Entscheidungsdatum: 09.07.2015
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 22.176 €.
I.
Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Klage ist darauf gerichtet, den Beklagten zu verurteilen, den Mitarbeitern der Firma C. Zugang zu der in seinem Eigentum stehenden Wohnung zu gewähren, um dort das Durchbohren der Decke und des Bodens im Wohnzimmer zur Installation des senkrecht verlaufenden Kabelstrangs der neu zu installierenden Breitbandkabelanlage zu dulden. Das Amtsgericht hat die Klage durch das der Klägerin am 2. Oktober 2013 zugestellte Urteil abgewiesen.
Am 22. Oktober 2013 ist bei dem Landgericht eine auf dem Briefpapier des Prozessbevollmächtigten der Klägerin geschriebene Berufungsschrift eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem maschinenschriftlichen Namenszusatz „(W. )" und darunter „Rechtsanwalt". Unmittelbar über diesem Text befinden sich an der für die Unterschrift vorgesehenen Stelle zwei nicht miteinander verbundene Linien, von denen die eine senkrecht und die andere waagerecht verläuft. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, es liege mangels Unterschrift keine ordnungsgemäße Berufung vor, hat die Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und am 30. Dezember 2013 eine Berufungsbegründung eingereicht. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht erreichen.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet sei. Der Schriftzug bestehe aus leicht bogenförmigen Strichen, die zueinander nahezu im rechten Winkel gesetzt worden seien. An individuellen Merkmalen fehle es vollständig. Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da auch dieser Antrag nicht ordnungsgemäß unterzeichnet sei. Zudem mangele es an der Nachholung der versäumten Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist. Auch die am 30. Dezember 2013 eingegangene Berufungsbegründung weise als Unterschrift nur zwei nicht individualisierbare Linien auf, die den Anforderungen an eine Unterschrift nicht genügten. Dass es sich nicht um einen wenngleich abgeschliffenen - individualisierbaren Schriftzug des Namens „W. " handele, zeige sich bereits daran, dass er weder dem unter der eidesstattlichen Versicherung noch den vorangegangenen vermeintlichen Unterzeichnungen der Schriftsätze ähnele.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZB 71/14, juris Rn. 4).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufungsschrift ordnungsgemäß.
a) Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift verlangt einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug, der individuelle, charakteristische Merkmale, die die Nachahmung erschweren, aufweist, sich ohne lesbar sein zu müssen, als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein- und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZB 71/14, juris Rn. 7 f.; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2009 - V ZB 165/08, juris Rn. 3).
b) Diesen Anforderungen genügt der Schriftzug des Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter der Berufungsschrift. Dies hat der Senat ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZB 71/14, juris Rn. 10 mwN). An der Urheberschaft von Rechtsanwalt W. gibt es keinen Zweifel. Sie ergibt sich aus dem unter dem Schriftzug befindlichen maschinenschriftlichen Zusatz. Dem Schriftzug fehlt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht an der erforderlichen Individualität und der erkennbaren Absicht einer vollen Unterschriftsleistung.
aa) Das erste Element der Unterschrift beginnt rechts oben mit einem kleinen Haken und setzt sich als gekrümmte Linie nach links unten fort. Aufgrund der Kenntnis des maschinenschriftlich mitgeteilten Namens lässt sich die Linie als vereinfachte Form des Buchstabens „W" und damit des ersten Buchstabens des nur aus vier Buchstaben bestehenden Familiennamens von Rechtsanwalt W. deuten. Das zweite Element beginnt etwas höher als das Ende des ersten Elements mit einer kurzen Abwärtsbewegung und setzt sich mit deutlich kräftigerer Strichführung als beim ersten Element im Wesentlichen horizontal nach rechts fort und kann als Andeutung der übrigen Buchstaben verstanden werden. Dass diese Buchstaben nicht lesbar sind, ist für die Annahme einer wirksamen Unterschrift unerheblich.
Beide Elemente sind von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet, weisen jedoch besondere Merkmale auf, die keinen ernsthaften Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der Individualisierung und Legitimierung geleistete Unterschrift handelt. Sie entsprechen ausweislich der Akten der Art, in der Rechtsanwalt W. von ihm gefertigte Schriftsätze üblicherweise unterschreibt bzw. bislang unterschrieben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 - IV ZB 32/14, juris Rn. 11). Dass sich die Unterschriften auf dem Wiedereinsetzungsgesuch und der Berufungsbegründung hiervon unterscheiden, gebietet keine abweichende Beurteilung, weil es sich hierbei erkennbar nur um eine Reaktion auf den Hinweis des Berufungsgerichts auf die unzureichende Unterschrift unter der Berufungsschrift handelte.
bb) Die Linien können auch nicht als bloße Namensabkürzung (Handzeichen, Paraphe) gewertet werden. Abgesehen davon, dass bei einem nur aus wenigen Buchstaben bestehenden Namen eine Unterscheidung zwischen bloßer Paraphe und vollem Namenszug ohnehin nur schwer zu treffen ist, spricht vorliegend der Umstand, dass das zweite Element des Schriftzuges deutlich mehr Raum einnimmt als das unter der Namenswiedergabe befindliche Wort „Rechtsanwalt" eindeutig für den Willen, eine volle Unterschrift zu leisten. Eine einzelne leicht gekrümmte bzw. geschwungene Linie genügt zur Darstellung des dem Anfangsbuchstaben folgenden Rests des Namens (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, juris Rn. 12).
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO).
Dass die Berufungsbegründung erst am 30. Dezember 2013 bei dem Berufungsgericht eingegangen ist, während die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO aufgrund der am 2. Oktober 2013 erfolgten Zustellung des angegriffenen Urteils bereits mit dem 2. Dezember 2013 abgelaufen war, macht die Berufung nicht unzulässig. Auch dies hat der Senat von Amts wegen zu prüfen. Ausweislich der Akten hat die Klägerin am 2. Dezember 2013 und damit innerhalb der Berufungsbegründungsfrist einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 2. Januar 2014 gestellt. Ob über diesen Antrag, der unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen - ebenso wie die Berufungsbegründung vom 30. Dezember 2013 - eine ordnungsgemäße Unterschrift aufweist, entschieden worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Zwar hat sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eingangs der Berufungsbegründung für die „gewährte Fristverlängerung" bedankt. Eine Dokumentation in den Akten findet sich jedoch nicht. Fehlt es an einer Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag, muss dies von dem hierfür gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zuständigen Vorsitzenden nachgeholt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931; Senat, Beschluss vom 29. April 2004 - V ZB 33/03, FamRZ 2004, 1189).
Stresemann Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Göbel