Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 03.12.2015


BGH 03.12.2015 - V ZB 72/15

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsfrist: Ungenügende Einzelanweisung zur Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
03.12.2015
Aktenzeichen:
V ZB 72/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2015:031215BVZB72.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 5. Mai 2015, Az: 14 S 2203/15 WEG, Beschlussvorgehend AG Hersbruck, 23. Februar 2015, Az: 7 C 39/14 WEG, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung für die Einhaltung der Frist verlieren (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 14. Zivilkammer - vom 5. Mai 2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 990 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagten in einer Wohnungseigentumsangelegenheit auf Erstattung einer Sonderumlage in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 25. Februar 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. März 2015 Berufung eingelegt. Mit einem am 31. März 2015 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten seien die Berufungsschrift und das übliche Schreiben an die Bevollmächtigten der Gegenseite bei zunächst nur fristwahrender Berufungseinlegung gefertigt worden. Beide Schreiben hätten vorab per Telefax übermittelt werden sollen. Hiermit sei die erfahrene Rechtsanwaltsangestellte R. beauftragt worden. Das Schreiben an die Anwälte der Gegenseite habe ohne Probleme übermittelt werden können, während bei dem Telefaxversand der Berufungsschrift keine Verbindung zustande gekommen sei. Die Mitarbeiterin habe dies versehentlich nicht bemerkt und sei nachfolgend davon ausgegangen, dass auch die Berufungsschrift ordnungsgemäß übertragen worden sei. Zur Glaubhaftmachung hat sich der Kläger auf die eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsangestellten berufen. Diese weist ergänzend darauf hin, seit dem 23. Februar 2015 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers beschäftigt und zuvor 24 Jahre bei einer anderen Anwaltskanzlei tätig gewesen zu sein.

2

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

3

Nach Ansicht des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist nicht vor, da der Kläger nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, diese Frist einzuhalten. Er müsse sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Zwar könne ein Prozessbevollmächtigter die Verrichtung einfacher Tätigkeiten, die keine besonderen juristischen Kenntnisse verlangten, seinen Mitarbeitern überlassen. Im Hinblick auf die Bedeutung der Fristwahrung insbesondere im Rahmen der Rechtsmitteleinlegung komme aber eine Übertragung damit im Zusammenhang stehender Aufgaben, zu denen auch der Telefaxversand von Schriftsätzen gehöre, nur auf gut ausgebildetes, als zuverlässig erprobtes und überwachtes Büropersonal in Betracht. Vorliegend lasse sich weder dem Wiedereinsetzungsgesuch noch der eidesstattlichen Versicherung entnehmen, dass die Rechtsanwaltsangestellte R. während ihrer 24-jährigen Tätigkeit in einer anderen Kanzlei mit der selbständigen Führung des Fristenkalenders und der Überwachung der Fristenkontrolle betraut gewesen sei und diese Aufgaben sorgfältig und zuverlässig erledigt habe. Sachvortrag, dass es sich bei ihr um eine gut ausgebildete, als zuverlässig erprobt und sorgfältig überwachte Fachkraft handele, und dass sie zuvor stichprobenartig überwacht worden sei, fehle. Ebenfalls nicht ersichtlich sei, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Rechtsanwaltsangestellte R. besonders hinsichtlich der Bedeutung der Einhaltung von Fristen belehrt oder überwacht hätten.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen hat (§ 522 Abs. 1 ZPO).

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1. Die Rechtsbeschwerde ist allerdings gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 f.; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 5 mwN).

6

a) Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist zwar zutreffend. Eine auf das Fehlverhalten einer Bediensteten des Prozessbevollmächtigten gerichtete Wiedereinsetzung ist solange nicht schlüssig begründet, wie der Antragsteller nicht im Einzelnen darlegt, dass jene sich als zuverlässig erwiesen hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85, VersR 1985, 1140; Beschluss vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 21/88, NJW-RR 1989, 126, 127). Insoweit genügten die Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Wiedereinsetzungsgesuch und die Ergänzungen in der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsangestellten R. nicht. Dass es sich bei ihr um eine „erfahrene Rechtsanwaltsangestellte“ handelte, die bereits zuvor 24 Jahre bei einer anderen Kanzlei tätig gewesen sei, besagt als solches über die Zuverlässigkeit ihrer Arbeit und die Überwachung ihrer Tätigkeiten nichts.

7

b) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass es verpflichtet war, den Kläger auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen.

8

aa) Ein Hinweis gemäß § 139 ZPO ist stets dann angezeigt, wenn die Angaben zu innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründen erkennbar unklar oder ergänzungsbedürftig sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85, VersR 1985, 1140; Beschluss vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 21/88, NJW-RR 1989, 126, 127; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 19, 21). Ein solcher Fall ist auch dann gegeben, wenn ein Gericht - wie hier - die Angaben in dem Wiedereinsetzungsgesuch über die Zuverlässigkeit einer Büroangestellten für ergänzungsbedürftig hält. Es geht hierbei nicht um den - nicht zulässigen - Vortrag eines neuen Wiedereinsetzungsgrundes, sondern um die auch nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist mögliche sachliche Ergänzung des fristgerecht geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes (BGH, Urteil vom 24. Juni 1985 - II ZR 69/85, VersR 1985, 1140; Beschluss vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 21/88, NJW-RR 1989, 126, 127).

9

bb) Fehlt es - wie hier - an einem solch gebotenen Hinweis, können die unklaren bzw. ergänzungsbedürftigen Angaben auch noch nach Ablauf der Antragsfrist mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 21 mwN). Der Senat hat deshalb die von dem Kläger mit der Rechtsbeschwerdebegründung vorgelegte weitere eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsangestellten R. zu berücksichtigen. Hieraus ergibt sich, dass sie während ihrer langjährigen Tätigkeit bei einer anderen Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragt war, den Fristenkalender selbständig zu führen, fristgebundene Schriftstücke zu versenden und die Fristenkontrolle durchzuführen, wobei sie diese Arbeiten zuverlässig und ohne Beanstandungen erledigt hat. Zudem wurde sie auch von den Rechtsanwälten überwacht und überprüft. Auf dieser Grundlage bestehen an der Zuverlässigkeit der Rechtsanwaltsangestellten keine Zweifel mehr.

10

c) Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zu dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt. Es ist nicht ausgeräumt, dass den Prozessbevollmächtigten ein eigenes (Organisations-)Verschulden vorzuwerfen ist, das der Kläger sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

12

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 1996 - VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513; Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 31. Oktober 2012 - III ZB 51/12, juris Rn. 6). Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers bestanden, ist nicht vorgetragen worden.

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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen solcher organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax nicht deswegen unerheblich, weil der Prozessbevollmächtigte der Rechtsanwaltsangestellten R. eine konkrete Einzelanweisung erteilt hatte. Ob eine Einzelanweisung organisatorische Maßnahmen entbehrlich macht, hängt entscheidend von dem Inhalt der Einzelanweisung ab.

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aa) Weicht der Rechtsanwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an. So ersetzt beispielsweise die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369).

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bb) Anders ist es hingegen, wenn die Einzelanweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegen zu wirken. So liegt der Fall auch, wenn - wie hier - die Anweisung nur darin besteht, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Telefax zu veranlassen. Es fehlt dann an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig, dass Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittelung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt, eine Übermittlung per Telefax anzuordnen (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369).

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c) Der Senat kann abschließend über das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers entscheiden, ohne ihm einen Hinweis gemäß § 139 ZPO zu erteilen. Wie oben ausgeführt, besteht eine Hinweispflicht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369).

IV.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann                        Schmidt-Räntsch                      Czub

                      Brückner                                   Göbel