Entscheidungsdatum: 11.01.2018
§ 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG, wonach die richterliche Anordnung des Aufenthalts im Transitbereich eines Flughafens nur zulässig ist, wenn die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist, stellt keine strengeren Anforderungen an die erforderliche Prognose als § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG an die entsprechende Prognose bei der Abschiebungshaft.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene kam am 23. August 2016 auf dem Luftweg aus Moskau auf dem Flughafen Frankfurt am Main an und äußerte im Transitbereich ein Schutzersuchen. Identitätspapiere führte er nicht bei sich. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 31. August 2016 als offensichtlich unbegründet ab, und dem Betroffenen wurde die Einreise verweigert (§ 18a Abs. 3 AsylG). Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb erfolglos. Am 14. September 2016 ordnete das Amtsgericht den vorläufigen Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des Flughafens Frankfurt am Main bis zum 26. Oktober 2016 an.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24. Oktober 2016 die Unterbringung des Betroffenen zur Sicherung der Ausreise bis einschließlich 7. Dezember 2016 verlängert. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 15. November 2016 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene, dem am 2. Dezember 2016 die Einreise gestattet worden ist, mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Beschwerdegericht hält die Verlängerung des Transitaufenthalts für rechtmäßig. Unabhängig von der Frage, ob im Rahmen der Zurückweisungshaft gemäß § 15 Abs. 6 AufenthG die Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG anwendbar sei, stehe die voraussichtliche Haftdauer der Anordnung der Zurückweisungshaft nicht entgegen. Die Behörde habe konkret ausgeführt, dass nach der Dokumentation der bundesweiten Zentrale Ausländerinformationsportal (ZAIPort) eine Passbeschaffung innerhalb von zehn Wochen möglich sei. Die Mitteilung des ägyptischen Generalkonsulats gegenüber der beteiligten Behörde vom 21. Oktober 2016, dass es keinen festgelegten Zeitraum für die Dauer des Verfahrens gebe, welches möglicherweise mehrere Monate in Anspruch nehmen könne, stehe dazu nicht in einem erkennbaren Widerspruch. Auch nach diesem Schreiben seien eine erfolgreiche Passbeschaffung und die anschließende Zurückweisung des Betroffenen innerhalb von drei Monaten nicht ausgeschlossen. Die beteiligte Behörde betreibe dessen Rückführung mit der gebotenen Beschleunigung.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist analog § 62 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rn. 7 ff.). Der richterlich angeordnete Aufenthalt eines Ausländers steht nach § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG einer Freiheitsentziehung im Sinne von § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG jedenfalls dann gleich, wenn die richterliche Anordnung - wie hier - über den in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Zeitraum von 30 Tagen hinausreicht (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 275/10, FGPrax 2011 Rn. 5; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 90/13, Asylmagazin 2014, 57 Rn. 6; Beschluss vom 16. März 2017 - V ZB 170/16, FGPrax 2017, 136 Rn. 6 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Verlängerung des Aufenthalts des Betroffenen im Transitbereich des Flughafens bis zum 7. Dezember 2016 ist nicht zu beanstanden.
a) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, stellt § 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG, wonach die richterliche Anordnung des Aufenthalts im Transitbereich eines Flughafens nur zulässig ist, wenn die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist, keine strengeren Anforderungen an die erforderliche Prognose als § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG an die entsprechende Prognose bei der Abschiebungshaft.
§ 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, wonach die Abschiebungshaft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, regelt nur die sog. Prognose, also die Prüfung, ob die Abschiebung innerhalb des Haftzeitraums möglich sein wird (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 11. Mai 2011 - V ZB 265/10, FGPrax 2011, 201 Rn. 9 [zu § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF]). Daneben muss der Haftrichter aber berücksichtigen, dass die Haft zur Sicherung der Abschiebung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist; vor diesem Hintergrund hat er auch zu prüfen, wie schnell die Abschiebung bei Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes erfolgen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 18).
Die Vorschrift des § 15 Abs. 6 AufenthG regelt die Anordnung des weiteren Transitaufenthalts seit der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, 1970) hingegen eigenständig. Sie verweist in Satz 5 über § 15 Abs. 5 Satz 2 nur auf § 62 Abs. 4 AufenthG und bestimmt damit die Höchstfrist von sechs bzw. 18 Monaten. Nicht Bezug genommen wird auf § 62 Abs. 1 und 3 AufenthG. Die Notwendigkeit einer Prognose im dargestellten Sinn und der auch für den Transitaufenthalt geltende Grundsatz, dass die Haft auf die kürzest mögliche Zeit zu beschränken ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, InfAuslR 2011, 450 Rn. 23; Beschluss vom 7. Juli 2011 - V ZB 116/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 90/13, Asylmagazin 2014, 57 Rn. 6), werden vielmehr in § 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG zusammengefasst. Hieraus erklärt sich die gegenüber § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG abweichende Formulierung; strengere Anforderungen an die bei einem Transitaufenthalt anzustellende Prognose sind damit nicht verbunden.
b) Die angefochtene Entscheidung wird den sich aus § 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG ergebenden Anforderungen hinsichtlich der Prognose und der erforderlichen Haftdauer gerecht.
aa) Das Beschwerdegericht prüft, welcher Zeitraum für die Beschaffung der Rückreisedokumente des Betroffenen erforderlich ist. Es stützt sich auf die Angaben, die die Behörde zu der voraussichtlichen Dauer der Passbeschaffung aufgrund der ihr bekannten Referenzfälle gemacht hat. Die Behörde hat dargelegt, dass nach der Dokumentation des Zentralen Ausländerinformationsportals (ZAIPort) für Ägypten im Zeitraum vom 1. September 2015 bis 31. August 2016 innerhalb von zehn Wochen sechs Passersatzbeschaffungen mit und eine Zusage ohne Vorliegen von Sachbeweisen erfolgt sind. Sie hat zudem auf einen weiteren Referenzfall verwiesen, der eine erfolgreiche Passbeschaffung belegt.
bb) Die Angaben der Behörde waren eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Prognoseentscheidung des Beschwerdegerichts, dass die Zurückweisung des Betroffenen innerhalb des Anordnungszeitrums zu erwarten war. Etwas anderes folgt nicht aus der Antwort des ägyptischen Generalkonsulats vom 21. Oktober 2016 gegenüber der Behörde auf deren Frage nach dem für die Beschaffung des Passersatzes zu veranschlagenden Zeitraum. Zwar ist dann, wenn die ausländische Stelle, die die Rückreisedokumente zu erteilen hat, auf Nachfrage eine Auskunft über den dafür zu veranschlagenden Zeitraum erteilt, grundsätzlich diese der Prognoseentscheidung zu Grunde zu legen. Die Recherche in Portalen und die Angabe von Referenzfällen sind nämlich nur ein Hilfsmittel, auf das die an dem Freiheitsentziehungsverfahren beteiligte Behörde zurückgreifen kann, um die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung und die Durchführbarkeit der Abschiebung, der Rücküberstellung oder der Rückreise einzuschätzen und darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2016 - V ZB 143/14, FGPrax 2016, 277 Rn. 7). Kann die ausländische Stelle, die die Rückreisedokumente zu erteilen hat, auf konkrete Nachfrage aber den für die Beschaffung der Papiere zu veranschlagenden Zeitraum nicht festlegen, kann das Haftgericht seine Prognose, dass die Zurückweisung innerhalb der Anordnungszeit zu erwarten ist, auf die von der Behörde in Portalen recherchierten und bezeichneten Referenzfälle stützen, es sei denn, es besteht Anlass für weitere Ermittlungen nach § 26 FamFG.
Letzteres ist hier nicht der Fall. Das ägyptische Generalkonsulat hat nur mitgeteilt, es gebe keinen festgelegten Zeitraum für die Dauer des Verfahrens, welches möglicherweise mehrere Monate in Anspruch nehmen könne. Diese Auskunft steht nicht in Widerspruch zu dem Rechercheergebnis der Behörde. Sie hinderte das Beschwerdegericht nicht anzunehmen, dass bei realistischer Betrachtungsweise eine Zurückweisung des Betroffenen innerhalb des angeordneten Haftzeitraums von insgesamt drei Monaten zu erwarten war, zumal die Nummer des Reisepasses des Betroffenen bekannt und das Überprüfungsverfahren für die Beschaffung des Passersatzes eingeleitet worden war.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann |
RinBGH Prof. Dr. Schmidt-Räntsch |
Kazele |
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Die Vorsitzende |
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Haberkamp |
Hamdorf |