe er ihn geschubst und versucht, ihn zu würgen. Bei einem weiteren Vorfall habe er dem Hausmeister gedroht, er werde ihn fertig machen und „die Eier abschneiden“.
Dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich zunächst aus der Wiedergabe des Vorbringens der Parteien in dem Berufungsurteil. Dort nimmt das Berufungsgericht auf den erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin Bezug und führt sodann aus, dass sie ihre Klage „darüber hinaus“ auf einen im Schriftsatz vom 3. März 2017 geschilderten tätlichen Übergriff gegen den Hausverwalter stütze. Dass sich die Klägerin auch auf die in der Berufungserwiderung vom 18. Januar 2017 dargestellten Vorfälle beruft, erwähnt das Berufungsgericht dagegen nicht. Dass es das darin geschilderte Geschehen nicht zur Kenntnis genommen hat, lässt sich zudem aus den Ausführungen in den Entscheidungsgründen folgern. Dort zählt das Berufungsgericht sämtliche Auseinandersetzungen auf und führt insoweit aus „ein Vorfall im Jahr 2008 und 2010, drei Vorfälle im April 2015, ein Vorfall im August 2014, zwei Vorfälle im November 2015 und ein Vorfall im Januar 2016 und nun ein Vorfall im Februar 2017“. Die in der Berufungserwiderung geschilderten Vorfälle vom Oktober und Dezember 2016 sowie vom Januar 2017 finden keine Erwähnung.
3. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung rechtlichen Gehörs. Hiervon ist auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZR 146/14, NJW-RR 2016, 210 Rn. 9 mwN). Das ist hier der Fall. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Erweislichkeit der in dem Schriftsatz vom 18. Januar 2017 behaupteten neuen Vorfälle die Voraussetzungen für eine Entziehung des Wohnungseigentums bejaht hätte. Dem steht nicht entgegen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die vorgetragenen neuen Vorfälle nicht zum Anlass für eine Abmahnung genommen hat.
a) Grundsätzlich setzt eine Entziehung des Wohnungseigentums nach § 18 Abs. 1 WEG eine Abmahnung voraus. Der Gesetzgeber hat die Entziehungsklage als letztes Mittel zur Wiederherstellung des Gemeinschaftsfriedens gegenüber einem von ihm so genannten „Störenfried“ eingeführt. Als Störenfried hat er einen Wohnungseigentümer angesehen, der nicht nur seine Pflichten grob verletzt, sondern böswillig ist. Das lässt sich, von Ausnahmefällen abgesehen, nur feststellen, wenn der Wohnungseigentümer zunächst zur Einhaltung seiner Pflichten angehalten wird, also eine Abmahnung erfolgt. Nur so kann den aus dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) folgenden Anforderungen an die Vorschrift Rechnung getragen werden. Die Entziehung von Wohnungseigentum darf nur als letztes Mittel gegen einen gemeinschaftsschädigenden Wohnungseigentümer eingesetzt werden. Die anderen Wohnungseigentümer haben daher die bestehenden und ihnen zumutbaren Möglichkeiten zur Unterbindung störenden Verhaltens auszuschöpfen, wozu auch die Abmahnung des betroffenen Wohnungseigentümers gehört. Auf sie kann nur ausnahmsweise verzichtet werden, etwa dann, wenn diese der Gemeinschaft unzumutbar ist oder offenkundig keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 26/06, BGHZ 170, 369 Rn. 14 f.)
b) Setzt allerdings ein Wohnungseigentümer, gegen den bereits ein gerichtliches Verfahren auf Entziehung des Wohnungseigentums anhängig ist, die in der Klage beanstandeten gemeinschaftswidrigen Verhaltensweisen in gleichartiger oder ähnlicher Weise fort, ist hinsichtlich des - in den anhängigen Rechtsstreit eingeführten - fortgesetzten Verhaltens eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich. Angesichts der gegen ihn erhobenen Klage ist dem beklagten Wohnungseigentümer klar, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft das beanstandete Verhalten nicht länger hinnehmen will und zum Anlass für eine Entziehung des Wohnungseigentums nimmt. Sieht er sich trotz des anhängigen Entziehungsverfahrens nicht veranlasst, das gemeinschaftswidrige Verhalten zu ändern, sondern setzt es - von der Klage unbeeindruckt - fort, bringt er damit zum Ausdruck, dass er nicht gewillt ist, sein Verhalten zu ändern. Eine Abmahnung, deren Zweck es ist, dem Wohnungseigentümer sein Fehlverhalten vor Augen zu führen und ihm Gelegenheit zu einer Verhaltensänderung zu geben (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juli 2011 - V ZR 2/11, BGHZ 190, 236 Rn. 8), hat in so einem Fall regelmäßig keine Aussicht darauf, das störende Verhalten des Wohnungseigentümers künftig zu unterbinden.
4. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
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