Entscheidungsdatum: 29.10.2015
Die Aufstellung des geringsten Gebots und damit auch des Bargebots richtet sich nicht nach materiell-rechtlichen Erwägungen, sondern allein nach dem Rangklassensystem des Zwangsversteigerungsgesetzes (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 19. Februar 1976, III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, 226 f.).
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 27. März 2015 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert beträgt 65.000 € für die Gerichtskosten, 55.300 € für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 1 und 7.571,70 € für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 4.
I.
Der Beteiligte zu 4 ist Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der 2006 verstorbenen Schuldnerin, die neben dem Beteiligten zu 3 als weiterem Schuldner Miteigentümerin zu ½ an den eingangs genannten Wohnungs- und Teileigentumsrechten war.
Mit Beschluss vom 25. April 2013 ordnete das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Beteiligten zu 1 wegen eines titulierten persönlichen Anspruchs über 288.290,46 € nebst Zinsen die Zwangsversteigerung in die Miteigentumsanteile der Schuldner an. Im Juli 2014 wurde der Beitritt der Beteiligten zu 2 aufgrund eines vollstreckbaren Antrags nach § 322 AO wegen eines dinglichen Anspruchs in der Rangklasse 3 auf Zahlung von 937,30 € und eines persönlichen Anspruchs über insgesamt 47,58 € zugelassen. Der Beteiligte zu 4 meldete vor dem Versteigerungstermin für ihn als Nachlasspfleger festgesetzte Vergütungsansprüche in Höhe von 3.922,38 € sowie weitere voraussichtliche Vergütungsansprüche in Höhe von 2.000 € und Aufwendungsersatzansprüche wegen verauslagter Kosten in Höhe von 86,30 € an.
Das Vollstreckungsgericht hat nur die Kosten des Verfahrens in das geringste Gebot aufgenommen und der Beteiligten zu 5 den Zuschlag zu einem baren Meistgebot von 65.000 € erteilt.
Die gegen den Zuschlagsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 4 ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will er die Abänderung des Zuschlagsbeschlusses dahingehend erreichen, dass seine Vergütungsansprüche in den bar zu zahlenden Teil des geringsten Gebots aufgenommen werden.
II.
Das Beschwerdegericht meint, § 49 Abs. 1 ZVG sei zwar dergestalt ergänzend auszulegen, dass neben den Kosten des Verfahrens auch solche Ansprüche in das Bargebot aufzunehmen seien, die nicht unter die Rangklassen 1 bis 3 des § 10 ZVG fielen, sondern aufgrund anderweitiger Vorschriften zwingend dem Recht des betreibenden Gläubigers vorgingen. Dazu gehöre der Vergütungsanspruch des Nachlasspflegers aber nicht. Dieser sei lediglich in einem - hier nicht eröffneten - Nachlassinsolvenzverfahren privilegiert (§ 324 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift bestehe kein Anlass, da der Nachlasspfleger im Fall eines mittellosen Nachlasses eine Vergütung aus der Staatskasse erhalte und damit grundsätzlich abgesichert sei.
III.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nur im Ergebnis stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässig.
Weil eine Partei mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. nur Senat, Urteil vom 19. Oktober 2012 - V ZR 233/11, ZfIR 2013, 23 Rn. 11 mwN), ist der Antrag des Beteiligten zu 4 dahingehend auszulegen, dass er die Versagung des Zuschlags begehrt; nur diese, nicht aber die beantragte Änderung des geringsten Gebots kann mit der Rechtsbeschwerde erreicht werden (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Mai 2014 - V ZB 123/13, ZWE 2014, 378 Rn. 5, insoweit in BGHZ 201, 157 nicht abgedruckt).
2. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dass ein Zuschlagsversagungsgrund im Sinne des § 100 ZVG nicht vorliegt.
a) Nach § 100 Abs. 1 ZVG kann die Zuschlagsbeschwerde nur darauf gestützt werden, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 bis 85a ZVG verletzt oder dass der Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zugrunde gelegten Bedingungen erteilt worden ist. Die von dem Beteiligten zu 4 gerügte Verletzung der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots im Sinne von § 83 Nr. 1 ZVG liegt nicht vor.
b) Nach § 44 Abs. 1 ZVG sind Rechte in das geringste Gebot aufzunehmen, wenn sie dem Anspruch des (bestrangig betreibenden) Gläubigers vorgehen. Welches Recht dem Anspruch des betreibenden Gläubigers im Sinne von § 44 Abs. 1 ZVG vorgeht und folglich im geringsten Gebot Berücksichtigung finden muss, richtet sich nach §§ 10 bis 12 ZVG und dem darin enthaltenen Rangklassensystem (Senat, Beschluss vom 9. Mai 2014 - V ZB 123/13, BGHZ 201, 157 Rn. 17, 20 mwN).
c) Das Vollstreckungsgericht hat die von dem Beteiligten zu 4 angemeldeten Ansprüche zu Recht nicht das geringste Gebot aufgenommen, da diese den Ansprüchen des bestrangig die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers nicht vorgehen. Bestrangig betreibt die Zwangsversteigerung nicht der Beteiligte zu 1, sondern die Beteiligte zu 2, die aus der Rangklasse 3 des § 10 Abs. 1 ZVG vollstreckt. Dies ist von dem Beschwerdegericht, welches den aus dem Protokoll des Versteigerungstermins ersichtlichen Beitritt der Beteiligten zu 2 offenbar übersehen hat, verkannt worden.
Die Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche des Nachlasspflegers fallen nicht unter die in § 10 Abs. 1 Nr. 1, 1a und 2 ZVG enthaltenen Rangvorrechte. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften scheidet mangels einer Regelungslücke aus. § 10 ZVG regelt die Rangordnung der ein Recht auf Befriedigung aus einem Grundstück gewährenden Ansprüche grundsätzlich abschließend (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 1971 - V ZR 95/68, MDR 1971, 287; RGZ 71, 424, 431; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 10 Anm. 1.1). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Rangvorrecht an anderer Stelle ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. dazu Depré/Cranshaw, ZVG, § 10 Rn. 10 ff. und 18 ff.; Stöber, ZVG, 20 Aufl., § 10 Anm. 7.1 bis 7.5).
3. Soweit der Beteiligte zu 4 den Vorrang seiner angemeldeten Ansprüche nicht aus den Rangklassen des § 10 Abs. 1 ZVG, sondern dem materiellen Recht ableiten will, geht dies schon im Ansatz fehl.
Zwar hat der Bundesgerichtshof die Ansicht vertreten, dass § 49 Abs. 1 ZVG ergänzend dahin auszulegen ist, dass alle weiteren den betreibenden Gläubigern vorrangigen Rechte in das geringste Bargebot aufgenommen werden müssen (BGH, Urteil vom 19. Februar 1976 - III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, 226 f.; vgl. auch Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 49 Anm. 2.4). Diese Ausführungen beziehen sich aber auf einen eng begrenzten Ausnahmefall im Zusammenhang mit dem damals noch geltenden § 419 BGB (Vermögensübernahme). Der Übernehmer, der zunächst persönlich und unbeschränkt haftete, konnte seine Haftung über § 419 Abs. 2, §§ 1990, 1991 BGB beschränken, indem er das übernommene Vermögen, wenn es zur Befriedigung der Gläubiger nicht ausreichte, diesen im Wege der Zwangsvollstreckung herausgab. Damit konnte er nicht nur den Zugriff auf sein sonstiges Vermögen abwenden, sondern nach Maßgabe der § 1990, § 1991 Abs. 1, § 1978 Abs. 3, § 1979 BGB auch Ersatz seiner Aufwendungen beanspruchen (BGH, Urteil vom 19. Februar 1976 - III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, 224 ff.). Nur für diesen Aufwendungsersatzanspruch sollte ein Vorrang innerhalb der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG begründet werden.
Ob nach der Aufhebung von § 419 BGB überhaupt noch ein Anwendungsfall für eine ergänzende Auslegung des § 49 Abs. 1 ZVG unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten verbleibt, bedarf keiner Entscheidung. Da sich die Aufstellung des geringsten Gebots (und damit auch des Bargebots nach § 49 Abs. 1 ZVG) nicht nach materiell-rechtlichen Erwägungen, sondern allein nach dem Rangklassensystem des Zwangsversteigerungsgesetzes richtet (Senat, Beschluss vom 9. Mai 2014 - V ZB 123/13, BGHZ 201, 157 Rn. 20), ist dies allenfalls in einem ganz besonders gelagerten Ausnahmefall denkbar.
Um einen solchen handelt es sich bei der Vergütung eines Nachlasspflegers schon deshalb nicht, weil Sonderregelungen bestehen. Ist der Nachlass mittellos, kann der Nachlasspfleger seine Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse festsetzen lassen (§ 1915 Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 3 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG).
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 7; Senat, Beschluss vom 9. Mai 2014 - V ZB 123/13, NJW 2014, 2445 Rn. 30, insoweit in BGHZ 201, 157 nicht abgedruckt).
Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem Wert des Zuschlags, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG. Der Wert der anwaltlichen Vertretung der Beteiligten zu 1 und 4 richtet sich nach § 26 Nr. 1 RVG.
Stresemann Brückner Weinland
Kazele Haberkamp