Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 31.01.2013


BGH 31.01.2013 - V ZB 22/12

Abschiebungshaftverfahren: Statthaftigkeit eines Antrags der beteiligten Behörde auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haft nach Erledigung der Hauptsache


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
31.01.2013
Aktenzeichen:
V ZB 22/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 20. Januar 2012, Az: 329 T 107/11vorgehend AG Hamburg, 8. Dezember 2011, Az: 219d XIV 38577/07
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Einen Feststellungsantrag nach § 62 FamFG kann nur der Betroffene, nicht die beteiligte Behörde stellen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 20. Januar 2012 wird als unzulässig verworfen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde am 27. Oktober 2011 ohne die für den Aufenthalt in Deutschland erforderlichen Papiere angetroffen. Am 28. Oktober 2011 erging gegen ihn ein Untersuchungshaftbefehl wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts. Er wurde inhaftiert. Am 13. Dezember 2011 wurde der Betroffene - unter Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft - zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Strafurteil legte er Berufung und gegen die Haftentscheidung Beschwerde ein. Mit Beschluss vom 6. Januar 2012 wurde der Haftbefehl aufgehoben.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 Sicherungshaft des Betroffenen bis zu dessen Abschiebung, längstens jedoch bis acht Wochen nach Ende der Untersuchungshaft angeordnet. Diesen Beschluss hat das Beschwerdegericht aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die beteiligte Behörde die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 8. Dezember 2011 zulässig war und kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorgelegen hat.

II.

3

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung unzulässig, weil sie sich nicht auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt hat. Die beteiligte Behörde habe rechtsfehlerhaft in der Zeit vom 28. Oktober 2011 bis zum 9. Dezember 2011 wegen der ihrer Ansicht nach vorrangigen Behandlung des gegen den Betroffenen geführten Strafverfahrens nichts zur Vorbereitung der Abschiebung unternommen.

III.

4

Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht zunächst statthafte Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 1 FamFG) ist zwar frist- und formgerecht eingelegt worden (§ 71 FamFG). Sie ist aber unzulässig geworden, weil sich die Hauptsache während des Rechtsbeschwerdeverfahren erledigt hat und das Rechtsmittelverfahren danach nur noch beschränkt auf die Kostenentscheidung fortgesetzt werden kann, nicht jedoch mit dem gestellten Feststellungsantrag nach § 62 FamFG.

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1. Die Hauptsache hat sich während des Rechtsbeschwerdeverfahrens erledigt, weil die Haftanordnung nach Einlegung des Rechtsmittels weggefallen ist. Die Haft war für die Dauer von acht Wochen nach Ende der Untersuchungshaft angeordnet worden. Die Untersuchungshaft endete mit der Aufhebung des Haftbefehls am 6. Januar 2012. Damit endete die angeordnete Haft am 2. März 2012. Das schließt seitdem eine Sachentscheidung über die Haftanordnung aus.

6

2. In dieser Lage kann der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel auf den Kostenpunkt beschränken und das Verfahren in diesem beschränkten Umfang fortführen. Das war für das frühere Verfahrensrecht anerkannt, obwohl nach § 20a FGG ein Rechtsmittel nicht allein wegen der Kosten eingelegt werden konnte (Senat, Beschluss vom 10. Februar 1983 - V ZB 18/82, BGHZ 86, 393, 395). Dasselbe gilt für das jetzige Verfahrensrecht, welches eine solche Beschränkung des Rechtsmittels nicht mehr vorsieht (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 11/10, NJWRR 2011, 882 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - II ZB 17/11, NJWRR 2012, 997 Rn. 6). Eine Beschränkung auf den Kostenpunkt hat die beteiligte Behörde jedoch trotz entsprechenden Hinweises des Betroffenen in seiner Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht vorgenommen.

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3. Eine Fortführung des Rechtsmittels mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ist nicht statthaft.

8

a) § 62 FamFG ist allerdings grundsätzlich auch im Rechtsbeschwerdeverfahren anwendbar (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9).

9

b) Die Vorschrift gilt aber nur für ein Rechtsmittel des Betroffenen, nicht für ein Rechtsmittel der beteiligten Behörde.

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aa) Bereits unter der Geltung des früheren Verfahrensrechts, welches allerdings eine dem § 62 FamFG vergleichbare Vorschrift nicht enthielt, war umstritten, ob die beteiligte Behörde die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haft beantragen konnte. Die Frage wurde teilweise unter Anerkennung eines Rehabilitierungsinteresses der beteiligten Behörde bejaht (KG, Beschluss vom 31. Dezember 2003 - 25 W 62/03, juris Rn. 30; OLG Rostock, OLGR 2007, 957), teilweise aber auch verneint, weil die beteiligte Behörde kein dem des Betroffenen vergleichbares Rehabilitierungsinteresse habe (BayObLG, NVwZ 2003 Beilage Nr. I 7, 56; OLG Frankfurt am Main, InfAuslR 2006, 468). Die Frage ist unter der Geltung von § 62 FamFG zu verneinen (im Ergebnis ebenso Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 62 Rn. 1 aE).

11

bb) Nach § 62 Abs. 1 FamFG spricht das Beschwerdegericht bei Erledigung der Hauptsache auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Grundsätzlich ist ein solches Interesse nach Erledigung des Verfahrensgegenstandes nicht mehr gegeben, weil der Beschwerdeführer durch die Entscheidung lediglich noch Auskunft über die Rechtslage erhielte, ohne dass damit eine wirksame Regelung getroffen werden könnte (vgl. Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 16/6308 S. 205). Die bloße Beeinträchtigung von - auch der antragstellenden Behörde zustehenden (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 59 Rn. 64) - Rechten im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG durch eine fehlerhafte Entscheidung vermag das besondere Feststellungsinteresse daher nicht zu begründen (so zutreffend Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 2. Aufl., § 62 Rn. 7). Nur wenn das Interesse des Beteiligten an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist, besteht ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung, dass die erstinstanzliche Entscheidung ihn in seinen Rechten verletzt hat. Ein solches besonderes Interesse setzt nach dem Sinn und Zweck von § 62 FamFG voraus, dass die belastende Entscheidung den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten berührt. Demnach kann - da die Behörde nicht Trägerin von Grundrechten ist - nur der Betroffene das erforderliche Feststellungsinteresse für einen Antrag nach § 62 Abs. 1 FamFG haben.

12

Dieses Verständnis der Norm ergibt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte. Mit § 62 FamFG hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem früheren Gesetz über das Verfahren bei Freiheitsentziehungen aufgreifen und einer gesetzlichen Regelung zuführen wollen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 16/6308 S. 205). Jenes Gesetz enthielt keine Regelung darüber, wie verfahren werden sollte, wenn sich die gegen den Betroffenen angeordnete Haft erledigte, bevor dieser eine abschließende Überprüfung erreichen konnte. Das widersprach nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes (BVerfGE 104, 220, 232 f.; NJW 1998, 2432 f.). Dieser bliebe gerade in Freiheitsentziehungssachen praktisch weitgehend wirkungslos, gäbe es nicht die Möglichkeit, auch nach Erledigung der Haft feststellen zu lassen, ob sie rechtswidrig war oder nicht. Der Grund dafür liegt darin, dass die Anordnung einer Freiheitsentziehung nicht nur in Freiheitsrechte eingreift, sondern auch den Vorwurf enthält, der Betroffene habe sich gesetzwidrig verhalten. Gegen diesen Vorwurf muss sich der Betroffene zur Wehr setzen können. Es ist sogar erforderlich, eine solche Möglichkeit nach dem Tod des Betroffenen seinen Erben einzuräumen (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rn. 13 f.). Diese von dem Bundesverfassungsgericht entwickelte Möglichkeit einer Feststellung der Rechtswidrigkeit wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 62 FamFG kodifizieren. Das kommt in dem Erfordernis des besonderen Feststellungsinteresses und in den aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übernommenen Regelbeispielen zum Ausdruck.

13

cc) § 62 Abs. 1 FamFG muss auch nicht weiter ausgelegt werden, um einen Gleichlauf der dem Betroffenen gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten zu erreichen. Einen solchen hat der Gesetzgeber nämlich nicht angestrebt, wie etwa daraus deutlich wird, dass die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde nicht wie die des Betroffenen ohne Zulassung, sondern nur nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft ist (§ 70 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3 FamFG; vgl. Senat, Beschluss vom 10. Februar 2010 - V ZB 35/10, FGPrax 2010, 98). Im Hinblick darauf, dass staatliche Behörden - mit Ausnahme der sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden grundrechtsgleichen Rechte - keinen Grundrechtsschutz genießen, sind weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten auch nicht von Verfassungs wegen geboten.

IV.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann                       Lemke                         Schmidt-Räntsch

                       Czub                         Kazele