Entscheidungsdatum: 15.04.2010
Haben Unternehmen mit umfangreichem Zahlungsverkehr zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an einen Insolvenzschuldner geleistet, ohne dass sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kannten, hindert sie die Möglichkeit, diese Information durch eine Einzelabfrage aus dem Internet unter www.insolvenzbekanntmachungen.de zu gewinnen, nach Treu und Glauben nicht daran, sich auf ihre Unkenntnis zu berufen. Sie sind auch nicht gehalten, sich wegen der Möglichkeit der Internetabfrage beweismäßig für sämtliche Mitarbeiter zu entlasten .
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 29. Januar 2009 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die nachmalige Insolvenzschuldnerin schloss im Jahre 1995 bei dem Beklagten eine Lebensversicherung ab, die sie während des Insolvenzverfahrens kündigte. Der Beklagte übersandte der Insolvenzschuldnerin daraufhin einen Verrechnungsscheck über den Rückkaufswert von 1.961,90 €, der eingelöst wurde. Nachdem der Kläger, der zum Treuhänder in dem am 18. Januar 2005 eröffneten vereinfachten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin bestellt worden ist, diesen Sachverhalt erfahren hatte, ohne den Einlösungsbetrag von der Schuldnerin erhalten zu haben, forderte er den Beklagten auf, den seiner Ansicht nach nicht schuldbefreiend geleisteten Betrag auf sein Verwalteranderkonto zu zahlen. Der Beklagte lehnte dieses Ansinnen mit der Begründung ab, ihm sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbekannt gewesen.
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur erneuten Zahlung an den klagenden Treuhänder verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe an die Schuldnerin befreiend geleistet, weil ihm zu dieser Zeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Leistungsempfängerin nicht bekannt gewesen sei. Der Ansicht des Klägers, der Beklagte habe bei jeder Auszahlung von Versicherungsleistungen die insolvenzrechtlichen Internetbekanntmachungen der Landesjustizverwaltungen abfragen müssen, um sich auf die Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung berufen zu dürfen, sei nicht zu folgen.
II.
Demgegenüber macht die Revision geltend, dass schon die Kündigung des Lebensversicherungsvertrages nach der Verfahrenseröffnung gemäß § 80 Abs. 1, § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO unwirksam gewesen sei und der Kläger die demnach rechtsgrundlose Leistung der Beklagten weder nach § 407 BGB noch nach einer entsprechenden Vorschrift gegen sich gelten lassen müsse. Auch § 82 InsO habe das Berufungsgericht unrichtig ausgelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse eine Bank sich so organisieren, dass sie Insolvenzbekanntmachungen über ihre Kunden aufnehmen und betriebsintern an die zuständigen Stellen weitergeben könne (BGH, Urt. v. 15. Dezember 2005 - IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, 140 Rn. 14). Dieser Grundsatz gelte nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16. Juli 2009 (IX ZR 118/08, ZIP 2009, 1726, 1728 Rn. 16 f) auch für Versicherungsunternehmen. Sei eine Insolvenzeröffnung im Internet bekannt gemacht worden, wie hier, müsse eine Versicherung für sämtliche Organwalter und Bediensteten den Entlastungsbeweis erbringen, dass sie von dem Bekanntmachungsinhalt keine Kenntnis genommen hätten.
Die Revisionserwiderung verweist darauf, dass der Entscheidungssachverhalt des Urteils vom 16. Juli 2009 (aaO) insoweit anders lag, als das dort beklagte Versicherungsunternehmen fünf Tage vor der Scheckeinlösung durch ein Schreiben des Insolvenzverwalters Kenntnis von der Verfahrenseröffnung erlangt hatte.
III.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
1. Es mag sein, dass infolge der nach § 80 Abs. 1, § 81 Abs. 1 InsO unwirksamen Kündigung des Lebensversicherungsvertrags durch die Schuldnerin ein Bereicherungsanspruch des Beklagten wegen Zahlung einer Nichtschuld in Betracht kommt. Dieser Anspruch ist keine Masseverbindlichkeit gemäß § 81 Abs. 1 Satz 3, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil trotz formalen Massezuflusses gemäß § 35 Abs. 1 InsO der Treuhänder für die Gläubigerbefriedigung nichts erlangt hat. Die Schuldnerin müsste diesen Bereicherungsanspruch aus ihrem freien Vermögen erfüllen (vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 10.13; Jaeger/Windel, Insolvenzordnung § 81 Rn. 54).
Unter diesen Umständen wäre eine Aufrechnung des Beklagten gegen die Klageforderung des Treuhänders gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO grundsätzlich unzulässig. Allerdings wird insoweit im insolvenzrechtlichen Schrifttum auch eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift erörtert. Weiß ein Neugläubiger des Schuldners nichts von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so soll ihm aus Gründen des Verkehrsschutzes entsprechend § 406 BGB die Aufrechnung gegen den Insolvenzverwalter gestattet sein, ebenso wie ihm bei einer Zahlung an den Schuldner persönlich der Schutz des § 82 InsO zustehe (Landfermann, Kölner Schrift 2. Aufl. S. 159, 185 Rn. 77; vgl. auch Jaeger/Windel, aaO § 96 Rn. 102). Geht man von dieser zutreffenden Ansicht aus, muss die Beweislastverteilung innerhalb des entsprechend angewendeten § 406 BGB allerdings derjenigen des § 82 InsO angeglichen werden. Der Drittschuldner des Insolvenzschuldners, hier der Beklagte, hat deshalb nach öffentlicher Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung seine Unkenntnis dieses Rechtszustandes zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 23. April 2009 - IX ZR 65/08, ZIP 2009, 1075, 1077 Rn. 22), sonst würde die gesetzliche Wertung des § 82 InsO zu Lasten der Masse verschoben. Denn wenn ein Schuldner trotz Leistung nach § 82 InsO nicht frei wird, steht ihm im Regelfall gegen den Insolvenzschuldner wegen Verfehlung des Erfüllungszwecks der Leistung ebenfalls ein Anspruch auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung zu.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht dem Beklagten jedoch Leistungsfreiheit gemäß § 82 InsO zugebilligt. Die Revision rügt ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Organisation eines Versicherungsunternehmens zur Aufnahme von Insolvenzbekanntmachungen leistungsberechtigter Versicherter nicht hoch genug gestellt habe. Dies betrifft abstrakte Organisationsobliegenheiten, deren Missachtung dem Drittschuldner die Berufung auf seine Unkenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Treu und Glauben verwehrt. Ein konkretes Organisationsverschulden würde dazu nicht genügen, weil § 82 InsO anders als etwa § 115 Abs. 3, § 117 Abs. 3, § 118 InsO nicht auf verschuldete Unkenntnis abstellt.
a) Jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation ist zu einer verkehrsgerechten Informationsverwaltung verpflichtet. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung, soweit es um die Weitergabe ordnungsgemäß zugegangener Informationen innerhalb der betreffenden Organisationen geht (vgl. BGHZ 117, 104, 106 f; 140, 54, 62; BGH, Urt. v. 15. Dezember 2005 - IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, 140 Rn. 13). Eine solche Obliegenheit gilt nicht nur im Bereich der Bankenorganisation, sondern ebenso für Versicherungsunternehmen (BGH, Urt. v. 16. Juli 2009 - IX ZR 118/08, ZIP 2009, 1726, 1728 Rn. 16). Der Senat hat erwogen, ob auch an die Informationsgewinnung unter neuzeitlichen Verhältnissen höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie mit früheren Zumutbarkeitsschranken vereinbar gewesen sein mögen. Derzeit sieht er dazu jedoch keine Möglichkeiten.
b) Der Senat ist in seinem Urteil vom 15. Dezember 2005 (aaO Rn. 14) davon ausgegangen, dass eine flächendeckende Beobachtung aller Veröffentlichungsblätter im Bundesgebiet, welche die nach § 9 Abs. 1 InsO a.F. vorgeschriebenen Insolvenzbekanntmachungen brachten, die Grenzen des Zumutbaren überschritten hätte. Nach dem Sachvortrag der damaligen Beklagten erschien es jedoch möglich, dass zum Zwecke der Wirtschaftsinformation bei ihr auch das einschlägige Bekanntmachungsblatt des Nachbarkreises gehalten wurde und dann die daraus gewonnenen Erkenntnisse über Insolvenzverfahren innerhalb ihrer Organisation weitergeleitet werden mussten. Hieraus kann die Revision für ihren Standpunkt nichts gewinnen (vgl. OLG Düsseldorf ZInsO 2008, 44 f).
c) Seit dem 1. Dezember 2001 ist für die amtlichen Insolvenzbekanntmachungen die Veröffentlichung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem zugelassen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 InsO in der Fassung vom 26. Oktober 2001, BGBl. I S. 2710; siehe ferner die Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen im Insolvenzverfahren im Internet vom 12. Februar 2002, BGBl. I S. 677), seit dem 1. Juli 2007 besteht ausschließliche Internetpublizität (§ 9 Abs. 1 Satz 1 InsO in der Fassung vom 13. April 2007, BGBl. I S. 509). Das Wohnsitzland der Schuldnerin, der Freistaat Thüringen, hat sich seit dem 1. August 2004 diesem elektronischen Bekanntmachungssystem angeschlossen (Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums vom 29. Juni 2004 Az. 1260/E-10/03, JMBl. S. 48). Im Hinblick auf die Nutzung solcher Bekanntmachungen im Rechtsverkehr hat das OLG Rostock in seinem aus anderweitigen Gründen aufgehobenen Urteil vom 19. Juni 2006 (ZIP 2006, 1684, 1685 f) die Ansicht vertreten, ein Handelsunternehmen werde durch seine Unkenntnis von der Insolvenzeröffnung gemäß § 82 InsO auch dann entlastet, wenn sie darauf beruhe, dass im Jahre 2004 die Internetbekanntmachungen des zuständigen Insolvenzgerichts nicht abgefragt worden seien. Eine solche zumutbare Informationsobliegenheit, welche die Berufung des Drittschuldners auf Unkenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 82 InsO nach Treu und Glauben beschränken könnte, lässt sich im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung mit den getroffenen Feststellungen auch für Lebensversicherungen oder andere finanzdienstleistende Unternehmen nicht bejahen. Es ist nicht vorgetragen worden, dass schon zur Zeit der Berufungsverhandlung oder gar zur Zeit der streitigen Zahlung für die Beklagte und ähnliche Unternehmen die Möglichkeit bestand, mit verhältnismäßig geringem Aufwand Insolvenzbekanntmachungen im Internet programmgesteuert mit eigenen Kundendaten abzugleichen und wesentliche Informationen fortlaufend in die eigenen Unternehmensdateien zu übernehmen.
Die vom Gesetzgeber und den Ländern geschaffene Möglichkeit, die Insolvenzbekanntmachungen aus dem Internet auch nach den ersten zwei Wochen im Einzelfall abzufragen, erfordert einen deutlich höheren Zeit- und Personalaufwand, der für den gesamten automatisierten Zahlungsverkehr, aber auch für den Schalterbetrieb der Banken, von vornherein nicht in Betracht kommt. Im Übrigen kann dem Gesetzgeber nicht vorgegriffen werden in der Frage, ob die seit Einführung der Internetbekanntmachung von Insolvenzen erheblich erleichterte Informationsgewinnung über solche Tatsachen Grund genug dafür bietet, den Masseschutz zu Lasten des Verkehrsschutzes in § 82 InsO zu stärken. Für die Verfolgung eines solchen Zwecks ergibt selbst die abermalige Änderung von § 9 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 (BGBl. I S. 509) nach den Gesetzesmaterialien noch keinen Beleg (vgl. insbesondere BT-Drucks. 16/3227 S. 10, 13 f). Die Rechtsfolge des § 82 Satz 2 InsO ist unverändert geblieben, nach welcher mit der öffentlichen Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Empfängers der Leistung nur die Beweislast für die Unkenntnis dieser Rechtstatsache auf den leistenden Drittschuldner übergeht (BGH, Urt. v. 23. April 2009, aaO). Ein weitergehender Regelungswille in der Weise, dass ein Unternehmen, das umfangreichen Zahlungsverkehr zu bewirken hat, sich als Drittschuldner auf Unkenntnis einer im Internet öffentlich bekannt gemachten Insolvenzeröffnung nur berufen darf, wenn es organisatorische Vorkehrungen geschaffen hat, die im Internet zugänglichen Informationen für seine Unternehmenszwecke aufzunehmen und weiterzuverarbeiten, hat das Gesetz bisher nicht zum Ausdruck gebracht. Da die Änderung von § 9 InsO Anlass zur Prüfung dieser Frage gegeben hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gesetz bewusst schweigt und die Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung über Insolvenzeröffnungen weiterhin verneint. Die seit seinem Inkrafttreten verbesserte Bekanntmachungsform hat nicht zwangsläufig eine solche Erleichterung der Informationsgewinnung zur Folge, dass im Rechtsverkehr jedenfalls bereichsweise schon eine auf Informationsbeschaffung aus dem Internet zugeschnittene Betriebsorganisation vorausgesetzt wird.
Wenn diese Entwicklung somit noch zu keinem bestimmten Ergebnis gelangt ist, so hätte einstweilen nur der Gesetzgeber eine Vorschrift schaffen können, nach welcher jedenfalls für bestimmte Drittschuldner die Informationsbeschaffung über Insolvenzeröffnungen aus dem Internet als zumutbar vorausgesetzt und die Berufung auf Unkenntnis nach § 82 InsO demgemäß beschränkt würde. Kann eine entsprechende Lücke im Gesetz nicht festgestellt werden, ist die Rechtsprechung auch nicht befugt, sie im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen.
Der Senat stellt damit die technische Zugriffsmöglichkeit auf die Internetbekanntmachungen mit derjenigen auf ein im Hause des Drittschuldners gehaltenes Bekanntmachungsblatt nicht auf eine Stufe. Denn der Internetanschluss ist, anders als das Halten eines Bekanntmachungsblattes, kein Ausdruck des Willens, von einem bestimmten Informationsangebot Gebrauch zu machen. Deshalb können beide Fälle entgegen dem von der Revision vertretenen Standpunkt auch für den Umfang des Entlastungsbeweises von Drittschuldnern gemäß § 82 Satz 2 InsO nicht gleich behandelt werden.
3. Der Kläger kann demnach von dem Beklagten die Auszahlung des Rückkaufswertes der wirksam gekündigten Lebensversicherung nicht mehr verlangen. Entweder hat der Beklagte nach Kündigung der Schuldnerin an diese gemäß § 82 InsO befreiend geleistet, oder er hat an die Schuldnerin wegen Unwirksamkeit ihrer Kündigung zunächst ohne Rechtsgrund geleistet, dann aber nach einschränkender Auslegung von § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO mit seinem Bereicherungsanspruch gegen den Klaganspruch wirksam aufgerechnet. Das Berufungsgericht hat die Klage daher mit Recht abgewiesen.
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