Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.09.2011


BGH 15.09.2011 - V ZB 39/11

Mehrvertretungsgebühr für Rechtsanwalt bei Beschlussanfechtung der Wohnungseigentümergemeinschaft


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.09.2011
Aktenzeichen:
V ZB 39/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Bremen, 3. Februar 2011, Az: 4 T 626/10vorgehend AG Bremen, 28. Oktober 2010, Az: 28 C 38/10
Zitierte Gesetze
Nr 1008 RVG-VV

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 3. Februar 2011 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.156,68 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger erhob gegen einen in der Versammlung der Wohnungseigentümer am 31. März 2010 gefassten Beschluss, mit dem ihm die Nutzung seines Teileigentums zu Wohnzwecken untersagt wurde, Anfechtungsklage. Diese wurde der Verwalterin zugestellt, die einen Rechtsanwalt mit der Vertretung der Beklagten beauftragte. Später nahm der Kläger die Klage zurück. Die Kosten des Rechtsstreits wurden ihm auferlegt.

2

Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht die von dem Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.932,32 € nebst Zinsen festgesetzt. Dabei hat es sowohl der Erhöhung der Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG für die Vertretung mehrerer Auftraggeber als auch der Begrenzung auf einen Gebührensatz von 2,0 nach Absatz 3 der Anmerkung zu Nr. 1008 VV RVG Rechnung getragen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger die Absetzung der Mehrvertretungsgebühr weiter.

II.

3

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unabhängig von der Mandatierung durch die Verwalterin namens und in Vollmacht der übrigen Wohnungseigentümer tätig geworden. Deshalb habe das Amtsgericht zu Recht die Verfahrensgebühr um die Mehrvertretungsgebühr erhöht.

III.

4

Das nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsmittel ist unbegründet. Dem Rechtsanwalt, der die übrigen Wohnungseigentümer in einem Beschlussanfechtungsprozess vertritt, steht die Mehrvertretungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG zu (so bereits inzidenter Senat, Beschluss vom 16. Juli 2009 - V ZR 11/09, NJW 2009, 3168 Rn. 17; Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 171/10, Umdr. S. 7 [zur Veröffentlichung bestimmt]; ebenso Jennißen/Suilmann, WEG, 2. Aufl., § 50 Rn. 13; Riecke/Schmid/Abramenko, Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., Anh. zu § 50 WEG Rn. 22; Timme/Elzer, WEG, § 50 Rn. 11).

5

1. Die Beschlussanfechtung ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband zu richten, sondern gegen die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft. Es handelt sich also nicht um einen Verbandsprozess, sondern um einen Individualprozess. Dieser ist allerdings einem Verbandsprozess gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft angenähert. Die Klage ist nicht jedem einzelnen Wohnungseigentümer, sondern dem Verwalter zuzustellen, der nach § 45 Abs. 1 WEG für die Wohnungseigentümer zustellungsbevollmächtigt ist; er ist nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG berechtigt, die Wohnungseigentümer in dem Rechtsstreit zu vertreten oder anwaltlich vertreten zu lassen (Senat, Beschluss vom 14. Mai 2009 - V ZB 172/08, NJW 2009, 2135 Rn. 11). Dem entspricht die Vorschrift des § 50 WEG, dass die Wohnungseigentümer im Regelfall nur die Kosten eines einzigen Rechtsanwalts erstattet bekommen können.

6

2. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass diesem Rechtsanwalt die Erhöhungsgebühr für die Vertretung mehrerer Auftraggeber nach Nr. 1008 VV RVG nicht zusteht.

7

a) Zwar dient die Zustellungsbevollmächtigung des Verwalters u.a. dazu, die der Wohnungseigentümergemeinschaft entstehenden Kosten gering zu halten (Senat, Beschluss vom 14. Mai 2009 - V ZB 172/08, aaO). Aber dieser Gesichtspunkt spielt bei der Beantwortung der Frage, ob dem Rechtsanwalt die Mehrvertretungsgebühr zusteht, keine Rolle. Bedeutung erlangt er nur bei der Beurteilung, ob die in § 50 WEG normierte Ausnahme von der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines einzigen Rechtsanwalts vorliegt.

8

b) Dem Umstand, dass die Verwalterin dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Auftrag zu deren Vertretung erteilt hat, kommt keine Bedeutung zu. Die Mehrvertretungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG fällt immer dann an, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber tätig geworden ist (§ 7 Abs. 1 RVG). Ob es einen oder mehrere Auftraggeber gibt, hängt nicht davon ab, wer dem Anwalt den Auftrag erteilt hat. Auch wenn eine Person für eine Personenmehrheit den Auftrag erteilt, sind die mehreren Personen Auftraggeber des Rechtsanwalts (OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2011 - 15 U 4940/10, juris Rn. 30). Daran ändert nichts, dass das gerichtliche Verfahren über die Beschlussanfechtung einem Verbandsprozess ähnelt. Entscheidend ist, dass in dem Individualprozess gegen die übrigen Wohnungseigentümer mehrere Personen - und nicht etwa, wie der Kläger meint, der "Rest des Verbandes" - als notwendige Streitgenossen auf der Beklagtenseite stehen, die sich anwaltlich vertreten lassen.

9

c) Zutreffend weisen sowohl der Kläger als auch die Beklagten darauf hin, dass das anwaltliche Gebührenrecht eine Pauschalierung der Gebühren für typische Sachverhalte vornimmt. Für die Höhe der Gebühr kommt es deshalb nicht darauf an, welchen konkreten Arbeitsaufwand der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit gehabt hat. Das gilt auch für die Mehrvertretungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG. Sie soll dem mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenen Mehr an Arbeit und Aufwand, insbesondere durch die laufende Informationsaufnahme und Unterrichtung durch den Rechtsanwalt, und dessen höherem Haftungsrisiko in genereller Weise Rechnung tragen (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - VI ZB 36/08, NJW 2010, 1377 Rn. 8). Nach diesem Sinn und Zweck ist es für die Gebührenerhöhung unerheblich, ob es bei der Vertretung mehrerer Auftraggeber tatsächlich ein Mehr an Arbeit und Aufwand sowie ein höheres Haftungsrisiko gibt. Im Übrigen liegt ein solcher Fall hier, anders als der Kläger meint, nicht vor. Zum einen hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausschließlich mit der Verwalterin kommuniziert haben; der Kläger verweist auch auf keinen diesbezüglichen Vortrag in den Tatsacheninstanzen, sondern bringt lediglich Vermutungen vor. Zum anderen liegt es auf der Hand, dass das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei mehreren Auftraggebern höher ist als bei einem einzigen Auftraggeber.

IV.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                       Lemke                                          Schmidt-Räntsch

                    Brückner                                        Weinland