Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.07.2018


BGH 17.07.2018 - KVR 64/17

Fusionskontrolle: Befugnisse des Bundeskartellamts bei Verstoß gegen das Vollzugsverbot; Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Unterbindung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot - EDEKA/Kaiser´s Tengelmann II


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
17.07.2018
Aktenzeichen:
KVR 64/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:170718BKVR64.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend BGH, 18. Juli 2017, Az: KVZ 5/16, Beschlussvorgehend OLG Düsseldorf, 9. Dezember 2015, Az: VI-Kart 1/15 (V), Beschlussvorgehend BKartA Bonn, 3. Dezember 2014, Az: B 2 - 96/14 - EA
Zitierte Gesetze

Leitsätze

EDEKA/Kaiser´s Tengelmann II

1. Die Befugnisse des Bundeskartellamts, einem (drohenden) Verstoß gegen das Vollzugsverbot entgegenzuwirken, richten sich in dem Verfahrensabschnitt bis zur Entscheidung über die Untersagung oder Freigabe des Zusammenschlussvorhabens nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB.

2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Unterbindung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot setzt im Regelfall lediglich voraus, dass ein solcher Verstoß bereits begangen wurde oder droht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beschwerdegericht festgestellt hat, dass der Beschluss des Bundeskartellamts vom 3. Dezember 2014 bezüglich der Anordnung in Nr. I (Warenbeschaffung) rechtswidrig war.

Im Umfang der Aufhebung werden die Beschwerden der Betroffenen zurückgewiesen.

Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen das Bundeskartellamt 40% und die Betroffenen jeweils 15%.

Von den Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Betroffenen jeweils 25%; die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens trägt das Bundeskartellamt.

Der Wert der zugelassenen Rechtsbeschwerde wird auf 1 Mio. € und der Wert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf 3 Mio. € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Betroffene zu 1 (nachfolgend: EDEKA) beabsichtigte, die von den Betroffenen zu 2 bis 4 (nachfolgend zusammenfassend: KT) betriebenen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte zu übernehmen. Nach Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens leitete das Bundeskartellamt Ende Oktober 2014 ein Verwaltungsverfahren ein und erließ mit Beschluss vom 3. Dezember 2014 einstweilige Anordnungen, die es bis zum Abschluss des Hauptprüfverfahrens befristete. Den Betroffenen zu 1 bis 4 wurde untersagt, den zwischen den Zusammenschlussbeteiligten am 1. Oktober 2014 geschlossenen „Rahmenvertrag über den Kauf von Waren sowie über die Zentralregulierung von Warenlieferungen“ ganz oder teilweise durchzuführen (Anordnung zu I). Ferner wurde den Betroffenen zu 2 bis 4 untersagt, bestimmte Filialen (sogenannte Carve-Out-Filialen) sowie Lagerstandorte und Fleischwerke zu schließen oder wirtschaftlich zu entwerten und Verwaltungsfunktionen abzubauen (Anordnungen zu II und III). Als Rechtsgrundlage für die einstweiligen Anordnungen bezog sich das Bundeskartellamt auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB und auf § 32a GWB.

2

EDEKA legte gegen die einstweilige Anordnung zu I, KT gegen die einstweiligen Anordnungen zu I bis III Beschwerde ein. Nachdem das Bundeskartellamt das Zusammenschlussvorhaben mit Beschluss vom 31. März 2015 untersagt und zur Absicherung des Vollzugsverbots (§ 41 Abs. 1 GWB) mit den einstweiligen Anordnungen inhaltsgleiche Verbote ausgesprochen hatte, erklärten die Betroffenen das Beschwerdeverfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragten die Feststellung, dass die jeweils mit der Beschwerde angegriffenen einstweiligen Anordnungen rechtswidrig gewesen seien.

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Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Bundeskartellamts festgestellt, soweit die einstweiligen Anordnungen zu I bis III auf § 32a GWB gestützt worden sind. Auf die Beschwerde von KT hat es weitergehend festgestellt, dass der Beschluss rechtswidrig war, soweit die einstweilige Anordnung zu I hinsichtlich der Warenbeschaffung auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gestützt worden ist. Im Übrigen hat es die Beschwerden wegen fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig verworfen.

4

Das Bundeskartellamt wendet sich mit der vom Senat insoweit, unter Zurückweisung der weitergehenden Nichtzulassungsbeschwerde, zugelassenen Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts, soweit dort festgestellt worden ist, dass die einstweilige Anordnung zu I (Warenbeschaffung) rechtswidrig war. EDEKA und KT treten dem Rechtsmittel entgegen.

5

II. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang, im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr, soweit das Bundeskartellamt die einstweiligen Anordnungen auf § 32a GWB gestützt habe. Soweit die einstweiligen Anordnungen auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gestützt worden seien, bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, dies jedoch lediglich für KT und nur hinsichtlich der Anordnung zu I, soweit diese die Warenbeschaffung, nicht aber die Zentralregulierung betreffe. Die mit Sicherheit zu erwartende Amtshaftungsklage von KT sei hinsichtlich der bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens untersagten Durchführung des Rahmenvertrages (Warenbeschaffung) nicht offensichtlich aussichtslos. Im Hinblick auf die anderen Untersagungen sowie die Beschwerde der EDEKA insgesamt fehle es hingegen an hinreichendem Vortrag zum Schaden.

7

Im Umfang ihrer Zulässigkeit seien die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerden auch begründet. Insoweit seien die einstweiligen Anordnungen materiell rechtswidrig gewesen.

8

Die Voraussetzungen des § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB seien im Hinblick auf die mit der einstweiligen Anordnung zu I untersagte Warenbeschaffung nicht erfüllt, weil zwar ein Anordnungsanspruch, aber kein Anordnungsgrund vorgelegen habe.

9

Der Anordnungsanspruch folge aus einem - begangenen oder unmittelbar bevorstehenden - Verstoß gegen das Vollzugsverbot gemäß § 41 Abs. 1 GWB. Hierfür seien Handlungen ausreichend, durch die der Zusammenschluss rechtlich oder tatsächlich zumindest zu einem Teil vollzogen werde, ohne dass der Teilakt selbst einen Zusammenschlusstatbestand erfüllen müsse. Von einem faktischen Teilvollzug des Zusammenschlussvorhabens in diesem Sinne sei hier auszugehen. Der Rahmenvertrag führe im Bereich der Warenbeschaffung in weiten Teilen zu einer faktischen Integration von KT in die EDEKA.

10

Der außerdem notwendige Anordnungsgrund habe hingegen nicht vorgelegen. Eine einstweilige Anordnung dürfe nur ergehen, wenn sie erforderlich sei, um bereits bis zur Hauptsacheentscheidung drohende irreparable Nachteile oder schwere Schäden im Interesse des Gemeinwohls abzuwenden. Im Fusionskontrollverfahren reiche das in allen Fällen vorliegende öffentliche Interesse an der Sicherung oder Vermeidung eines späteren Entflechtungsverfahrens nicht aus. Voraussetzung sei vielmehr, dass im konkreten Fall etwaige Entflechtungsmaßnahmen Schwierigkeiten bereiteten, die über das normale Maß hinausgingen, und deshalb eine einstweilige Regelung durch öffentliche Interessen geboten sei, die die damit verbundenen Nachteile der beteiligten Unternehmen überwögen. Die danach notwendige umfassende Interessenabwägung unter ausreichend eingehender Würdigung der maßgeblichen Umstände sei den Ausführungen des Bundeskartellamts nicht zu entnehmen.

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Auf § 32a GWB hätten die einstweiligen Anordnungen schon aus formellen Gründen nicht gestützt werden können, weil es an einem Hauptsacheverfahren gefehlt habe, das auf den Erlass einer Abstellungsverfügung nach § 32 GWB in Verbindung mit § 1 GWB, Art. 101 AEUV abziele. Es sei nicht ersichtlich, dass mit dem Fusionskontrollverfahren ein Verfahren nach § 32 GWB verbunden worden sei.

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III. Die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat Erfolg. Die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerden von KT sind, soweit die Anwendung von § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB beanstandet wird, zulässig, aber unbegründet, da die in dem Beschluss des Bundeskartellamts vom 3. Dezember 2014 enthaltene einstweilige Anordnung zu I (Warenbeschaffung) rechtmäßig war (dazu nachfolgend unter III 1). Im Übrigen, soweit der Beschluss des Amtes auf § 32a GWB gestützt war, sind die Beschwerden der Betroffenen unzulässig, da insoweit das nach der Erledigung der beanstandeten Verfügung geltend gemachte Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht (mehr) besteht (dazu nachfolgend unter III 2).

13

1. Die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerden von KT sind, soweit die Anwendung von § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB betroffen ist, zulässig, aber unbegründet.

14

Das Beschwerdegericht hat in Übereinstimmung mit den Parteien zu Recht angenommen, dass sich die ursprünglich angegriffene Verfügung mit dem Abschluss des Hauptprüfverfahrens erledigt hat. Ebenfalls zutreffend hat das Beschwerdegericht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses bejaht (§ 71 Abs. 2 Satz 2 GWB). Hiergegen wendet das Bundeskartellamt im Rechtsbeschwerdeverfahren auch nichts ein.

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Hingegen halten die Ausführungen, mit denen das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung zu I (Warenbeschaffung) verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Bundeskartellamt war gemäß § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB befugt, die Durchführung des im Rahmenvertrag vereinbarten Wareneinkaufs bis zur Entscheidung über das Zusammenschlussvorhaben durch einstweilige Anordnung zu untersagen.

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a) Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht allerdings das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs für eine einstweilige Anordnung nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB angenommen, weil infolge der im Rahmenvertrag getroffenen Vereinbarung zur Warenbeschaffung von KT über EDEKA ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB vorgelegen oder jedenfalls unmittelbar bevorgestanden hat.

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aa) Das untersagte Verhalten erfüllt die Voraussetzungen für eine Verletzung des Vollzugsverbots.

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(1) Der Senat hat nach dem Erlass der Beschwerdeentscheidung entschieden, dass grundsätzlich auch solche Maßnahmen unter das Vollzugsverbot fallen, die zwar für sich genommen noch keinen Zusammenschlusstatbestand ausfüllen, die Wirkungen des beabsichtigten Zusammenschlusses aber zumindest teilweise vorwegnehmen (BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 48 ff. - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

19

Danach können auch Maßnahmen gegen das Vollzugsverbot verstoßen, durch die der Erwerber zwar noch keine Kontrolle über das Zielunternehmen oder wettbewerblich erheblichen Einfluss auf dieses erlangt, aber bereits Befugnisse erhält, die er nach dem beabsichtigten Zusammenschluss nur kraft seiner Position als Inhaber der Geschäftsanteile und Gesellschafterrechte ausüben könnte, ferner Maßnahmen, die die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration der beteiligten Unternehmen teilweise vorwegnehmen. Die zusammenschlusswilligen Unternehmen haben grundsätzlich jegliches Verhalten zu unterlassen, das dazu führt, dass sie ihre Stellung als selbständig agierende Marktsubjekte bereits vor der Entscheidung der Kartellbehörde über das angemeldete Zusammenschlussvorhaben ganz oder teilweise verlieren. Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme unter das Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 1 GWB fällt, kann mithin die Frage Bedeutung erlangen, ob sie zu einem Verhalten führt, das bei einem Unternehmen, das selbständig über sein Marktverhalten entscheidet, nicht zu erwarten wäre (BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 61 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

20

Nach diesen Grundsätzen verstößt die vom Bundeskartellamt beanstandete Vereinbarung zum Wareneinkauf, deren Durchführung im Fall der Untersagung des Zusammenschlussvorhabens nicht ohne weiteres hätte rückgängig gemacht werden können, gegen das Vollzugsverbot (vgl. BGH, aaO Rn. 73-76, 81 zu der inhaltsgleichen Untersagung in dem Beschluss des Bundeskartellamts vom 31. März 2015).

21

(2) An diesem Verständnis zum Anwendungsbereich des Vollzugsverbots gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB hält der Senat auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 31. Mai 2018 in der Sache Ernst & Young P/S gegen Konkurrencerådet (C-633/16, ABl. EU 2018, C 259, 9), die zur Auslegung der parallelen Regelung in Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO) ergangen ist, fest.

22

(a) Der Unionsgerichtshof hat in dieser Entscheidung Art. 7 Abs. 1 FKVO dahin ausgelegt, dass ein Zusammenschluss nur durch einen Vorgang vollzogen werde, der ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beitrage (EuGH, aaO Rn. 59, 61). Hingegen fielen Vorgänge nicht unter Art. 7 FKVO, wenn sie, obwohl sie im Rahmen eines Zusammenschlusses erfolgten, nicht erforderlich seien, um eine Veränderung der Kontrolle über eines der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen herbeizuführen. Sie wiesen nämlich, auch wenn sie den Zusammenschluss vorbereiten oder begleiten möchten, keinen unmittelbaren funktionellen Zusammenhang mit dem Vollzug des Zusammenschlusses auf, so dass sie grundsätzlich nicht die Wirksamkeit der Fusionskontrolle beeinträchtigen könnten (EuGH, aaO Rn. 49). Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens trage die Kündigung eines Kooperationsvertrags mit einem dritten Unternehmen, auch wenn sie durch eine Bedingung mit dem fraglichen Zusammenschluss verbunden sei und diesen begleiten und vorbereiten könne, trotz der Auswirkungen, die sie auf den Markt gehabt haben möge, als solche nicht zu einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen bei (EuGH, aaO Rn. 60, 62).

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(b) Diese Ausführungen stimmen mit der Rechtsprechung des Senats insofern überein, als es für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nicht der vollständigen Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestandes bedarf (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 52 ff., 55, 60 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I). Des Weiteren fallen Verhaltensweisen auch nach der Rechtsprechung des Senats nicht unter das Vollzugsverbot, wenn sie, wie dies etwa bei der Kündigung der bisherigen Zusammenarbeit mit einem dritten Unternehmen der Fall sein kann, den beabsichtigten Zusammenschluss lediglich vorbereiten, ohne dessen Wirkungen - etwa durch eine Übertragung von Befugnissen oder durch Integrationsmaßnahmen - zumindest teilweise vorwegzunehmen.

24

(c) Eine Beschränkung des Vollzugsverbots auf Maßnahmen, die unmittelbar zu einem Kontrollwechsel beitragen, ist nach deutschem Kartellrecht hingegen nicht geboten. Auch Maßnahmen, die die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration der beteiligten Unternehmen teilweise vorwegnehmen, können für einen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB genügen.

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(aa) Die Auslegung des § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB kann von dem Verständnis des in Art. 7 Abs. 1 FKVO geregelten Vollzugsverbots und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union jedenfalls insoweit abweichen, als dies durch eine unterschiedliche Ausgestaltung des europäischen und des deutschen Fusionskontrollrechts bedingt ist.

26

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind zwar die zum Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV geltenden Grundsätze mit Blick auf den vom Gesetzgeber angestrebten weitgehenden Gleichlauf des deutschen Kartellrechts mit dem Kartellrecht der Europäischen Union auch für die Anwendung von § 1 GWB maßgeblich (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2008 - KZR 54/08, WuW/E DE-R 2554 Rn. 17 - Subunternehmervertrag II; Urteil vom 7. Dezember 2010 - KZR 71/08, WuW/E DE-R 3275 Rn. 58 - Jette Joop; Urteil vom 6. November 2013 - KZR 58/11, BGHZ 199, 1 Rn. 51 - VBL-Gegenwert I; Urteil vom 17. Oktober 2017 - KZR 59/16, WRP 2018, 199 Rn. 24 - Almased Vitalkost). Dies gilt aber nicht in gleicher Weise für die jeweiligen Regelungen der Zusammenschlusskontrolle. Die Mitgliedsstaaten sind bei der Anwendung ihrer Rechtsvorschriften über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nicht den Beschränkungen nach Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (VO 1/2003) unterworfen (Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003). Dementsprechend gelten die Vorschriften des § 22 Abs. 1 bis 3 GWB zur Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts nicht, soweit die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle angewandt werden (§ 22 Abs. 4 Satz 1 GWB).

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(bb) Das deutsche Fusionskontrollrecht beinhaltet Zusammenschlusstatbestände, die im Unionsrecht keine Entsprechung finden. Nach Art. 3 FKVO wird ein Zusammenschluss durch eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen bewirkt (EuGH, Urteil vom 31. Mai 2018 - C-633/16, ABl. EU 2018, C 259, 9 Rn. 45 - Ernst & Young P/S gegen Konkurrencerådet). Demgegenüber kann nach deutschem Fusionskontrollrecht ein Zusammenschluss außer durch Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, vgl. auch § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB) auch unterhalb der Schwelle des Kontrollerwerbs durch den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB) oder die Begründung wettbewerblich erheblichen Einflusses (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB) bewirkt werden.

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Ferner geht der Unionsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2018 davon aus, dass eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 7 FKVO eine Einengung des Anwendungsbereichs der Verordnung 1/2003 zur Folge hätte, die dann nicht mehr auf unter Art. 7 FKVO fallende Vorgänge anwendbar wäre, auch wenn diese eine Koordinierung zwischen Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bewirken könnten (EuGH, Urteil vom 31. Mai 2018 - C-633/16, ABl. EU 2018, C 259, 9 Rn. 56-58 - Ernst & Young P/S gegen Konkurrencerådet). Demgegenüber schließt eine Verletzung des Vollzugsverbots nach deutschem Kartellrecht einen Verstoß gegen das allgemeine Kartellverbot (§ 1 GWB) nicht notwendigerweise aus. So kann etwa nach der Rechtsprechung des Senats die Gründung eines kooperativen Gemeinschaftsunternehmens sowohl im Rahmen der Fusionskontrolle als auch nach § 1 GWB zu untersagen sein (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1985 - KVR 6/84, BGHZ 96, 69, 78 f. - Mischwerke; Beschluss vom 8. Mai 2001 - KVR 12/99, BGHZ 147, 325, 331 - Ost-Fleisch).

29

(cc) In Anbetracht dieser Unterschiede, insbesondere im Hinblick auf die weitergehenden Regelungen in § 37 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GWB, kann der für § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB maßgebende Vollzugsbegriff - abweichend von Art. 7 Abs. 1 FKVO - nicht allein am Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs ausgerichtet werden. Es erscheint vielmehr sachgerecht, die mit der Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestandes jedenfalls angestrebte Integration der beteiligten Unternehmen ergänzend zu berücksichtigen, und hiervon ausgehend für eine Verletzung des Vollzugsverbots auch Maßnahmen genügen zu lassen, die die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration teilweise vorwegnehmen und insofern mit dem Vollzug des Zusammenschlusses in einem funktionellen Zusammenhang stehen.

30

bb) Die Befugnisse des Bundeskartellamts, einem (drohenden) Verstoß gegen das Vollzugsverbot entgegenzuwirken, richten sich in dem Verfahrensabschnitt bis zur Entscheidung über die Untersagung oder Freigabe des Zusammenschlussvorhabens nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 36 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

31

Die auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gestützte Befugnis des Bundeskartellamts zum Erlass einstweiliger Anordnungen beschränkt sich, anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung der EDEKA annimmt, nicht auf Verhaltensweisen, die einen der Zusammenschlusstatbestände nach § 37 Abs. 1 GWB erfüllen. Sie umfasst jedenfalls auch Regelungen zur einstweiligen Unterbindung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot.

32

Andererseits kann das Bundeskartellamt die Untersagung eines (drohenden) Verstoßes gegen das Vollzugsverbot vor der abschließenden Entscheidung im Hauptprüfverfahren noch nicht unmittelbar auf § 32 Abs. 1 GWB stützen. Eine Abstellungsverfügung gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB ist nach einer Untersagung des Zusammenschlussvorhabens möglich (BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 37 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I). Bis zur Entscheidung über das Zusammenschlussvorhaben richten sich die Befugnisse des Bundeskartellamts hingegen nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB. Das Amt ist in diesem Verfahrensabschnitt auf vorläufige Regelungen beschränkt, die es im Wege einstweiliger Anordnungen treffen kann.

33

b) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht die einstweilige Anordnung zu I (Wareneinkauf) für rechtswidrig gehalten, weil die an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt seien. Das Beschwerdegericht hat an die Voraussetzungen, die für eine einstweilige Anordnung zur Unterbindung eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot gegeben sein müssen, einen zu strengen Maßstab angelegt.

34

aa) Allerdings entspricht die Auffassung des Beschwerdegerichts, im Fusionskontrollverfahren dürften Verhaltensweisen, die Wirkungen des angestrebten Zusammenschlusses teilweise vorwegnehmen, durch einstweilige Anordnung nur dann untersagt werden, wenn im konkreten Fall etwaige Entflechtungsmaßnahmen Schwierigkeiten bereiteten, die über das normale Maß hinausgingen, und deshalb eine einstweilige Regelung durch überwiegende öffentliche Interessen geboten sei, einer verbreiteten Meinung im Schrifttum und in der älteren obergerichtlichen Rechtsprechung (Schneider in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 13. Aufl., § 60 GWB Rn. 11; Bach in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 60 Rn. 12; KG, WuW/E OLG 2145, 2146 - Sonntag Aktuell II; KG, WuW/E OLG 4640, 4642 - Hamburger Benzinpreise; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 2894, 2895; KG, WuW/E OLG 5151, 5160 - Ernstliche Untersagungszweifel; a.A. Barth in MünchKommWettbR, 2. Aufl., § 60 GWB Rn. 17; Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, GWB, 3. Aufl., § 60 Rn. 7 f.).

35

bb) Diese Ansicht berücksichtigt aber nicht hinreichend die verfahrensrechtlichen Wirkungen des gesetzlichen Vollzugsverbots im System der vorläufigen Regelungsbefugnisse im Hauptprüfverfahren. Eine einstweilige Anordnung zur Durchsetzung des Vollzugsverbots kann im Regelfall schon dann ergehen, wenn ein (drohender) Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorliegt.

36

(1) Den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen liegt das Konzept der präventiven Fusionskontrolle zugrunde, für dessen ausschließliche Anwendung sich der Gesetzgeber der 6. GWB-Novelle entschieden hat. Nach § 39 Abs. 1 GWB sind Zusammenschlüsse vor dem Vollzug anzumelden. Das Bundeskartellamt entscheidet sodann im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle darüber, ob der angemeldete Zusammenschluss freigegeben werden kann oder zu untersagen ist (§ 40 GWB). Bis zur Freigabe dürfen die Unternehmen den Zusammenschluss nicht vollziehen (§ 41 Abs. 1 GWB). Von diesem Vollzugsverbot kann während des Verfahrens vor dem Bundeskartellamt nur unter den in § 41 Abs. 2 GWB geregelten Voraussetzungen eine Befreiung erteilt werden (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 10 - Faber/Basalt; Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 34 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

37

(2) Dieses Regelungskonzept beeinflusst maßgebend die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendigerweise zu erfüllenden Voraussetzungen.

38

(a) Es ist im Ausgangspunkt zwar richtig, dass einstweilige Anordnungen im Allgemeinen nur ergehen dürfen, wenn ein Anordnungsgrund vorliegt, der regelmäßig nur unter besonderen Voraussetzungen auf der Grundlage einer Interessenabwägung angenommen werden kann (vgl. nur Barth in MünchKommWettbR, 2. Aufl., § 60 GWB Rn. 12). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Behörde vor Eintritt der Entscheidungsreife eine abschließende Beurteilung der Hauptsache im Regelfall noch nicht möglich ist, weil die für die endgültige Entscheidung erforderliche Tatsachenfeststellung noch nicht abgeschlossen ist. Der Betroffene soll nicht auf einer noch unsicheren Tatsachengrundlage im Vorgriff auf die in der Hauptsache zu treffende Entscheidung Beschränkungen unterworfen werden, wenn hierfür kein besonderes, vorrangiges öffentliches Interesse besteht. Ferner ist für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts, vor allem, wenn hierdurch vollendete Tatsachen geschaffen würden, schon aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerfG, BVerfGE 35, 382, 402; BVerfGE 35, 263, 274).

39

In Anwendung dieser Grundsätze könnte es bei Ausblendung des gesetzlichen Vollzugsverbots folgerichtig erscheinen, in einem noch nicht entscheidungsreifen Zusammenschlusskontrollverfahren die einstweilige Unterbindung solcher Verhaltensweisen, die die Wirkungen des angestrebten Zusammenschlusses teilweise vorwegnehmen, von besonderen Voraussetzungen einschließlich einer Abwägung der beiderseitigen Interessen abhängig zu machen.

40

(b) Das gesetzliche Vollzugsverbot führt jedoch zu einer grundlegend anderen Verfahrenslage. Durch die in § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB getroffene Regelung hat der Gesetzgeber in die bis zu einer möglichen Untersagungsverfügung an sich bestehende Verfahrenssituation gestaltend eingegriffen und einen (teilweisen) Vollzug des Zusammenschlussvorhabens im Vorfeld der noch zu treffenden Hauptsacheentscheidung schlechthin untersagt. Dem liegt eine typisierende Interessenabwägung zugrunde. Der Zweck des in das System der präventiven Fusionskontrolle eingebundenen Vollzugsverbots besteht darin, nachträglich schwer oder überhaupt nicht mehr zu korrigierende Verschlechterungen der strukturellen Wettbewerbsbedingungen durch anmeldepflichtige Zusammenschlüsse bis zur Feststellung ihrer Unbedenklichkeit zu verhindern (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 11 - Faber/Basalt; Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 35 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I). Eine daran anknüpfende konkrete Interessenabwägung, bei der die Belange der beteiligten Unternehmen berücksichtigt werden, findet nach der gesetzlichen Regelung lediglich im Rahmen von § 41 Abs. 2 GWB statt; nach dieser Vorschrift kann das Bundeskartellamt unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Befreiungen vom Vollzugsverbot erteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 10 - Faber/Basalt; Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 34 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

41

An dieser Konzeption sind die Anforderungen auszurichten, denen eine einstweilige Anordnung gemäß § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB zur Durchsetzung des Vollzugsverbots genügen muss.

42

(c) Derartigen einstweiligen Anordnungen steht auch nicht entgegen, dass das in Rede stehende Verhalten schon nach § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB verboten ist und ein Verstoß gegen dieses Verbot gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 1 GWB vom Bundeskartellamt mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Zur Gewährleistung der präventiven Fusionskontrolle muss die Kartellbehörde in der Lage sein, (drohende) Verstöße gegen das Vollzugsverbot umgehend zu unterbinden. Repressive Maßnahmen wie die Verhängung eines Bußgeldes in dem hierfür vorgesehenen Verfahren reichen insoweit nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 44 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Zuwiderhandlungen gegen eine vollziehbare Anordnung gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 2a GWB ebenfalls als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 46 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

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(3) Zu prüfen bleibt im Einzelfall, ob ein (teilweiser) Vollzug des Zusammenschlusses im Sinne von § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB und damit ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorliegt.

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(a) Der Umstand, dass die Entscheidung in der Sache selbst, hier die Entscheidung über die Untersagung oder Freigabe des Zusammenschlusses, noch nicht getroffen werden kann, weil diesbezüglich noch Klärungsbedarf besteht, besagt nicht, dass noch keine hinreichend zuverlässige Einschätzung in der für das Verbot nach § 41 Abs. 1 GWB allein maßgebenden Frage möglich ist, ob begonnene oder beabsichtigte Maßnahmen der beteiligten Unternehmen als Vollzug des Zusammenschlussvorhabens anzusehen sind.

45

Während sonst vorläufige Maßnahmen im Vorfeld der Hauptsacheentscheidung regelmäßig auf einer noch unsicheren Beurteilungsgrundlage getroffen werden und deshalb durch besondere öffentliche Belange und eine daran anknüpfende Interessenabwägung gerechtfertigt werden müssen, bleiben Maßnahmen zur Durchsetzung des Vollzugsverbots von den in der Sache selbst noch bestehenden Ungewissheiten unberührt. Hält sich die durch einstweilige Anordnung getroffene konkrete Untersagung im Rahmen des gesetzlichen Vollzugsverbotes, nimmt sie den Beteiligten keine rechtmäßigen Handlungsmöglichkeiten, die sie, je nachdem wie in der Hauptsache zu entscheiden ist, möglicherweise haben könnten. Das Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 1 GWB gilt unabhängig davon, ob das Zusammenschlussvorhaben letztendlich freigegeben werden müsste oder nicht (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 14 - Faber/Basalt).

46

Diese Besonderheiten rechtfertigen es, für einstweilige Anordnungen zur Durchsetzung des Vollzugsverbots einen (drohenden) Verstoß gegen dieses Verbot und eine daraus folgende Begehungsgefahr grundsätzlich genügen zu lassen.

47

(b) Besteht allerdings aufgrund eines noch unvollständigen Ermittlungsergebnisses eine tatsächliche Ungewissheit darüber, ob ein bestimmtes Verhalten stattgefunden hat bzw. bevorsteht, oder darüber, ob dieses Verhalten die Wirkungen des Zusammenschlusses (teilweise) vorwegnimmt und damit als Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu werten ist, setzt eine einstweilige Anordnung nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB eine Interessenabwägung voraus, die ergibt, dass das einstweilige Verbot trotz der unsicheren Tatsachengrundlage durch besondere öffentliche Belange gerechtfertigt wird.

48

In Abgrenzung hierzu führen Unsicherheiten in der rechtlichen Bewertung, die durch weitere Ermittlungen nicht behoben werden und auch nach einer Untersagung des Zusammenschlusses in gleicher Weise fortbestehen können, nicht zur Notwendigkeit einer Interessenabwägung. Gegen rechtliche Fehleinschätzungen des Bundeskartellamts können sich die betroffenen Unternehmen, wie sonst auch, wehren, indem sie die vorgesehenen Rechtsbehelfe ergreifen. Diese Möglichkeit besteht im Übrigen auch dann, wenn eine nach dem Vorstehenden ausnahmsweise gebotene Interessenabwägung unterbleibt.

49

(c) Einer einstweiligen Anordnung zur Durchsetzung des Vollzugsverbots mag des Weiteren entgegenstehen können, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Befreiung von dem Vollzugsverbot gemäß § 41 Abs. 2 GWB vorliegen oder eine Durchsetzung des Vollzugsverbots aufgrund besonderer Umstände unverhältnismäßig erscheint.

50

cc) Im Streitfall waren die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung bis zu deren Erledigung durch den Untersagungsbeschluss vom 31. März 2015 gegeben. Insoweit genügte der (drohende) Verstoß gegen das Vollzugsverbot.

51

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist nichts dafür ersichtlich, dass die bei Erlass der einstweiligen Anordnung und bis zu ihrer Erledigung vorliegenden Erkenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot noch unzureichend gewesen wären. Die beanstandete Vereinbarung lag dem Bundeskartellamt vor. Die zur Einschätzung ihrer Wirkungen erforderliche Tatsachenkenntnis ergibt sich aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses. Hierauf hat sich auch das Beschwerdegericht zur Begründung seiner Einschätzung, dass eine Verletzung des Vollzugsverbots vorliege, gestützt.

52

Dass die materiellen Voraussetzungen für eine Befreiung vom Vollzugsverbot in der fraglichen Zeit vorgelegen hätten und für das Bundeskartellamt erkennbar gewesen seien, macht KT selbst nicht geltend. Einen - im Ergebnis erfolglosen - Befreiungsantrag nach § 41 Abs. 2 hat KT erst mit Schriftsatz vom 18. März 2016 beim Beschwerdegericht gestellt.

53

2. Soweit die einstweilige Anordnung des Bundeskartellamts auf § 32a GWB gestützt war, sind die Beschwerden der Betroffenen unzulässig, da das Fortsetzungsfeststellungsinteresse entfallen ist.

54

a) Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB kann der Beschwerdeführer nach einer Erledigung der angefochtenen Verfügung die Feststellung beantragen, dass die Verfügung unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn er hieran ein berechtigtes Interesse hat. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist als Zulässigkeitsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch im Rechtsbeschwerdeverfahren, von Amts wegen zu prüfen. Es muss daher grundsätzlich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der verfahrensabschließenden Instanz, gegebenenfalls also der mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsbeschwerdegericht, bestehen (BGH, Beschluss vom 20. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 2905 Rn. 16 - Phonak/GN Store Nord; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 - I ZR 201/53, BGHZ 18, 98, 106; Urteil vom 11. Oktober 1989 - IVa ZR 208/87, WM 1990, 243; Beschluss vom 5. Oktober 2010 - KVR 33/09, WuW/E DE-R 3097 Rn. 18 - EDEKA/Plus). Dies gilt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung der EDEKA unabhängig davon, welche Partei Rechtsbeschwerde eingelegt hat.

55

Für das nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB erforderliche Feststellungsinteresse genügt grundsätzlich jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bereits dann anzunehmen, wenn die Beteiligten darlegen können, dass sie an der Klärung der durch die Untersagungsverfügung aufgeworfenen Fragen ein besonderes berechtigtes Interesse haben, das sich auch aus der Präjudizierung eines entsprechenden, wenn auch derzeit nicht absehbaren Zusammenschlussvorhabens ergeben kann; dieser Maßstab gilt auch für Verfügungen zur Sicherung des Vollzugsverbots, die mit der Untersagungsverfügung in Zusammenhang stehen (BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 26, 28 mwN - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I).

56

b) Nach diesen Maßgaben kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht mehr daraus hergeleitet werden, dass das Bundeskartellamt die einstweilige Anordnung zu I (Warenbeschaffung) auch auf § 32a GWB gestützt hat.

57

aa) Das Beschwerdegericht hat insoweit Wiederholungsgefahr angenommen und hierzu ausgeführt, es bestehe die Gefahr, dass das Bundeskartellamt vergleichbare einstweilige Anordnungen nach § 32a GWB wegen Verstoßes gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV erlassen werde, wenn die mit der Untersagungsverfügung vom 31. März 2015 erneut erlassenen Anordnungen aufgehoben würden. Eine solche, auf das vorliegende Zusammenschlussverfahren bezogene Wiederholungsgefahr ist bereits mit der im Dezember 2016 eingetretenen Bestandskraft der am 9. März 2016 erteilten Ministererlaubnis entfallen.

58

Aber auch soweit eine Präjudizierung künftiger, derzeit noch nicht absehbarer Zusammenschlussvorhaben in Erwägung zu ziehen ist, ist eine mögliche Wiederholungsgefahr jedenfalls mit der Senatsentscheidung vom 14. November 2017 (KVR 57/16, WRP 2018, 342 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I) entfallen, da dort klargestellt worden ist, dass eine (bevorstehende) Verletzung des Vollzugsverbots vorlag.

59

Die (ergänzende) Heranziehung des § 32a GWB durch das Bundeskartellamt beruhte ersichtlich auf einer rechtlichen Ungewissheit über den Anwendungsbereich des gesetzlichen Vollzugsverbots. Das Amt hat sich zur Begründung einstweiliger Maßnahmen nach § 32a GWB auf die gebotene Abstellung eines Verstoßes gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV bezogen. Weiter hat das Amt in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass die Reichweite des gesetzlichen Vollzugsverbots noch ungeklärt sei, und ausgeführt, dass die beanstandeten Handlungen jedenfalls § 1 GWB und Art. 101 AEUV verletzten, auch wenn sie für sich genommen nicht gegen das Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB verstießen. Hierbei ist es davon ausgegangen, dass an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach § 32a GWB weitergehende Anforderungen zu stellen seien als nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB.

60

Demnach hat das Bundeskartellamt seine Verfügung vom 3. Dezember 2014 einschließlich der jetzt noch im Streit stehenden einstweiligen Anordnung zu I (Warenbeschaffung) gerade wegen der zur Reichweite des gesetzlichen Vollzugsverbots bestehenden rechtlichen Unsicherheiten auf eine weitere Grundlage gestützt. Diese rechtlichen Unsicherheiten sind durch die Senatsentscheidung vom 14. November 2017 behoben worden. Danach verstößt die Durchführung des Rahmenvertrags vom 1. Oktober 2014 (auch) bezüglich der Warenbeschaffung gegen das gesetzliche Vollzugsverbot, weil sie geeignet ist, die Wirkungen des beabsichtigten Zusammenschlusses jedenfalls teilweise vorwegzunehmen (BGH, Beschluss vom 14. November 2017 - KVR 57/16, WRP 2018, 342 Rn. 48 ff., 73-76 - EDEKA/Kaiser's Tengelmann I). Nach der höchstrichterlichen Klärung dieser Rechtsfrage besteht für das Bundeskartellamt in zukünftigen Zusammenschlussverfahren kein Anlass mehr, einstweilige Anordnungen, durch die Handlungen untersagt werden, welche die Wirkungen des Zusammenschlusses teilweise vorwegnehmen, vorsorglich auch auf § 32a GWB in Verbindung mit § 1 GWB und Art. 101 AEUV zu stützen. Dementsprechend hat das Bundeskartellamt in dem vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren erklärt, es werde entsprechende Einkaufskooperationen künftig nicht mehr unter hilfsweisem Rückgriff auf § 32a GWB, der engeren Voraussetzungen unterliege als § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB, untersagen.

61

bb) Ein eigenständiges Feststellungsinteresse zur Vorbereitung eines beabsichtigten Amtshaftungsprozesses besteht hinsichtlich der Anwendung des § 32a GWB ebenfalls nicht. War die einstweilige Anordnung, wie ausgeführt, nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gerechtfertigt, kann die ergänzende Heranziehung des § 32a GWB zur Begründung der Untersagung keinen ersatzfähigen Schaden begründet haben.

62

IV. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da keine weitere Sachaufklärung geboten ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 GWB. Der Senat hat davon abgesehen, die Erstattung von Auslagen anzuordnen.

Limperg     

        

Meier-Beck     

        

Raum   

        

Sunder      

        

Deichfuß