Entscheidungsdatum: 29.01.2019
Stationspreissystem
1. Steht die Überprüfung eines Infrastrukturnutzungsentgelts (hier: für die Nutzung von Eisenbahnstationen) im Zivilprozess am Maßstab billigen Ermessens in Widerspruch zu den Regelungen einer Richtlinie der Europäischen Union, die die Aufgabe der Überprüfung des Entgelts am Maßstab der in der Richtlinie vorgesehenen Entgeltgrundsätze, die u.a. einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Infrastruktureinrichtungen sicherstellen sollen, ausschließlich einer Regulierungsstelle zuweist, sind die hierfür in Betracht kommenden Normen des nationalen Rechts nach Möglichkeit so auszulegen und anzuwenden, dass nicht nur die von der Richtlinie vorgesehenen Zuständigkeits- und Verfahrensvorgaben, sondern insbesondere auch die materiellen Entgeltgrundsätze bestmöglich zur Geltung kommen.
2. Kommt in Betracht, dass sich ein von einem Eisenbahnverkehrsunternehmen rechtshängig gemachter Anspruch auf Rückzahlung überhöhter Stationspreise aufgrund einer nachträglichen Überprüfung des Stationspreissystems durch die Bundesnetzagentur als ganz oder teilweise begründet erweist, kann die Verhandlung des Rechtsstreits bis zur Entscheidung der Bundesnetzagentur ausgesetzt werden.
Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung der Bundesnetzagentur über den Antrag der Klägerin vom 7. November 2018 auf nachträgliche Überprüfung und Rückforderung der Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum November 2006 bis Februar 2008 - Nr. 1 b und c sowie Nr. 2 b und c des Antrags - ausgesetzt.
A. Die beklagte DB Station & Service AG, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG). Sie unterhält etwa 5.400 Bahnhöfe (Verkehrsstationen) in Deutschland. Die klagende Die Länderbahn GmbH DLB, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, nutzt Verkehrsstationen der Beklagten im Rahmen des Schienenpersonennahverkehrs. Die Parteien streiten über die Höhe des dafür zu entrichtenden Entgelts.
Die Beklagte schließt mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von ihr vorgehaltene Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen, jeweils Rahmenverträge über die Stationsnutzung ab. Darin nimmt sie hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentgelte Bezug auf ihre jeweils gültige Stationspreisliste (Stationspreissystem, SPS). Die Einzelnutzungen der Bahnhöfe werden in gesonderten Stationsnutzungsverträgen geregelt.
Die Parteien schlossen im November 1998 einen derartigen Rahmenvertrag. Damals galt das Preissystem 1999 (SPS 99), das Preise für jeden Bahnhof unter Berücksichtigung unter anderem der Kosten des Betriebs dieses Bahnhofs vorsah. Zum 1. Januar 2005 führte die Beklagte ein neues Preissystem (SPS 05) ein. Danach wurden die Preise nach bestimmten Preiskategorien und bezogen auf die jeweiligen Bundesländer pauschal ermittelt. Die Klägerin, für die das neue System zu Preiserhöhungen führte, zahlte die Erhöhungsbeträge ab dem 1. Januar 2005 nur noch unter Vorbehalt.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung von 747.057,74 €; das sind die von ihr gezahlten Stationsnutzungsentgelte für November 2006 bis Februar 2008, soweit sie über die Entgelte nach dem Preissystem 1999 hinausgehen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 605.116,76 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 473.917,88 € verurteilt. Dagegen wehren sich beide Parteien mit den vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen.
Der Senat hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet (Beschluss vom 7. Juni 2016 - KZR 12/15, WM 2016, 2047), das er zurückgenommen hat, nachdem der Gerichtshof auf eine Vorlage des Landgerichts Berlin das Urteil vom 9. November 2017 in der Sache CTL Logistics GmbH gegen DB Netz AG (C-489/15, EuZW 2018, 74) erlassen hat.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 7. November 2018 bei der Bundesnetzagentur u.a. die nachträgliche Überprüfung der Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum November 2006 bis Februar 2008 beantragt.
B. Es erscheint sachgerecht, die Verhandlung gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung der Bundesnetzagentur auszusetzen.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Klägerin ein Rückzahlungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) zustehe, soweit die geleisteten Zahlungen die in das Jahr 2004 fortgeschriebenen Entgelte nach dem SPS 99 zuzüglich eines der allgemeinen Teuerungsrate entsprechenden Zuschlags überstiegen. Das SPS 05 sei nicht maßgebend, weil es im Verhältnis der Parteien weder vereinbart noch von der Beklagten wirksam einseitig festgelegt worden sei. Zwar habe der Beklagten ein einseitiges Preisbestimmungsrecht zugestanden. Die in Ausübung dieses Rechts angeordnete Geltung des SPS 05 sei für die Klägerin aber nicht verbindlich, weil sie nicht billigem Ermessen entspreche (§ 315 BGB).
II. Ob diese Beurteilung - jedenfalls im Ergebnis und dem Grunde nach - der revisionsrechtlichen Nachprüfung standhält, hängt zunächst von der Entscheidung der Bundesnetzagentur ab.
1. Der geltend gemachte Bereicherungsanspruch besteht, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht schon deshalb, weil sich die Parteien nicht auf die von der Beklagten in den Jahren 2006 bis 2008 vorgegebenen Stationsentgelte geeinigt haben. Unterbleibt eine Einigung über das Entgelt und wird die vertragliche Nutzung gleichwohl durchgeführt, so ist die Vertragslücke im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AEG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 27. April 2005, BGBl. 2005 I, S. 1138, im Folgenden: AEG 2005; § 24 Abs. 4 EIBV 2005) durch Rückgriff auf die von der Beklagten erstellten Entgeltlisten zu schließen, sofern deren Heranziehung keine sonstigen Rechtsgründe entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - KZR 18/10, WuW/E DE-R 3417 Rn. 12 - Stornierungsentgelt; Urteil vom 8. Oktober 2014 - XII ZR 164/12, NJW-RR 2015, 114 Rn. 19).
2. An der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der das jeweilige Preissystem der Beklagten - wie anderer Eisenbahninfrastrukturunternehmen - im Rechtsstreit um einen Zahlungsanspruch des Infrastrukturunternehmens oder einen Rückzahlungsanspruch des Eisenbahnverkehrsunternehmens daraufhin zu überprüfen ist, ob die festgelegten Entgelte billigem Ermessen entsprechen (s. nur BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - KZR 18/10, WuW/E DE-R 3417 - Stornierungsentgelt), kann jedenfalls dann nicht festgehalten werden, wenn die Überprüfung der Entgelte durch die Bundesnetzagentur eine effektive Durchsetzung des Anspruchs der Eisenbahnverkehrsunternehmen auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur ermöglicht und einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen sicherstellt.
a) Der Unionsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. November 2017 zu Trassenentgelten entschieden, dass die Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur in der durch die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14), insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie der des § 315 BGB entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können.
Diese Auslegung des Unionsrechts beruht auf der Erwägung, dass die Richtlinie 2001/14 einen nicht diskriminierenden Zugang zu den Fahrwegen sicherstellen und Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen ermöglichen sollen, wie insbesondere in den Erwägungsgründen 5, 11 und 16 ausgeführt wird (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 36 f. mwN). Die Entgeltregelungen dienen dabei auch dazu, die Unabhängigkeit der Infrastrukturbetreiber zu gewährleisten (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 38 mwN) und diesen zur Sicherstellung einer effizienten Nutzung der ein Monopol begründenden Eisenbahninfrastruktur Anreize zu geben, die Nutzung der Fahrwege zu optimieren und wirtschaftlich sinnvolle Investitionen vorzunehmen (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 39-42). Eine solche effiziente Verwaltung sowie eine gerechte und nicht diskriminierende Nutzung von Eisenbahnfahrwegen erfordern die Einrichtung einer Regulierungsstelle, die über die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts wacht und - ungeachtet der gerichtlichen Nachprüfbarkeit - als Beschwerdestelle fungieren kann (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 43 unter Hinweis auf Erwägungsgrund 46 der Richtlinie).
Denn die Gleichbehandlung der Eisenbahnunternehmen bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen ist die Vorbedingung für die Schaffung eines fairen Wettbewerbs (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 45). Indem die Infrastrukturbetreiber nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie dafür Sorge zu tragen haben, dass die Anwendung der Entgeltregelung zu gleichwertigen und nicht diskriminierenden Entgelten für unterschiedliche Eisenbahnunternehmen führt und die tatsächlich erhobenen Entgelte den in den Nutzungsbedingungen vorgesehenen Regeln entsprechen, wird der in Erwägungsgrund 11 genannte Grundsatz umgesetzt, dass bei den Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen allen Unternehmen ein gleicher und nicht diskriminierender Zugang geboten und den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten soweit wie möglich gerecht und in nicht diskriminierender Weise entsprochen werden soll (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 46); es handelt sich mithin um das zentrale Kriterium für die Entgeltberechnung und das Gegenstück zu dem Spielraum, den die Richtlinie bei der Berechnung und Erhebung der Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr einräumt (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 47, 51).
Die mit der Überwachung einer effizienten Verwaltung und der gerechten und nicht diskriminierenden Nutzung von Eisenbahnfahrwegen betraute und zugleich als Beschwerdestelle fungierende Regulierungsstelle kann von einem Antragsteller befasst werden, der der Auffassung ist, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein; Gegenstand der Beschwerde können insbesondere Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers zur Höhe oder Struktur der zu zahlenden Wegeentgelte sein (Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie). Die Regulierungsstelle hat also nicht nur die im Einzelfall anwendbaren Entgelte zu beurteilen; sie hat auch dafür Sorge zu tragen, dass die Gesamtheit der Entgelte, d. h. die Entgeltregelung, mit der Richtlinie in Einklang steht (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 57). Die zentrale Überwachung durch die Regulierungsstelle, die - durch erga omnes wirkende Entscheidungen - dafür Sorge trägt, dass die Entgelte nicht diskriminierend sind, entspricht nach der Entscheidung des Gerichtshofs dem Grundsatz, dass die zentrale Entgeltfestlegung unter Beachtung des Diskriminierungsverbots vom Betreiber vorgenommen wird (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 58-61). Eine mit dieser Überwachung durch die Regulierungsstelle kollidierende Entgeltüberprüfung im Zivilrechtsstreit widerspricht danach dem Überwachungskonzept der Richtlinie, insbesondere, aber nicht nur dann, wenn sie zur Entgeltüberprüfung Maßstäbe heranzieht, die in der Richtlinie nicht vorgesehen sind (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 70 ff.).
b) Diese Auslegung des Unionsrechts ist auch dann zu beachten, wenn, wie im Streitfall, keine Wegeentgelte in Streit stehen.
Nach Auffassung des Senats finden die vom Unionsgerichtshof angewandten Regelungen der Richtlinie 2001/14 inhaltlich auch auf Entgelte für Serviceeinrichtungen Anwendung (vgl. Kühling/Hermeier/Heimeshoff, Entgeltregulierung im Eisenbahnrecht, S. 28 ff.; Ludwigs, Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und europäisches Eisenbahn-Regulierungsrecht, S. 55 f.; ders., N&R 2018, 55, 57; Berg, RdE 2018, 184, 187; aA Staebe in Schmitt/Staebe, Einführung in das Eisenbahn-Regulierungsrecht Rn. 440).
Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass erst die - im Streitfall zeitlich noch nicht anwendbare - Richtlinie 2012/34 den diskriminierungsfreien Zugang auch zu Serviceeinrichtungen sowie die diesbezüglichen Nutzungsbedingungen und Entgeltgrundsätze eingehend geregelt und den Aufgabenbereich der Regulierungsstelle ausdrücklich hierauf erstreckt hat (Art. 3 Nr. 11, Art. 10 Abs. 1, Art. 13, Art. 27 Abs. 2, Art. 31, Art. 56 Abs. 1); gleichartige Regelungen enthält die Richtlinie 2001/14 nicht. Allerdings sind Serviceeinrichtungen wie Personenbahnhöfe dort in Anhang II Nr. 2 Buchst. c aufgeführt und Gegenstand des Diskriminierungsverbots (Art. 5 Abs. 1). Die Erbringung der in Anhang II Nr. 2 genannten Leistungen fällt zwar nicht unter Art. 7 der Richtlinie; bei der Festsetzung der Preise ist aber die Wettbewerbssituation des Eisenbahnverkehrs zu berücksichtigen (Art. 7 Abs. 7).
Jedenfalls gebieten Sinn und Zweck der Richtlinie 2001/14 die Einbeziehung der Nutzung von Personenbahnhöfen in ihren Anwendungsbereich. Allein die diskriminierungsfreie Zuweisung von Trassen ist für ein Eisenbahnverkehrsunternehmen unzureichend, wenn diese Zuweisung nicht durch einen adäquaten Zugang zu denjenigen Einrichtungen ergänzt wird, die - wie Personenbahnhöfe - für eine effektive Nutzung der Schienenwege unabdingbar sind (vgl. Nr. 10 der Erläuterungen der Kommission zu Art. 5 der Richtlinie, BR-Drs. 835/98, S. 72).
Im Übrigen hat der nationale Gesetzgeber bereits 2005 - ungeachtet der in § 14 Abs. 4, 5 AEG 2005 getroffenen Unterscheidung - die Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen einschließlich der Entgeltgrundsätze sowie die Entgelthöhen im Wesentlichen demselben Regulierungsregime unterstellt wie Trassenentgelte (vgl. § 14f Abs. 1, Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und 3 AEG 2005 sowie ferner § 14d Satz 1 Nr. 6, § 14e Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 2 AEG 2005). Besteht aber nach nationalem Recht ein Gleichlauf in den Kontrollbefugnissen der Regulierungsstelle, erscheint eine einheitliche Handhabung unter Beachtung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs selbst dann geboten, wenn die durch diese Entscheidung vorgegebene Auslegung der Richtlinie 2001/14 nur für Trassenentgelte, nicht aber für die Nutzung von Serviceeinrichtungen unmittelbare Bedeutung hätte.
c) Es ist Aufgabe - allein - der deutschen Gerichte, zu prüfen, ob und in welcher Weise das für den in Rede stehenden Zeitraum maßgebliche deutsche Recht so ausgelegt und angewendet werden kann, dass die Vorgaben der Richtlinie an die Ausgestaltung des nationalen Rechts wenn möglich vollständig beachtet werden und, wo das Gesetz eine entsprechende, vollständig der Richtlinie entsprechende Auslegung nicht zulässt, diese Vorgaben zumindest soweit umgesetzt werden, wie dies mit einer richtlinienkonformen Auslegung möglich ist. Dabei darf die mit der Richtlinie unvereinbare Anwendung des § 315 BGB nicht isoliert in den Blick genommen werden. Sie kann zwar grundsätzlich unterbleiben, weil sie vom Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet wird (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - KZR 12/15, WM 2016, 2047 Rn. 12). Bei einer richtlinienkonformen Auslegung und Anwendung des deutschen Rechts ist aber neben der zuständigkeits- und verfahrensrechtlichen Frage, ob und gegebenenfalls wie die von der Richtlinie gewollte Prärogative der Regulierungsstelle für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch verwirklicht werden kann, auch, wenn nicht sogar in erster Linie zu prüfen, wie gewährleistet werden kann, dass ungeachtet des dem Infrastrukturbetreiber zustehenden Entscheidungsspielraums und der gebotenen Effizienz- und Investitionsanreize ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Fahrwegen sichergestellt werden und erreicht werden kann, dass Entgeltregelungen und ihre Anwendung einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen erlauben. Dies ist umso mehr geboten, als der Infrastrukturbetreiber sich, wie auch der Unionsgerichtshof mit dem Hinweis auf dessen Monopol verdeutlicht, in einer marktbeherrschenden Stellung befindet, die er nach deutschem Recht wie nach dem Primärrecht der Europäischen Union nicht missbrauchen darf und die es ihm insbesondere verbietet, auf die Nutzung der Infrastruktur angewiesene Eisenbahnverkehrsunternehmen zu diskriminieren. Eine richtlinienkonforme Auslegung und Anwendung des gesamten, im vorliegenden Zusammenhang relevanten nationalen Rechts hat daher auch soweit möglich sicherzustellen, dass dem Infrastrukturbetreiber keine Entgelte verbleiben, die er nur vereinnahmen konnte, weil er mit den von ihm selbst aufgestellten Entgeltregelungen gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen hat.
d) Daraus ergibt sich, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Klägerin der geltend gemachte Bereicherungsanspruch ganz oder teilweise zusteht.
aa) Sollte die Bundesnetzagentur zu dem Ergebnis kommen, dass die von der Beklagten verlangten Entgelte zu beanstanden sind, dass sie jedoch über keine Befugnis verfügt, die Rückzahlung überzahlter Entgelte anzuordnen, stünde der Klägerin ein entsprechender zivilrechtlicher Anspruch zu. Dies stünde nicht im Widerspruch zu der Richtlinie, denn die alleinige Befugnis der Regulierungsstelle zur Überprüfung der Entgelte bliebe dabei unberührt. Dementsprechend hält auch der Unionsgerichtshof ausdrücklich fest, dass eine Erstattung von Entgelten nach den Vorschriften des Zivilrechts in Betracht komme, wenn die Unvereinbarkeit des Entgelts mit der Regelung über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zuvor von der Regulierungsstelle oder von einem Gericht, das die Entscheidung dieser Stelle nachgeprüft habe, im Einklang mit den Vorschriften des nationalen Rechts festgestellt worden sei und der Anspruch auf Erstattung Gegenstand einer Klage vor den nationalen Zivilgerichten sein könne (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 97).
bb) Die Bundesnetzagentur hat die in ihre Zuständigkeit als Regulierungsstelle fallende Entscheidung über die Berechtigung des im Streit stehenden Entgelts noch nicht getroffen. Im Hinblick auf den mit Schriftsatz vom 7. November 2018 gestellten Antrag der Klägerin auf Überprüfung und Rückforderung hat sie mitgeteilt, dass die zuständige Beschlusskammer sich noch keine abschließende Meinung dazu gebildet habe, ob sie zu einem Aufgreifen von Beschwerden von Zugangsberechtigten zu Entgelten aus zurückliegenden Zeiträumen verpflichtet, berechtigt oder daran gehindert sei. Der Bescheid der Bundesnetzagentur vom 10. Dezember 2009, der im Übrigen nicht bestandskräftig geworden ist, bezieht sich auf den Zeitraum ab 1. Juni 2010 und erfasst damit schon nicht den hier maßgeblichen Zeitraum. Eine hinreichende und abschließende Überprüfung der Zulässigkeit der in Rechnung gestellten Entgelte sowie eine verbindliche Entscheidung hierüber kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Bundesnetzagentur den ihr jährlich mitgeteilten Stationsentgelten damals nicht widersprochen hat (§ 14e AEG 2005); neben der Vorabprüfung gemäß § 14e AEG 2005 sieht § 14f AEG 2005 ausdrücklich die Möglichkeit einer nachträglichen Prüfung vor.
cc) Für den hier im Streit stehenden Zeitraum ist der Bundesnetzagentur eine Sachentscheidung nach § 14f Abs. 2, 3 AEG 2005 jedenfalls nicht offenkundig verwehrt.
Der Senat verkennt nicht, dass es nach den hier anwendbaren Bestimmungen des deutschen Eisenbahnrechts fraglich erscheinen mag, ob das nachträgliche Aufgreifen eines abgeschlossenen Entgeltzeitraums durch die Regulierungsstelle möglich und gegebenenfalls geboten ist und ob eine solche Kontrolle im Nachhinein zu einer rückwirkenden Änderung der Entgeltregelungen unter bestmöglicher Wahrung des Gleichbehandlungsgebotes führen kann (vgl. BVerwG, N&R 2015, 55; Buchholz 442.09 § 14f AEG Nr. 1; OVG Münster, DVBl. 2015, 986; eine Wirkung ex tunc befürwortend Otte, LMK 2012, 327729).
Der Wortlaut des § 14f Abs. 2 und 3 AEG 2005 schließt ein solches Vorgehen aber auch nicht schlechthin aus. Soweit Antragsfristen einzuhalten sein sollten, ist zu beachten, dass die Regulierungsbehörde auch von Amts wegen tätig werden kann. Die gemäß der Entscheidung des Unionsgerichtshofs anzuwendenden Vorgaben der Richtlinie 2001/14 bedingen ein großzügiges Verständnis der dem Rechtsschutz der betroffenen Unternehmen dienenden Kompetenzen der Regulierungsbehörde im Rahmen einer richtlinienkonformen Rechtsanwendung. Nach Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie kann, wie ausgeführt, jeder Antragsteller, der der Auffassung ist, er sei ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden, die Regulierungsstelle befassen.
Abgesehen von dem bereits erörterten unionsrechtlichen Gebot der möglichst vollständigen Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2001/14 ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es mit Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht zu vereinbaren wäre, bei staatlich regulierten Entgelten sowohl eine verwaltungsrechtliche als auch eine zivilgerichtliche Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Entgelte zu Gunsten derjenigen zu versagen, die diese zu entrichten haben (vgl. BVerfG, DVBl. 2000, 556; BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, WRP 2007, 1359 Rn. 26; BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 - 3 C 20/16, juris Rn. 34; BVerwGE 117, 93, 104 f.; jeweils mwN). Auch unter diesem Gesichtspunkt werden sich die Aufgreifkompetenz und nachträgliche Gestaltungsbefugnis der Regulierungsstelle nicht unabhängig davon beurteilen lassen, ob ein möglicherweise benachteiligtes Verkehrsunternehmen seine Interessen auch im Rahmen einer zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle wahrnehmen kann. Scheidet diese Möglichkeit aus und ist die Regulierungsbehörde die einzige Stelle, die die Eisenbahnrechtskonformität einer Preisfestlegung überprüfen kann, legt dies eine weite Interpretation der behördlichen Befugnisse nahe. An den Maßstäben, die vor der Entscheidung des Unionsgerichtshofs in der Annahme formuliert wurden, eine zivilrechtliche Billigkeitsüberprüfung nach § 315 BGB sei ergänzend möglich, wird nicht unverändert festgehalten werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 - 3 C 20/16, juris Rn. 34).
dd) Der Vorgreiflichkeit des bei der Bundesnetzagentur eingeleiteten Verfahrens steht auch nicht entgegen, dass dieses Verfahren einen anderen Streitgegenstand hätte als der vorliegende Rechtsstreit.
Das Verwaltungsverfahren umfasst den hier geltend gemachten Rückforderungsanspruch. Führt es zu der Feststellung, dass die Höhe des gezahlten Entgelts mit den Regelungen über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur unvereinbar ist, kann der Klägerin der danach überzahlte Betrag zugesprochen werden, soweit keine sonstigen Einwendungen entgegenstehen und sofern das Verwaltungsverfahren noch nicht zu einem vollstreckbaren Zahlungstitel geführt hat. Diese dem Zivilgericht verbleibende Entscheidungsbefugnis wird von dem Streitgegenstand des ursprünglichen Bereicherungsanspruchs, der vornehmlich, aber nicht ausschließlich mit Erwägungen zu § 315 BGB begründet wurde, umfasst, zumal die im Verwaltungsverfahren zu prüfenden und nach der Entscheidung des Gerichtshofs allein maßgebenden Grundsätze der Entgeltbestimmung nach den eisenbahnrechtlichen Regeln auch bei einer Prüfung gemäß § 315 BGB zu beachten sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - KZR 12/15, WM 2016, 2047 Rn. 43).
III. Über mögliche kartellrechtliche Ansprüche der Klägerin, mit denen sich das Berufungsgericht nicht befasst hat und die weitergehenden Darlegungsanforderungen unterliegen können (vgl. BGH, aaO Rn. 49), kann der Senat jedenfalls nicht abschließend entscheiden. Für die Frage, ob im Revisionsverfahren eine den Rechtsstreit beendende Entscheidung getroffen werden kann, ist daher das von der Klägerin angestrengte Verwaltungsverfahren vorgreiflich. Im Übrigen kann gegebenenfalls eine eisenbahnrechtliche Überprüfung der Infrastrukturnutzungsentgelte auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot wertvolle Erkenntnisse über diskriminierungsfreie Entgeltgrundsätze erbringen, die auch einer etwa erforderlichen kartellrechtlichen Beurteilung förderlich sind.
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