Entscheidungsdatum: 11.03.2010
Auf die sofortige Beschwerde des früheren Beschuldigten wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. April 2009 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die durch die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2001 (1 BGs 130/2001), 30. Juli 2001 (1 BGs 139/2001), 28. August 2001 (1 BGs 200/2001), 12. Oktober 2001 (1 BGs 278/2001), 22. Oktober 2001 (1 BGs 281/2001), 27. November 2001 (1 BGs 351/2001), 9. Januar 2002 (1 BGs 11/2002), 18. Januar 2002 (1 BGs 35/2002), 25. Februar 2002 (1 BGs 80/2002), 1. März 2002 (1 BGs 85/2002), 18. April 2002 (1 BGs 110/2002), 3. Juni 2002 (1 BGs 130/2002), 17. Juli 2002 (1 BGs 147/2002), 27. September 2002 (1 BGs 177/2002), 18. Oktober 2002 (1 BGs 185/2002), 2. Dezember 2002 (1 BGs 205/2002), 21. Januar 2003 (1 BGs 43/2003), 27. Februar 2003 (1 BGs 90/2003), 25. März 2003 (1 BGs 114/2003), 16. April 2003 (1 BGs 140/2003), 18. Juli 2003 (1 BGs 216/2003), 20. Oktober 2003 (1 BGs 384/2003), 8. April 2004 (1 BGs 94/2004), 7. Juli 2004 (1 BGs 146/2004), 6. Oktober 2004 (1 BGs 155/2004), 29. November 2004 (1 BGs 172/2004) und 6. Juli 2006 (1 BGs 91/2006) angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie die durch Verfügungen des Generalbundesanwalts vom 22. Mai 2002, 15., 22. und 31. März 2004 und durch die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Juli 2002 (1 BGs 148/2002), 22. August 2002 (1 BGs 163/2002), 1. April 2004 (1 BGs 87/2004), 23. April 2004 (1 BGs 102/2004), 27. Oktober 2004 (1 BGs 162/2004), 25. November 2004 (1 BGs 171/2004), 11. Februar 2005 (1 BGs 11/2005) und 9. März 2005 (1 BGs 26/2005) angeordneten Observationsmaßnahmen (zum Teil unter Einsatz technischer Mittel und nebst Herstellung von Lichtbildern) rechtswidrig waren.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem früheren Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
I.
Der Generalbundesanwalt führte gegen den Beschwerdeführer, die weiteren früheren Beschuldigten U. sowie H. und gegen unbekannt seit dem 16. Juli 2001 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, die terroristische Vereinigung "militante gruppe" gegründet zu haben (§ 129 a StGB). In der Zeit vom 24. Juli 2001 bis zum 6. Juli 2006 wurden gegen die früheren Beschuldigten zahlreiche verdeckte Ermittlungsmaßnahmen angeordnet und durchgeführt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Aufstellung des Bundeskriminalamts vom 17. September 2008 (SA Band 1 Ordner 1 Bl. 367 ff.) Bezug genommen. Nachdem der Senat in seinem Beschluss vom 28. November 2007 - StB 43/07 (BGHSt 52, 98) ausgeführt hatte, dass eine Strafbarkeit der Mitglieder der "militante gruppe" gemäß § 129 a StGB nach der Umgestaltung der Norm durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2836) nicht in Betracht komme, änderte der Generalbundesanwalt mit Verfügung vom 10. März 2008 das Verfahrensrubrum dahin, dass gegen die früheren Beschuldigten und unbekannt wegen Gründung der kriminellen Vereinigung "militante gruppe" gemäß § 129 StGB u. a. ermittelt werde.
Mit Verfügung vom 22. September 2008 stellte der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen die früheren Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ein; gegen unbekannt führt er es weiter. Zur Begründung der Einstellung führte er unter anderem aus, die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen hätten den Anfangsverdacht gegen die früheren Beschuldigten nicht erhärtet. Sie hätten keine belastbaren Hinweise dafür erbracht, dass diese an konkreten Straftaten oder der Abfassung bestimmter Texte der Vereinigung unmittelbar beteiligt gewesen seien. In einzelnen Fällen belegten die Ergebnisse der operativen Maßnahmen sogar positiv, dass die Beschuldigten an Aktionen der "militante gruppe" nicht teilgenommen haben konnten. Zudem legten die verdeckt erlangten Erkenntnisse in einigen Fällen nahe, dass eine unmittelbare Beteiligung einzelner Beschuldigter an bestimmten Anschlags- oder Begleithandlungen insbesondere ab dem Jahr 2005 unwahrscheinlich sei. Soweit die Ermittlungen Erkenntnisse zu politischen Auffassungen und Betätigungsformen der früheren Beschuldigten erbracht hätten, seien diese im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nicht geeignet, eine strafbewehrte Verbindung der früheren Beschuldigten zur "militante gruppe" zu belegen.
Der Generalbundesanwalt hat den früheren Beschuldigten mit Schreiben vom 22. September 2008 über die gegen ihn angeordneten und durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen unterrichtet und ihn mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes hingewiesen. Mit Schriftsätzen seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 2. und 22. Oktober 2008 sowie 13. März 2009 hat der frühere Beschuldigte die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der ihm mitgeteilten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragt.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat diesen Antrag mit Beschluss vom 6. April 2009 als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt, gegen den früheren Beschuldigten habe im Zeitpunkt der Anordnung der jeweiligen Maßnahme sowie während ihrer Durchführung der Verdacht bestanden, Mitglied der (zumindest) kriminellen Vereinigung "militante gruppe" gewesen zu sein. Für die erste zu überprüfende ermittlungsrichterliche Anordnung vom 24. Juli 2001 begründeten die dort in Bezug genommenen Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz (im Folgenden: BfV) einen die Maßnahme rechtfertigenden Anfangsverdacht. Dieser habe in der Folgezeit fortbestanden. Von Bedeutung hierfür sei etwa gewesen, dass der frühere Beschuldigte in zwei Telefonaten vom 31. Juli und 15. Oktober 2001 Gewalt - auch gegen öffentliche Einrichtungen - gutgeheißen habe; der Inhalt einer SMS vom 15. Februar 2002 sei ebenfalls geeignet gewesen, den Tatverdacht weiter zu bestärken.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 7. April 2009 eingelegte sofortige Beschwerde des früheren Beschuldigten. Dieser macht insbesondere geltend, ein Tatverdacht habe zu keinem Zeitpunkt während des Ermittlungsverfahrens bestanden. Die Maßnahmen seien zudem unverhältnismäßig gewesen; auch seien Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht getroffen worden. Schließlich hätten sie keinen Erfolg versprochen, da die früheren Beschuldigten bereits Zielpersonen von Telekommunikationsüberwachungen des BfV gewesen seien, die offensichtlich keine Belege für ein strafbares Handeln erbracht hätten.
II.
Das gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 5 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Die angeordneten und durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen waren bereits deshalb rechtswidrig, weil zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung ein ausreichender Tatverdacht gegen den früheren Beschuldigten nicht bestand. Auf die weiteren, von dem früheren Beschuldigten aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es deshalb nicht an. Ebenso muss der Senat nicht entscheiden, ob die Art und Weise der Durchführung der Maßnahmen rechtswidrig war; damit ist auch der Antrag des früheren Beschuldigten auf weitergehende Akteneinsicht gegenstandslos. Im Einzelnen:
1. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag des früheren Beschuldigten zu Recht auch bezüglich des Beschlusses vom 25. März 2003 (1 BGs 114/2003) als zulässig gewertet. Der Generalbundesanwalt ist dem im Beschwerdeverfahren auch nicht - mehr - entgegen getreten.
2. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat ebenfalls zu Recht und mit zutreffender Begründung seine Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag des früheren Beschuldigten angenommen (BGH, Beschl. vom 22. Januar 2009 - StB 24/08).
3. Hinsichtlich der Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gilt:
Die Maßnahmen setzten nach § 100 a StPO in der jeweils geltenden Fassung - soweit hier von Relevanz - voraus, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, der Beschuldigte habe als Täter oder Teilnehmer eine Straftat nach §§ 129, 129 a StGB oder eine sonstige Katalogtat begangen. Die Norm verlangt danach - insoweit in Übereinstimmung mit der heute geltenden Fassung - keinen bestimmten Verdachtsgrad; der Tatverdacht muss daher insbesondere weder hinreichend im Sinne des § 203 StPO noch gar dringend im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO sein (Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 100 a Rdn. 42). § 100 a StPO erfordert vielmehr nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen muss. Dabei sind mit Blick auf das Gewicht des in Rede stehenden Grundrechtseingriffs Verdachtsgründe notwendig, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (BVerfG NJW 2007, 2749, 2751); der Verdacht muss sich auf eine hinreichende Tatsachenbasis gründen (BVerfG NJW 2005, 2603, 2610) und mehr als nur unerheblich sein (BGHSt 41, 30, 33). Es müssen solche Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 100 a Rdn. 9), in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Katalogtat begangen hat; erforderlich ist, dass der Verdacht durch schlüssiges Tatsachenmaterial bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung erreicht hat (Nack in KK 6. Aufl. § 100 a Rdn. 34; noch enger Wolter in SK-StPO § 100 a Rdn. 43, § 100 c Rdn. 41). Den die Maßnahme anordnenden Stellen steht bei der Prüfung des Tatverdachts ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (BGHSt 47, 362, 365 f.; 48, 240, 248). Maßstab für die auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkte Prüfung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO ist insoweit, ob die genannten Stellen diesen Beurteilungsspielraum gewahrt oder überschritten haben. Die Tatsachengrundlage hierfür bietet der jeweilige damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand (BGHSt 41, 30, 33; BGH NStZ 2007, 117).
a) Bereits bei der ersten Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs einschließlich der damit verbundenen Übermittlung der Verbindungsdaten durch den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2001 (1 BGs 130/2001) lag ein nach dem dargelegten Maßstab ausreichender Tatverdacht nicht vor.
aa) Der damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand stellte sich im Wesentlichen wie folgt dar:
Am 14., 20. und 21. Juni 2001 gingen bei dem Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter und den Repräsentanten der "Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft" drei gleichlautende Schreiben mit der Überschrift "Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich …" ein, denen jeweils eine scharfe Kleinkaliberpatrone beigelegt war. Die einseitige Erklärung ist unterzeichnet mit "militante gruppe (mg), 12.6.01". Am 22. Juni 2001 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf ein Kraftfahrzeug der Daimler-Benz-Niederlassung in Berlin-Marienfelde. In anschließend bei verschiedenen Presseorganen eingegangenen Schreiben bekannten sich Mitglieder der "militante gruppe" zu der Tat und begründeten sie mit der Rolle des DaimlerChrysler-Konzerns bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern. Daneben bezogen sich die Verfasser auf die dargelegten Drohschreiben.
Unter dem 3. Juli 2001 übermittelte das BfV dem Generalbundesanwalt einen Bericht. In diesem wird mitgeteilt, dass die vorgenannten Taten nach Einschätzung des BfV von einer in Berlin seit mehreren Jahren aktiven militanten Gruppierung verübt worden seien, die in den Jahren 1996 und 1997 durch zwei in dem autonomen Szeneblatt "Interim" veröffentlichte Positionspapiere auf sich aufmerksam gemacht habe. Das BfV rechnete dieser "Selbstportrait-Gruppe" insbesondere mehrere Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge zu, die ab dem 10. August 1995 begangen worden waren. Das BfV nahm zudem eine Textanalyse vor, bei der die Positionspapiere der "Selbstportrait-Gruppe" aus den Jahren 1996 sowie 1997 und die Taterklärungen ausgewertet und verglichen wurden. Es kam zu der Bewertung, Übereinstimmungen in Argumentation, Diktion und Form sprächen für eine Autorenidentität sowohl hinsichtlich der Taterklärungen untereinander als auch in Bezug auf die Taterklärungen und die Positionspapiere der "Selbstportrait-Gruppe". Die Gruppe befinde sich offenbar an einem Scheideweg und scheine bereit zu sein, künftig gegen Personen militant aktiv zu werden.
Nach Einschätzung des BfV waren die drei früheren Beschuldigten Mitglieder der "Selbstportrait-Gruppe". Die früheren Beschuldigten U. und H. waren den Verfassungsschutzbehörden seit dem Jahr 1981, der frühere Beschuldigte F. seit etwa 1989/1990 als Aktivisten innerhalb der autonomen bzw. antiimperialistischen Szene bekannt. In dem Bericht vom 3. Juli 2001 heißt es zu ihnen weiter: "Zumeist engagierten sie sich - analog dem Selbstverständnis der 'Selbstportraitgruppe' u. a. in dem Berliner 'Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega'. Später - etwa ab Sommer 1998 - traten sie zusammen mit anderen Personen als 'Internationalistische Gruppe' auf. Seit Anfang 1999 arbeiten sie - u. a. in Kontakt mit Angehörigen der Initiative ‚Libertad!‘ - intensiv an der Vorbereitung und Durchführung der 'Internationalen Arbeitskonferenz Befriedung oder Befreiung' (Ostern 1999) mit. Anfang 2000 gründeten sie eine eigene ‚Libertad!‘-Gruppe Berlin (…). Gegen U., F. und H. führt das BfV seit Ende 1998 operative Maßnahmen. Dadurch wurde der enge 'gruppenmäßige' Zusammenhang der Genannten belegt." Der frühere Beschuldigte U. habe zudem als "Antonio" an einem konspirativen "Runden Tisch der Militanten" teilgenommen; eine Niederschrift des dort geführten Gesprächs sei im März 2000 in der "Interim" veröffentlicht worden. Die Äußerungen des als "Antonio" auftretenden Aktivisten wiesen, so das BfV, in Argumentation und Diktion eine Fülle von Parallelen zu Papieren der "Selbstportrait-Gruppe" auf.
Unter dem 2. Juli 2001 erstattete das Kriminaltechnische Institut des Bundeskriminalamts ein linguistisches Behördengutachten, in dem die zwei Texte der "Selbstportrait-Gruppe" aus den Jahren 1996 und 1997, neun Selbstbekennerschreiben zu verschiedenen Anschlägen, eine Grußbotschaft der Militanten Antiimperialistischen Gruppe, eine in der Zeitschrift "radikal" veröffentlichte Anleitung zum Bau von Brandsätzen sowie die Äußerungen des "Antonio" bei der Teilnahme am "Runden Tisch der Militanten" auf eine eventuelle Urheberschaftsidentität verglichen werden sollten. Während das BfV für alle diese Texte eine Autorenidentität annahm, stellte das Gutachten des Bundeskriminalamts eine Übereinstimmung nur für die Grundsatzpapiere der Jahre 1996 und 1997 sowie die Bauanleitung für den Brandsatz mit dem Wahrscheinlichkeitsgrad "wahrscheinlich" fest. Die Identität der Verfasser der Erklärungen von 1996 und 1997 mit denjenigen der Selbstbekennerschreiben und der Grußbotschaft wurde entweder als mit dem Grad "wahrscheinlich" ausgeschlossen oder sie konnte weder festgestellt noch ausgeschlossen werden. Einen näheren Vergleich der schriftlichen Texte und der mündlichen Äußerungen des "Antonio" nahm das Gutachten nicht vor. Der Sachverständige wies insoweit auf erhebliche methodische Probleme beim Vergleich von schriftlichen und mündlichen Texten hin. Die mündliche Rede sei spontan, enthalte kürzere Äußerungen und weise Abbrüche, Korrekturen, Interjektionen sowie Neuanfänge auf. Die mündliche Sprache basiere außerdem auf einer wechselseitigen Beeinflussung von Sprecher und Hörer, bestimmte Formulierungen würden unter Umständen übernommen. Werde eine solche mündliche Rede von Laien verschriftet, sei im Übrigen im Nachhinein regelmäßig nicht mehr festzustellen, wie der exakte Gesprächsverlauf war und wer was in welcher Form gesagt habe.
Nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Beschuldigten und gegen unbekannt durch den Generalbundesanwalt am 16. Juli 2001 regte das Bundeskriminalamt mit Schreiben an den Generalbundesanwalt vom 20. Juli 2001 an, einen Beschluss zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation der Beschuldigten zu beantragen. Mit Schriftsatz vom selben Tage beantragte der Generalbundesanwalt beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs einschließlich der damit verbundenen Übermittlung der Verbindungsdaten. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die Aktionen im Jahre 2001 seien nach Erkenntnissen des BfV möglicherweise von einem in Berlin seit Jahren aktiven "militanten Zusammenhang" verübt worden, der in den Jahren 1996 und 1997 durch zwei Positionspapiere auf sich aufmerksam gemacht habe. Die Taterklärungen enthielten eine Reihe formaler wie auch inhaltlicher Parallelen zu den genannten Positionspapieren, aber auch zu weiteren Selbstbezichtigungsschreiben der jüngeren Vergangenheit. Die früheren Beschuldigten seien aufgrund von Erkenntnissen des BfV verdächtig, Gründungsmitglieder der "militante gruppe" zu sein. Dies folge daraus, dass sie sich mit den Arbeitsfeldern "Internationalismus" und "Gefangenenarbeit" befassten, die auch den wesentlichen Schwerpunkt der "Politik" der "militante gruppe" bildeten. Sie arbeiteten in verschiedenen Solidaritätskommitees und der Gruppe "Libertad!" zusammen. In verschiedenen Selbstbezichtigungsschreiben zu Anschlägen hätten die Täter Bezug auf Aussagen dieser legal arbeitenden Gruppen genommen, so dass von einer personellen Verflechtung auszugehen sei. Damit entsprächen die Beschuldigten auch dem Selbstverständnis der "militante gruppe", wonach neben einer "militanten Praxis" auch die Arbeit in "legalen Basisinitiativen" erforderlich sei. Der frühere Beschuldigte U. habe wahrscheinlich unter dem Decknamen "Antonio" als Vertreter der "militante gruppe" am "Runden Tisch der Militanten" teilgenommen; seine Äußerungen wiesen eine Fülle von Parallelen in Argumentation und Diktion zu den Positionspapieren der Jahre 1996 und 1997 auf. Er habe erklärt, als "Thema der Zukunft" für militanten Widerstand biete sich an, Firmen anzugreifen, die sich weigern, Zwangsarbeitern Entschädigungen zu zahlen. Ähnlich habe sich U. im November 2000 geäußert. Vor diesem Hintergrund biete die enge Zusammenarbeit der drei Beschuldigten in Themenbereichen der "militante gruppe" konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass sie Gründungsmitglieder der Vereinigung seien.
In der Antragsschrift des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vom 20. Juli 2001 wird unter anderem ausgeführt, die Taterklärungen enthielten eine Reihe formaler wie auch inhaltlicher Parallelen zu den Positionspapieren aus den Jahren 1996 und 1997, aber auch zu weiteren Selbstbezichtigungsschreiben der jüngeren Vergangenheit. Das den Erkenntnissen des BfV entgegenstehende linguistische Gutachten des Bundeskriminalamts vom 2. Juli 2001 findet indes - wie auch in der Anregung des Bundeskriminalamts an den Generalbundesanwalt vom selben Tage - keine Erwähnung.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ordnete sodann antragsgemäß mit Beschluss vom 24. Juli 2001 (1 BGs 130/2001) die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs der früheren Beschuldigten einschließlich der damit verbundenen Übermittlung der Verbindungsdaten an. Zum Tatverdacht gegen die früheren Beschuldigten enthält die Entscheidung dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechende Erwägungen.
bb) Bei der zum Zeitpunkt des Beschlusses am 24. Juli 2001 bestehenden Beweislage hätten die Überwachungsmaßnahmen auch bei Berücksichtigung des den anordnenden Stellen zustehenden Beurteilungsspielraums nicht gestattet werden dürfen. Die den Ermittlungsakten zu entnehmenden Erkenntnisse des BfV begründen nicht den für eine Maßnahme nach § 100 a StPO erforderlichen Verdacht, die früheren Beschuldigten hätten sich wegen einer Tat nach den §§ 129 ff. StGB oder einer sonstigen Katalogtat strafbar gemacht. Zwar war genügend wahrscheinlich, dass es sich bei der "militante gruppe" um eine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handelte. Jedoch boten die Ermittlungsergebnisse keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die früheren Beschuldigten diese gegründet, sich an ihr als Mitglieder beteiligt, sie unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer geworben, mithin eine nach den §§ 129 ff. StGB strafbare Handlung begangen haben könnten.
Die Annahme des BfV, es bestehe der Verdacht, die drei früheren Beschuldigten seien Gründungsmitglieder der "Selbstportrait-Gruppe" gewesen, ist nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Den Ausführungen des Verfassungsschutzes lässt sich zwar entnehmen, dass die früheren Beschuldigten dem politisch linken Spektrum zuzuordnen sind und sich mit Themenbereichen befasst haben, die auch Gegenstand der Verlautbarungen in den der "Selbstportrait-Gruppe" zugerechneten Schriften waren. Dabei handelt es sich jedoch mit der Problematik der Entschädigung von Zwangsarbeitern und Ähnlichem um eher allgemeine, zur damaligen Zeit auch verstärkt in der öffentlichen Diskussion befindliche und nicht derart spezielle Themen, dass hieraus nähere Rückschlüsse auf die Personen der früheren Beschuldigten gezogen werden können. Den Angaben des BfV lässt sich trotz der langjährigen Beobachtung der früheren Beschuldigten und des Umstands, dass gegen diese schon seit dem Jahr 1998 - und damit bereits etwa drei Jahre - operative Maßnahmen durchgeführt wurden, nichts entnehmen, was wesentlich über allgemeine Erkenntnisse über deren politische Orientierung hinausgeht.
Das BfV hat ebenfalls nicht ausreichend dargetan, aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte anzunehmen sein sollte, dass der frühere Beschuldigte U. als "Antonio" an dem "Runden Tisch der Militanten" teilnahm. Dem Bericht vom 3. Juli 2001 ist insoweit im Wesentlichen lediglich zu entnehmen, "durch ein Bündel operativer Maßnahmen" habe das BfV Ort und Zeit des konspirativen Treffens ermittelt. Außerdem zeigen Observationsfotos den früheren Beschuldigten U. beim Betreten des Gebäudes, in dem das Treffen stattfand. Bei dieser Beweislage ist als hinreichend wahrscheinlich nur anzunehmen, dass er an dem Treffen teilgenommen hat. Die näheren Einzelheiten bezüglich seines Verhaltens in der Diskussionsrunde bleiben jedoch völlig im Dunkeln. Insbesondere erhellt sich nicht, wieso das BfV davon ausgeht, gerade er habe die Rolle des "Antonio" eingenommen. Der Umstand, dass der frühere Beschuldigte U. sich - wie "Antonio" - thematisch mit der Entschädigung von Zwangsarbeitern sowie der "RZ" befasst hat, ist aus den genannten Gründen auch in diesem Zusammenhang allenfalls ein nur äußerst schwaches, nicht ausreichendes Indiz für eine Identität. Nach den zur Ermittlungsakte gelangten Erkenntnissen kann der frühere Beschuldigte U. demnach mit genauso großer Wahrscheinlichkeit der "Militante Moderator" oder ein sonstiger Diskussionsteilnehmer gewesen sein.
Zu den Textvergleichen und den aus deren Ergebnissen gezogenen Schlüssen hat der Senat bereits früher darauf hingewiesen, dass bei Analysen von Bekennerschreiben vorgefundene Übereinstimmungen in thematischer, stilistischer und textgestalterischer Hinsicht regelmäßig Indizien mit einem allenfalls äußerst geringen Beweiswert sind (BGH, Beschl. vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, Rdn. 33). Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch die Ausführungen in dem Behördengutachten des Bundeskriminalamts vom 2. Juli 2001 zu den methodischen Problemen, die sich bei der Analyse und Bewertung von Texten aus dem linksextremistischen Bereich stellen (Ziffer 4.2, SA Band 1 Ordner 1 Bl. 299), nachhaltig bestätigt. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass verschiedene Urheber ihnen zugängliche Texte anderer Autoren zur Kenntnis nehmen und sich darauf beziehen oder diese nachahmen. Somit sind die diesbezüglichen Ausführungen des BfV schon für sich nicht geeignet, Wesentliches zur Begründung eines Tatverdachts gegen die früheren Beschuldigten beizutragen.
Die Beweisbedeutung der von den Verfassungsschutzbehörden durchgeführten Textvergleiche wird noch geringer, wenn man die Ergebnisse des Gutachtens des Bundeskriminalamts in die Bewertung einbezieht. Die dort dargelegten Gründe, einen Vergleich der schriftlichen Texte mit den mündlichen und später verschrifteten Äußerungen des "Antonio" gar nicht erst vorzunehmen, sind in hohem Maße plausibel. Im Übrigen lässt sich nach den sachverständigen Äußerungen des Bundeskriminalamts für kein einziges Tatbekennerschreiben auch nur mit einem geringen Wahrscheinlichkeitsgrad eine Urheberidentität mit den der "Selbstportrait-Gruppe" zugerechneten Texten aus den Jahren 1996 und 1997 feststellen. Dieses Ergebnis wird nicht maßgebend relativiert durch die Ausführungen des Bundeskriminalamts in dem auf den 31. Juli 2002 datierten Vermerk (SA Band 1 Ordner 1 Bl. 334 ff.). Dort werden die abweichenden Ergebnisse des Gutachtens des Bundeskriminalamts und der Analyse des BfV damit zu erklären versucht, dass die Tätigkeit des BfV darauf gerichtet gewesen sei, Texte als gedankliches Produkt einer Gruppe zu erkennen. Das Gutachten des Bundeskriminalamts habe demgegenüber auf die Identität des konkreten Verfassers der Texte abgestellt. Da die Möglichkeit bestehe, dass unterschiedliche Personen aus derselben Gruppe die untersuchten Schriften verfasst haben könnten, habe das BfV zu anderen Resultaten als das Bundeskriminalamt kommen können. Diese Argumentation greift schon im Ansatz nicht, soweit es die Äußerungen des "Antonio" anlässlich des "Runden Tischs der Militanten" betrifft. Es bedarf keiner näheren Betrachtung, ob sie im Übrigen plausibel sein könnte; selbst wenn man ihr folgen wollte, lässt sich aus der Analyse des BfV, die dann allenfalls Gruppenübereinstimmungen aufzeigen könnte, jedenfalls kein konkreter Verdacht gegen einen der früheren Beschuldigten ableiten, eine bestimmte Straftat begangen zu haben.
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass sich ein genügender Verdacht gegen die früheren Beschuldigten gerade in der Zeit vor Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und dem Beginn der strafprozessualen Maßnahmen gebildet hat. Die in Rede stehenden Brandanschläge begannen bereits im Jahre 1995. Schon in Vermerken vom 18. August 1999, 21. Februar 2000, 27. April 2000 und 7. Februar 2001 hatte das BfV Textvergleiche vorgenommen und war zu der Einschätzung gelangt, es bestünden wesentliche Übereinstimmungen zwischen den Selbstbezichtigungsschreiben bzw. den Aussagen des "Antonio" anlässlich der Teilnahme am "Runden Tisch der Militanten" einerseits und den Texten der "Selbstportrait-Gruppe" andererseits. Die früheren Beschuldigten waren den Verfassungsschutzbehörden bereits seit langem als Mitglieder der linksautonomen Szene bekannt; gegen sie wurde schon seit 1998 operativ ermittelt. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sie wurde jedoch erst eingeleitet, als die Verfassungsschutzbehörden aufgrund der Drohbriefe im Sommer 2001 - in der Sache möglicherweise mit Recht - von einer veränderten Zielrichtung der Gruppierung in dem Sinne ausgingen, dass sie befürchteten, die Angriffe könnten sich nunmehr auch gegen Personen richten. Dies deutet zumindest darauf hin, dass Grund für die strafprozessuale Verfolgung der früheren Beschuldigten ab Sommer 2001 nicht die Verdichtung eines gegen sie bestehenden Verdachts gewesen sein könnte, konkrete Straftaten begangen zu haben, sondern die Annahme der Polizei- und/oder Verfassungsschutzbehörden, die Gefahrenlage habe sich erhöht. Ähnliches gilt für den späteren Verlauf der Ermittlungen. Die Überwachungsmaßnahmen wurden mehrfach abgebrochen und in der Folgezeit wieder aufgenommen, ohne dass ausreichende neue Tatsachen dargelegt sind, die nunmehr den Verdacht begründen könnten, die früheren Beschuldigten hätten eine Straftat begangen. Statt dessen erscheinen jedenfalls teilweise Zusammenhänge zwischen der Intensität der Überwachung der früheren Beschuldigten und der allgemeinen Sicherheitslage als naheliegend. So war die Überwachung zum Beispiel ab November 2004 für eine kurze Zeit besonders intensiv. Dies könnte der Gefahrenlage in der Silvesternacht 2004/2005 geschuldet gewesen sein, nachdem es in den vergangenen Jahren in den Silvesternächten zu Anschlägen gekommen war. Der Senat verkennt weder, dass die Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit oder einzelne Personen eine vordringliche staatliche Aufgabe ist, noch dass aufgrund der Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes durch die §§ 129 ff. StGB (BGHSt 41, 47, 51) die Abgrenzung zwischen präventiven Ermittlungen und solchen zur Verfolgung von bereits begangenen Straftaten nicht in jedem Falle trennscharf möglich ist. Er sieht gleichwohl Anlass, darauf hinzuweisen, dass die präventive Gefahrenabwehr nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden ist und nicht durch Ermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage der Strafprozessordnung durchgeführt werden darf.
cc) Mit Blick auf den Umstand, dass das Gutachten des Bundeskriminalamts weder in der vom Bundeskriminalamt an den Generalbundesanwalt gerichteten Anregung noch in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Erwähnung findet, bemerkt der Senat: Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen davon ausgehen können, dass sie im Ermittlungsverfahren ihre Entscheidungen auf der Grundlage aller maßgebenden, bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt angefallenen Ermittlungsergebnisse treffen. Der Ermittlungsrichter ist bereits von Verfassungs wegen verpflichtet, die Zulässigkeit der beabsichtigten Maßnahme eigenständig zu prüfen (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa BVerfG NJW 2001, 1121, 1122 für den Fall der Anordnung einer Durchsuchung). Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des früheren Beschuldigten fehlt es an einer solchen eigenständigen Prüfung nicht ohne Weiteres bereits dann, wenn der Ermittlungsrichter Passagen aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft wörtlich in seinen Beschluss übernimmt. Denn stimmt der Ermittlungsrichter in seiner Einschätzung, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Ermittlungsmaßnahmen vorliegen, mit derjenigen der Antragstellerin überein, so ist er nicht verpflichtet, dies durch eine eigene sprachliche Stilübung im Anordnungsbeschluss selbstständig zu formulieren; vielmehr darf er insoweit durchaus wörtlich auf die Ausführungen in der Antragsschrift zurückgreifen. Die dem zugrunde liegende, unabdingbare, eigenständige Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch den Ermittlungsrichter muss allerdings in der Praxis häufig unter großem Zeitdruck durchgeführt werden; der Akteninhalt ist oft umfangreich. Die Erfüllung seiner Funktion als Kontrollorgan der Ermittlungsbehörden (BVerfG aaO) wird deshalb nicht unerheblich erschwert und verzögert, wenn der Ermittlungsrichter nicht annehmen kann, dass die Beweislage, soweit sie für die Entscheidung relevant ist, in den Antragsschriften ohne erhebliche Lücken dargetan ist.
b) Die im Laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse, wie sie etwa in den Sachstandsberichten des Bundeskriminalamts niedergelegt sind, sind mit Blick auf eine mögliche Begehung von Straftaten nicht von derart erheblichem Belang, dass sie einen ausreichenden Tatverdacht gegen die früheren Beschuldigten begründen könnten; deshalb sind auch alle späteren Anordnungen von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung rechtswidrig.
So lässt etwa die Erklärung von "Libertad!" vom 26. November 2003, keine belastbaren Rückschlüsse auf die Begehung konkreter Straftaten durch die früheren Beschuldigten zu. Soweit dort unter anderem "Arbeitsämter" als Anschlagsziele der "militante gruppe" genannt wurden, obwohl diese sich unter dieser Bezeichnung bis dahin nicht zu einem Anschlag auf ein Arbeitsamt bekannt hatte, ist dies bereits für sich genommen zur Begründung eines Tatverdachts wenig aussagekräftig. Hinzu kommt, dass gerade vor dem Hintergrund der Presseerklärung Nr. 1/2003 der "militante gruppe", in der Arbeitsämter und ähnliche Institutionen mit dem Ziel aufgelistet sind, andere Gruppierungen zu Aktionen zu veranlassen, die Möglichkeit einer ungenauen Recherche oder eines schlichten Versehens beim Abfassen des Textes nicht fern liegt (s. auch die ähnliche Bewertung durch das Bundeskriminalamt in seinem Auswertungsbericht vom 27. Mai 2008, S. 78; SA Band 2 Ordner 2 Bl. 000078).
Die Äußerungen des früheren Beschuldigten F. in den Telefonaten vom 31. Juli und 15. Oktober 2001 befassen sich nicht mit den verfolgten Taten; sie belegen letztlich lediglich dessen Nähe zu linksautonomem Gedankengut. In den den Äußerungen nachfolgenden Anträgen des Generalbundesanwalts und den Beschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird ihnen keine Bedeutung beigemessen.
Entsprechendes gilt für die SMS, die der frühere Beschuldigte F. am 15. Februar 2002 von einem Frankfurter Libertad-Aktivisten erhielt; aus dieser lässt sich entsprechend den Ausführungen des Bundeskriminalamts in dem TKÜ-Auswertungsbericht vom 12. April 2002 (SA Band 9 Ordner 1 Bl. 132, 139) ein ausreichend konkreter Bezug zu dem am 5. Februar 2002 in Berlin begangenen Anschlag nicht herstellen, der die Wahrscheinlichkeit begründen könnte, der frühere Beschuldigte F. habe sich an diesem Anschlag in strafbarer Weise beteiligt. Dort heißt es: "Ein Zusammenhang zwischen der SMS an den Beschuldigten F. und dem Brandanschlag auf das Bezirksamt kann weder ausgeschlossen noch mit Sicherheit angenommen werden. D. h., es kann derzeit nicht festgestellt werden, ob G. mit der SMS auf den Brandanschlag anspielt bzw. ob und von wem er über diesen Anschlag und dessen Hintergründe informiert war." Der Senat sieht keinen Anlass für eine hiervon abweichende Beurteilung.
Der Inhalt der Auswertungsberichte des Bundeskriminalamts zu den Überwachungsmaßnahmen zeigt vielmehr, dass wesentliche Erkenntnisse zu begangenen Straftaten nicht gewonnen werden konnten. Beispielhaft sei auf folgende Bewertungen hingewiesen: In dem Bericht vom 14. Januar 2002 (SA Band 9 Ordner 1 Bl. 97, 101) wird ausgeführt: "Es ergaben sich durch die Telefonüberwachungsmaßnahmen weder Hinweise darauf, dass U. Mitglied in der 'militante(n) gruppe (mg)' ist, noch dass er Straftaten begangen hat." In der Telefaxnachricht des Bundeskriminalamts an den Generalbundesanwalt vom 15. Januar 2002 (SA Band 9 Ordner 1 Bl. 94 f.) heißt es auszugsweise: "Die TKÜ-Maßnahmen erbrachten bisher keine Erkenntnisse darüber, ob die Beschuldigten Mitglieder der 'militante(n) gruppe' sind." Etwa ein Jahr später kommt das Bundeskriminalamt in seinem TKÜ-Auswertungsbericht vom 14. Januar 2003 zu folgendem Ergebnis (SA Band 9 Ordner 1 Bl. 283, 289): "Im Überwachungszeitraum konnte der Tatverdacht gegen F., Mitglied der 'militanten gruppe (mg)' zu sein, nicht erhärtet werden. (…) Anhaltspunkte für eine Beteiligung von F. an der Presseerklärung konnten nicht gefunden werden. Bzgl. des Brandanschlags auf das Finanzamt scheidet F. als Täter aus, da er in der fraglichen Zeit in Schweden war." Im TKÜ-Auswertungsbericht vom 14. Oktober 2003 (SA Band 9 Ordner 2 Bl. 65, 74) heißt es: "Eine Beteiligung der Mitglieder der libertad! Berlin-Gruppe, insbesondere H.'s und U.'s an Straftaten der 'militanten gruppe (mg)' gem. § 129 a StGB kann hier aufgrund der TKÜ-Maßnahmen derzeit weder bestätigt noch widerlegt werden." In einem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 27. November 2003 (SA Band 9 Ordner 2 Bl. 91) wird aus Anlass einer vorangegangen Veröffentlichung des Magazins FOCUS über die Überwachung der früheren Beschuldigten unter anderem ausgeführt: "Bei keinem dieser Anschläge ist es mit den TKÜ-Maßnahmen bisher gelungen, beweisrelevante Anhaltspunkte für eine unmittelbare Tatbeteiligung eines der o. a. Beschuldigten zu erhalten. In vielen der genannten Fälle ist eine Tatbeteiligung einzelner Beschuldigter lediglich möglich. (…) Es ist somit unwahrscheinlich, mit den TKÜ-Maßnahmen, die bisher weitestgehend ins Leere gelaufen sind, in näherer Zukunft bei dem gleichen Personenkreis Beweise für eine Tatbegehung zu erlangen."
Die Ermittlungen haben sogar - auch nach Auffassung des Bundeskriminalamts und des Generalbundesanwalts - die früheren Beschuldigten entlastende Umstände erbracht. In Einzelfällen belegen die Ergebnisse der verdeckten Maßnahmen, dass die früheren Beschuldigten an Aktionen der "militante gruppe" nicht beteiligt gewesen sein können (vgl. u. a. Auswertungsvermerk vom 6. Februar 2008, SA Band 2 Ordner 2 Bl. 000255 ff.). So ist etwa eine unmittelbare Mitwirkung für alle drei früheren Beschuldigten an dem Brandanschlag auf das Oberlandesgericht Naumburg und auf ein Kraftfahrzeug der Staatsanwaltschaft Halle am 18. September 2003, die Beteiligung des früheren Beschuldigten F. an den Brandanschlägen auf das Finanzamt Berlin-Neukölln am 1. Januar 2003 und auf das Polizeipräsidium Berlin am 9. April 2006 sowie des früheren Beschuldigten U. an dem Brandanschlag auf das Arbeitsamt Berlin-Südwest am 27. April 2003 auszuschließen. Die Ergebnisse der durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen legen zudem in einigen Fällen nahe, dass eine unmittelbare Mitwirkung einzelner früherer Beschuldigter an bestimmten Anschlags- oder Begleithandlungen insbesondere ab dem Jahr 2005 unwahrscheinlich oder sogar unmöglich war. Dies gilt für alle drei früheren Beschuldigten für das Absenden einer E-Mail mit dem gekürzten Selbstbezichtigungsschreiben zu dem versuchten Brandanschlag auf das Arbeitsamt Berlin-Südwest am 27. April 2004, für den Brandanschlag auf zwei Polizeifahrzeuge in Berlin-Lichtenrade in der Nacht zum 5. Mai 2006, für den Brandanschlag auf das Sozialgericht Berlin in der Nacht zum 24. Mai 2006 sowie für den Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge der Bundespolizei in Oranienburg in der Nacht zum 15. Januar 2007; für die früheren Beschuldigten U. und F. für den Brandanschlag auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung in Berlin-Dahlem in der Nacht zum 9. November 2005, für den Brandanschlag auf vier Fahrzeuge des Ordnungsamts Berlin Treptow-Köpenick in der Nacht zum 20. März 2006, für den Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge der Bundespolizei in Berlin-Lichtenberg in der Nacht zum 4. September 2006, für den Brandanschlag auf zwei Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei in Berlin-Spandau am 18. Mai 2007 sowie für den Brandanschlag auf zwei Kraftfahrzeuge des Ordnungsamts Berlin-Reinickendorf in der Nacht zum 11. September 2006; für die früheren Beschuldigten F. und H. für die Taten in der Nacht zum 20. Dezember 2006 sowie für den Brandanschlag auf ein Bürogebäude in Berlin-Mitte am 16. März 2007; für den früheren Beschuldigten F. für das Verfassen des Textes "Für einen revolutionären Aufbauprozeß Für eine militante Plattform von der militanten gruppe (mg) 15.04.02", veröffentlicht in der Interim Nr. 550 vom 5. September 2002 sowie für einen Telefonanruf im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf Fahrzeuge einer Chrysler-Niederlassung in Großziethen in der Nacht zum 29. April 2002; für den früheren Beschuldigten U. für die Presseerklärung Nr. 1/2003 der "militante gruppe" vom 17. April 2003 sowie für den Brandanschlag auf einen LKW der Fa. "ALBA" in Berlin in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 2003; für den früheren Beschuldigten H. für den Brandanschlag auf den Rohbau eines LIDL-Marktes in Berlin-Steglitz in der Nacht zum 10. Januar 2005, für die Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge in Potsdam und Berlin-Reinickendorf in der Nacht zum 29. April 2005 sowie schließlich für die Straftaten in der Nacht zum 17. Februar 2006.
Da nach alldem zu keinem Zeitpunkt ein ausreichender Tatverdacht bestand, muss der Senat nicht darüber entscheiden, ab welchem Zeitpunkt eine ursprünglich zulässige Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme bei angemessener Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unzulässig geworden wäre, weil im Überwachungszeitraum keine wesentlichen neuen Erkenntnisse erlangt wurden.
4. Die obigen Ausführungen gelten für die nach § 163 f StPO angeordneten und durchgeführten Observationsmaßnahmen einschließlich der Begleitmaßnahmen entsprechend. Auch insoweit fehlte es an einem die Maßnahmen rechtfertigenden Verdacht; denn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass einer der früheren Beschuldigten eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hatte, lagen nicht vor.
III.
Da das Rechtsmittel Erfolg hat, trägt die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen (§§ 464, 473 StPO). Eine Entscheidung über die in erster Instanz entstandenen Auslagen des früheren Beschuldigten war aus den vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend dargelegten Gründen nicht veranlasst.
Becker von Lienen Schäfer