Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 04.04.2019


BGH 04.04.2019 - V ZB 33/18

Abschiebungshaftanordnung: Fluchtgefahr bei vorübergehendem Sichverborgenhalten zur Vereitelung eines unangekündigten Abschiebungsversuchs


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
04.04.2019
Aktenzeichen:
V ZB 33/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:040419BVZB33.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Coburg, 9. Februar 2018, Az: 24 T 1/18vorgehend AG Lichtenfels, 7. Dezember 2017, Az: 2 XIV 107/17
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Ein konkreter Anhaltspunkt für das Bestehen von Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG kann darin liegen, dass der Ausländer sich vorübergehend verborgen hält, um einen unangekündigten Abschiebungsversuch zu vereiteln.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Coburg - 2. Zivilkammer - vom 9. Februar 2018 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Sein Asylantrag wurde zurückgewiesen und die Abschiebung angedroht. Er war für eine Sammelabschiebung am 6. Dezember 2017 vorgesehen. Einen deshalb gestellten Antrag auf Verhängung von Ausreisegewahrsam lehnte das Amtsgericht am 28. November 2017 ab, und der Betroffene wurde freigelassen. Am 6. Dezember 2017 um 0.15 Uhr konnte er in seiner Unterkunft nicht aufgegriffen werden. Weitere Versuche, seiner um 7.30 Uhr in der Schule und um 10 Uhr in der Unterkunft habhaft zu werden, waren erfolglos. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 7. Dezember 2017 Abschiebehaft bis zum 31. Januar 2018 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Am 19. Januar 2018 endete die Haft, weil die beteiligte Behörde den Haftantrag zurückgenommen hat. Die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2018 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.

II.

2

Die zulässige Rechtsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das Beschwerdegericht den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG annimmt.

3

1. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass sich der Betroffene am 6. Dezember 2017 nachts deshalb nicht in der Unterkunft aufgehalten hat, weil er der Abschiebung entgehen wollte. Selbst wenn er den exakten Termin der Sammelabschiebung nicht gekannt habe, habe er jedenfalls schon infolge des vorangegangenen Festnahmeversuchs am 28. November 2017 gewusst, dass die Abschiebung nunmehr durchgesetzt werden solle. Der Hausmeister habe mitgeteilt, dass der Betroffene die Unterkunft neuerdings schon zwischen 3 und 4 Uhr morgens verlasse, um zur Schule zu fahren. Das völlig ungewöhnliche frühe Verlassen der Unterkunft sowie die nächtliche Abwesenheit am 6. Dezember 2017 trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit habe ersichtlich der Vereitelung der Abschiebung gedient. Die gegen diese Würdigung erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und als nicht durchgreifend erachtet.

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2. Die Rechtsansicht des Beschwerdegerichts, dass dieses Verhalten des Betroffenen einen konkreten Anhaltspunkt im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG für Fluchtgefahr darstellt, ist nicht zu beanstanden.

5

a) Nach § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG kann es ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen vorgenommen hat, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können. Der Tatbestand erfasst die sonstigen im Verantwortungsbereich eines Ausländers liegenden konkreten Vorbereitungshandlungen, die auf die Verzögerung bzw. Verhinderung der bevorstehenden Rückführung ausgerichtet sind und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Rückführung stehen. Voraussetzung für die Anwendung der Nummer 6 ist, dass die Handlungen des Ausländers gleichermaßen Ausdruck einer möglichen Entziehungsabsicht sind wie bei den in Nummer 1 bis 5 beschriebenen Fallgruppen (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 34; Senat, Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 69/16, InfAuslR 2017, 58 Rn. 4). Ein konkreter Anhaltspunkt für das Bestehen von Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch darin liegen, dass der Ausländer sich vorübergehend verborgen hält, um eine unangekündigte Abschiebung zu vereiteln. Eine solche Verhaltensweise des Ausländers dient nämlich dazu, die Rückführung zu verhindern. Sie steht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der konkreten Abschiebung und hat ein vergleichbares Gewicht wie die in § 2 Abs. 14 Nr. 1 bis 5 AufenthG beschriebenen Handlungen.

6

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde enthält § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG insoweit keine abschließende Regelung. Der dort normierte eigenständige Haftgrund setzt voraus, dass der Ausländer aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde. Die Bestimmung schließt es nicht aus, dass sich aus dem Verhalten des Ausländers im Hinblick auf Abschiebungen, die zwar unangekündigt sind, von denen der Ausländer aber gleichwohl Kenntnis erhalten hat oder mit denen er rechnet, ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr ergeben kann. Vereitelt der Ausländer - wie hier - eine Abschiebung, indem er sich verborgen hält, stellt dieses Verhalten nicht nur einen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr dar; zugleich ist auch der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gegeben, weil sich der Ausländer auf sonstige Weise der Abschiebung entzogen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 21/17, NVwZ 2017, 1640 Rn. 6). Schließlich werden die für den Anhaltspunkt des § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Voraussetzungen nicht umgangen. Denn diese Bestimmung regelt - wie § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG - einen nicht nur vorübergehenden Wechsel des Aufenthaltsorts; sie erfasst ein vorübergehendes Verbergen gerade nicht.

7

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Stresemann     

        

Schmidt-Räntsch     

        

Brückner

        

Göbel      

        

Haberkamp