Entscheidungsdatum: 18.07.2013
1. Nach einem Abbruch der Bietzeit müssen das geänderte geringste Gebot und die geänderten Versteigerungsbedingungen festgestellt und verlesen werden.
2. Ein Verstoß gegen § 66 Abs. 1 ZVG ist ein Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 1 ZVG.
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 22. Januar 2013 und der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 14. November 2012 - 7 K 4/10 - aufgehoben.
Der Zuschlag auf das in dem Versteigerungstermin am 14. November 2012 abgegebene Meistgebot des Beteiligten zu 4 wird versagt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt für die Vertretung des Schuldners 304.700 €.
I.
Die Beteiligte zu 2 betrieb aus dem besten Rang die Zwangsversteigerung des eingangs dieses Beschlusses bezeichneten Grundbesitzes. In dem Versteigerungstermin am 14. November 2012 stellte das Vollstreckungsgericht das geringste Gebot und die Versteigerungsbedingungen fest. Anschließend verlas es die Feststellungen, wies darauf hin, dass mit der Aufforderung zum Bieten weitere Anmeldungen ausgeschlossen würden und forderte dann zum Bieten auf. Bevor der Schluss der Versteigerung verkündet wurde, bewilligte der Verfahrensvertreter der Beteiligten zu 2 die einstweilige Einstellung des Verfahrens. Nach dem Inhalt des Terminsprotokolls wurden die Bietinteressenten nach einer Neuberechnung des geringsten Gebots ohne erneute Verlesung der geänderten Feststellungen erneut zum Bieten aufgefordert. In der neuen Bietzeit blieb der Beteiligte zu 4 Meistbietender.
Nach Zurückweisung eines Vollstreckungsschutzantrags des Schuldners hat das Vollstreckungsgericht dem Beteiligten zu 4 den Zuschlag erteilt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner die Versagung des Zuschlags erreichen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht habe die erste Bietzeit zu Recht abgebrochen, weil die Beteiligte zu 2 vor der Verkündung des Schlusses der Versteigerung die einstweilige Einstellung des ihr Recht betreffenden Einzelverfahrens bewilligt habe und das geringste Gebot neu habe berechnet werden müssen. Es habe vor der erneuten Aufforderung zum Bieten die geänderten Bedingungen nur feststellen, nicht aber diese Feststellungen auch verlesen müssen. Selbst wenn dies anders zu sehen wäre, könne die Zuschlagsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden, weil ein etwaiger Verstoß gegen § 66 Abs. 1 ZVG kein Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 83 ZVG sei.
III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist allerdings entgegen der Ansicht des Schuldners nicht schon deshalb - ohne Sachprüfung - aufzuheben, weil die erforderliche Sachdarstellung fehlte.
a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, haben zwar nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt wiederzugeben, wobei auch das mit dem Rechtsmittel verfolgte Rechtsschutzziel deutlich werden muss (Senat, Beschlüsse vom 7. April 2011 - V ZB 301/10, WuM 2011, 377 Rn. 3, vom 29. September 2011 - V ZB 157/11, NJW-RR 2012, 141, 142 Rn. 2 und vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11, WuM 2012, 404 Rn. 3). Diese Anforderungen gelten insbesondere für Beschlüsse über Zuschlagsbeschwerden, gegen die das Beschwerdegericht - wie hier - zur Klärung von für die gerichtliche Praxis bedeutsamen Rechtsfragen die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Denn nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO hat das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat; es kann seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wenn dieser fehlt. Als Folge davon wäre die angefochtene Entscheidung ohne Sachprüfung aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
b) Hier enthält die Entscheidung des Beschwerdegerichts aber Feststellungen, die zur Prüfung gerade noch ausreichen. Im Eingang seines Beschlusses teilt das Beschwerdegericht mit, dass der Schuldner den im Anschluss an den Versteigerungstermin vom 14. November 2012 verkündeten Zuschlag zugunsten des Beteiligten zu 4 angefochten hat. Im Folgenden setzt es sich mit sämtlichen Einwänden des Schuldners gegen den Zuschlag in der Reihenfolge auseinander, wie er sie vorgetragen hat. Zu jedem dieser Einwände teilt es den relevanten Sachverhaltsausschnitt, insbesondere den Inhalt des Terminsprotokolls, mit. Das ermöglicht eine Sachprüfung.
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist jedoch deshalb aufzuheben, weil der Zuschlag dem Beteiligten zu 4 wegen eines Verfahrensfehlers des Vollstreckungsgerichts nicht hätte erteilt werden dürfen, der deshalb nach § 83 Nr. 1, § 101 Abs. 1 ZVG zu versagen ist.
a) Nach § 100 Abs. 1 ZVG kann die Zuschlagsbeschwerde zwar nicht auf jeden Verfahrensfehler gestützt werden, sondern nur darauf, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 bis 85a ZVG verletzt oder dass der Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zugrunde gelegten Bedingungen erteilt worden ist. Anders als das Beschwerdegericht meint, liegt hier aber einer dieser Zuschlagsversagungsgründe vor, nämlich eine Verletzung von § 83 Nr. 1 ZVG. Das Vollstreckungsgericht hat gegen § 66 Abs. 1 ZVG und damit gegen eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots oder der Versteigerungsbedingungen verstoßen. Zu diesen Vorschriften gehören nicht nur diejenigen, die den Inhalt des geringsten Gebots und der Versteigerungsbedingungen regeln, sondern auch die in § 66 Abs. 1 ZVG enthaltenen Bestimmungen darüber, welche verfahrensmäßigen Vorgaben hierbei zu beachten sind, darunter auch die Verpflichtung zur Verlesung der getroffenen Feststellungen vor der Aufforderung zum Bieten im Versteigerungstermin (Senat, Beschluss vom 19. Juli 2012 - V ZB 265/11, WM 2012, 1738 Rn. 6; LG Köln, Rpfleger 1989, 297; Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 83 Anm. 4 Abs. 2; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 14. Aufl., § 83 Rn. 8; Stöber, ZIP 1981, 944, 947). Die Verletzung der verfahrensmäßigen Vorgaben für die Feststellung und das Verlesen des geringsten Gebots und der Versteigerungsbedingungen kann das Ergebnis genauso beeinflussen wie die Verletzung der inhaltlichen Vorgaben für deren Ermittlung. Erst durch die Verlesung erfahren die Beteiligten, welche Feststellungen das Gericht zu dem geringsten Gebot und zu den Versteigerungsbedingungen getroffen hat. Ohne die Verlesung wüssten die Beteiligten nicht, unter welchen Bedingungen danach geboten werden soll. Gerade das soll aber mit der Verlesung erreicht werden, die deshalb auch - insoweit abweichend von früheren Landesrechten - die Verlesung des geringsten Gebots umfasst (Motive zum ZVG, 1889, S. 23, 193 zu § 85 ZVG-E). Die Verlesung wird deshalb als integraler Bestandteil der Feststellung des geringsten Gebots und der Versteigerungsbedingungen von der in § 83 Nr. 1 ZVG enthaltenen Verweisung auf die Vorschriften darüber erfasst, ohne dass § 66 Abs. 1 ZVG eigens erwähnt werden müsste. Das ist in dem von dem Beschwerdegericht als Grundlage für seinen gegenteiligen Standpunkt angeführten Fall des § 83 Nr. 4 ZVG anders. Die dort angesprochene Zurückweisung einer nach der Aufforderung von Geboten erfolgten Anmeldung oder Glaubhaftmachung eines Rechts ist nämlich sachlich richtig, weil diese Rechte nach § 45 Abs. 1 ZVG in dem geringsten Gebot nicht (mehr) zu berücksichtigen sind. Sie kann deshalb einen Zuschlagsversagungsgrund nur darstellen, wenn das Vollstreckungsgericht den mit § 66 Abs. 2 ZVG vorgeschriebenen Hinweis auf diese Rechtsfolge versäumt hat, was in der Vorschrift des § 83 Nr. 4 ZVG deshalb auch ausdrücklich bestimmt werden muss.
b) Gegen § 66 Abs. 1 ZVG hat das Vollstreckungsgericht verstoßen, indem es nach Feststellung des geänderten geringsten Gebots und der geänderten Versteigerungsbedingungen unmittelbar erneut zum Bieten aufforderte und davon absah, zunächst beides zu verlesen.
aa) Der Abbruch der ersten Bietzeit und die Feststellung des geänderten geringsten Gebots und der geänderten Versteigerungsbedingungen waren notwendig geworden, weil der Vertreter der im besten Rang betreibenden Gläubigerin, der Beteiligten zu 2, noch vor der Verkündung des Schlusses der Versteigerung die einstweilige Einstellung des ihr Recht betreffenden Einzelverfahrens bewilligt hatte: Damit änderte sich das geringste Gebot, in das nunmehr das Recht der Beteiligten zu 2 als fortbestehendes Recht aufzunehmen war.
bb) Wie zu verfahren ist, wenn die Bietzeit wegen einer Veränderung des geringsten Gebots abgebrochen und nach Feststellung eines geänderten geringsten Gebots eine neue Aufforderung zum Bieten mit einer neuen Bietzeit erfolgen muss, wird zwar nicht in allen Einzelheiten einheitlich beurteilt. Einigkeit besteht aber darüber, dass jedenfalls das geänderte geringste Gebot und die geänderten Versteigerungsbedingungen erneut festgestellt und verlesen werden müssen (LG Köln, Rpfleger 1989, 297 f. für den Fall eines nachträglich bemerkten Fehlers bei der Berechnung des geringsten Gebots; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 14. Aufl., § 66 Rn. 48 f.; Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 66 Anm. 7 aE; Löhnig/Steffen, ZVG, § 66 Rn. 16 aE; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 66 Rn. 7.4; ders. ZIP 1981, 944, 947). Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 ZVG, aber auch aus dem Zweck der Vorschrift. Ohne eine erneute Verlesung des vollständigen neuen geringsten Gebots und der vollständigen neuen Versteigerungsbedingungen können sich bei den Beteiligten und den Bietinteressenten leicht Missverständnisse darüber einstellen, welche Teile des ursprünglich verlesenen geringsten Gebots und der ursprünglich verlesenen Versteigerungsbedingungen noch gelten und welche davon ersetzt worden sind. Solche Missverständnisse, die sich zum Nachteil des Schuldners auf das Versteigerungsergebnis auswirken können, lassen sich nur vermeiden, wenn das geänderte geringste Gebot und die geänderten Versteigerungsbedingungen vollständig neu verlesen werden.
cc) Die erforderliche Verlesung der geänderten Feststellungen ist nach dem gemäß § 80 ZVG hierfür allein maßgeblichen - gegebenenfalls berichtigten - Terminsprotokoll unterblieben. Nach dessen ursprünglicher Fassung hat eine Verlesung nicht stattgefunden. Vielmehr hat das Vollstreckungsgericht nach Feststellung der geänderten Bedingungen unmittelbar erneut zum Bieten aufgefordert. In diesem Punkt hat die Berichtigung das Protokoll nicht verändert. Damit ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass die gebotene Verlesung der geänderten Versteigerungsbedingungen nicht stattgefunden und das Vollstreckungsgericht die Vorschrift des § 66 Abs. 1 ZVG verletzt hat.
dd) Es muss deshalb nicht entschieden werden, ob die erfolgte Berichtigung des Protokolls, die nicht nur von den Personen unterzeichnet ist, die an dem Termin in dem relevanten Zeitraum nach dem Protokoll mitgewirkt haben, den Anforderungen des § 164 ZPO entsprach, was im Hinblick auf die erforderliche vorherige Anhörung der Beteiligten zweifelhaft ist.
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten sind nicht angefallen; ein Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten scheidet aus, weil sich die Beteiligten bei der Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7). Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens für die anwaltliche Vertretung des Schuldners entspricht nach § 26 Nr. 2 RVG dem festgesetzten Wert des Grundstücks; das sind 304.700 €.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Roth Brückner