Entscheidungsdatum: 29.09.2011
Fehlen in einem zulässigen Haftantrag die objektiv erforderlichen Angaben zu dem Einvernehmen der Strafverfolgungsbehörden mit der Abschiebung, kann die zunächst rechtswidrige Haft durch die spätere Erteilung des Einvernehmens erst dann rechtmäßig werden, wenn dem Betroffenen insoweit rechtliches Gehör gewährt wird .
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 7. April 2011 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen geändert. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt/Oder vom 8. März 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat und seine Inhaftierung in Abschiebungshaft in der Zeit vom 8. März 2011 bis zum 7. April 2011 rechtswidrig war.
Die dem Betroffenen in allen Instanzen entstandenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen werden zu 40 % dem Landkreis U. auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3000 €.
I.
Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 1. November 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein und war nach einem erfolglosen Asylverfahren ausreisepflichtig. Am 8. März 2011 wurde er von Polen nach Deutschland rücküberstellt. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde bis längstens 8. Juni 2011 die Haft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht nach seiner Anhörung am 7. April 2011 mit Beschluss vom gleichen Tag zurückgewiesen. Der Senat hat den Antrag des Betroffenen auf Aussetzung des Vollzugs der Sicherungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung zurückgewiesen (Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris). Mit der Rechtsbeschwerde begehrt er nach seiner Abschiebung am 16. Mai 2011 die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung.
II.
Das Beschwerdegericht nimmt die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG an und meint, wegen des inzwischen erteilten Einvernehmens der ermittelnden Strafverfolgungsbehörden sei ein Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht gegeben.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nur teilweise begründet. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde insoweit zu Unrecht zurückgewiesen, als die Haftanordnung und die auf ihr beruhende Inhaftierung bis zu seiner Entscheidung rechtswidrig waren.
1. Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Fehlen in dem Haftantrag was von Amts wegen zu prüfen ist Ausführungen zu dem Einvernehmen, obwohl sich aus ihm selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, ist der Antrag unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9; Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 8 ff.). Im Übrigen ist die Verletzung von § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf entsprechende Rüge zu berücksichtigen. Dabei ist es für die Verletzung der genannten Rechtsnorm unerheblich, ob schon der Haftrichter Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Prüfung hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde pflichtwidrig unterlassen hat, in dem Haftantrag auf das schwebende Ermittlungsverfahren hinzuweisen und was in einem solchen Fall ebenfalls erforderlich gewesen wäre die Erteilung des Einvernehmens in dem Antrag darzulegen. Da das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft eine essentielle Haftvoraussetzung darstellt, kommt es insoweit allein auf die objektive Rechtslage an (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 189/10, FGPrax 2011, 202 Rn. 5). Wird das Einvernehmen erst nach der Haftanordnung erteilt, muss dem Betroffenen auch zu dieser Haftvoraussetzung gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör gewährt werden. Aus diesem Grund kann die zunächst rechtswidrige Haft nicht bereits von der objektiven Erteilung des Einvernehmens an rechtmäßig werden, sondern erst dann, wenn der Betroffene dazu Stellung nehmen kann.
2. Gemessen daran, war der Haftantrag was der Senat in der Entscheidung über die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungshaft noch offen gelassen hat zulässig. Weder aus ihm noch aus den beigefügten Unterlagen ergab sich, dass gegen den Betroffenen strafrechtliche Ermittlungsverfahren anhängig waren. Allerdings hat das Amtsgericht den Betroffenen dem Anhörungsprotokoll zufolge darüber belehrt, dass ein Aussageverweigerungsrecht nur Angaben umfasse, "die das gegen ihn anhängige Strafverfahren betreffen". Daraus könnte möglicherweise zu folgern sein, dass das Amtsgericht auf anderem Wege Kenntnis von den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Betroffenen erlangt hatte. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, wurde dadurch aber nicht der in sich schlüssige Antrag der Beteiligten zu 2 unzulässig, sondern das Amtsgericht hätte die Erteilung des Einvernehmens gemäß § 26 FamFG aufklären und den Antrag gegebenenfalls zurückweisen müssen. Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Einvernehmen mehrerer Strafverfolgungsbehörden tatsächlich erforderlich war und entgegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht vorlag. Die Staatsanwaltschaft Dresden und das Hauptzollamt Berlin haben ihr Einvernehmen erst nach der Inhaftierung am 11. März 2011 schriftlich erteilt. Von Seiten der Staatsanwaltschaft Berlin ist es den Angaben zufolge, die der Vertreter der Beteiligten zu 2 in der mündlichen Anhörung gemacht hat, am 15. März 2011 erteilt worden. Damit lagen die objektiven Haftvoraussetzungen erst von diesem Tag an vor.
3. Die zunächst rechtswidrige Haft ist in der Beschwerdeinstanz rechtmäßig geworden, weil das Beschwerdegericht dem Betroffenen ausweislich des Anhörungsprotokolls insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Landkreis U. , dem die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den das Rechtsmittel Erfolg hat. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger Stresemann Czub
Brückner Weinland