Entscheidungsdatum: 30.10.2013
Eine in deutscher Sprache abgefasste Vollmacht des Betroffenen für seine Verfahrensbevollmächtigten ist vorbehaltlich einer erfolgreichen Anfechtung durch den Betroffenen auch dann wirksam, wenn sie nicht in die Muttersprache des Betroffenen übersetzt worden ist.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 9. Januar 2013 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 18. Januar 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Goslar auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene, ein Staatsangehöriger von Sri Lanka, wurde nach dem Widerruf seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 29. August 2008 wegen einer Reihe von Straftaten ausgewiesen. Er erhielt am 8. Dezember 2011 Ersatzdokumente für seinen ausgelaufenen Reisepass. Die von der beteiligten Behörde erbetene Erklärung, ob er freiwillig ausreisen werde, gab er nicht ab.
Zur Sicherung der für den 27. Januar 2012 vorgesehen Abschiebung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. Januar 2012 gegen den Betroffenen Haft von zwei Wochen Dauer, beginnend ab dem 14. Januar 2012, angeordnet. Dagegen haben die zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen mit am 26. Januar 2012 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und darin erklärt, sie seien gebeten worden, die Vertretung des Betroffenen zu übernehmen. Die nach der Abschiebung des Betroffenen am 27. Januar 2012 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, weiterverfolgte Beschwerde hat das Landgericht als unzulässig „abgewiesen“. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Beschwerde des Betroffenen mangels wirksamer Bevollmächtigung seiner Verfahrensbevollmächtigten unzulässig. Die in der Beschwerdeschrift verwendete Formulierung, sie seien gebeten worden, die Vertretung zu übernehmen, wecke bereits Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung. Die nachgereichte schriftliche Vollmacht vermöge die Bedenken gegen die ordnungsgemäße Bevollmächtigung nicht auszuräumen. Eine wirksame Vollmacht setze das Wissen und Wollen zur Vollmachterteilung und damit notwendigerweise voraus, dass der Betroffene verstanden habe, dass er eine Vollmacht für seine Verfahrensbevollmächtigten unterzeichne. Daran fehle es, weil die Vollmacht nicht in die Muttersprache des Betroffenen übersetzt worden sei.
III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.
1. Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Anders als das Beschwerdegericht meint, fehlt es auch nicht an einer wirksamen Vollmacht.
a) Dafür muss nicht entschieden werden, ob die Verfahrensbevollmächtigten bei Einlegung der Beschwerde eine wirksame Vollmacht hatten. Denn die vollmachtlose Einlegung eines Rechtsmittels kann nach § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 89 Abs. 2 ZPO mit Rückwirkung genehmigt werden, solange das Rechtsmittel noch nicht mangels Vollmacht als unzulässig verworfen worden ist (GemSOGB, Beschluss vom 17. April 1984 - GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, 115; BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 1984 - X ZB 20/83, BGHZ 92, 137, 140, vom 10. Januar 1995 - X ZB 11/92, BGHZ 128, 280, 283 und vom 26. Januar 2006 - III ZB 63/05, BGHZ 166, 117, 124 Rn. 17 sowie Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - V ZB 24/12, WM 2013, 1223, 1225 Rn. 16). Jedenfalls eine solche Genehmigung liegt hier in der Unterzeichnung des Vollmachtsformulars durch den Betroffenen.
b) Diese Genehmigung ist wirksam.
aa) Unzutreffend ist schon die Erwägung des Beschwerdegerichts, dem Betroffenen habe Wissen und Willen zur Unterzeichnung einer Vollmacht gefehlt, weil das Formular nicht übersetzt worden sei. Auf die fehlende Übersetzung könnte der Betroffene selbst eine Anfechtung wegen Irrtums nicht stützen. Wer eine Willenserklärung im Bewusstsein abgibt, dass er den wirklichen Sachverhalt nicht kennt, kann seine Erklärung nicht wegen Irrtums anfechten, wenn sich seine bei Abgabe der Erklärung gehegten Mutmaßungen als unrichtig herausstellen. Seine Unkenntnis wäre nicht, wie nach § 119 Abs. 1 BGB erforderlich, unbewusst, sondern bewusst (BGH, Urteil vom 15. Juni 1951 - I ZR 121/50, NJW 1951, 705; BAG, NJW 1971, 639, 640). Gerade weil er die Urkunde im Bewusstsein unterzeichnet, ihren Inhalt nicht zu kennen oder mangels Übersetzung nicht verstanden zu haben, fehlte dem Betroffenen auch nicht das Erklärungsbewusstsein. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn sich der Betroffene eine bestimmte, wenn auch unzutreffende andere Vorstellung von ihrem Inhalt gemacht hätte (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1994 - IX ZR 168/93, NJW 1995, 190, 191). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
bb) Das etwaige Fehlen des Erklärungsbewusstseins führte im Übrigen nicht dazu, dass es an einer wirksamen Genehmigung fehlt. Eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Erklärung ist nicht unwirksam, sondern analog § 119 BGB anfechtbar, wenn sie sich für den Empfänger als Ausdruck eines bestimmten Rechtsfolgewillens darstellt (BGH, Urteile vom 11. Juli 1968 - II ZR 157/65, NJW 1968, 2102, 2103, vom 7. Juni 1984 - IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324, 329 f. und vom 2. November 1989 - IX ZR 197/88, BGHZ 109, 171, 177 sowie Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 70). Sie bliebe dann wirksam, bis sie angefochten wird. So liegt es hier. Die Unterzeichnung des Vollmachtsformulars durch den Betroffenen stellt sich für seine Verfahrensbevollmächtigten als Erteilung einer Verfahrensvollmacht dar.
2. Die Beschwerde ist begründet. Die Haftanordnung durfte nicht ergehen, weil der Haftantrag der beteiligten Behörde dem Betroffenen nach dem maßgeblichen Inhalt des Protokolls nicht, wie aber geboten (Senat, Beschlüsse vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 f. Rn. 16 f., vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8 f. und vom 14. Juni 2012 - V ZB 48/12, juris Rn. 10), zu Beginn der Anhörung in Kopie ausgehändigt und (mündlich) übersetzt worden ist.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, die Festsetzung des Gegenstandswerts aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland