Entscheidungsdatum: 03.11.2011
Will der Insolvenzverwalter (Treuhänder) erreichen, dass bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrages des Arbeitseinkommens des Schuldners der Ehegatte wegen eigener Einkünfte als Unterhaltsberechtigter nicht berücksichtigt wird, hat er die Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeizuführen .
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 3. März 2011 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Über das Vermögen der Beklagten wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 6. Juli 2007 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der klagende Rechtsanwalt zum Treuhänder bestellt. Die Beklagte ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft. Beide Eheleute sind als Angestellte beschäftigt. Die Beklagte erbringt an ihren Ehemann keine Unterhaltszahlungen. Über das Vermögen des Ehemanns wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 4. Juni 2007 gleichfalls das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Treuhänder bestellt. Da die Beklagte bei ihrem Arbeitgeber eine Unterhaltsverpflichtung angegeben hatte, wurde bei der Berechnung der pfändbaren Beträge ihres Arbeitseinkommens für die Monate Juni 2007 bis März 2008 eine unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt, was zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenze führte. Seit April 2008 erhält der Kläger den vollen pfändbaren Betrag ohne Berücksichtigung von Unterhaltspflichten zur Masse. Zwischenzeitlich hat er einen Beschluss gemäß § 850c Abs. 4 ZPO beim Insolvenzgericht erwirkt. Danach ist der Ehemann der Beklagten nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung des nicht abgeführten Differenzbetrages in Höhe von 3.827,50 € in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein allein in Betracht kommender Bereicherungsanspruch nicht zu. Im Rahmen der Bestimmung des § 850c ZPO sei jede Person zu berücksichtigen, die gesetzlich unterhaltsberechtigt sei. Es komme nicht darauf an, ob diese Person über eigene Einkünfte verfüge. Dies folge aus § 850c Abs. 4 ZPO, wonach auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen bestimmen könne, ob eine Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibe. Die Regelung des § 850c Abs. 4 ZPO sei vorrangig. Gegenstand der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO sei der sich nach § 850c ZPO ergebende pfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners. Solange das Vollstreckungsgericht gemäß § 850c Abs. 4 ZPO keine anderweitige Bestimmung getroffen habe, dürfe der Schuldner endgültig das behalten, was ihm der Arbeitgeber als unpfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens auskehre.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
1. Gegen die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für die vorliegende Klage, mit welcher der Kläger als Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren einen gesonderten Zahlungstitel gegen die Schuldnerin begehrt, bestehen Bedenken. Der Sache nach soll die Schuldnerin Geld erhalten haben, das zur Masse gehört (§ 35 Abs. 1 InsO). Nach § 148 Abs. 1 InsO ist es Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Soweit der Schuldner seinen hierauf bezogenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, bildet gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses zugleich einen Herausgabetitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegen den Schuldner (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 - IX ZB 77/08, ZVI 2009, 74 Rn. 18). Für eine zusätzliche Zwangsvollstreckung durch den Insolvenzverwalter oder Treuhänder aufgrund eines Zahlungstitels ist danach grundsätzlich kein Raum.
2. Unabhängig hiervon gebühren die streitgegenständlichen Beträge nicht der Masse. In die Insolvenzmasse fällt nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nicht zur Insolvenzmasse gehören gemäß § 36 Abs. 1 InsO die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10, ZVI 2011, 215 Rn. 21). Hierunter fallen insbesondere unpfändbare Forderungen (Hk-InsO/Keller, 6. Aufl., § 36 Rn. 9), wozu die streitgegenständlichen Beträge zu rechnen sind.
a) Entgegen der Ansicht der Revision eröffnet im Streitfall die Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO die Möglichkeit, auf eine Herabsetzung des pfändungsfreien Betrages hinzuwirken, weil die Grundnorm des § 850c Abs. 1 ZPO den anderen Ehegatten, selbst wenn er ein höheres Einkommen erzielt als der Schuldner, grundsätzlich als berücksichtigungsfähige Person wertet. Solange eine solche Bestimmung nicht getroffen ist, verbleibt es dabei, dass der Ehegatte, jedenfalls wenn er in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebt, gemäß § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850c Abs. 1 ZPO als unterhaltberechtigte Person zu berücksichtigen ist und die hierauf entfallenden Beträge nicht der Pfändung unterliegen.
aa) Im Verhältnis zwischen Ehegatten kommt es bei der Anwendung des § 850c Abs. 1 ZPO nicht darauf an, ob der Erwerbstätige tatsächlich einen Geldbetrag für den Unterhalt seines Partners abzweigt, dass er mithin aus seinem Einkommen mehr aufwendet, als er für seinen eigenen Unterhalt benötigt. Zu berücksichtigen ist der Ehegatte bereits dann, wenn der Schuldner auf Grund beiderseitiger Verständigung angemessen zum Familienunterhalt (§ 1360 Satz 1 BGB) beiträgt. Dies gilt, wenn seine Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit über den Einkünften des Ehegatten liegen, wie auch dann, wenn sein Einkommen niedriger ist als das Arbeitseinkommen des Ehegatten. Ein Ausgleich ist nur durch Bestimmung des Vollstreckungsgerichts im Rahmen einer Billigkeitsprüfung nach § 850c Abs. 4 ZPO möglich (BAG ZIP 1983, 1247, 1249; Ahrens, in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 850c Rn. 12; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 850c Rn. 5; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 850c Rn. 6). Jedenfalls bei Eheleuten, die - wie hier - in häuslicher Gemeinschaft leben, ist von gegenseitigen Unterhaltsleistungen, durch welche die Kosten des Familienunterhalts gemeinsam bestritten werden, grundsätzlich auszugehen. Gegenteilige Anhaltspunkte sind von dem Kläger in den Tatsacheninstanzen auch nicht vorgetragen worden.
bb) Ist das Verfahren nach § 850c Abs. 4 ZPO eröffnet, ist es vorrangig und abschließend. Eine andere Lösung, insbesondere eine nachträgliche Feststellung des pfändungsfreien Betrages im Klageweg, ist mit den Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität nicht zu vereinbaren (vgl. BAG, aaO S. 1249 f).
Nach der Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellten Bezügen des Unterhaltspflichtigen ausschließt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt, sondern der Rechtsprechung überlassen (BT-Drucks. 8/693, S. 48 f). Bei der Anwendung der Vorschrift verbietet sich jede schematisierende Betrachtungsweise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - Xa ZB 142/04, ZVI 2005, 194, 196; vom 5. April 2005 - VII ZB 28/05, ZVI 2005, 254, 255; vom 4. Oktober 2005 - VII ZB 24/05, ZVI 2006, 19 Rn. 11; vgl. auch Beschluss vom 7. Mai 2009 - IX ZB 211/08, ZVI 2009, 331 Rn. 11; vom 5. November 2009 - IX ZB 101/09, ZInsO 2009, 2351 Rn. 6). Es ist nicht zweifelhaft, dass der Gläubiger, der außerhalb einer Insolvenz die Rechtswohltat eines abgesenkten Pfändungsfreibetrages nutzen will, sich des für die Prüfung dieser Voraussetzungen vorgesehenen Verfahrens zu bedienen hat.
Die Vorschrift greift auch im Insolvenzverfahren Platz. Antragsberechtigt ist nach § 36 Abs. 4 Satz 2 InsO der Insolvenzverwalter oder Treuhänder (§ 313 Abs. 1 Satz 1 InsO). Über seinen Antrag hat das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht zu entscheiden (§ 36 Abs. 4 Satz 1 InsO). Dass das Gericht eine Billigkeitsentscheidung zu treffen hat, steht nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2009 - IX ZB 211/08, aaO; Urteil vom 3. Dezember 2009 - IX ZR 189/08, ZVI 2010, 102 Rn. 14; FK-InsO/Schumacher, 6. Aufl., § 36 Rn. 71; Hk-InsO/Keller, aaO Rn. 62; Holzer, in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Bearbeitung 2007, § 36 Rn. 36; Ahrens, in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 850c Rn. 48).
b) Danach ist für eine Entscheidung durch das Prozessgericht kein Raum.
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine solche Entscheidung im Falle des § 850c Abs. 4 ZPO allerdings dann für zulässig angesehen worden, wenn mangels Vorliegens eines Vollstreckungsverfahrens eine Entscheidung über auf diese Bestimmung gestützte Anträge ausscheidet. Dies gilt etwa dann, wenn die analoge Anwendbarkeit des § 850c Abs. 4 ZPO auf eine Forderungsabtretung in Frage steht und hierbei zu prüfen ist, ob dies der Billigkeit entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - IX ZR 37/06, ZVI 2009, 374 Rn. 16, 18). Streiten Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit von Einkünften, die unter § 850b Abs. 1 ZPO fallen, oder ist die Frage der Pfändbarkeit im Rahmen eines Anfechtungsprozesses zu beantworten, kann die Entscheidung ebenfalls vom Prozessgericht getroffen werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - IX ZR 189/08, aaO Rn. 10).
bb) Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ob nach § 850c Abs. 4 ZPO die Pfändbarkeit des Einkommens des Schuldners zu erweitern ist, wenn ein Unterhaltsberechtigter über eigene Einkünfte verfügt, kann im Insolvenzverfahren durch das Insolvenzgericht geklärt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2009 - IX ZB 101/09, aaO; Urteil vom 3. Dezember 2009 - IX ZR 189/08, aaO Rn. 14). Dies ist die von Gesetzes wegen ausdrücklich bestimmte Verfahrensart. Ein Wahlrecht des Treuhänders, diese Frage auch im Rahmen eines streitigen Verfahrens gegen den Schuldner einer Klärung zuzuführen, verbietet sich deshalb nicht anders als bei einem Gläubiger außerhalb der Insolvenz, dem dieses Wahlrecht auch nicht zusteht.
3. Aus der Abtretungserklärung selbst kann der Kläger den geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht ableiten. Sie erfasst nur das pfändbare Arbeitseinkommen und entfaltet vor Eintritt in die Wohlverhaltensphase ohnehin keine eigenständige Wirkung (vgl. Hk-InsO/Landfermann, aaO, § 287 Rn. 26).
4. Bei dieser Sachlage scheidet ein Schadensersatzanspruch gegen die Schuldnerin aus.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer