Entscheidungsdatum: 01.03.2012
1. Mit der förmlichen Asylantragstellung entsteht die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch dann, wenn der Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Sie erlischt unter den weiteren Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Nr. 5 oder Nr. 6 AsylVfG erst mit der Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag.
2. Liegen im Zeitpunkt der Asylantragstellung die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Haft nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG nicht vor, ist eine Fortdauer der Sicherungshaft rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit der Haft kann nicht dadurch beseitigt werden, dass das Beschwerdegericht nachträglich den Haftgrund austauscht.
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W. beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 21. Mai 2011 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 17. Juni 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Rheinland-Pfalz zu 10 % und dem Landkreis Bad Kreuznach zu 90 % auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene ist tunesischer Staatsangehöriger. Er reiste im März 2011 mit Hilfe von Schleusern nach Italien ein, hielt sich anschließend in Frankreich auf, reiste ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland und wurde am 19. Mai 2011 nach Frankreich zurückgeschoben. Einen Tag später reiste er erneut in die Bundesrepublik ein.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. Mai 2011 - gestützt auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF - gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Zurückschiebung für die Dauer von sechs Wochen angeordnet. Das weitere Verfahren wurde von der Beteiligten zu 3 geführt. Während des gegen die Haftanordnung gerichteten Beschwerdeverfahrens stellte der Betroffene einen Asylantrag, der am 25. Mai 2011 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einging. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 17. Juni 2011 zurückgewiesen. Am 26. September 2011 wurde der Betroffene nach Italien überstellt.
Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass er durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden ist. Für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragt er Verfahrenskostenhilfe.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lässt der gestellte Asylantrag den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF nicht entfallen; denn es stehe fest, dass in Deutschland kein Asylverfahren durchgeführt werde, da nach der Dublin II-Verordnung Italien für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Es liege außerdem der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 aF vor. Dem Beschwerdegericht sei es nicht verwehrt, seine Entscheidung auch auf einen von dem Amtsgericht nicht geprüften Haftgrund zu stützen.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sowohl die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht als auch ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
1. Das Amtsgericht durfte die Haft nicht anordnen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung oder Zurückschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Die Begründung des Haftantrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Die Darlegungen müssen die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, Rn. 9, juris).
b) Diesen gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt der Haftantrag nicht. Die in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 FamFG geforderten Darlegungen zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer und zu der Durchführbarkeit der Zurückschiebung innerhalb dieser Haftdauer fehlen. In dem offensichtlich für eine Vielzahl von Fällen vorbereiteten Standardvordruck, der nur die Möglichkeit des Ankreuzens vorformulierter Angaben vorsieht, heißt es in Form eines Textbausteines, es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Abschiebung innerhalb der Haftdauer möglich sein werde. Diese universell einsetzbare Leerformel besagt nichts über den konkreten Fall. Es wird weder das Land bezeichnet, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, noch enthält der Haftantrag Angaben darüber, innerhalb welchen Zeitraums Zurückschiebungen in das von der Behörde vorgesehene Land üblicherweise möglich sind (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 - V ZB 264/10, InfAuslR 2011, 398, 399). Ebenso wenig wird dargelegt, weshalb der beantragte Haftzeitraum für die Vorbereitung der Zurückschiebung erforderlich war.
c) Durch die ergänzenden Angaben der Beteiligten zu 3 anlässlich der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht konnte der Verstoß gegen den Begründungszwang nicht rückwirkend geheilt werden, weil es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG erfordert (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 140/11 Rn. 7, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211).
2. Auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzt den Betroffenen in seinen Rechten. Der von ihm während des Beschwerdeverfahrens gestellte Asylantrag führte zu einem der Haft entgegenstehenden Hindernis.
a) Mit der Stellung des Asylantrages bei dem zuständigen Bundesamt hat der Betroffene die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1, 3 AsylVfG erworben. Damit entfiel seine Ausreisepflicht, die Tatbestandsvoraussetzung für die Sicherungshaft ist (HK-AuslR/Wolff, § 14 AsylVfG Rn. 7). Dem steht nicht entgegen, dass nach den Regelungen der Dublin II-Verordnung nicht Deutschland, sondern ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
aa) § 55 Abs. 1 Satz 1, 3 AsylVfG macht die Entstehung des gesetzlichen Aufenthaltsrechts nicht von weiteren Voraussetzungen als der förmlichen Asylantragstellung abhängig. Dies gilt auch, wenn ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig ist, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Denn auch in den Fällen des § 27a AsylVfG ist eine Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag erforderlich (§ 31 Abs. 1 Satz 4, Abs. 6 AsylVfG). Erst dessen Entscheidung führt unter den weiteren Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Nr. 5 oder Nr. 6 AsylVfG zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung (vgl. OLG Schleswig, OLGR 2005, 586, 587; LG Saarbrücken, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 5 T 468/08 Rn. 27, juris; Bergmann in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 55 AsylVfG Rn. 8; Hailbronner, AuslR, Stand 1998, § 55 AsylVfG Rn 18).
bb) Auch der Formulierung in § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, wonach der Aufenthalt "zur Durchführung des Asylverfahrens" gestattet wird, lässt sich nicht die Einschränkung entnehmen, dass ein Aufenthaltsrecht erst im Falle einer positiven Zuständigkeitsentscheidung des Bundesamtes und der sich anschließenden eigentlichen Durchführung des Asylverfahrens entsteht. Zwar liegt während des Stadiums der Prüfung, ob ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, noch keine Prüfung des Asylantrags im Sinne der Vorschriften der Dublin II-Verordnung vor (Filzwieser/Sprung, 3. Aufl., Art. 2 Dublin II-Verordnung Anm. K 10). Diese Differenzierung ist jedoch vor allem für die Entstehung der in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung bestimmten Verpflichtungen eines Mitgliedstaates maßgeblich. Für die Frage einer Aufenthaltsgestattung nach nationalem Recht hat sie hingegen keine Bedeutung. Daher ist dem Asylantragsteller auch für die Phase der Zuständigkeitsprüfung durch das Bundesamt der Aufenthalt nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet (vgl. OLG Schleswig, OLGR 2005, 586, 587; LG Saarbrücken, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 5 T 468/08 Rn. 27, juris; LG Göttingen, InfAuslR 1995, 327, 328; Bergmann in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 55 AsylVfG Rn. 8; Hailbronner, AuslR, Stand 1998, § 55 AsylVfG Rn. 19; aA AG Freiberg, Beschluss vom 25. Januar 2005 - XIV B 00039, juris Rn. 27).
b) Wird allerdings ein Asylantrag aus der Abschiebungshaft heraus gestellt, steht die Asylantragstellung in den Fällen des § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Aufrechterhaltung der Haft nicht entgegen. Die Voraussetzungen dieser Norm sind hier aber nicht erfüllt.
aa) § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG aF greift nicht ein. Diese Vorschrift ermöglicht die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft trotz Asylantragstellung, wenn sich der Ausländer in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF befindet, weil er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat. So verhält es sich hier indes nicht. Der Betroffene hat sich vor der Antragstellung nicht mehr als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten.
bb) Die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft war auch nicht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG aF begründet. Danach steht die Asylantragstellung der Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen, wenn sich der Ausländer in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a bis 5 AufenthG aF befindet. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei Stellung des Asylantrages befand sich der Betroffene in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF.
Zwar hat das Beschwerdegericht - wie von der Beteiligten zu 3 nachträglich beantragt - die Sicherungshaft auch mit dem Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF begründet. Dies ist grundsätzlich zulässig, weil das Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts tritt (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, Rn. 7, 10, juris). Hiervon zu trennen ist jedoch die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG aF vorliegen müssen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes folgt, dass dies der Zeitpunkt der förmlichen Asylantragstellung ist. Liegen daher bei Stellung des Asylantrages die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Haft nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG - wie im vorliegenden Fall - nicht vor, ist der Betroffene aus der Haft zu entlassen; eine Fortdauer der Sicherungshaft ist rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit der Haft kann nicht dadurch beseitigt werden, dass das Beschwerdegericht eine andere Begründung nachschiebt. Denn für die Frage der Aufrechterhaltung der Sicherungshaft trotz einer Asylantragstellung kommt es nicht darauf an, auf welchen Haftgrund die Haftanordnung hätte gestützt werden können, sondern auf welchen Haftgrund sie tatsächlich gestützt worden ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. April 2009 - 20 W 129/09, S. 4, veröffentlicht unter www.asyl.net; LG Saarbrücken, Beschluss vom 6. Dezember 2010, 5 T 514/10 Rn. 27, juris).
c) Schließlich durfte die Abschiebungshaft auch nicht nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG, auf dessen Regelungsgedanken sich das Beschwerdegericht stützt, aufrechterhalten werden. Diese Norm kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG erfüllt sind. Das ist - wie ausgeführt - nicht der Fall.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land Rheinland-Pfalz und den Landkreis Bad Kreuznach entsprechend der Beteiligung ihrer Behörden zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland