Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.03.2010


BGH 11.03.2010 - V ZB 175/09

Zwangsversteigerung: Vorrangige Befriedigung von Säumniszuschlägen auf Beitragsrückstände der Gemeinde


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.03.2010
Aktenzeichen:
V ZB 175/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Bonn, 6. Oktober 2009, Az: 6 T 103/09, Beschlussvorgehend AG Waldbröl, 27. März 2009, Az: 2 K 28/09, Beschluss
Zitierte Gesetze
§ 12 Abs 1 Nr 5 Buchst b KAG NW
§ 12 Abs 3 KAG NW

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 6. Oktober 2009 aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Waldbröl vom 27. März 2009 abgeändert, soweit zum Nachteil der Gläubigerin entschieden worden ist.

An die Stelle der Anordnung der Zwangsversteigerung des im Rubrum bezeichneten Grundstücks wegen eines persönlichen Anspruchs in Rangklasse 5 tritt die Anordnung der Zwangsversteigerung wegen eines weiteren dinglichen Anspruchs der Gläubigerin auf Säumniszuschläge zu dem Kanalanschlussbeitrag, berechnet bis zum 14.04.2009 in Höhe von 556,00 €, zuzüglich weiterer Säumniszuschläge ab 15.04.2009 i.H.v. 1% von 400,00 € und eines weiteren dinglichen Anspruchs der Gläubigerin auf Säumniszuschläge zu dem Wasseranschlussbeitrag berechnet bis zum 16.04.2009 in Höhe von 88,00 €, zuzüglich weiterer Säumniszuschläge ab 17.04.2009 i.H.v. 1% von 400,00 € (Wasseranschlussbeitrag) in der Rangklasse 3.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 644 €.

Gründe

I.

1

Der Schuldner ist Eigentümer des im Rubrum bezeichneten Grundstücks. Die Gläubigerin, die Gemeinde, in der das Grundstück belegen ist, hat die Zwangsversteigerung des Grundstücks wegen eines dinglichen Anspruchs auf Kanal- und Wasseranschlussbeiträge, Stundungszinsen und Säumniszuschlägen hierauf in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG beantragt. Das Amtsgericht hat dem Antrag wegen der Beiträge und der Stundungszinsen stattgegeben, wegen der von der Gläubigerin mit demselben Rang geltend gemachten Säumniszuschläge jedoch nur wegen persönlicher Ansprüche in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Gläubigerin die Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks auch wegen der Säumniszuschläge in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht habe die Zwangsversteigerung wegen der von dem Schuldner verlangten Säumniszuschläge zutreffend nur in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG angeordnet. Zu der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gehörten nur Geldleistungen, die auf dem Grundstück des Schuldners als dingliche Last ruhten. Daran fehle es bei den Säumniszuschlägen. Durch diese Zuschläge solle Druck auf den Eigentümer ausgeübt werden, seine Beitragsschuld zu erfüllen. Eine Haftung des Grundstücks hierfür sei Art. 1 Nr. 2 NRW-AGZVG, § 240 AO, § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst b, Abs. 3 NRW-KAG nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu entnehmen.

III.

3

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

Die von der Gläubigerin geltend gemachten Säumniszuschläge sind innerhalb der zeitlichen Grenze von zwei Jahren der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zuzuordnen. Das hat der Senat, ohne auf die Frage näher einzugehen, im Beschluss vom 24. Januar 2008, V ZB 118/07, NJW 2008, 1445, 1446 Rdn. 9, ausgesprochen. Hieran ist festzuhalten.

5

Die Frage, ob den wegen ausstehender Beitragsschulden zu zahlenden Säumniszuschlägen in der Zwangsversteigerung das Vorrecht des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zukommt, wird in der juristischen Literatur unterschiedlich beantwortet (bejahend Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 10 Rdn. 6.16; Böttcher, ZVG, 4. Aufl., § 10 Rdn. 37; Hintzen in Hintzen/Wolf, Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung 2006 Rdn. 11.99; Steiner/Hagemann, ZVG, 9. Aufl., § 10 Rdn. 90; verneinend Rellermeyer in Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 10 Rdn. 44; Drischler, Rpfleger 1984, 340, 341; Gaßner, RpflegerJB 1989, 224, 229 f; Sievers, Rpfleger 2006, 522, 523). Erstere Ansicht überzeugt.

6

1. Die Hauptforderungen, derentwegen die Gläubigerin die Zwangsversteigerung des Grundstücks betreibt, gehören zu der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG. Nach dieser Vorschrift sind Ansprüche auf die Entrichtung der öffentlichen Lasten eines Grundstücks wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge vorrangig zu befriedigen. Da § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG den Begriff der öffentlichen Grundstückslast nicht näher definiert, ist für die Beurteilung, ob einer Abgabenverpflichtung diese Eigenschaft innewohnt, auf ihre Rechtsgrundlage abzustellen (BGH, Urt. v. 30. Juni 1988, IX ZR 141/87, NJW 1989, 107, 108). Dabei muss aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit aus der gesetzlichen Regelung eindeutig hervorgehen, dass die Abgabenverpflichtung auf dem Grundstück lastet und dass mithin nicht nur eine persönliche Haftung des Abgabenschuldners, sondern auch eine dingliche Haftung des Grundstücks besteht (Senat, Urt. v. 22. Mai 1981, V ZR 69/80, WM 1981, 910, 911).

7

a) So verhält es sich nicht nur mit Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung öffentlicher leitungsgebundener Einrichtungen und den Anschluss an diese. Die insoweit verfolgten Beitragsforderungen finden ihre Rechtsgrundlage in den Gebührenbescheiden der Gläubigerin, die auf deren einschlägigen Satzungen beruhen. Diese gehen auf §§ 8, 10 NRW-KAG zurück. Nach § 8 Abs. 9 NRW-KAG ruhen die seitens der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen von den Grundstückseigentümern für die Schaffung und den Anschluss von deren Grundstücken an das öffentliche Leitungsnetz geschuldeten Beiträge als öffentliche Last auf dem Grundstück. Der Last kommt das in § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bestimmte Vorrecht zugute.

8

b) Das Vorrecht wird durch § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz ZVG auf wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge oder Rentenleistungen erstreckt. Zu diesen gehören die gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b, Abs. 3 NRW-KAG von der Gläubigerin verlangten Säumniszuschläge. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

9

§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sah in seiner ursprünglichen Fassung vom 20. Mai 1898 (RGBl. I S. 713) einen Vorrang nur für Ansprüche auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks wegen der laufenden und der aus den letzten zwei Jahren rückständigen Beträge vor. Durch die Verordnung über die Behandlung wiederkehrender Leistungen bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen vom 31. März 1936 (RGBl. I S. 363) wurde der Vorrang auf wiederkehrende Leistungen erstreckt, die zur allmählichen Tilgung der Hauptschuld als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichten sind. Das Gesetz über die Zahlung und Sicherung von Anliegerbeiträgen vom 30. September 1936 (RGBl. I S. 854) stellte durch § 2 sodann Rentenleistungen in der Zwangsversteigerung wiederkehrenden Leistungen gleich. Durch die Verordnung über das Rangverhältnis der öffentlichen Grundstückslasten bei der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von Grundstücken vom 4. April 1938 (RGBl. I S. 364) wurde schließlich den öffentlichen Grundstückslasten, gleichviel ob sie auf Reichs- oder Landesrecht beruhten, derselbe Rang gewährt.

10

Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 20. August 1953 (BGBl. I S. 952, 959) in § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG eingegliedert (BT-Drucks. 3/3668 S. 13 f). Über die zitierten Regelungen hinaus statuiert der im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens weitergehend geänderte § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG das Vorrecht für wiederkehrende Leistungen wie Zinsen und Zuschläge (BGH, Urt. v. 19. November 2009, IX ZR 24/09, BWGZ 2010, 165). Die Bestimmung entspricht durch die Einbeziehung von Zuschlägen inhaltlich § 5 des Steuersäumnisgesetzes vom 24. Dezember 1934 (RGBl. I S. 1271), durch den das einem Steuerbetrag in der Zwangsvollstreckung zukommende Vorrecht auf Säumniszuschläge ausgedehnt wurde.

11

2. Dem steht nicht entgegen, dass Säumniszuschläge für sich genommen keine Grundstückslast bedeuten, sondern ein Druckmittel eigener Art bilden, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (BFHE 110, 318, 321). Daraus folgt nicht, dass Zuschläge von dem Vorrang des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ausgenommen wären. Denn die Vorschrift stattet nach ihrem Wortlaut in Anlehnung an das Steuersäumnisgesetz vom 24. Dezember 1934 neben der auf dem Grundstück lastenden Hauptforderung Nebenleistungen in Gestalt eines Zuschlags ausdrücklich mit dem Vorrang aus (BGH, Urt. v. 19. November 2009, IX ZR 24/09, aaO; ferner LG Ansbach Rpfleger 1999, 141).

12

Dem Bundesgesetzgeber steht es frei zu bestimmen, welche öffentlichen Forderungen Vorzug genießen sollen und in diesem Rahmen Nebenleistungen in der Zwangsversteigerung denselben Rang wie die Hauptleistung zuzuweisen (vgl. Gaßner, aaO, S. 227). Von dieser Befugnis hat er bei der Ausgestaltung von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG hinsichtlich Zuschlägen Gebrauch gemacht und diese generalisierend der Hauptforderung gleich gesetzt. Im Unterschied zu der früheren, das Konkursvorrecht auf die Abgabenforderung ohne Zuschläge beschränkenden Regelung von § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO (vgl. BFH ZIP 1983, 840, 841) erstreckt § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG den Vorrang der Hauptforderung nach seinem ausdrücklichen Wortlaut auf Zuschläge aller Art. Das ermöglicht es wiederum, davon abzusehen, in den jeweils einschlägigen Bundes- und Landesgesetzen Nebenleistungen wie Zuschläge ausdrücklich als öffentliche Last zu qualifizieren (BGH, Urt. v. 19. November 2009, IX ZR 24/09, aaO).

IV.

13

Für eine Kostenentscheidung besteht in Zwangsversteigerungssachen grundsätzlich kein Anlass (st. Rechtspr., vgl. Senat, Beschl. v. 21. September 2006, V ZB 76/06, WM 2006, 2266, 2267; Beschl. v. 21. Februar 2008, V ZB 123/07, NJW 2008, 1383, 1384).

Krüger                               Klein                               Schmidt-Räntsch

                  Stresemann                          Czub