Entscheidungsdatum: 12.05.2011
Für die Verletzung der Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist es unerheblich, ob der Haftrichter Anhaltspunkte für die Prüfung der Normvoraussetzungen hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde pflichtwidrig unterlassen hat, in dem Haftantrag auf ein schwebendes Ermittlungsverfahren hinzuweisen .
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. A. bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Fürth vom 19. März 2010 und des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. Juni 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zweckentsprechenden notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Beteiligten zu 2 auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene, ein türkischer Staatsbürger, reiste erstmals im Jahre 2006 in die Bundesrepublik Deutschland ein, verließ das Land jedoch nach erfolgloser Stellung eines Asylantrags freiwillig. Im Jahr 2009 reiste er erneut ohne Aufenthaltstitel in die Bundesrepublik ein und stellte zwei Tage später einen Asylfolgeantrag. Die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens wurde durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen die Abschiebung blieb erfolglos. Seitdem betreibt der Beteiligte zu 2 die Abschiebung des Betroffenen. Nachdem eine freiwillige Ausreise gescheitert und der Betroffene zunächst nicht mehr auffindbar war, meldete er sich am 19. März 2010 bei einer Polizeiinspektion. Dort wurde ihm eine Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zur Last gelegt, worauf er die Aussage verweigerte.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. März 2010 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 18. Juni 2010 angeordnet. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht nach Beiziehung der Ausländerakte, aus der die Vernehmung des Betroffenen als Beschuldigtem ersichtlich ist, zurückgewiesen. Aus einem Aktenvermerk des Landgerichts vom 14. Mai 2010 ergibt sich, dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht vorlag und noch die Klärung im Raum stand, welche Staatsanwaltschaft zuständig war. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass er durch die Entscheidungen des Landgerichts und des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden ist.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft hätten vorgelegen. Etwaige Verfahrensmängel seien jedenfalls im Beschwerdeverfahren geheilt worden. Zu der Frage des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft verhält sich die Entscheidung nicht.
III.
Die auch nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360) und auch im Übrigen nach § 71 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Der Betroffene ist durch die Entscheidungen der Vorinstanzen schon deshalb in seinen Rechten verletzt, weil ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden darf. Fehlt dieses Einvernehmen, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus; der Verfahrensmangel kann selbst durch eine spätere Beibringung des Einvernehmens nicht rückwirkend geheilt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, zur Veröffentlichung vorgesehen). Fehlen in dem Haftantrag – was von Amts wegen zu prüfen ist – Ausführungen zu dem Einvernehmen, obwohl sich aus ihm selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, ist der Antrag unzulässig (siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 2011 – V ZB 49/10, Rn. 6, juris; vom 20. Januar 2011 – V ZB 226/10, Rn. 9, juris). Im Übrigen ist die Verletzung von § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf entsprechende Rüge zu berücksichtigen. Dabei ist es für die Verletzung der genannten Rechtsnorm unerheblich, ob schon der Haftrichter Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Prüfung hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde pflichtwidrig unterlassen hat, in dem Haftantrag auf das schwebende Ermittlungsverfahren hinzuweisen und – was in einem solchen Fall ebenfalls erforderlich gewesen wäre – die Erteilung des Einvernehmens in dem Antrag darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 8 f., zur Veröffentlichung bestimmt). Da das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft eine essentielle Haftvoraussetzung darstellt, kommt es insoweit allein auf die objektive Rechtslage an.
2. Gemessen daran, war zwar der Haftantrag zulässig, weil sich weder aus ihm noch aus den beigefügten Unterlagen ergab, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig war. Jedoch rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen nicht vorlag. Das Beschwerdegericht hat dies zwar, wie aus dem Vermerk vom 14. Mai 2010 ersichtlich ist, erkannt, hat diesen Aspekt aber bei der Entscheidung über die Beschwerde offenbar wieder aus den Augen verloren.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO; die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, juris Rn. 27 f.).
Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland