Entscheidungsdatum: 08.07.2011
Im Rahmen einer gegen einen Entziehungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage ist zu prüfen, ob dem Beschluss die erforderliche Abmahnung vorausgegangen ist. Dagegen ist die inhaltliche Richtigkeit der in der Abmahnung aufgeführten Gründe und die Frage, ob nach der Abmahnung erneut gegen Pflichten verstoßen worden ist, ausschließlich Gegenstand der Entziehungsklage (Fortführung des Senatsurteils vom 19. Januar 2007, V ZR 26/06, BGHZ 170, 369 ff.) .
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 9. November 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Am 28. September 2007 beschlossen die Beklagten die Entziehung des Wohnungseigentums der Kläger. Der Beschluss wurde für ungültig erklärt, weil bei der Beschlussfassung die Nichtöffentlichkeit nicht gewahrt war. In der Wohnungseigentümerversammlung vom 4. April 2008, die in dem nur teilweise abgetrennten Teil einer Gaststätte stattfand, beschlossen die Beklagten zu TOP 2 erneut, dass die Kläger ihre Wohnung zwangsveräußern müssen. Die dagegen gerichtete Anfechtungsklage der Kläger hat das Amtsgericht abgewiesen. Ihre Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger ihren in erster Instanz gestellten Antrag weiter. Am 11. Juni 2008 haben die Beklagten nochmals die Entziehung des Wohnungseigentums der Kläger beschlossen. Auch diesen Beschluss haben die Kläger angefochten. Eine rechtskräftige Entscheidung ist bislang nicht ergangen.
I.
Das Berufungsgericht sieht den Entziehungsbeschluss als wirksam an, weil im Rahmen der Anfechtungsklage nur dessen formelle, nicht aber die materiellen Voraussetzungen zu prüfen seien. Letztere seien Gegenstand des Verfahrens über die Entziehungsklage. Das gelte auch für das Erfordernis der vorangegangenen Abmahnung. Andernfalls müssten materielle Prüfungspunkte des Entziehungsverfahrens wie etwa die Frage, ob die Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich sei, doppelt geprüft werden. Ein etwaiger Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit der Versammlung habe sich nicht ausgewirkt. Schon der nachfolgende Entziehungsbeschluss vom 11. Juni 2008 zeige, dass die äußeren Bedingungen die Stimmabgabe nicht beeinflusst hätten.
II.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
1. Die Entziehung des Wohnungseigentums setzt gemäß § 18 Abs. 3 WEG einen Beschluss der Wohnungseigentümer voraus, der nicht selbst die Entziehung des Wohnungseigentums zur Folge hat, sondern eine besondere Prozessvoraussetzung der folgenden Entziehungsklage darstellt (§ 18, § 19 WEG). Dem Entziehungsbeschluss muss regelmäßig eine Abmahnung des betroffenen Wohnungseigentümers vorausgehen. Ausdrücklich ist dies in § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG für den Fall geregelt, dass der Entziehungsgrund aus einer gröblichen Verletzung der Pflichten nach § 14 WEG hergeleitet werden soll. Darüber hinausgehend ist eine Abmahnung nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn die Entziehung auf § 18 Abs. 1 WEG gestützt wird, ohne dass ein Regelbeispiel gemäß § 18 Abs. 2 WEG vorliegt (Senat, Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 26/06, BGHZ 170, 369 Rn. 14 ff.). Grund hierfür ist die einschneidende Wirkung der Entziehungsklage, die mit Blick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nur letztes Mittel sein kann. Die Abmahnung soll einerseits den Wohnungseigentümer warnen und ihm Gelegenheit zur Änderung seines Verhaltens geben, andererseits den übrigen Wohnungseigentümern eine sichere Entscheidungsgrundlage für den Entziehungsbeschluss verschaffen. Diese Zwecke kann sie nur dann erfüllen, wenn sie dem Entziehungsbeschluss vorausgeht (Senat aaO, Rn. 15, 23). Auf sie kann nur ausnahmsweise verzichtet werden, wenn sie unzumutbar ist oder offenkundig keine Aussicht auf Erfolg bietet (Senat, aaO, Rn. 15).
2. Wird der Entziehungsbeschluss angefochten, besteht zu Recht weitgehend Einigkeit darüber, dass im Rahmen dieser Klage nur die formellen Voraussetzungen der Beschlussfassung geprüft werden dürfen, während die materiellen Gründe dem Verfahren der Entziehungsklage vorbehalten sind (BayObLGZ 1999, 66, 69; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 18 Rn. 47; Heinemann in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 18 Rn. 36; MünchKomm-BGB/Engelhardt, § 18 WEG Rn. 10; Timme/Hogenschurz, WEG, § 18 Rn. 42, jeweils mwN; aA Erman/Grziwotz, BGB, 12. Aufl., § 18 WEG Rn. 3). Die materiellen Voraussetzungen der Entziehung sind schon deshalb nicht Gegenstand der Anfechtungsklage, weil Inhalt des Beschlusses nur die Frage ist, ob die Veräußerung verlangt werden soll. Über die Berechtigung eines solchen Verlangens entscheiden nicht die Wohnungseigentümer, sondern das Gericht. Dagegen müssen die formalen Voraussetzungen für das Veräußerungsverlangen bei der Beschlussfassung vorliegen.
Das Erfordernis der vorangehenden Abmahnung versteht das Berufungsgericht als materiellen Grund mit der Folge, dass eine Prüfung nur im Rahmen der Entziehungsklage zu erfolgen hat (ebenso OLG Köln, ZMR 1998, 376). Dagegen differenziert die überwiegende Ansicht. Sie sieht die Frage, ob eine Abmahnung erfolgt ist, als formelle Voraussetzung des Entziehungsbeschlusses und damit als Gegenstand der Anfechtungsklage an, während die inhaltliche Richtigkeit der in der Abmahnung aufgeführten Gründe erst im Rahmen der Entziehungsklage zu prüfen ist (Heinemann in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 18 Rn. 37 a.E.; Geiben in juris PK-BGB, 5. Aufl., § 18 WEG Rn. 25, 45; Scheel in Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum, 3. Aufl., Teil 16 Rn. 29; Vandenhouten in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 9. Aufl., § 18 Rn. 21; Timme/Hogenschurz, WEG, § 18 Rn. 43).
3. Der Senat teilt die zuletzt genannte Ansicht.
a) Soweit das Berufungsgericht meint, seine Auffassung auf das Senatsurteil vom 19. Januar 2007 stützen zu können, beruht dies auf einem Missverständnis. Der Senat hat in diesem Verfahren eine Entziehungsklage abgewiesen, weil der Entziehungsbeschluss mangels Abmahnung als Klagevoraussetzung unzureichend war. Er hat aber darauf hingewiesen, dass der in Rede stehende Entziehungsbeschluss selbst als Abmahnung ausgelegt werden könne und es der betroffenen Gemeinschaft daher offenstehe, bei einem erneuten Pflichtverstoß - konkret einem neuerlichen Zahlungsrückstand - ohne weitere Abmahnung den erforderlichen Entziehungsbeschluss zu fassen. Daraus folgt aber nicht, dass der Entziehungsbeschluss als solcher nicht anfechtbar gewesen wäre. Die Überlegung des Berufungsgerichts, eine erfolgreiche Anfechtung schließe die Auslegung als Abmahnung aus, trifft nicht zu. Die Abmahnung ist eine formfreie rechtsgeschäftsähnliche Erklärung, die einen Beschluss der Wohnungseigentümer nicht erfordert und auch durch den Verwalter oder einzelne Wohnungseigentümer ausgesprochen werden kann (Senat aaO. Rn. 19). Sie zielt darauf ab, dem Wohnungseigentümer ein bestimmtes, als Entziehungsgrund beanstandetes Fehlverhalten vor Augen zu führen, verbunden mit der Aufforderung, dieses Verhalten zur Vermeidung eines Entziehungsbeschlusses aufzugeben oder zu ändern (vgl. zum Mietrecht BGH, Urteil vom 20. Februar 2008 - VIII ZR 139/07, NJW 2008, 1303 Rn. 7 mwN). Darin erschöpfen sich ihre Wirkungen. Hat der Entziehungsbeschluss diesen Erklärungsgehalt nicht, kann er nicht in eine Abmahnung umgedeutet werden. Stellt er aber inhaltlich eine Abmahnung dar, entfällt die Wirkung der Erklärung nicht dadurch, dass der zunächst wirksame Beschluss später aus anderen Gründen für ungültig erklärt wird.
b) Für eine Prüfung der Frage, ob eine Abmahnung erfolgt ist, im Rahmen der Anfechtungsklage spricht zunächst die Überlegung, dass die Wohnungseigentümer mit dem Entziehungsbeschluss die Prozessvoraussetzung für die Entziehungsklage herbeiführen. Er stellt die entscheidende Grundlage für die Willensbildung der Eigentümer dar. Diese entspricht nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn die erforderlichen förmlichen Verfahrensschritte vorangegangen sind. Fehlt es schon an der Abmahnung, ist die Entscheidungsgrundlage unzureichend. Für diese Auffassung spricht zudem die Prozessökonomie. Zwar weist das Berufungsgericht zu Recht darauf hin, dass Abgrenzungsprobleme und doppelte Prüfungen nicht gänzlich vermeidbar sind. Es ist aber nicht sinnvoll, die Parteien auf das Klageverfahren zu verweisen, wenn der Entziehungsbeschluss schon den äußeren Voraussetzungen für die anschließende Entziehungsklage nicht gerecht wird. Auch der von dem Berufungsgericht angeführten Gefahr abweichender gerichtlicher Bewertungen kommt im Ergebnis keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil sie aufgrund des unterschiedlichen Prüfungsumfangs von Anfechtungsklage und Entziehungsklage nur in geringem Maße besteht. Wird nämlich der Entziehungsbeschluss mangels Abmahnung für ungültig erklärt, fehlt die Prozessvoraussetzung für die Entziehungsklage. Ist die Anfechtungsklage dagegen erfolglos, entfaltet dies nur insoweit Bindungswirkung im Rahmen der Entziehungsklage, als feststeht, dass ein gültiger Entziehungsbeschluss als Prozessvoraussetzung besteht.
c) Im Ergebnis muss im Rahmen der Anfechtungsklage geprüft werden, ob eine Abmahnung vorliegt bzw. ob die genannten Gründe für den Entziehungsbeschluss so gewichtig sind, dass sie ausnahmsweise entbehrlich ist. Auch muss die Abmahnung hinreichend bestimmt sein und ein Verhalten aufzeigen, das als solches einen Entziehungsbeschluss rechtfertigen kann. Ob die zugrunde gelegten Vorwürfe dagegen inhaltlich zutreffen und ob nach der Abmahnung erneut gegen Pflichten verstoßen worden ist, ist ausschließlich Gegenstand der Entziehungsklage.
4. Ohne Erfolg rügt die Revision einen Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit der Versammlung. Das Berufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein etwaiger Verstoß für die Beschlussfassung nicht kausal geworden ist.
5. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist aufzuheben und zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil es - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft hat, ob eine Abmahnung vorlag oder ausnahmsweise entbehrlich war. Letzteres dürfte angesichts der in dem Protokoll aufgeführten überwiegend nicht näher konkretisierten Vorwürfe eher fernliegend sein. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, welchen Inhalt der vorangegangene Entziehungsbeschluss vom 27. September 2007 unter Einbeziehung der Beschlussvorlage hatte. Dieser könnte - wie ausgeführt - trotz erfolgreicher Anfechtung die Wirkung einer Abmahnung gehabt haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass aus ihm das beanstandete Verhalten hinreichend bestimmt hervorgeht.
6. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Verwalter in diesem Verfahren entgegen § 48 Abs. 1 Satz 2 WEG bislang nicht beigeladen worden ist. Die Zustellung an den Verwalter als Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümer ersetzt die Beiladung nicht (Senat, Urteil vom 5. März 2010 - V ZR 62/09, NJW 2010, 2132 Rn. 13). Das Berufungsgericht wird sie daher nachzuholen haben.
III.
Der Streitwert für die Anfechtung eines Entziehungsbeschlusses kann in Anwendung von § 49a Abs. 1 GKG grundsätzlich mit 20 % des Verkehrswerts der Wohnung bemessen werden (OLG Rostock, ZMR 2009, 470, 472; Scheel in Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum, 3. Aufl., Teil 16 Rn. 29; MünchKomm-BGB/Engelhardt, § 43 WEG Rn. 22; ebenso für die Zeit vor Einführung des § 49a Abs. 1 GKG BayObLG, WuM 1991, 633 mwN). Weil der Senat den Verkehrswert des Wohnungseigentums der Kläger auf 100.000 € geschätzt hat, beläuft sich der Streitwert auf 20.000 €.
Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland