Entscheidungsdatum: 30.06.2016
Die Beschwerden der Beschuldigten gegen die Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. November 2014 (1 BGs 235/14), vom 20. November 2014 (1 BGs 236/14) und vom 25. Januar 2016 (1 BGs 4/16) werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
I. Die Beschuldigten K. und W. sind seit dem 11. April 1995 unbekannten Aufenthalts. Der Beschuldigte H. , der zunächst ebenfalls unbekannten Aufenthalts war, wurde am 11. April 2014 aufgrund eines gegen ihn bestehenden Haftbefehls in Venezuela festgenommen; ein Auslieferungsersuchen der Bundesrepublik Deutschland hat die Bolivarische Republik Venezuela zwischenzeitlich abgelehnt.
Gegen die Beschuldigten bestanden zunächst Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 1995 und vom 21. Oktober 2004, die neben der nach wie vor verfahrensgegenständlichen Tat weitere Vorwürfe, namentlich den der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ("Das K.O.M.I.T.E.E.") nach § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF sowie den der Brandstiftung wegen eines Anschlags auf ein Kreiswehrersatzamt vom 27. Oktober 1994, zum Gegenstand hatten. Die Haftbefehle vom 21. Oktober 2004 sind durch diejenigen vom 19. und 20. November 2014 bzw. denjenigen vom 25. Januar 2016 abgeändert und neu gefasst worden. Gegenstand dieser Haftbefehle ist allein noch der Vorwurf, die Beschuldigten hätten sich am 11. April 1995 verabredet, vorsätzlich durch Sprengstoff eine Explosion herbeizuführen und dadurch vorsätzlich fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden, strafbar gemäß § 30 Abs. 2 Variante 3 in Verbindung mit § 311 Abs. 1 StGB in der Fassung der Neubekanntmachung vom 10. März 1987 (BGBl. I, S. 945; im Folgenden: StGB aF).
Die Beschuldigten, denen die Haftbefehle nicht bekannt sind, haben gegen die Haftbefehle vom 21. Oktober 2004, hilfsweise gegen den jeweils zurzeit gegen sie bestehenden Haftbefehl Beschwerden eingelegt. Diese richten sich damit gegen die Haftbefehle vom 19. bzw. 20. November 2014 und vom 25. Januar 2016.
II. Die Beschwerden sind unbegründet.
1. Nach dem Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts davon auszugehen, dass die Beschuldigten übereinkamen, am 11. April 1995 die in diesem Zeitpunkt wegen Umbauarbeiten leerstehende und als Abschiebehaftanstalt vorgesehene Justizvollzugsanstalt in Berlin/Grünau mittels einer Sprengstoffexplosion zu zerstören. Dazu hatten sie über 120 Kilogramm eines explosiven Gemischs aus mehreren Chemikalien beschafft und in vier Propangasflaschen gefüllt, von denen sie zwei mit einer Zündvorrichtung versehen hatten, und die sie auf einem in der Nähe der Justizvollzugsanstalt liegenden Parkplatz in einen entwendeten Transporter einluden. Sie beabsichtigten, den Transporter an der Justizvollzugsanstalt abzustellen und den Sprengstoff in den frühen Morgenstunden des 11. April 1995 zur Explosion zu bringen. Dazu kam es nicht, weil sie sich von einer zufällig an dem Parkplatz vorbeifahrenden Polizeistreife entdeckt wähnten und die Flucht ergriffen.
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der Auffindesituation des mit den Sprengvorrichtungen beladenen Transporters und des in unmittelbarer Nähe dazu abgestellten weiteren Kraftfahrzeugs, in dem sich die Ausweispapiere der Beschuldigten und weitere auf sie als Täter hinweisende Gegenstände befanden.
3. a) In rechtlicher Hinsicht ist damit der Vorwurf der Verabredung zu dem Verbrechen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion belegt, strafbar gemäß § 311 Abs. 1, § 30 Abs. 2 StGB aF. Entgegen der Auffassung der Beschuldigten wird die Strafbarkeit nach diesen Vorschriften nicht durch den Tatbestand der Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion nach § 311b Abs. 1 Nr. 2 StGB aF verdrängt, vielmehr verbietet sich dies bereits aufgrund der höheren Strafdrohung für die Verabredung, die sich hier aus § 311 Abs. 1, § 30 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB aF ergibt und diejenige aus § 311b Abs. 1 Nr. 2 StGB aF (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) deutlich übersteigt (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 438/15, NJW 2016, 1030, 1032 mwN). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen gibt der vorliegende Fall keinen Anlass.
Die Ahndung dieser Tat ist nicht wegen Verjährung ausgeschlossen. Insoweit gilt:
Die Vorschrift des § 311 Abs. 1 StGB aF sah, wie nunmehr der gleichlautende § 308 Abs. 1 StGB nF, in Verbindung mit § 38 Abs. 2 StGB aF eine Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Eine nach dieser Vorschrift strafbare Tat verjährte deshalb gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF in 20 Jahren. Dies gilt auch für Fälle, in denen wie hier nach § 30 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 StGB aF eine Milderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB aF vorzunehmen ist (vgl. § 78 Abs. 4 StGB aF). Die mithin maßgebliche Verjährungsfrist von 20 Jahren begann nach § 78a Satz 1 StGB aF am 11. April 1995 zu laufen und wurde gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB aF durch den Erlass sämtlicher in dieser Sache ergangenen Haftbefehle fristgerecht unterbrochen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2008 - StB 25/08, BGHR StGB § 78c Abs. 1 Nr. 5 Haftbefehl 2), so dass sie jeweils neu zu laufen begann (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB aF), zuletzt durch Erlass der angefochtenen Haftbefehle. Da auch das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist seit dem 11. April 1995 noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB aF) - dies wäre erst im April des Jahres 2035 der Fall - besteht ein Verfahrenshindernis nicht.
Der Senat hat weder mit Blick auf den Schuldgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip, den Gleichbehandlungsgrundsatz noch das Bestimmtheitsgebot Zweifel daran, dass § 30 Abs. 2 StGB aF verfassungsgemäß ist. Für ein Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist damit kein Raum.
b) Es besteht darüber hinaus der dringende Verdacht, dass die Beschuldigten auch den Tatbestand der Vorbereitung einer Tat nach § 311 Abs. 1 StGB aF erfüllt haben, strafbar gemäß § 311b Abs. 1 Nr. 2 StGB aF; insoweit ist die Strafverfolgung jedoch verjährt, nachdem die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB aF, gegebenenfalls auch in Verbindung mit § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB aF spätestens mit Ablauf des 11. April 2005 verstrichen war. Ebenfalls - spätestens seit Anfang September 2015 (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF, auch in Verbindung mit § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB aF) - verjährt ist die den Beschuldigten vorgeworfene Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. - als milderes Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB - gemäß § 129a Abs. 2 Nr. 2 StGB nF.
4. Es besteht hinsichtlich aller drei Beschuldigter der Haftgrund der Flucht, § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO. Dies gilt auch mit Blick auf den Beschuldigten H. , dessen Aufenthaltsort in Venezuela mittlerweile bekannt ist, weil dieser nicht aus dem Ausland zurückkehren will, um sich dem Verfahren zu stellen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 13 mwN).
5. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs war für den Erlass der angefochtenen Haftbefehle gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 142a Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG zuständig. Dies folgt daraus, dass sich die Sprengstoffexplosion, zu deren Herbeiführung sich die Beschuldigten verabredeten, nach dem Ergebnis der Ermittlungen naheliegend als Teil der Strategie und Zielsetzung der terroristischen Vereinigung "Das K.O.M.I.T.E.E." darstellte, deren Mitglieder die Beschuldigten waren. Diese Vereinigung war darauf gerichtet, die politischen Verhältnisse in Deutschland im Sinne der linksgerichteten Ideologie dieser Gruppierung umzuwälzen; die von der Vereinigung begangenen Anschläge waren ebenso wie die beabsichtigte Tat geeignet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, indem die Funktionsfähigkeit der Exekutivorgane des Staates durch gemeingefährliche Straftaten erheblich beeinträchtigt werden sollte.
Mit Blick auf die geplante dauerhafte Unbrauchbarmachung der Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine staatsgefährdende Straftat von besonderem Gewicht, so dass auch die besondere Bedeutung des Falles im Sinne von § 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG vorliegt. Diese Einschätzung wird auch dadurch gestützt, dass es sich bei dem zwar verjährten aber gleichwohl tateinheitlich ebenfalls verwirklichten Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung um ein Delikt handelt, das in die originäre Zuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG und damit gemäß § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts fällt.
6. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist wegen des Gewichts des Tatvorwurfs auch angesichts der seit der Tat verstrichenen Zeit weiterhin verhältnismäßig. Insoweit ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass die mittlerweile verjährten Tatvorwürfe gleichwohl - wenn auch mit minderem Gewicht - strafschärfend berücksichtigt werden können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. März 1994 - 4 StR 117/94, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 24 mwN).
Becker Mayer Gericke