Entscheidungsdatum: 19.06.2013
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten werden die Beschlüsse des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 8. November 2012 und vom 3. Dezember 2012 aufgehoben.
Den Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 10.000 €.
I.
Mit Urteil des Landgerichts vom 11. Januar 2012 wurden die Beklagten unter anderem zur Zahlung von 8.248 € als Vorschuss an die Kläger verurteilt. Das Urteil wurde ihnen am 20. Januar 2012 zugestellt; am 17. Februar 2012 legten sie Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 22. März 2012 beantragten die Beklagten unter Einreichung der Berufungsbegründung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Dazu führten sie aus, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung bereits am Donnerstag, dem 15. März 2012, per Post an das Oberlandesgericht gesandt, weil er im Begriff gewesen sei, eine einwöchige Geschäftsreise anzutreten. Vor der Abreise habe er am Abend des 15. März 2012 sicherstellen wollen, dass der Schriftsatz rechtzeitig abgesandt werde. Aus diesem Grund habe die seit vielen Jahren für ihn tätige Angestellte P. den unterzeichneten Schriftsatz versandfertig gemacht und frankiert. Da dies erst nach 17.30 Uhr geschehen sei, habe er Frau P. angewiesen, den Schriftsatz auf ihrem Nachhauseweg persönlich in einen Briefkasten der Deutschen Post zu werfen, was Frau P. auch getan habe. Am 16. März 2012 habe Frau P. mitgeteilt, den Schriftsatz zur Post gebracht zu haben, woraufhin die Berufungsbegründungsfrist als erledigt gelöscht worden sei. Diesen Vortrag hat Frau P. in einer eidesstattlichen Versicherung bestätigt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten hätten die Aufgabe zur Post am 15. März 2012 nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Es bestünden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der eidesstattlichen Versicherung der Frau P. , die nicht in jeder Hinsicht präzise Angaben enthalte. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe sowohl in dem vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahren als auch in diesem Verfahren sämtliche Schriftsätze vorab per Fax versandt. Warum die Vorabversendung am Abend des 15. März 2012 entgegen der ständigen Übung unterblieben sei, lasse sich der eidesstattlichen Versicherung nicht entnehmen. Die auf entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts nachträglich erfolgte Mitteilung des Prozessbevollmächtigten, die Poststelle sei nicht mehr besetzt gewesen, sei schon nicht glaubhaft gemacht worden. Zudem sei nicht plausibel, warum der Versand per Telefax nur durch eine Poststelle erfolgen könne und nicht - zum Beispiel - durch Frau P. . Überdies gebe es keinen Grund dafür, warum die Berufungsbegründung noch am Abend des 15. März 2012 und nicht erst am 16. März 2012 auf den Postweg gebracht worden sei, also zu einer Zeit, in der die Poststelle normal besetzt und der übliche Vorabversand per Fax gewährleistet gewesen sei; immerhin habe die Frist erst am 20. März 2012 geendet.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2013, 592 f. mwN) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (Senat, Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82 Rn. 8; vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, ZWE 2012, 334, 335 jeweils mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts trägt die Versagung der Wiedereinsetzung nicht.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass die Aufgabe zur Post am 15. März 2012 ausreichend war, um den Eingang bei Gericht innerhalb der erst am 20. März 2012 ablaufenden Frist zu gewährleisten. Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Geht eine Sendung verloren oder wird sie verspätet ausgeliefert, darf dies der Partei nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 15; Beschluss vom 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379 Rn. 8 mwN). Weitere Vorkehrungen muss die Partei nicht ergreifen. Insbesondere ist sie nicht gehalten, Schriftsätze zusätzlich zu der rechtzeitigen Aufgabe zur Post auch per Telefax an das Gericht zu übersenden.
b) Daran gemessen war der Vortrag der Beklagten zu der Aufgabe der Berufungsbegründungsschrift zur Post ausreichend.
aa) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben kann und muss das Gericht auch nach Fristablauf gemäß § 139 ZPO aufklären (BGH, Urteil vom 7. März 2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108 mwN).
bb) Nach diesen Maßstäben hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten innerhalb der Frist ausreichend zu der Aufgabe zur Post vorgetragen und dazu eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten, Frau P. , vorgelegt. Diese hat geschildert, dass sie die unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift am Abend des 15. März 2012 versandfertig gemacht, frankiert und in einen genau bezeichneten Briefkasten eingeworfen habe. Normalerweise mache eine andere Mitarbeiterin die Post fertig, die aber das Büro schon verlassen gehabt habe. Daher habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sie gebeten, den Schriftsatz noch persönlich zur Post zu bringen, weil er kurz vor Antritt einer einwöchigen Dienstreise gestanden habe und die Einhaltung der Frist habe sicherstellen wollen.
c) Die eidesstattliche Versicherung hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft gewürdigt.
aa) Eine Behauptung ist - wovon auch das Berufungsgericht ausgeht - schon dann glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136 Rn. 7). Die Beweise sind im Hinblick darauf frei zu würdigen (§ 286 ZPO, Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 294 Rn. 6). Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung dem Tatrichter vorbehalten. An dessen Feststellungen ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO gebunden; es kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 5. November 2010 - V ZR 228/09, NJW 2011, 1217 Rn. 25 mwN).
bb) Dieser Nachprüfung hält die Entscheidung nicht stand, weil das Berufungsgericht seine Zweifel an der Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung auf das Fehlen zusätzlicher Angaben zu dem Versand per Telefax stützt, obwohl dazu von Rechts wegen kein Vortrag erforderlich war.
Den Verlust des Schriftstücks auf dem Postwege konnten die Beklagten nicht anders glaubhaft machen als durch die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe zur Post. Diese hat die Angestellte P. in ihrer eidesstattlichen Versicherung lückenlos geschildert. Die Beklagten waren nicht gehalten, auch die Einzelheiten der Büroorganisation im Hinblick auf die Versendung per Telefax darzustellen und glaubhaft zu machen, wie es das Berufungsgericht in seinem Hinweis verlangt hat. Andernfalls müssten sie sich zu einer zusätzlichen Vorsorge ihres Prozessbevollmächtigten äußern, zu der keine Rechtspflicht besteht. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht einwendet, ist auch die Annahme des Berufungsgerichts unzulässig, es gebe in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine ständige Übung der Vorabversendung per Telefax. Denn aus dem Umstand, dass alle weiteren Schriftsätze per Telefax übersandt wurden, kann nicht auf eine dahingehende ausnahmslose Praxis des Prozessbevollmächtigten geschlossen werden. Hier lief die Berufungsbegründungsfrist noch mehrere Tage. Zudem ist vorgetragen worden, dass der Schriftsatz außerhalb der üblichen Bürozeiten versandfertig gemacht worden sei. Auch wenn die Versendung per Telefax kurz vor Fristablauf der einzige Weg zur Fristwahrung sein kann, gibt es bei rechtzeitigem Postversand keinen zwingenden Grund für eine zusätzliche Faxsendung. Aus diesem Grund musste auch nicht erklärt und glaubhaft gemacht werden, warum Frau P. die Faxsendung unterließ und warum eine solche auch am nächsten Tag nicht erfolgte. Ebenso wenig mussten sich die Beklagten dafür rechtfertigen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Versand nicht erst einen Tag später vornehmen ließ.
IV.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Allein die unterbliebene Erklärung zu dem unterlassenen Versand per Telefax begründet keine Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der im Übrigen schlüssigen eidesstattlichen Versicherung der langjährigen Mitarbeiterin. Diese reicht aus, um das fehlende Verschulden als überwiegend wahrscheinlich anzusehen. Den Beklagten ist danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend auch ohne ausdrücklichen Antrag.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland