Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 01.07.2010


BGH 01.07.2010 - V ZB 94/10

Zwangsversteigerungsverfahren: Behandlung eines Verzichts auf Einzelausgebote


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
01.07.2010
Aktenzeichen:
V ZB 94/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Münster, 19. Februar 2010, Az: 5 T 772/09, Beschlussvorgehend AG Lüdinghausen, 28. Oktober 2009, Az: 2 K 32/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Verzicht auf Einzelausgebote muss im Protokoll über den Versteigerungstermin festgestellt, aber nicht vorgelesen und genehmigt werden .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 19. Februar 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenentscheidung entfällt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt für die Gerichtskosten 177.500 € und 150.000 € für die Vertretung des Beteiligten zu 1.

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsversteigerung der im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten, den Schuldnern zu je 1/2 Miteigentumsanteil gehörenden Grundstücke. In dem Versteigerungstermin am 28. Oktober 2009 beantragte sie nach einem Hinweis des Vollstreckungsgerichts auf § 63 Abs. 1 ZVG, auf Einzelausgebote der Miteigentumsanteile und der Grundstücke der Schuldner zu verzichten und diese nur gemeinsam auszubieten. Dazu heißt es in dem Versteigerungsprotokoll:

"Die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen sind, stimmten dem Verzicht auf Einzelausgebote zu".

2

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hatte das Vollstreckungsgericht zuvor mit Blickkontakt zu der Terminsvertreterin der Schuldner gefragt, ob zu dem Antrag der Gläubigerin Einverständnis bestehe. Daraufhin hatte diese genickt. Ihre Erklärung wurde nicht vorgelesen und von ihr nicht genehmigt. In der anschließenden Versteigerung wurden die Miteigentumsanteile und die Grundstücke der Schuldner nur gemeinsam ausgeboten. Die Ersteher blieben mit einem Gebot von 177.500 €, das 59 % des mit 300.000 € festgesetzten Verkehrswerts entspricht, Meistbietende. Mit in dem Versteigerungstermin verkündetem Beschluss erteilte ihnen das Vollstreckungsgericht den Zuschlag zu je 1/2 Anteil. Die Zuschlagsbeschwerde des Beteiligten zu 1, mit der dieser die Unwirksamkeit des Verzichts der Terminsvertreterin auf Einzelausgebote und weiter geltend macht, mit Rücksicht auf Umschuldungsbemühungen habe ein besonderer Verkündungstermin anberaumt werden müssen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt er weiterhin die Versagung des Zuschlags. Ferner beantragt er, die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde auszusetzen.

II.

3

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Zuschlagsbeschluss nicht zu beanstanden. Es sei zulässig gewesen, die Miteigentumsanteile und die Grundstücke der Schuldner nur gemeinsam auszubieten, weil die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen seien, auf Einzelausgebote der Miteigentumsanteile und Grundstücke der Schuldner verzichtet hätten. An der Wirksamkeit des Verzichts ändere es nichts, dass die Terminsvertreterin der Schuldnerin den Verzicht nur durch ein Kopfnicken zum Ausdruck gebracht habe. Diese Geste sei eindeutig und ausreichend gewesen. Die mit ihr zum Ausdruck gebrachte Erklärung habe ihr auch nicht nach Maßgabe von § 162 Abs. 1 ZPO vorgelesen und von ihr genehmigt werden müssen. Das sei nur für die in § 162 Abs. 1 ZPO bestimmten Vorgänge vorgeschrieben, gelte aber für den Verzicht auf Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG nicht. Das Vollstreckungsgericht habe auch keinen besonderen Verkündungstermin anberaumen müssen. Die Schuldner hätten zwar einen Aussetzungsantrag gestellt und diesen mit Umschuldungsbemühungen begründet. Aus dem zur Glaubhaftmachung vorgelegten Schreiben der damit befassten Gesellschaft habe sich aber nur eine bloße Absicht ohne konkrete Prognosen oder Zahlen ergeben.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand.

5

1. Die Zuschlagsbeschwerde kann nach § 100 Abs. 1 ZVG nur darauf gestützt werden, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 bis 85a ZVG verletzt oder dass der Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zugrunde gelegten Bedingungen erteilt worden ist. Hier kommt nur ein Verstoß gegen § 83 Nr. 2 ZVG oder gegen § 83 Nr. 6 ZVG in Betracht. Beides hat das Beschwerdegericht zutreffend verneint.

6

2. Das Vollstreckungsgericht hat bei der Versteigerung nicht gegen § 83 Nr. 2 i.V.m. § 63 Abs. 1 ZVG verstoßen.

7

a) Bei der Versteigerung waren allerdings Einzelausgebote auf die Miteigentumsanteile und Grundstücke der Schuldner ausgeschlossen worden. Das ist nur zulässig, wenn die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen sind, auf die Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG verzichtet haben. Daran ändert es nichts, wenn, was hier nicht festgestellt, aber wahrscheinlich ist, die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 ZVG gegeben sind (Senat, Beschl. v. 30. Oktober 2008, V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158). Davon sind sowohl das Vollstreckungsgericht als auch das Beschwerdegericht ausgegangen.

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b) Der erforderliche Verzicht der Schuldner auf Einzelausgebote ihrer Miteigentumsanteile und Grundstücke lag vor.

9

aa) Nach dem Inhalt des Protokolls haben "die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen sind," dem Verzicht auf Einzelaufgebote zugestimmt. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat die Terminsvertreterin der Schuldner die Zustimmung für diese nicht ausdrücklich erklärt, sondern durch ein Kopfnicken zum Ausdruck gebracht. Das reichte aus.

10

bb) Der Senat hat entschieden, dass die "Erklärung" des Verzichts auf Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG keine ausdrückliche Willenserklärung, sondern nur ein "positives Tun mit eindeutigem Erklärungsgehalt" verlangt (Beschl. v. 30. Oktober 2008, V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158, 159). Das Kopfnicken der Terminsvertreterin der Schuldner war in diesem Sinn eindeutig. Aus dem Nichtabhilfebeschluss des Vollstreckungsgerichts vom 6. November 2009 ergibt sich, dass das Vollstreckungsgericht die Terminsvertreterin bei seiner Frage nach dem Einverständnis mit dem Antrag der Gläubigerin gezielt angesehen und diese genickt hat. Mit ihrem Nicken hat die Terminsvertreterin der Schuldner eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem Absehen von Einzelausgeboten einverstanden war.

11

c) Der Verzicht war bei der Entscheidung über den Zuschlag auch zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sind dabei zwar nach § 80 ZVG nur Vorgänge, die aus dem Protokoll ersichtlich sind (vgl. Senatsbeschl. v. 30. Oktober 2008, V ZB 41/08, aaO). Die Berücksichtigung des Verzichts scheitert hier entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht daran, dass der Verzicht in dem Protokoll nur festgestellt, nicht aber auch nach Maßgabe von § 162 Abs. 1 ZPO vorgelesen und genehmigt worden ist. Dieses Erfordernis gilt nämlich für den Verzicht nach § 63 Abs. 4 ZVG nicht.

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aa) Einigkeit besteht allerdings darüber, dass für die Erstellung des Protokolls über den Versteigerungstermin neben § 78 ZVG die Vorschriften der §§ 159 bis 165 ZPO entsprechend anzuwenden sind (Jäckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 78 Anm. 2; Hintzen in: Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, aaO, § 78 Rdn. 1). Das gilt auch für § 162 ZPO (Jäckel/Güthe, aaO, § 78 Anm. 3 bei Buchstabe n).

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bb) Der Verzicht auf Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG gehört aber nicht zu den Erklärungen, die nach § 162 Abs. 1 ZPO in der Form des Vorlesens und Genehmigens zu protokollieren sind. Das trifft nach § 162 Abs. 1 ZPO, soweit hier relevant, nur für das Geständnis, die Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung und sonstige Erklärungen zu, deren Feststellung vorgeschrieben ist. Zu diesen Erklärungen gehört der Verzicht nicht. Er ist zwar zu protokollieren (Senat, Beschl. v. 30. Oktober 2008, V ZB 41/08, aaO). Das ergibt sich aber, anders als etwa bei der Erklärung über das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 389 Abs. 1 ZPO, nicht aus einer Vorschrift, die die Protokollierung besonders anordnet. Die Pflicht zur Protokollierung folgt vielmehr daraus, dass der Verzicht nach § 63 Abs. 4 ZVG für die Entscheidung über den Zuschlag bedeutsam und deshalb nach § 78 ZVG ähnlich wie ein wesentlicher Vorgang im Sinne des § 160 Abs. 2 ZPO zu protokollieren ist. Das hat aber wie bei anderen für die Entscheidung über den Zuschlag bedeutsamen Vorgängen nicht zur Folge, dass die Form des § 162 Abs. 1 ZPO einzuhalten wäre. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, die Erklärung im Protokoll festzustellen. Das ist hier geschehen.

14

3. Das Vollstreckungsgericht hat nicht gegen § 83 Nr. 6 i.V.m. § 87 Abs. 1 ZVG verstoßen, indem es über den Zuschlag sofort im Versteigerungstermin entschieden und davon abgesehen hat, einen besonderen Verkündungstermin zu bestimmen.

15

a) Bei der Ausübung des Ermessens bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Entscheidung über den Zuschlag nach § 87 Abs. 1 ZVG hat das Vollstreckungsgericht dem Eigentumsschutz des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. Denn dieser erfordert nicht nur eine entsprechende Ausgestaltung des materiellen Vermögensrechts, sondern auch eine entsprechende Ausgestaltung des Zwangsversteigerungsverfahrens (BGH, Beschl. v. 5. November 2004, IXa ZB 27/04, WM 2005, 136, 138). Das bedeutet aber nicht, dass von einer sofortigen Entscheidung über den Zuschlag im Versteigerungstermin immer dann abzusehen wäre, wenn der Schuldner im Termin nicht persönlich anwesend ist (BGH, Beschl. v. 30. Januar 2004, IXa ZB 196/03, MDR 2004, 774, 775; Beschl. v. 5. November 2004, aaO). Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine Verschiebung der Entscheidung über den Zuschlag geboten erscheinen lassen, um dem Eigentumsschutz gerecht zu werden. Solche Umstände liegen hier nicht vor.

16

b) Die Schuldner waren beim Versteigerungstermin nicht persönlich anwesend. Sie waren aber durch eine Familienangehörige, die mit ihnen zusammen lebt, nämlich die Mutter des Beteiligten zu 1 und Ehefrau des Beteiligten zu 2, vertreten. Es war deshalb gewährleistet, dass sie unverzüglich über das Ergebnis der Versteigerung unterrichtet wurden. Auch war eine Verschleuderung nicht zu befürchten. Das Meistgebot blieb zwar hinter dem Verkehrswert zurück. Es überstieg aber die 5/10-Grenze des § 85a ZVG deutlich, so dass eine Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kam. Die Schuldner haben auch keine besondere Verwertungsmöglichkeit, sondern nur geltend gemacht, sie wollten eine Umschuldung versuchen, um eine Versteigerung zu vermeiden. Hierzu haben sie die Erklärung eines Finanzierungsunternehmens vorgelegt, derzufolge das Unternehmen kurzfristig mit der Prüfung einer Umschuldung beauftragt worden war und diese Prüfung in der Kürze der bis zum Termin zur Verfügung stehenden Zeit nicht habe abschließen können. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, weshalb sie diese Prüfung erst kurz vor dem Versteigerungstermin veranlasst haben, hatten die Schuldner nicht gegeben. Sie hatten auch keinerlei Angaben dazu gemacht, dass und aus welchen Gründen eine Umschuldung ihnen jetzt gelingen könnte. Es drängte sich für das Vollstreckungsgericht der Eindruck auf, dass es den Schuldnern lediglich darum ging, Zeit zu gewinnen. Eine Verschiebung der Entscheidung über den Zuschlag war jedenfalls nicht veranlasst.

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4. Unzutreffend ist allerdings die Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts. Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren über eine Zuschlagsbeschwerde nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten hier grundsätzlich nicht als Partei im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (Senat, BGHZ 170, 378, 381). Das gilt auch für das Beschwerdeverfahren (Senat, Beschl. v. 18. März 2010, V ZB 124/09, juris Rn. 29). Sie war deshalb unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen aufzuheben.

18

5. Mit der Zurückweisung der Rechtsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

19

Aus dem vorgenannten Grund ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich für die Gerichtskosten gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach dem Wert des Zuschlags. Dieser wiederum entspricht nach § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG dem Meistgebot der Ersteher. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beteiligten zu 1 bemisst sich gemäß § 26 Nr. 2 RVG nach dem Wert des Gegenstandes der Zwangsversteigerung. Dieser entspricht hier der Hälfte des festgesetzten Verkehrswerts von 300.000 € für die versteigerten Grundstücke, weil nur der Beteiligte zu 1 Rechtsmittel eingelegt hat.

Krüger                                  Lemke                           Schmidt-Räntsch

                   Stresemann                            Czub