Entscheidungsdatum: 12.09.2013
Ist ein Anfechtungsgegner verurteilt worden, von seinem Recht an einem Grundstück gegenüber einem nachrangigen Grundpfandgläubiger keinen Gebrauch zu machen, kann dieser in der Zwangsversteigerung verlangen, dass das ihm vorgehende Recht abweichend von § 44 Abs. 1 ZVG nicht in das geringste Gebot aufgenommen wird. Einer Zustimmung des Anfechtungsgegners bedarf es nicht.
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 22. Oktober 2012 und der Beschluss des Amtsgerichts Flensburg vom 15. Juni 2012 aufgehoben.
Der Zuschlag auf das im Versteigerungstermin vom 15. Juni 2012 abgegebene Meistgebot der Beteiligten zu 3 wird versagt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt für die Gerichtskosten 89.200 €, für die Vertretung der Gläubigerin 31.712,53 €, für die des Schuldners 47.000 € und die der Meistbietenden 89.200 €.
I.
Auf Antrag der Gläubigerin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 24. Februar 2010 aufgrund dinglicher und persönlicher Ansprüche die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses genannten Grundbesitzes des Schuldners an.
Auf dem Grundstück lastet ein zu Gunsten der Ehefrau des Schuldners bestellter lebenslanger, unentgeltlicher Nießbrauch, der am 14. März 2008 in das Grundbuch eingetragen worden ist. Für die Gläubigerin wurde am 9. April 2009 eine Sicherungshypothek in Höhe von 26.598,73 € eingetragen.
Auf eine von der Gläubigerin auf § 4, § 11 AnfG gestützte Klage wurde die Nießbrauchsberechtigte am 25. November 2011 verurteilt, von dem zu ihren Gunsten auf dem obigen Grundbesitz eingetragenen Nießbrauch der Gläubigerin gegenüber keinen Gebrauch zu machen und in die Auszahlung des bei der Zwangsversteigerung auf diese Position entfallenden Erlöses an die Gläubigerin bis zum Betrag von deren Forderung einzuwilligen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Für den auf den 23. März 2012 bestimmten Versteigerungstermin beantragte die Gläubigerin, die Versteigerungsbedingungen gemäß § 59 ZVG dahingehend abzuändern, dass die Nießbrauchsberechtigte sich ihr gegenüber nicht auf den Nießbrauch berufen dürfe und in die Auszahlung des bei der Zwangsversteigerung auf diese Position entfallenden Erlöses an die Gläubigerin bis zu dem Betrag in Höhe ihrer Forderung einzuwilligen habe.
Im Versteigerungstermin ordnete das Amtsgericht die Ausbietung in Form eines Doppelausgebots an, wobei zum einen der Nießbrauch nach den gesetzlichen Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben sollte und mit einem Zuzahlungsbetrag von 78.000 € bewertet wurde. Zum anderen sollte der Nießbrauch nicht bestehen bleiben und mit einem Betrag von 78.000 € in das geringste Bargebot aufgenommen werden. Gebote wurden in diesem Versteigerungstermin nicht abgegeben, so dass das Verfahren einstweilen eingestellt wurde.
Auf Antrag der Gläubigerin wurde das Verfahren fortgesetzt und ein Versteigerungstermin auf den 15. Juni 2012 bestimmt. Die Gläubigerin beantragte in der Folge abweichende Versteigerungsbedingungen dahingehend, dass von einem Erlöschen des Nießbrauchs auszugehen und dieser nicht in das geringste Gebot aufzunehmen sei.
Das Amtsgericht wies den Antrag im Versteigerungstermin zurück. Es setzte das geringste Gebot in der Weise fest, dass der Nießbrauch als bestehen bleibendes Recht mit einem Zuzahlungsbetrag von 78.000 € bewertet und der bar zu zahlende Betrag des geringsten Gebots auf 4.778,58 € festgesetzt wurde. Die Nießbrauchsberechtigte blieb im Versteigerungstermin Meistbietende mit einem Bargebot von 11.200 €.
Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das Amtsgericht der Meistbietenden den Zuschlag zu den Versteigerungsbedingungen erteilt. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will sie die Versagung des Zuschlags erreichen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht habe dem Antrag der Gläubigerin auf abweichende Feststellung des geringsten Gebots und der Versteigerungsbedingungen zu Recht nicht entsprochen. Das Erlöschen des Nießbrauchs beeinträchtige die Interessen der Nießbrauchsberechtigten. Deren Zustimmung habe nicht vorgelegen; sie sei auch nicht entbehrlich gewesen. Das von der Gläubigerin erstrittene Anfechtungsurteil enthalte keine Verurteilung zur Zustimmung zur Löschung des Nießbrauchs. Der auf eine Löschung des Nießbrauchs gerichtete Abweichungsantrag gehe somit in seinen Wirkungen über das Anfechtungsurteil hinaus. Mangels anderweitiger Abweichungsanträge sei die Zwangsversteigerung daher mit dem nach den gesetzlichen Versteigerungsbedingungen ermittelten geringsten Gebot durchzuführen gewesen. Hinsichtlich der Umsetzung des Anfechtungsurteils sei die Gläubigerin auf das Verteilungsverfahren zu verweisen. Im Verhältnis zu ihr sei der Nießbrauch als nicht bestehend anzusehen, weshalb die Nießbrauchsberechtigte zur Zahlung des im Zuschlagsbeschluss festgesetzten Zuzahlungsbetrages verpflichtet sei.
III.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat die gegen die Erteilung des Zuschlags gerichtete Beschwerde der Gläubigerin rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts liegt ein Zuschlagsversagungsgrund vor, weil das Amtsgericht dem Verlangen der Gläubigerin auf abweichende Feststellung der Versteigerungsbedingungen nicht entsprochen hat.
1. Nach § 83 Nr. 1 ZVG ist der Zuschlag u.a. zu versagen, wenn eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots oder der Versteigerungsbedingungen verletzt ist. Hierunter sind die in §§ 44 bis 65 ZVG enthaltenen Regelungen zu verstehen. Nach § 59 ZVG kann jeder Beteiligter spätestens im Versteigerungstermin vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Feststellung des geringsten Gebots und der Versteigerungsbestimmungen verlangen.
2. Dem auf dieser Grundlage gestellten Antrag der Gläubigerin, den der zugunsten der Ehefrau des Schuldners bestellten Nießbrauch bei der Feststellung des geringsten Gebots abweichend von § 44 Abs. 1 ZVG nicht zu berücksichtigen, hätte ungeachtet der fehlenden Zustimmung der Berechtigten (§ 59 Abs. 1 Satz 3 ZVG) entsprochen werden müssen.
a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Anfechtungsgläubiger jedenfalls als Beteiligter (§ 9 ZVG) eine Änderung der Versteigerungsbedingungen nach § 59 ZVG verlangen kann, wenn das anfechtbar erlangte Recht - wie hier - nach § 44 Abs. 1 ZVG in das geringste Gebot fällt und es deshalb nach § 52 Abs. 1 ZVG bestehen bleibt (BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - IX ZR 81/94, BGHZ 130, 314, 325 f.). Durch die Verurteilung des Anfechtungsgegners, von dem anfechtbar erworbenen Recht gegenüber dem Anfechtungsgläubiger keinen Gebrauch zu machen, soll die Zugriffslage wiederhergestellt werden, die ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestehen würde (BGH, Urteil vom 11. Juli 1996 - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 unter II.1.). Ohne die Einräumung des Nießbrauchs wären der Sicherungshypothek der Gläubigerin keine Rechte der Ehefrau des Schuldners vorgegangen. Die Gläubigerin kann daher verlangen, dass der Nießbrauch bei der Aufstellung des geringsten Gebots wie ein ihrer Sicherungshypothek im Rang nachgehendes Recht behandelt und daher nicht in das geringste Gebot aufgenommen wird. Die damit einhergehende Beeinträchtigung der Nießbrauchsberechtigten steht entsprechenden abweichenden Versteigerungsbedingungen nicht entgegen. Denn aus der Verurteilung, von dem anfechtbar erworbenen Recht keinen Gebrauch zu machen, folgt ihre Verpflichtung, alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Recht der Gläubigerin den Vorrang einzuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - IX ZR 81/94, aaO, S. 326 zu c).
Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht daraus, dass die Nießbrauchsberechtigte nicht zur Abgabe einer auf die Aufhebung ihres Rechts zielenden Willenserklärung (§ 875 Abs. 1 BGB, § 894 ZPO) verurteilt worden ist. Richtig ist zwar, dass die Gläubigerin weder die Löschung des Nießbrauchs verlangen noch beanspruchen kann, dass dieser in dem Zwangsversteigerungsverfahren als nicht bestehend behandelt wird. Andernfalls könnten nämlich auch Dritte, etwa andere Gläubiger des Schuldners oder nachrangige Grundpfandgläubiger, von der Gläubigeranfechtung profitieren. Deren Folgen dürfen nach Art und Umfang aber nicht weiter gehen, also zur Befriedigung gerade des anfechtenden Gläubigers erforderlich ist (vgl. näher BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - IX ZR 81/94, aaO, 324).
Letzteres wird jedoch erreicht, wenn der Nießbrauch als (zunächst) fortbestehendes, der Sicherungshypothek der Gläubigerin aber im Rang nachgehendes Recht behandelt wird. Insbesondere steht der Nießbrauchsberechtigten damit die Möglichkeit zu, das ihr vorgehende Recht abzulösen (§ 268 Abs. 1 BGB). Macht sie davon keinen Gebrauch, muss sie es wie jeder Rechtsinhaber hinnehmen, dass es erlischt, wenn ein im Rang vorgehender Gläubiger die Zwangsversteigerung des Grundstücks betreibt (§ 44 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZVG), und dass an die Stelle des Rechts der Anspruch auf Ersatz des Wertes aus dem Versteigerungserlös tritt (§ 92 Abs. 1 ZVG).
Die Verfahrensweise des Vollstreckungsgerichts führt demgegenüber dazu, dass der Nießbrauch als bestehen bleibendes Recht viele Interessenten vom Bieten abhält und damit ein Zugriffshindernis bildet (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - IX ZR 81/94, BGHZ 130, 314, 323). Die Festsetzung eines Zuzahlungsbetrages (§ 50 Abs. 1 ZVG) für den Fall, dass das Recht nicht bestehen sollte, ändert daran nichts, da der Nießbrauch nur im Verhältnis zur Anfechtungsgegnerin (Nießbrauchberechtigte), nicht aber im Verhältnis zu Dritten als nicht bestehend behandelt werden könnte. Dass die Zwangsversteigerung (nur) im Fall eines Gebots des Anfechtungsgegners eine realistische Aussicht auf Befriedigung des Gläubigers bietet, reicht nicht, um das durch die anfechtbare Handlung geschaffene Zugriffshindernis als beseitigt anzusehen.
b) Der Berücksichtigung des Abweichungsverlangens der Gläubigerin stand nicht entgegen, dass sich ihr Antrag nicht darauf beschränkte, den Nießbrauch nicht in das geringste Gebot aufzunehmen, sondern dass weitergehend „von einem Erlöschen des … Nießbrauchs auszugehen“ sei. Letzteres ist nach den vorstehenden Ausführungen, wonach der Nießbrauch lediglich als dem Recht der Gläubigerin nachgehend zu behandeln ist, zwar unzutreffend. Der Antrag auf Feststellung abweichender Versteigerungsbedingungen ist aber wie jede Prozess- oder Verfahrenserklärung der Auslegung zugänglich; dabei ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Erklärende das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und seiner recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Oktober 2010 - V ZB 91/06, NJW 2007, 769, 770 mwN). Danach war das Abweichungsverlangen der Gläubigerin bei verständiger Würdigung des Rechtsschutzziels der Gläubigerin dahin auszulegen, dass der Nießbrauch als nachrangiges Recht zu behandeln und als solches nicht in das geringste Gebot aufgenommen werden sollte. Hätte das Vollstreckungsgericht eine solche Auslegung nicht für möglich erachtet, wäre es nach § 139 ZPO verpflichtet gewesen, der Gläubigerin einen rechtlichen Hinweis zu geben, der einen sachgerechten Antrag ermöglicht hätte (vgl. zur Hinweispflicht des Vollstreckungsgerichts: BVerfG, NJW-RR 2012, 302, 304 Rn. 28).
IV.
1. Der angefochtene Beschluss hat somit keinen Bestand; er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Deshalb ist auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts ebenfalls aufzuheben und nach § 83 Nr. 1 ZVG der Beteiligten zu 3 der Zuschlag zu versagen.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (Senat, Beschluss vom 1. Juli 2010 - V ZB 94/10, NJW-RR 2010, 1458 f.). Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich für die Gerichtskosten gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach dem Wert des Zuschlags. Dieser wiederum entspricht nach § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG dem Meistgebot des Erstehers. Das Meistgebot ist auch für die anwaltliche Vertretung der Meistbietenden maßgeblich. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten der Gläubigerin bemisst sich gemäß § 26 Nr. 1 RVG nach dem Wert des ihr zustehenden Rechts. Für die Bevollmächtigten des Schuldners ist nach § 26 Nr. 2 RVG der Wert des Gegenstands der Zwangsversteigerung maßgebend. Hierbei ist von dem Verkehrswert des Grundstücks in Höhe von 125.000 € der Wert des Nießbrauchs in Höhe von 78.000 € in Abzug zu bringen.
Stresemann Roth Brückner
Weinland Kazele