Entscheidungsdatum: 07.07.2016
Auch vor Inkrafttreten von § 2 Abs. 15 AufenthG konnte Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung nicht auf der Grundlage von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG angeordnet werden (Bestätigung von Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014, V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 31).
Dem Betroffenen wird im Rahmen der bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe Rechtsanwalt Dr. von Plehwe beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Hagenow vom 13. Mai 2014 und des Landgerichts Schwerin - Zivilkammer 5 - vom 2. Juni 2014 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Mecklenburg-Vorpommern auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Beschwerdeführer, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am 22. März 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte wenige Tage später einen Asylantrag. Auf ein entsprechendes Ersuchen erklärten die bulgarischen Behörden am 1. April 2014 ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme des Betroffenen. Dessen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 7. April 2014 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an.
Am 13. Mai 2014 sollte die Rücküberstellung nach Bulgarien erfolgen. Sie scheiterte daran, dass sich der Betroffene am Flughafen völlig entkleidete und erklärte, nicht nach Bulgarien fliegen zu wollen. Gleichzeitig forderte er, nach Ghana abgeschoben zu werden. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft für den 13. Mai 2014 an.
Mit weiterem Beschluss vom 13. Mai 2014 hat das Amtsgericht Sicherungshaft bis längstens 6. Juni 2014 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 2. Juni 2014 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er - nachdem er nach Bulgarien rücküberstellt worden ist - die Feststellung der Verletzung seiner Rechte durch das Amts- und Landgericht erreichen will.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft seien gegeben. Im Besonderen lägen die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 4 und 5 AufenthG in der damaligen Fassung vor. Der Beschwerdeführer habe sich mit seiner Weigerung, nach Bulgarien rücküberstellt zu werden, in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen. Zugleich sei aufgrund dieses Verhaltens eine erhebliche Fluchtgefahr gegeben. Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 31 - fortan Dublin-III-Verordnung), stehe dem nicht entgegen. Bis zu einer Umsetzung dieser Verordnung gelte die bisherige gesetzliche Regelung, die auf eine Definition des Begriffs Fluchtgefahr verzichte und es dem Tatrichter überlasse, diesen Begriff auszufüllen.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsgericht davon aus, dass auch unter Geltung des Art. 28 Dublin-III-Verordnung die Haft zur Sicherstellung einer Überstellung des Betroffenen in den für dessen Schutzantrag zuständigen Mitgliedstaat nach der damals geltenden Fassung des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angeordnet werden durfte. Die Vorschrift entsprach nicht den Anforderungen von Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung, wonach die objektiven Kriterien, die Fluchtgefahr begründen, gesetzlich festgelegt sein müssen. In dem Zeitraum vom 1. Januar 2014 - ab diesem Tag war die Dublin-III-Verordnung nach ihrem Art. 49 Abs. 2 Satz 1 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme anwendbar (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZB 28/14, juris Rn. 5 f.) - bis zum 1. August 2015 - dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I 1386), mit dem der Haftgrund der Fluchtgefahr neu geregelt wurde - konnte daher Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung nicht auf Fluchtgefahr oder eine Entziehungsabsicht des Betroffenen im Sinne des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF gestützt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 22. Oktober 2014 - V ZB 124/14, NVwZ 2015, 607 Rn. 10).
2. Nichts anderes gilt für den von dem Beschwerdegericht weiter angenommenen Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG.
Überstellungshaft nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung kann angeordnet werden, wenn die Haftgründe im nationalen Recht so ausgestaltet sind, dass sie nur bei Vorliegen von objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien verwirklicht werden, welche die Annahme einer Fluchtgefahr begründen. Der Senat hat - zeitlich nach dem angegriffenen Beschluss des Beschwerdegerichts - entschieden, dass dies in Deutschland allein bei den in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 AufenthG genannten Haftgründen (Wechsel des Aufenthaltsorts ohne Angabe einer Anschrift unter der der Ausländer erreichbar ist; vom Ausländer zu vertretendes Nichtantreffen an dem von der Behörde angegebenen Ort an dem für die Überstellung angekündigten Termin) der Fall ist (Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 31). Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG setzt demgegenüber lediglich voraus, dass sich der Ausländer in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat. Er ist damit im Sinne einer Generalklausel formuliert und enthält keine objektiven Kriterien, die festlegen, in welchen Fällen von einer Entziehung in sonstiger Weise auszugehen ist. Damit genügt auch dieser Haftgrund nicht den unionsrechtlichen Vorgaben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Stresemann |
RiBGH Dr. Czub ist infolge |
Weinland |
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Haberkamp |