Entscheidungsdatum: 12.08.2015
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 12. Mai 2015 wird verworfen.
Der Verurteilte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Der 7. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg hat den Beschwerdeführer auf Grundlage der Urteile des 4. Strafsenats desselben Gerichts vom 19. August 2005 und des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2006 (3 StR 139/06, NJW 2007, 384) am 8. Januar 2007 wegen Beihilfe zum 246fachen Mord in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu der Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 hat das Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests nach der Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe, die am 15. Januar 2014 vollstreckt waren, zur Bewährung auszusetzen. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 10. April 2014 verworfen. Mit Beschluss vom 12. Mai 2015 hat das Oberlandesgericht einen weiteren Antrag des Verurteilten auf Reststrafenaussetzung zurückgewiesen. Auch das hiergegen gerichtete Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung abzulehnen, unterliegt aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung keiner Beanstandung.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Erfolglos rügt der Beschwerdeführer, dass das Oberlandesgericht ohne die nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung entschieden hat. Zwar lagen die Voraussetzungen, die es nach den gesetzlichen Ausnahmeregelungen in § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 bis 3 StPO erlauben, ohne mündliche Anhörung des Verurteilten zu entscheiden, nicht vor. Doch ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass auch in anderen als den im Gesetz genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abgesehen werden kann. Zwar ist dies nur ausnahmsweise gerechtfertigt, da einer Aushöhlung der Regelung über die mündliche Anhörung des Verurteilten vorgebeugt werden muss; denn sie soll nicht nur dem Verurteilten die Möglichkeit zur Äußerung geben, sondern auch dem Gericht einen aktuellen unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten vermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 1978 - StB 187/78, BGHSt 28, 138, 141). Eine derartige Ausnahme von der Anhörungspflicht ist aber nach einhelliger Ansicht für den Fall anzunehmen, dass der Verurteilte ausdrücklich und eindeutig erklärt, er wolle an der mündlichen Anhörung nicht teilnehmen (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2000 - StB 1/00, NStZ 2000, 279 mwN), oder sich ernsthaft weigert, sich vorführen zu lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - 5 Ws 423 - 425/08, NStZ-RR 2009, 223, 224 mwN).
So war es hier. Der Verurteilte hat gegenüber dem Oberlandesgericht über seinen Verteidiger erklären lassen, er wolle sich nicht vorführen lassen, da er sich vor Ausführungen regelmäßig unbekleidet von Vollzugsbeamten durchsuchen lassen müsse. Diese entwürdigende Maßnahme sei sachlich nicht gerechtfertigt. Daran, dass der Verurteilte seine Vorführung damit ernsthaft abgelehnt hat, besteht kein Zweifel (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Februar 1983 - 1 Ws 13/83, StV 1983, 511; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - 3 Ws 274/95, NStZ 1996, 302). Denn seine Weigerung, sich vorführen zu lassen, hat er nach Beratung mit seinem Verteidiger übermitteln lassen, dem der Vorsitzende eindeutig mitgeteilt hatte, dass der Strafsenat sich zu einer Beeinflussung der Entscheidung der Vollzugsbehörde nicht in der Lage sehe.
Die vom Verurteilten abgegebene Begründung für seine Weigerung hinderte das Oberlandesgericht nicht, ohne Anhörung zu entscheiden: Zwar wird eine ernsthafte, die Anhörungspflicht suspendierende Weigerung sich vorführen zu lassen, mitunter dann verneint, wenn der Verurteilte hierfür nachvollziehbare Gründe hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - 3 Ws 274/95, NStZ 1996, 302, 303; KG, Beschluss vom 2. April 2001 - 1 AR 369/01, juris Rn. 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. November 2002 - 3 Ws 1176/02, NStZ-RR 2003, 59; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - 5 Ws 423 - 425/08, NStZ- RR 2009, 223, 224). Das kann aber nur gelten, wenn das Gericht, das über die Reststrafenaussetzung zu entscheiden hat, diese Gründe zu verantworten hat und/oder diesen in eigener Zuständigkeit abhelfen kann. Kann es die Ursachen der Ablehnung des Verurteilten hingegen nicht beseitigen, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, dessen Verzicht auf eine Vorführung hinzunehmen und ohne Anhörung zu entscheiden. Denn das Gericht kann eine Anhörung gegen den Willen des Verurteilten nicht erzwingen (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2000 - StB 1/00, NStZ 2000, 279; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. Februar 1983 - 1 Ws 13/83, StV 1983, 511; vom 28. Juli 1987 - 1 Ws 428/87, NStZ 1987, 524; KG, Beschluss vom 2. April 2001 - 1 AR 369/01, juris Rn. 7).
Hier hatte das Oberlandesgericht keine Möglichkeit, die vorgesehenen Modalitäten für die Vorführung des Verurteilten abzuändern. Dabei kann es dahinstehen, ob die vom Verurteilten abgelehnte Entkleidung vor der Vorführung auf einer auf § 14 Abs. 3 HmbStVollzG gestützten Anordnung der Anstaltsleitung gründet oder - wie die Justizvollzugsbehörde im Beschwerdeverfahren vorträgt - von der Polizei verlangt wird, der die Justizvollzugsanstalt den Verurteilten zum Transport zum Gericht ausantwortet. Denn in jedem Fall liegt die Entscheidung über Sicherheitsmaßnahmen bei der Vorführung allein bei der Justizvollzugsanstalt bzw. der in Amtshilfe tätigen Polizeibehörde (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Oktober 1996 - 4 Ws 201/96, NStZ-RR 1997, 62, 63). Gegen diese Anordnungen ist dem Verurteilten nach § 109 StVollzG der Rechtsweg zur Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg (vgl. § 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GVG), gegebenenfalls zum Verwaltungsgericht, eröffnet. Es wäre deshalb die Sache des Verurteilten gewesen, gegen die beanstandeten Maßnahmen - gegebenenfalls im Eilrechtsweg - gerichtlich vorzugehen. Dies hat er nicht unternommen. Vielmehr hat der Verteidiger des Verurteilten das Gericht lediglich gebeten, seinen Mandanten bei seinem Bemühen zu unterstützen, von der Pflicht zur Entkleidung bei der Durchsuchung entbunden zu werden. Zwar hat sich der Verteidiger mit diesem Anliegen in einem Schreiben vom 20. April 2015 auch an die Justizvollzugsanstalt gewandt und um eine baldige Entscheidung gebeten, die beanstandenden Maßnahmen nicht mehr vorzunehmen. Nachdem die Justizvollzugsanstalt hierauf nicht reagierte, hat er aber auf ein gerichtliches Vorgehen verzichtet.
2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine Aussetzung des Strafrestes nicht. Soweit die Untersuchungshaft gegen den damaligen Beschuldigten vollstreckt worden ist, wird sie nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Freiheitsstrafe angerechnet. Durch die Zeit, in der der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt war, wurde der Freiheitsentzug nicht verlängert.
3. Schließlich kann auch der Umstand, dass ein ungenannter Vollzugsbeamter - der Vertreter des für den Verurteilten zuständigen Abteilungsleiters - während der Anhörung durch das Oberlandesgericht nicht anwesend war, den Erfolg des Rechtsmittels nicht begründen. Der Beschwerdebegründung kann nicht entnommen werden, welchen Beitrag zur Sachaufklärung dieser Vollzugsbeamte hätte leisten können.
Becker Schäfer Spaniol