Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 24.01.2017


BGH 24.01.2017 - KZR 63/14

Kartellrecht: Anwendung von Kartellverboten auf Vereinbarungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbringern


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
24.01.2017
Aktenzeichen:
KZR 63/14
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:240117UKZR63.14.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Dresden, 26. November 2014, Az: U 6/14 Kartvorgehend LG Leipzig, 4. April 2014, Az: 5 O 2239/13
Zitierte Gesetze
Art 101 Abs 1 AEUV

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. November 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin erbringt im Rahmen eines Pflegedienstes außerklinische intensivpflegerische Leistungen u.a. für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen in Dresden. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Parteien führen seit geraumer Zeit Verhandlungen über die Höhe der Vergütung und über die Frage, ob die Klägerin bundesweit Leistungen für die Versicherten der Beklagten erbringen darf.

2

In diesem Rahmen ist der Klägerin eine Korrespondenz zwischen der Hauptverwaltung der Beklagten und ihrer Regionaldirektion Chemnitz bekannt geworden. Darin berichtet die Zentrale: Die Klägerin verlange eine Stundenvergütung in Höhe von 34,44 €. Ihr würden in einem laufenden Fall aber nur 24,00 € gezahlt. Für die gegebenenfalls noch erforderlichen Vertragsverhandlungen würden weitere Hintergrundinformationen benötigt.

3

Die Regionaldirektion Chemnitz antwortete: Man habe sich bei der #    (#                            ) und dem *  (*               ) nach den Stundensätzen erkundigt. Die genauen Sätze seien nicht genannt worden. Es sei aber gesagt worden, dass sie unter 26,00 € bzw. bei ca. 25,00 € lägen. Die #    habe darauf hingewiesen, dass es gut wäre, wenn die Beklagte ebenfalls eine Vergütungsvereinbarung in diesem Rahmen treffen würde.

4

Die Klägerin meint, diese Korrespondenz stelle eine kartellrechtswidrige Preisabsprache dar; damit verhindere die Beklagte einen Preiswettbewerb auf dem Nachfragemarkt für außerklinische Intensivpflegedienstleistungen.

5

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es - bei entsprechenden Ordnungsmitteln im Falle der Nichtbefolgung - zu unterlassen,

1. sich mit anderen gesetzlichen Krankenkassen und Krankenkassenverbänden über die der Klägerin für deren intensivpflegerische Leistungen zu zahlenden Preise auszutauschen und/oder abzustimmen, oder

2. selbst Erkundigungen bei anderen gesetzlichen Krankenkassen oder Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen nach Preisen oder Vertragsbedingungen der Klägerin einzuholen oder Auskünfte hierüber gegenüber Dritten zu erteilen.

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Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag zu 1 weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden.

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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9

Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich nicht aus Art. 101 AEUV. Denn die Beklagte sei nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. März 2004 (C-264/01, Slg 2004, I-2493 = WuW/E EU-R 801 - AOK Bundesverband) als Krankenkasse nicht Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift. Sie übe keine wirtschaftliche Tätigkeit aus, sondern verfolge primär soziale Zwecke. Dies könne im Einzelfall zwar anders sein. Eine derartige Ausnahme liege hier aber nicht vor.

10

Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei auch nicht durch zwischenzeitliche Veränderungen im deutschen Gesundheitssystem überholt. Obwohl eine gewisse Konkurrenz der Krankenkassen um die Mitglieder politisch gewollt sei, finde nach wie vor kein wesentlicher wirtschaftlicher Wettbewerb zwischen den Kassen statt.

11

Auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. Oktober 2013 (C-59/12, ABl. 2013, Nr. C 344 = EuZW 2013, 941 - BKK/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs) habe keine Veränderung dieser Rechtslage herbeigeführt. Sie betreffe nur den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (UGP-Richtlinie), also das Lauterkeitsrecht. Eine einheitliche Bestimmung des Unternehmensbegriffs im Kartell- und im Lauterkeitsrecht sei jedoch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs nicht angelegt. Danach komme es vielmehr auf eine tätigkeitsbezogene Betrachtung an. Das entspreche auch der Auffassung des Gesetzgebers des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG).

12

Wegen der inhaltlichen Angleichung zwischen Art. 101 AEUV und § 1 GWB führe die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 AEUV auch zur Nichtanwendbarkeit des § 1 GWB, so dass der Klägerin auch aus dieser Vorschrift kein Unterlassungsanspruch zustehe.

13

Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 33, 1 GWB nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Denn diese Ausnahme von dem Grundsatz des § 69 Abs. 1 SGB V, wonach sich die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern ausschließlich nach dem Sozialgesetzbuch V richteten, komme wegen der Rückausnahme in § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V nicht zur Anwendung. Danach gelte Satz 1 der Norm nicht für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet seien. Eine solche Pflicht ergebe sich bezüglich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege aus § 132a Abs. 2 SGB V.

14

Zwar begründe § 132a Abs. 2 SGB V keinen "echten" Kontrahierungszwang. Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V greife aber auch dann ein, wenn sich die "Wettbewerbsteilhabechancen" im Endergebnis zu einem "Quasi-Anspruch" verdichteten, so dass sich die Krankenkasse einem Vertragsschluss letztlich nicht entziehen könne. So liege es bei den Verträgen nach § 132a SGB V. Für den Fall der Nichteinigung sei in § 132a Abs. 2 Satz 6, 7 SGB V sogar ein Schiedsverfahren vorgesehen. Die Krankenkasse könne den Vertragsschluss also nicht verhindern, sondern nur die Konditionen beeinflussen.

15

Diese Auslegung werde bestätigt durch eine Bemerkung in der Beschlussempfehlung zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz. Dort heiße es, dass unter Verträgen im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V beispielsweise Vereinbarungen über die Versorgung mit Heilmitteln und Hilfsmitteln nach § 125 Abs. 2 und § 127 Abs. 2 SGB V fielen. Diese Verträge seien aber strukturell vergleichbar mit Verträgen über die häusliche Krankenpflege nach § 132a Abs. 2 SGB V.

16

Auch der Wortlaut des § 132a Abs. 2 SGB V ("schließen die Krankenkassen Verträge") spreche nicht gegen diese Auslegung. An anderen Stellen des Gesetzes, wo keine Pflicht begründet werden solle, werde der Ausdruck "können" verwendet.

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Nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V komme die Rückausnahme zwar nur auf Verträge und sonstige Vereinbarungen zur Anwendung. Gleiches gelte aber, wenn die nicht unmittelbar dem Wortlaut unterfallende Verhaltensweise in einem engen sachlichen Zusammenhang mit einem derartigen Vertrag stehe. Das sei hier der Fall.

18

II. Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Die Klage ist unbegründet. Auf das dem Rechtsstreit zugrunde liegende Verhalten der Beklagten sind Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB nicht anzuwenden.

19

1. Nach § 1 GWB sind u.a. aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Eine Ausnahme davon ist in § 69 SGB V vorgesehen in Bezug auf Verträge zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege nach § 132a SGB V.

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Nach § 69 Abs. 1 SGB V regeln die Vorschriften des Vierten Kapitels des Sozialgesetzbuchs V sowie die §§ 63 und 64 SGB V die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden abschließend. Davon macht § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift gelten u.a. die §§ 1 und 33 GWB für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Diese Ausnahme gilt nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V aber wiederum nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind.

21

2. Die Voraussetzungen dieser Rückausnahme sind hier erfüllt. Daher scheidet eine entsprechende Anwendbarkeit der §§ 1, 33 GWB aus.

22

Die Beklagte ist zum Abschluss eines Vertrages mit der Klägerin gesetzlich verpflichtet im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V. Diese Pflicht ergibt sich aus § 132a Abs. 2 SGB V. Die Vorschrift regelt die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege und umfasst damit die Tätigkeit der Klägerin.

23

a) Im Schrifttum ist die Frage, ob § 132a Abs. 2 SGB einen Kontrahierungszwang im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V begründet, streitig (dagegen etwa Ammann in BeckOK SozialR/SGB V, Stand: 31. Juli 2016, § 132a Rn. 17 ff. mwN - aber "Quasi-Anspruch"; aA Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK - SGB V, 3. Aufl., § 132a Rn. 17; Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., SGB V § 69 Rn. 25; Trenk-Hinterberger in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., SGB V § 132a Rn. 10 f.). Das Bundessozialgericht hat diese Frage dahin beantwortet, dass eine gesetzliche Pflicht zum Vertragsschluss besteht. So heißt es - in einem obiter dictum - in einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 2016 (B 3 KR 26/15 R, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, juris Rn. 53):

Im Übrigen gilt, dass die Anwendung von §§ 19 ff GWB für Rahmenverträge nach § 132a SGB V ausgeschlossen ist. Nach § 69 Abs 2 Satz 2 SGB V (idF des AMNOG vom 22. Oktober 2010, BGBl I 2262) gilt dieser Anwendungsausschluss für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen und deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Dies entspricht der gesetzgeberischen Intention, die Ausschlussregelung dann greifen zu lassen, wenn Krankenkassen insbesondere keine Auswahlentscheidung zwischen den einzelnen Leistungserbringern treffen dürfen und insofern kein Wettbewerb stattfindet (vgl BT-Drucks 17/2413 S 26). Dazu sollen alle Versorgungsverträge zählen, die entweder die Krankenkassen oder die jeweiligen Verbände mit den Leistungserbringern oder deren Verbänden zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten abzuschließen haben (vgl BT-Drucks 17/3698 zu Nr 9 - § 69 SGB V - S 51). Während die Gesetzesmaterialien (aaO) als solche zwingenden Vertragsverpflichtungen die Versorgungsverträge in der Heil- und Hilfsmittelversorgung (§ 125 Abs 2, § 127 Abs 2 SGB V) ausdrücklich beispielhaft nennen, wurde im Bereich der Versorgung mit Haushaltshilfe (§ 132 Abs 1 Satz 2 SGB V) und im Bereich häuslicher Krankenpflege (§ 132a Abs 2 SGB V) auch schon zuvor angenommen, dass Leistungserbringer gegenüber der Krankenkasse "faktisch einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages" haben (vgl BT-Drucks 16/10609 S 52 zum GKV-OrgWG vom 15. Dezember 2008, BGBl I 2426). Diese Formulierung geht auf die Senatsrechtsprechung zurück, dass jeder Leistungserbringer, der die qualitativ-fachlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen erfüllt, einen Rechtsanspruch auf den Abschluss eines Versorgungsvertrags im Bereich der häuslichen Krankenpflege hat (vgl Senatsurteil vom 21. November 2002 - BSGE 90, 150, 153 = SozR 3-2500 § 132a Nr 4 S 14 ...). Vor dem Hintergrund, dass § 132a Abs 2 SGB V die Möglichkeit zum Abschluss von Kollektivverträgen erlaubt (vgl Senatsurteil vom 25. November 2010 - BSGE 107, 123, 136 = SozR 4-2500 § 132a Nr 5, RdNr 39), sind von der Ausschlussregelung des § 69 Abs 2 Satz 2 SGB V sowohl Selektiv- als auch Kollektivverträge erfasst. Denn eine mögliche Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern ist für Selektiv- wie für Kollektivverträge nach § 132a Abs 2 SGB V ausgeschlossen.

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Dass sich diese Ausführungen ihrem Einleitungssatz nach nur auf die Anwendbarkeit der §§ 19 ff. GWB beziehen, steht ihrer Übertragbarkeit auf § 1 GWB nicht entgegen. Denn ein sachlicher Grund, insofern zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen, ist nicht ersichtlich.

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b) Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an.

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(1) Sie ist vom Wortlaut des § 132a Abs. 2 Satz 1 SGB V ("Über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, über die Preise und deren Abrechnung ... schließen die Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern.") gedeckt und stimmt mit dem Willen des Gesetzgebers überein. So heißt es in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages vom 10. November 2010 zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP (BT-Drucks. 17/3698, S. 10, 18, 51 f.), in der die Gesetz gewordene Fassung des § 69 SGB V vorgeschlagen worden ist:

Satz 2 nimmt alle Verträge, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder ihre Verbände gesetzlich verpflichtet sind, vom Anwendungsbereich des Kartellrechts aus. Dies betrifft alle Versorgungsverträge, die entweder die Krankenkassen oder die jeweiligen Verbände mit den Leistungserbringern oder deren Verbänden zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten abzuschließen haben. Solche zwingenden Vertragsverpflichtungen finden sich z.B. in der Heilmittelversorgung im § 125 Abs. 2 SGB V und in der Hilfsmittelversorgung im § 127 Abs. 2 SGB V. Die Ausnahme vom Kartellrecht trägt der Versorgungsrealität in der GKV Rechnung. So werden etwa in Teilbereichen der Hilfsmittelversorgung die Verträge regelhaft nach § 127 Abs. 2 SGB V auf Verbandsebene und damit kollektivvertraglich geschlossen.

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Zwar bestehen zwischen den Verträgen über die häusliche Krankenpflege und denen über die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln insofern Unterschiede, als für letztere spezielle Mitteilungspflichten in § 125 Abs. 3 und § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V vorgesehen sind. Entscheidend ist aber, dass auch im Bereich der häuslichen Krankenversorgung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Kollektivverträge zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Leistungserbringer geschlossen werden können (BSG, BSGE 107, 123 Rn. 39). Diese Möglichkeit ist nach der genannten Beschlussempfehlung aber gerade der Grund für die Ausnahme vom Kartellverbot. Denn mit solchen Vereinbarungen werden die Preise für alle Leistungserbringer, die von den an den Kollektivverträgen beteiligten Verbänden vertreten werden, einheitlich festgesetzt. Ein freier Wettbewerb kann sich damit nicht entfalten.

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(2) Auch der Sinn und Zweck des § 69 Abs. 2 SGB V und die Gesetzessystematik sprechen dafür, auf Verträge nach § 132a Abs. 2 SGB V die Rückausnahme des Satzes 2 anzuwenden.

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Der Sinn und Zweck der Rückausnahme des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB V besteht darin, solche Verträge aus dem Anwendungsbereich des Kartellverbots zu nehmen, zu deren Abschluss die Krankenkassen verpflichtet sind und die deshalb nicht als Ergebnis des freien Spiels der Wettbewerbskräfte zustande kommen. Die Krankenkasse kann sich in diesen Fällen nicht aussuchen, mit wem sie den Vertrag schließen will und ob sie ihn überhaupt schließen will.

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So liegt der Fall auch hier. Zwar heißt es in § 132a Abs. 2 Satz 9 SGB V, bei der Auswahl der Leistungserbringer sei ihrer Vielfalt, insbesondere der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege, Rechnung zu tragen. Das bedeutet aber nicht, dass die Krankenkasse frei wäre in ihrer Entscheidung, mit wem sie einen Versorgungsauftrag abschließt und mit wem nicht. Wenn ein Leistungserbringer die qualitativ-fachlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen erfüllt, wäre - wie es in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 2016 (aaO) heißt - eine Weigerung der Krankenkasse, mit ihm einen Versorgungsvertrag zu schließen, diskriminierend und daher unzulässig. Dem entspricht auch § 132a Abs. 2 Satz 6 SGB V, wonach im Falle von Nichteinigung eine von den Parteien zu bestimmende unabhängige Schiedsperson den Vertragsinhalt festlegt.

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(3) Auch § 132a Abs. 1 Satz 1, 4 Nr. 6 SGB V spricht gegen eine Anwendung des Kartellrechts auf Verträge nach § 132a Abs. 2 SGB V. Danach sind von den Spitzenverbänden auf Bundesebene Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abzugeben. Darin sind u.a. die Grundsätze der Vergütungen und ihrer Strukturen einschließlich der Transparenzvorgaben für die Vergütungsverhandlungen zum Nachweis der tatsächlich gezahlten Tariflöhne oder Arbeitsentgelte zu regeln. Diese Regelung wird nach § 69 Abs. 2 Satz 3 SGB V aber von der Anwendung des Kartellrechts ausgenommen. Damit kann sich in diesem Bereich nur ein unvollkommener Geheimwettbewerb entwickeln.

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3. Auch aus Art. 101 Abs. 1 AEUV ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Unterlassung von Preisabfragen der vorgenommenen Art.

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Die Vorschrift ist hier nicht anwendbar. Sie setzt ein unternehmerisches Handeln des Normadressaten voraus (EuGH, Slg 2004, I-2493 = WuW/E EU-R 801 Rn. 57 - AOK Bundesverband; Slg 2006, I-6295 = WuW/E EU-R 1213 Rn. 25 f. - Fenin; ABl. 2013, Nr. C 344 = NJW 2014, 288 - BKK/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs). Daran fehlt es - wie dargelegt - im Anwendungsbereich des § 132a SGB V.

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