Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.10.2011


BGH 18.10.2011 - KVR 9/11

Kartellverwaltungssache: Verpflichtung eines Wasserversorgers mit öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses zur Auskunftserteilung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber der Kartellbehörde - Niederbarnimer Wasserverband


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
18.10.2011
Aktenzeichen:
KVR 9/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Düsseldorf, 8. Dezember 2010, Az: VI-2 Kart 1/10 (V), Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Niederbarnimer Wasserverband

Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Trinkwasser auf der Grundlage eines Anschluss- und Benutzungszwangs und einer Gebührensatzung liefert, ist im Sinne des § 59 Abs. 1 GWB Unternehmen und nach dieser Vorschrift zur Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verpflichtet.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluss des 2. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 2010 aufgehoben.

Der Antrag des Betroffenen, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen den Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts vom 19. August 2010 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Bundeskartellamt führt gegen die Berliner Wasserbetriebe A.ö.R. ein Verfahren wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise. Um Informationen über Entgelte, Kosten und Erlöse in möglichen Vergleichsgebieten zu erlangen, hat das Amt Auskunftsbeschlüsse gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB gegen 45 Trinkwasserversorgungsunternehmen erlassen, darunter den Niederbarnimer Wasser- und Abwasserzweckverband (nachfolgend: Zweckverband). Der Zweckverband erhebt für die Versorgung mit Trinkwasser Gebühren auf der Grundlage einer kommunalen Gebührensatzung. Nach der von ihm erlassenen Satzung über die Wasserversorgung sind die Eigentümer der in seinem Gebiet liegenden Grundstücke grundsätzlich verpflichtet, diese an die öffentliche Wasserversorgungsanlage anzuschließen und ihren gesamten Wasserbedarf ausschließlich aus dieser Anlage zu decken (Anschluss- und Benutzungszwang).

2

Der Zweckverband hat gegen den Auskunftsbeschluss vom 19. August 2010 Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat auf Antrag des Zweckverbandes gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 GWB die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet und diese Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet (OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 3170):

3

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Auskunftsbeschlusses, weil der Zweckverband nicht als Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB anzusehen sei. Dem stehe zwar nach dem maßgeblichen funktionalen, allein auf die wirtschaftliche Betätigung abstellenden Unternehmensbegriff nicht bereits entgegen, dass es sich bei dem Zweckverband um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handele. Die Versorgungstätigkeit des Zweckverbandes sei aber als hoheitlich zu qualifizieren und damit dem Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entzogen. Ob dies allein aus der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses folge, könne offen bleiben. Jedenfalls ergebe sich diese Beurteilung aus dem satzungsmäßigen Anschluss- und Benutzungszwang. Denn dadurch sei jedweder Wettbewerb Dritter von vornherein ausgeschlossen. In einem solchen Fall sei das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht anwendbar, denn es setze zumindest potenzielle Wettbewerbsbeziehungen zu Dritten voraus.

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Eine abweichende Beurteilung sei auch im Rahmen des Auskunftsverfahrens nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht angezeigt. Für einen solchermaßen "gespaltenen" Unternehmensbegriff fehle es an hinreichenden gesetzlichen Anhaltspunkten.

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Dagegen wendet sich das Bundeskartellamt mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2007 - KVR 31/06, WuW/E DE-R 2035 Rn. 12 f. - Lotto im Internet), hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

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1. Gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Entscheidung der Kartellbehörde anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

8

2. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Der - hier allein geltend gemachte und in Betracht kommende - Anordnungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung ist nicht gegeben. Auch bei der in dem Eilverfahren nach § 65 GWB auf dem Maßstab rechtlicher Plausibilität beschränkten Überprüfung der Entscheidung des Beschwerdegerichts (BGH, Beschluss vom 6. September 2007 - KVR 31/06, WuW/E DE-R 2035 Rn. 17 - Lotto im Internet) erweist sich die Ansicht des Oberlandesgerichts, der Zweckverband sei wegen der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Benutzungsverhältnisse zu den Wasserabnehmern kein Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 GWB und deshalb nach dieser Vorschrift nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet, als unzutreffend.

9

a) Dies ergibt sich unabhängig davon, ob der Auffassung des Bundeskartellamts zu folgen ist, öffentlich-rechtlich organisierte Wasserversorger seien auch bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung der Leistungsbeziehung zu ihren Abnehmern als Unternehmen im Sinne des § 19 GWB anzusehen - mit der Folge, dass die von ihnen erhobenen Gebühren für die Wasserversorgung einer kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle unterzogen werden könnten (ebenso Wolf, BB 2011, 648, 650 ff.; Lange, WuW 2002, 953, 958; s. auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Mai 2005 - 1 L 40/04, juris Rn. 31).

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Der Bundesgerichtshof nimmt zwar - ausgehend davon, dass dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein funktionaler Unternehmensbegriff zugrunde liegt - an, dass grundsätzlich jede Person und jeder Verband, der sich im geschäftlichen Verkehr, d.h. wirtschaftlich betätigt, als Unternehmen anzusehen ist. Dementsprechend können nach seiner Rechtsprechung, die sich im Übrigen auf die Klarstellung in § 130 Abs. 1 GWB stützen kann - auch Körperschaften des öffentlichen Rechts Unternehmen im Sinne des Kartellrechts sein, wenn und soweit sie wirtschaftlich tätig sind (BGH, Beschluss vom 14. März 1990 - KVR 4/88, BGHZ 110, 371, 379 f. - Sportübertragungen; Beschluss vom 9. März 1999 - KVR 20/97, WuW/E DE-R 289, 293 - Lottospielgemeinschaft). Das ist aber - wie weiter entschieden ist - nicht der Fall, wenn die Körperschaft ihre Leistungsbeziehung zu den Abnehmern öffentlich-rechtlich organisiert - also etwa durch eine öffentlich-rechtliche Satzung geregelt - hat; dann ist sie nach der Rechtsprechung grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entzogen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1961 - KZR 1/61, BGHZ 36, 91, 101 - Gummistrümpfe; BGH, Urteil vom 25. Juni 1964 - KZR 4/63, GRUR 1965, 110, 114 - EU-MED; WuW/E DR-R 2144, 2145 - Rettungsleitstelle).

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Ob dieser Grundsatz auch dann Geltung beanspruchen kann, wenn die öffentlich-rechtliche und die privatrechtliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehung - wie im Fall der Wasserversorgung - weitgehend austauschbar sind (offen gelassen in BGH, Beschluss vom 22. März 1976 - GSZ 2/75, BGHZ 67, 81, 91 - Auto-Analyzer), oder ob wegen dieser Besonderheit öffentlich-rechtlich organisierte Wasserversorger auch bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen zu ihren Abnehmern in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundeskartellamts grundsätzlich als Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne anzusehen sind, ist aber bislang nicht geklärt. Es kann auch hier offen bleiben.

12

b) Denn die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses eines Wasserversorgers zu seinen Abnehmern steht jedenfalls seiner Einordnung als Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 GWB nicht entgegen.

13

Der im Kartellrecht geltende funktionale Unternehmensbegriff ist "relativ" (W.-H. Roth, FS Bechtold, 2006, S. 393, 394; Bornkamm, FS Hirsch, 2008, S. 231, 232 f.; MünchKomm.EuWettbR/Säcker/Herrmann, Einl. 1598). So hat der Senat entschieden, dass eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die hoheitlich tätig ist, im Sinne einer "Doppelqualifikation" (Wolf, BB 2011, 648, 651) als Unternehmen anzusehen ist, wenn und soweit sie daneben in einer Wettbewerbsbeziehung zu anderen Unternehmen steht (BGHZ 36, 91, 101 ff. - Gummistrümpfe; BGHZ 67, 81, 89 - Auto-Analyzer; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1979 - KZR 22/78, WuW/E 1661, 1662 - Berliner Musikschule; BGHZ 110, 371, 380 f. - Sportübertragungen; MünchKomm.GWB/Reif, § 131 Rn. 49; Weisser in FK, § 130 Rn. 39).

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Danach ist ein Wasserversorger, auch wenn er in Bezug zu seinen Abnehmern in den Formen des öffentlichen Rechts tätig ist, Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 GWB. Mit dieser Norm soll sichergestellt werden, dass sich die Kartellbehörden ausreichende Informationen beschaffen können, um ihre gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Dazu kommt es im vorliegenden Zusammenhang darauf an, dass die Behörden Aufschluss über die Erlöse und Kosten von Wasserversorgern erhalten, die mit demjenigen Unternehmen, dessen Preisgestaltung untersucht werden soll - hier die Berliner Wasserbetriebe A.ö.R. -, gleichartig sind im Sinne des § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB in der Fassung der 5. GWB-Novelle 1990 (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - KVR 66/08, BGHZ 184, 168 ff. - Wasserpreise Wetzlar). Dagegen geht es nicht darum, die Angemessenheit der Wasserpreise des in den Formen des öffentlichen Rechts tätigen Wasserversorgers zu überprüfen. Eine Auskunft kann deshalb unabhängig davon erteilt werden, ob der jeweilige Wasserversorger sein Leistungsverhältnis öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet hat. Seine öffentlich-rechtliche Tätigkeit wird dadurch nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil steht er insoweit auf einer Stufe mit allen anderen Wasserversorgern, die ebenfalls zu Auskünften nach § 59 Abs. 1 GWB verpflichtet sind.

Tolksdorf                                           Meier-Beck                                                 Raum

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