Entscheidungsdatum: 19.01.2017
Die Sicherungshaft darf über die Dauer von sechs Monaten hinaus verlängert werden, wenn der Ausländer wechselnde und widersprüchliche Angaben über seine Herkunft und Identität macht und dieses Verhalten ursächlich dafür ist, dass seine Abschiebung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden kann.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 6. Juli 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene reiste im Mai 2014 unerlaubt in die Bundesrepublik ein und stellte unter falschem Namen und der Angabe, syrischer Staatsangehöriger zu sein, einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag im September 2015 als offensichtlich unbegründet ab. Nach eigenen Angaben reiste der Betroffene daraufhin nach Schweden und stellte dort unter einem weiteren falschen Namen einen Asylantrag, wobei er sich als libyscher Staatsangehöriger ausgab. Am 27. Dezember 2015 reiste der Betroffene erneut unerlaubt nach Deutschland ein und gab unter Angabe wiederum anderer Personalien an, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein.
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2015 ordnete das Amtsgericht Rosenheim Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Marokko bis längstens 24. Juni 2016 an. Das Landgericht wies die Beschwerde des Betroffenen nach Anhörung mit Beschluss vom 1. Februar 2016 zurück. Seine gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsbeschwerde ist ohne Erfolg geblieben (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 25/16, juris).
Mit Beschluss vom 23. Juni 2016 hat das Amtsgericht Mühldorf am Inn nach erneuter Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 15. Juli 2016 verlängert. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat. Die beteiligte Behörde hält die Rechtsbeschwerde für unbegründet.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 2, 3 und 5 AufenthG, da der Betroffene zum Zwecke der Verhinderung seiner Abschiebung versuche, über seine Identität zu täuschen, und er zudem nicht bereit sei, sich einer Überstellung nach Marokko freiwillig zu stellen. Der Betroffene habe es selbst zu vertreten, dass die Haft vorliegend über drei Monate hinausgehe, weil er seine Abschiebung verhindere.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Sicherungshaft über sechs Monate hinaus nach § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vorlagen.
1. Die Sicherungshaft darf über die Dauer von sechs Monaten hinaus verlängert werden, wenn der Ausländer wechselnde und widersprüchliche Angaben über seine Herkunft und Identität macht und dieses Verhalten ursächlich dafür ist, dass seine Abschiebung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden kann.
a) Die Vorschrift des § 62 AufenthG enthält im Hinblick die zulässige Haftdauer eine abgestufte Regelung. § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lässt erkennen, dass Abschiebungshaft in der Regel nicht länger als drei Monate dauern soll (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 305/10, juris Rn. 27).
Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haftanordnung bis zu sechs Monaten ist zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur solche Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Bedeutung sein können, sondern auch Gründe, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung überhaupt erst entstanden ist, etwa indem er seinen Pass weggegeben hat (vgl. Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20; Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 238).
Über sechs Monate hinaus - bis maximal 18 Monate - kann die Haft nur ausnahmsweise verlängert werden (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 76), nämlich nur in den Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert (§ 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG).
b) Ein Verhindern im Sinne des § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG liegt vor, wenn ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte. Erforderlich ist, dass das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun des Ausländers zurückgeht, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen trotz bestehender Verpflichtung zu einem Tun (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, juris Rn. 13). Ein vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland liegendes Verhalten des Ausländers genügt aber nicht (vgl. KG, FGPrax 2000, 83, 84; BayObLG, Beschluss vom 16. September 2004, 4Z BR 70/04, juris Rn. 11; OLG Frankfurt, InfAuslR 1998, 112, 113 f.). Es bedarf vielmehr eines Verhaltens, mit dem der Ausländer eine - etwa aufgrund der Anordnung, Deutschland zu verlassen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239) - sich bereits konkretisierende Abschiebung zu vereiteln oder zu erschweren versucht. Nur wenn das Verhalten des Ausländers einen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung aufweist, ist es geeignet, die ausnahmsweise Verlängerung der Haft über sechs Monate hinaus zu begründen.
Damit ist zwar schlichte Einreise ohne die erforderlichen Einreisedokumente nicht als Verhinderung anzusehen (Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - V ZB 126/11, juris Rn. 8). Eine solche kann aber darin liegen, dass der Ausländer falsche Angaben über seine Identität macht (Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - V ZB 126/11, juris Rn. 8; Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20).
Schließlich muss das Verhinderungsverhalten ursächlich dafür sein, dass der Ausländer bisher nicht abgeschoben werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - V ZB 126/11, juris Rn. 9). Ergibt sich, dass die Abschiebung (z.B. wegen zögerlicher Bearbeitung der Heimatbehörden) auch ohne das Verhinderungsverhalten des Ausländers nicht innerhalb der ersten sechs Monate möglich gewesen wäre, ist dieses nicht ursächlich für die Verzögerung (BayObLG, Beschluss vom 16. September 2004, 4Z BR 70/04, juris Rn. 13; vgl. zum Ganzen auch Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, juris). Dies bedeutet aber nicht, dass - wie die Rechtsbeschwerde meint - die Verlängerung der Sicherungshaft über sechs Monate hinaus nur auf nachträgliche Umstände gestützt werden kann, nicht aber auf Umstände, die bereits bei der ursprünglichen Haftanordnung berücksichtigt worden sind. Aus dem in § 62 AufenthG angelegten Stufenverhältnis der möglichen Haftdauer folgt nicht, dass sich die für eine Anordnung herangezogenen Haftgründe „verbrauchen“ und in der Folge eine Verlängerung der Haft nicht mehr rechtfertigen könnten.
2. Gemessen daran bejaht das Beschwerdegericht auf der Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen zu Recht das Vorliegen einer Verhinderung der Abschiebung durch den Betroffenen.
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts verfügt der Betroffene über keine Identitätspapiere bzw. macht fortlaufend wechselnde und widersprüchliche Angaben darüber, wo sich diese befinden. Er hat bereits mehrfach wechselnde Personalien verwendet, wobei er jeweils unterschiedliche Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit und zu seinem Alter machte, und ist nicht bereit, an einer Passbeschaffung mitzuwirken. Das Beschwerdegericht ist aufgrund des ständig wechselnden Aussageverhaltens des Betroffenen rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser versucht hat, über seine Identität zu täuschen, und dass daher auf der Grundlage der vorliegenden Dokumente eine Überprüfung durch die Behörden in Marokko erforderlich war, was zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führte.
Nach den mit der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts waren die wechselnden und widersprüchlichen Angaben des Betroffenen auch ursächlich dafür, dass die Abschiebung weder innerhalb von drei, noch innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden konnte.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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