Entscheidungsdatum: 10.08.2018
Zweifel an der Volljährigkeit eines Betroffenen, denen das Gericht gemäß § 26 FamFG nachzugehen hat, können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist.
Der Antrag, die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 2. Juli 2018 angeordneten und mit Beschluss des Landgerichts Ingolstadt - 3. Zivilkammer - vom 26. Juli 2018 aufrecht erhaltenen Sicherungshaft, einstweilen auszusetzen, wird zurückgewiesen.
I.
Der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im November 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 28. Dezember 2017 einen Asylantrag, den das zuständige Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. April 2018 unter Aufforderung des Betroffenen, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, und unter Androhung der Abschiebung ablehnte. Der Betroffene tauchte unter und wurde am 23. Mai 2018 von der Polizei festgenommen. Am gleichen Tag wurde gegen ihn Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Guinea angeordnet. Bei der Verbringung in die Hafteinrichtung gelang ihm eine Flucht aus dem Dienstfahrzeug der Polizei. Er versuchte, sich durch einen Sprung in die Donau der Haft zu entziehen, konnte jedoch wieder ergriffen werden. Mit Beschluss vom 18. Juni 2018 ordnete das Familiengericht eine Vormundschaft für den Betroffenen an, weil es Zweifel an seiner Volljährigkeit hatte; diese Anordnung wurde von dem zuständigen Oberlandesgericht bestätigt. Einen Antrag des Betroffenen nach § 123 VwGO mit dem Ziel, im Hinblick auf § 58 Abs. 1a AufenthG Abschiebemaßnahmen vorläufig zu untersagen, lehnte das zuständige Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2018 ab. Über die dagegen eingelegte Beschwerde ist noch nicht entschieden.
Das Amtsgericht, das den Betroffenen für volljährig hält, hat die Sicherungshaft mit Beschluss vom 2. Juli 2018 bis zum 16. August 2018 verlängert. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde; er beantragt zunächst, die Vollziehung der mit dem Beschluss des Amtsgerichts vom 2. Juli 2018 verlängerten Sicherungshaft einstweilen auszusetzen. Er macht geltend, er sei 17 Jahre alt; der Haftrichter habe von Zweifeln an der Volljährigkeit eines Betroffenen bereits dann auszugehen, wenn und solange für diesen aufgrund einer familiengerichtlichen Anordnung eine Vormundschaft bestehe.
II.
Das Beschwerdegericht geht von einem zulässigen Haftantrag aus. Es bestünden die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 AufenthG. Die Anordnung der Haft und die beantragte Haftdauer seien erforderlich und verhältnismäßig und die Abschiebung sei mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben worden. Abschiebungshindernisse lägen nicht vor, insbesondere sei der Betroffene nicht minderjährig, was sich aus einem Gutachten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ergebe. Die Entscheidung des Familiengerichts sei für die ausländerrechtliche Behandlung des Betroffenen nicht bindend.
III.
Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG zulässige Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Sicherungshaft bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Das Rechtsbeschwerdegericht hat bei der Entscheidung über den Aussetzungsantrag die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, NVwZ 2011, 320 Rn. 5).
2. Daran fehlt es hier. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass der auf einem zulässigen Haftverlängerungsantrag beruhenden Verlängerung der Sicherungshaft insbesondere das Alter des Betroffenen nicht entgegensteht, wird nicht zu beanstanden sein.
a) Allerdings kommt bei minderjährigen Ausländern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Anordnung von Sicherungshaft wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zu (Senat, Beschlüsse vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, NVwZ 2011, 320 Rn. 9 und vom 12. Februar 2015 - V ZB 185/14, InfAuslR 2015, 238 Rn. 5). Sie darf nach § 62 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gegen Minderjährige nur in besonderen Ausnahmefällen, nur unter Beachtung der in § 62a AufenthG und nur so lange vorgeschriebenen besonderen Bedingungen angeordnet werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Minderjährige müssen so weit wie möglich in Einrichtungen untergebracht werden, die personell und materiell zur Berücksichtigung ihrer altersgemäßen Bedürfnisse in der Lage sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. März 2012 - V ZB 41/12, InfAuslR 2012, 224 und vom 12. Februar 2015 - V ZB 185/14, InfAuslR 2015, 238 Rn. 5).
b) Der Senat wird indes an die Feststellung des Beschwerdegerichts gebunden sein, dass der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 3, § 62a AufenthG volljährig ist (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, § 2 BGB).
aa) Bestehen Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen, hat das Gericht gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären.
(1) Solche Zweifel werden allerdings nicht bereits dadurch begründet, dass der Betroffene angibt, minderjährig zu sein; ist diese Behauptung schon aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Betroffenen offenkundig falsch - was von dem Haftrichter nachvollziehbar darzulegen ist -, sind weitere Ermittlungen zum Alter des Betroffenen nicht erforderlich. Liegt eine Volljährigkeit des Betroffenen hingegen nicht klar zutage, sind weitere Aufklärungen erforderlich, wobei hohe Anforderungen an die Ausfüllung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu stellen sind. Eine Einschätzung des Haftrichters, der Betroffene sei volljährig, reicht in der Regel - selbst wenn sie auf ein großes Erfahrungswissen gestützt ist - nicht aus, um ein sicheres Bild zu gewinnen. Vielmehr sind die nach § 49 Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 AufenthG vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Im Zweifel ist zugunsten des Betroffenen von einer Minderjährigkeit auszugehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, NVwZ 2011, 320 Rn. 11 und vom 12. Februar 2015 - V ZB 185/14, InfAuslR 2015, 238 Rn. 7).
(2) Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist. Das gilt insbesondere dann, wenn die Familiengerichte - wie hier - aufgrund der dargestellten Zweifelsregel eine vorläufige Vormundschaft angeordnet haben.
bb) Die gebotene summarische Prüfung ergibt, dass sowohl der Haftrichter als auch das Beschwerdegericht diesen Anforderungen gerecht geworden sind. Sie sind der Frage einer altersgerechten Unterbringung des Betroffenen nachgegangen und haben ihre Würdigung, der Betroffene habe das 18. Lebensjahr vollendet, auf das Gutachten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gestützt. Insbesondere das Beschwerdegericht hat sich auch mit den Erwägungen auseinandergesetzt, auf die das Familiengericht seine gegenteilige Einschätzung gestützt hatte. Es hat eingehend begründet, weshalb den Darlegungen in den wissenschaftlichen Gutachten demgegenüber der Vorzug zu geben ist, und dabei berücksichtigt, dass der Betroffene bei der Prüfung seines in der Schweiz gestellten, später aber zurückgenommenen Asylantrags im November 2016 mit dem Ziel, Minderjährigkeit vorzuspiegeln, als Geburtsdatum zunächst den 1. Januar 2000, sodann aber korrigierend den 1. Januar 1998 angegeben hatte. Von diesem Geburtsdatum gehen auch die Behörden des Heimatstaates des Betroffenen aus. Bei summarischer Prüfung werden dieses Vorgehen und die Würdigung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu beanstanden sein.
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