Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 29.06.2017


BGH 29.06.2017 - V ZB 84/17

Abschiebungshaftsache: Statthaftigkeit eines Antrags der beteiligten Behörde auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haft nach Erledigung der Hauptsache


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
29.06.2017
Aktenzeichen:
V ZB 84/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:290617BVZB84.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Halle (Saale), 24. Februar 2017, Az: 1 T 52/17vorgehend AG Halle (Saale), 11. Februar 2017, Az: 70 XIV B 8/17
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Mit der Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG, die auch der Behörde zukommen, lässt sich deren Interesse an einer Feststellung nach § 62 FamFG nicht begründen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 24. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Etwaige zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Auslagen der Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz werden dem Landkreis Saalekreis auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 11. Februar 2017 gegen die Betroffene Haft zur Sicherung von deren Abschiebung für drei Monate angeordnet. Diesen Beschluss hat das Landgericht auf die Beschwerde der Betroffenen aufgehoben und angeordnet, die Betroffene sofort aus der Haft zu entlassen. Diese ist am 15. März 2017 nach Benin abgeschoben worden. Mit der am 6. April 2017 eingegangenen Rechtsbeschwerde beantragt die beteiligte Behörde, den Beschluss des Landgerichts aufzuheben und festzustellen, dass dieser sie in ihren Rechten verletzt habe.

II.

2

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Aufrechterhaltung der angeordneten Haft unzulässig oder zumindest unverhältnismäßig. Die Betroffene beabsichtige ernsthaft die Eheschließung mit ihrem deutschen Verlobten, die zur Überzeugung des Gerichts unmittelbar bevorstehe. Hieraus ergebe sich gemäß Art. 6 Abs. 1 GG ein Abschiebungshindernis.

III.

3

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist unzulässig.

4

1. Sie ist zwar nach § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, weil sie sich gegen einen eine freiheitsentziehenden Maßnahme ablehnenden Beschluss richtet. Eine solche Ablehnung liegt auch vor, wenn das Beschwerdegericht die von dem Amtsgericht angeordnete Haft zur Sicherung einer Abschiebung aufhebt.

5

2. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist aber deshalb unzulässig, weil sich das Rechtsbeschwerdeverfahren vor Einlegung des Rechtsmittels in der Hauptsache erledigt hat und ein Rechtsbeschwerdeverfahren in einer solchen Konstellation nur durch den Betroffenen, nicht durch die beteiligte Behörde mit einem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG fortgesetzt werden kann.

6

a) Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist am 6. April 2017 bei dem Rechtsbeschwerdegericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Hauptsache erledigt, weil die Betroffene am 15. März 2017 in ihr Heimatland abgeschoben worden ist.

7

b) Die beteiligte Behörde kann ein Rechtsbeschwerdeverfahren, anders als der Betroffene, nicht mit einem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG fortsetzen oder durchführen, weil sie das in der Vorschrift geforderte berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die Entscheidung sie in ihren Rechten verletzt hat, nicht hat. Daran hat sich durch die Einführung von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG mit dem Gesetz vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) nichts geändert (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 169/14, FGPrax 2016, 34 Rn. 10 f.).

8

aa) Mit der Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG, die auch der Behörde zukommen (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 11, 13), lässt sich deren Interesse an einer Feststellung nach § 62 FamFG nicht begründen. Gegenstand der nach § 62 Abs. 1 FamFG zu treffenden Feststellung ist nämlich nicht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, im Fall eines Antrags der beteiligten Behörde also der (teilweisen) Zurückweisung des Haftantrags oder der Aufhebung der Haftanordnung, sondern die aus dieser Entscheidung folgende Verletzung des (Rechts-) Beschwerdeführers in seinen Rechten (Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 12). Der Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte kann zwar zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung führen. Eine Verletzung von Freiheitsrechten folgt aus der Rechtswidrigkeit der Entscheidung aber nur im Verhältnis zum Betroffenen, nicht im Verhältnis zur beteiligten Behörde. Ein berechtigtes Interesse an der isolierten Feststellung der Verletzung von Verfahrensgrundrechten könnte jedenfalls auch als unbenannter Fall nur zugelassen werden, wenn sie für sich genommen und unabhängig von dem Inhalt der dann ergehenden Entscheidung ein der Verletzung von Freiheitsrechten vergleichbares Rehabilitierungsinteresse auslöst (so: OLG Naumburg, FamRZ 2013, 66, 67; dagegen: Prütting/Helms/Abramenko,FamFG, 3. Aufl., § 62 Rn. 9). Das ist bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten gegenüber einer Behörde mangels eines personalen Bezugs nicht der Fall.

9

bb) Ein Antragsrecht der beteiligten Behörde lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr begründen. Der Gesetzgeber hat auch insoweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abbilden wollen (BT-Drucks. 16/6308 S. 205). Das Bundesverfassungsgericht hat sich indessen nur mit der Gefahr wiederholter Eingriffe in Freiheitsrechte des Betroffenen befasst (vgl. BVerfGE 104, 220, 233). Solche Fälle werden auch als typische Anwendungsfälle angesehen (MüKoFamFG/Ansgar Fischer, 2. Aufl., § 62 Rn. 35). Die Behörde kann zwar ein Interesse daran haben, einzelne Rechtsfragen für künftige Fälle zu klären. Dieses Interesse begründet aber ein Feststellungsinteresse nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FamFG nicht, weil es abstrakt ist und nicht, wie geboten, konkret (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 169/14, FGPrax 2016, 34 Rn. 12). Nicht anders liegt es, wenn die Wiederholungsgefahr - wie hier - aus dem Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte in einem konkreten Einzelfall abgeleitet wird. Welche gerichtlichen Maßnahmen die Beachtung der Verfahrensgrundrechte der Verfahrensbeteiligten erfordern, bestimmt sich danach, welchen Verlauf das individuelle Verfahren tatsächlich nimmt. Da dieser regelmäßig nicht vorhersehbar ist, lässt sich regelmäßig auch nicht darlegen, dass sich der in einem Verfahren aufgetretene Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte in anderen Verfahren wiederholen wird. Anders liegt es nur, wenn der anlassgebende Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte auf einem unterschiedlichen Verständnis der abstrakten Anforderungen beruht. Dann aber ginge es um die Klärung einer Rechtsfrage, der das Verfahren nach § 62 FamFG nicht dient.

IV.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 430 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

Hamdorf