Entscheidungsdatum: 19.11.2018
Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der örtlichen Wartezeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Köln vom 14. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt keiner der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO vor.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO). Das Oberlandesgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger kann die ausgeschriebene Notarstelle nicht übertragen werden, weil er die besondere Bestellungsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO (örtliche Wartezeit) im maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist nicht erfüllt hat und kein Grund vorliegt, von diesem Erfordernis in seinem Fall ausnahmsweise abzusehen. Wie das Oberlandesgericht richtig gesehen hat, liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs oder -fehlgebrauchs nicht vor. Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Beklagte insbesondere nicht die Reichweite des ihm eingeräumten Ermessens verkannt.
a) § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO ist eine Sollvorschrift und eröffnet damit der Landesjustizverwaltung kein uneingeschränktes Ermessen. Vielmehr sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dem Ermessen enge Grenzen gesetzt. Die Bestellung eines Bewerbers, der die örtliche Wartezeit nicht erfüllt, ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeitsgründen oder aus Bedarfsgründen zwingend erscheint (Senat, Beschlüsse vom 14. März 2016 - NotZ(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879 Rn. 11; vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 17; vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 7/12, AnwBl 2013, 151 Rn. 12; vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 29; vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76; vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969). Zudem muss den Zwecken der örtlichen Wartezeit, wenn auch auf andere Weise, genügt sein (Senat, Beschlüsse vom 14. März 2017 - NotZ(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879 Rn. 11; vom 26. November 2012 - NotZ (Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 19; vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969). Voraussetzung dafür ist die Vertrautheit des Bewerbers mit den örtlichen Verhältnissen, die Schaffung der wirtschaftlichen Grundlagen für die Notariatspraxis und der organisatorischen Voraussetzungen für die Geschäftsstelle (Senatsbeschluss vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 19 mwN). Je kürzer die Dauer der hauptberuflichen anwaltlichen Tätigkeit in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich ist, umso strikter sind die Ausnahmen zu handhaben (Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76).
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO und ihre Auslegung durch den Senat bestehen nicht (vgl. BVerfGE 110, 304, 322 ff.; BVerfG; NJW 2005, 50 f.; Senat, Beschlüsse vom 14. März 2017 - NotZ(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879 Rn. 9; vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 17; vom 21. Februar 2011 - NotZ(Brfg) 6/10, DNotZ 2011, 878 Rn. 2; vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 26). Mit § 6 Abs. 2 BNotO werden die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG an die Übertragung des Amtes des Anwaltsnotars näher konkretisiert und dadurch die Freiheit der Berufswahl in Gestalt subjektiver Zulassungsvoraussetzungen durch an den einzelnen Notarbewerber absolut gestellte Anforderungen (zusätzlich zu Anforderungen, die an ihn im Vergleich zu Mitbewerbern gestellt werden) beschränkt (vgl. BVerfGE 110, 304, 322). Die vom Gesetzgeber mit der Festlegung und Ausgestaltung der örtlichen Wartezeit in typisierender Betrachtungsweise erfolgte Ausübung seines Gestaltungsspielraums (vgl. BVerfG, DNotZ 2003, 375 zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNotO) einschließlich der mit der Sollvorschrift einhergehenden Einschränkung des Ermessens hat die Justizverwaltung zu achten. Die daraus resultierende Beschränkung eines Absehens von der Erfüllung der Wartezeit auf eng begrenzte Ausnahmefälle verstößt nicht gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann - unter Berücksichtigung der eigenständigen Bedeutung der örtlichen Wartezeit - ein öffentliches Interesse, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen, bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Sachverhalts in der Bestenauslese liegen (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 18; vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 7/12, AnwBl 2013, 151 Rn. 8 f.; vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 31; vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 77; vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969). Zudem ist der bei der Auslegung und Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO zu beachtende Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Die örtliche Wartezeit soll nicht nur verhindern, dass Bewerber, die die allgemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNotO zurückgelegt haben, sich für die Bestellung zum Notar den hierfür am günstigsten erscheinenden Ort ohne Rücksicht auf dort bereits ansässige Rechtsanwälte aussuchen können. Sie soll auch eine gleichmäßige Behandlung aller Bewerber gewährleisten (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 16; vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 14/11, NJW 2012, 1888 Rn. 6; vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 29; vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76). Es dürfen auch diejenigen nicht benachteiligt werden, die trotz an sich gegebener persönlicher und fachlicher Eignung für den Zweitberuf als Anwaltsnotar von einer Bewerbung mit Blick darauf absehen, dass die örtliche Wartezeit von ihnen noch nicht erfüllt ist (Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76).
c) Die Voraussetzungen für ein Absehen von der örtlichen Wartezeit haben der Beklagte und ihm folgend das Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise verneint. Bedarfsgründe im in Aussicht genommenen Amtsbereich erfordern die Verkürzung der Regelzeit nicht, was der Kläger nicht in Frage stellt. Ein im Prinzip der Bestenauslese begründetes öffentliches Interesse, im Falle des Klägers von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit ausnahmsweise abzusehen, besteht in Anbetracht der vom Kläger erzielten Prüfungsergebnisse nicht; auch Gerechtigkeitsgründe gebieten die Abkürzung der Regelwartezeit nicht, insbesondere handelt es sich bei der Verweisung des Klägers auf die Wartezeit nicht um ein sinnloses Beharren auf einer Formalie (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, juris Rn. 15; zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNotO Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2002 - NotZ 15/02, NJW-RR 2003, 642, 643). Bei seiner Entscheidung haben der Beklagte und ihm folgend das Oberlandesgericht zu Recht potentielle Interessenten, die sich gegebenenfalls wegen Nichterfüllung der örtlichen Wartezeit nicht beworben haben, in den Blick genommen. Zutreffend berücksichtigt das angefochtene Urteil ferner den Umstand, dass dem Kläger im Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist noch ein ganz erheblicher Teil (rund zwei Drittel) der örtlichen Wartezeit fehlte (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76). Der Verweis auf die Erfüllung der örtlichen Wartezeit trifft den Kläger auch nicht unverhältnismäßig. Ihm ist es zuzumuten, sich nach Ablauf der örtlichen Wartezeit erneut zu bewerben. Nach alledem entspricht die angefochtene Entscheidung dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit.
d) Schließlich ist das angefochtene Urteil nicht deshalb unrichtig, weil rund zehn Monate nach Ablauf der für den Kläger maßgeblichen Bewerbungsfrist eine Änderung der AVNot NW in Kraft getreten ist, wonach konkurrenzlose Bewerber, die bei Ablauf der Bewerbungsfrist zwei Jahre der örtlichen Wartezeit erfüllt haben, unter bestimmten Voraussetzungen zum Notar bestellt werden können. Abgesehen davon, dass der Kläger bei Ablauf der Bewerbungsfrist auch eine zweijährige örtliche Wartezeit noch nicht erfüllt hätte, ist diese Verwaltungsvorschrift, die lediglich Kriterien für die Ausübung des Ermessens im Rahmen der vorrangigen gesetzlichen Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO enthält, schon nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich auf die Bewerbung des Klägers nicht anwendbar.
Unzutreffend ist zudem die Ansicht des Klägers, dass für die Frage der Erfüllung der Wartezeit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Dem steht § 6 Abs. 2 Satz 1 BNotO entgegen, wonach die in den nachfolgenden Ziffern aufgezählten Kriterien "bei Ablauf der Bewerbungsfrist" erfüllt sein müssen.
2. Die Zulassung der Berufung ist auch nicht deshalb geboten, weil entscheidungserhebliche Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) gegeben wären. Entgegen der Ansicht des Klägers begründet es keinen Verfahrensfehler, dass das Oberlandesgericht auf die Rechts- und Sachlage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist abgestellt hat.
3. Klärungsbedürftige Rechtsfragen, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO verleihen oder besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO aufwerfen könnten, bestehen nicht. Ob in anderen Fällen Notarstellen unbesetzt bleiben oder von der Voraussetzung der örtlichen Wartezeit abgesehen werden kann, ist in jedem Einzelfall nach den dafür maßgeblichen Kriterien zu entscheiden.
Auch besondere tatsächliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO liegen nicht vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Wöstmann |
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Berichtigungsbeschluss vom 29. Januar 2019
Der Leitsatz der Entscheidung des Senats für Notarsachen vom 19. November 2018 wird wegen eines offensichtlichen Schreibversehens dahingehend berichtigt, dass es statt "Kammergericht" heißen muss "OLG Köln".
Herrmann |
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Müller |
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