Entscheidungsdatum: 20.10.2016
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2014 zugelassen.
Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 78.675,38 € festgesetzt.
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Anträge vom 9. Dezember 2010 und vom 11. Januar 2011 am 18. März 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin war im April 2006 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen im Gesamtbetrag von 9.406,96 € aus der Zeit seit August 2005 im Rückstand. Nach fruchtlosen Vollstreckungsversuchen beantragte die Beklagte am 19. April 2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin zahlte bis Ende Juni 2006 in Teilbeträgen an die Beklagte 11.031,31 €, worauf die Beklagte den Insolvenzantrag für erledigt erklärte. Zwischen dem 14. Juli 2006 und dem 26. November 2010 leistete die Schuldnerin an die Beklagte weitere Sozialversicherungsbeträge im Gesamtbetrag von 67.314,07 €, am 10. Januar 2011 folgte eine letzte Zahlung im Betrag von 330 €.
Der Kläger begehrt von der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Erstattung der Zahlungen in Höhe von insgesamt 78.675,38 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Beschwerde erstrebt der Kläger die Zulassung der Revision.
II.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlungen der Schuldnerin seien nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Zwar stellten sie Rechtshandlungen der Schuldnerin dar, auch soweit die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen bezahlt wurden. Die Zahlungen im Zeitraum bis Ende 2009 benachteiligten jedoch nicht die Insolvenzgläubiger. Die im Frühjahr 2006 bestehende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei, wie sich aus dem vom Kläger im Jahr 2011 erstellten Eröffnungsgutachten ergebe, spätestens Ende des Jahres 2009 wiederhergestellt gewesen. Die im Jahr 2010 eingetretene Insolvenz stelle ein neues Insolvenzereignis dar. Es könne deshalb kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Zahlungen aus der Zeit bis Ende 2009 und den Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger im später eröffneten Insolvenzverfahren festgestellt werden. Hinsichtlich der ab Januar 2010 geleisteten Zahlungen scheide eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO aus, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte Kenntnis von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt habe. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte Anhaltspunkte für die im Jahr 2010 eingetretene erneute Krise gehabt habe. Aus diesem Grund und mangels Kenntnis des Eröffnungsantrags seien die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag und danach geleisteten Zahlungen auch nicht nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO anfechtbar. Das in der Berufungsverhandlung vom Kläger beantragte Schriftsatzrecht zu den aus seinem Eröffnungsgutachten gezogenen Schlüssen sei nicht zu gewähren, weil die Frage einer Zahlungsunfähigkeit und ihres Wegfalls von der Beklagten unter Hinweis auf das Gutachten des Klägers zum zentralen Streitpunkt im Berufungsverfahren gemacht worden sei.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht mit der Verweigerung eines Schriftsatzrechts den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt habe.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - II ZR 212/10, NJW 2012, 3035 Rn. 6 mwN; st.Rspr.). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f). Rechtliche Hinweise müssen danach den Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144).
Ein rechtlicher Hinweis ist hingegen regelmäßig nicht geboten, wenn eine Partei in erster Instanz obsiegt hat, die ihr günstige Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Ansicht des Berufungsklägers anschließt. In diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche Partei von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung ist; seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein. Das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz der in der Berufung zentral geführten Auseinandersetzung über den Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der Partei Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. August 2010 - VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089 Rn. 18; Beschluss vom 10. Juli 2012, aaO Rn. 7).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung eines Schriftsatzrechts nicht zurückweisen.
aa) Das Gutachten, das der Kläger als Sachverständiger am 9. März 2011 insbesondere zur Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes erstattete, ist von der Beklagten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu den Akten gereicht worden. Die Beklagte hat sich insbesondere auf die Aussage im Gutachten bezogen, dass die Schuldnerin erst im Verlauf des Jahres 2010 insolvenzreif geworden sei. Das Landgericht hat dagegen angenommen, dass bereits im Jahr 2006 Zahlungsunfähigkeit gegeben war und diese fortdauerte; anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten des Klägers. Mit ihrer Berufung ist die Beklagte zunächst der Annahme des Landgerichts entgegengetreten, auch die Arbeitnehmeranteile seien aus dem Vermögen der Schuldnerin geleistet worden. Sie hat sodann einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin in Abrede gestellt und dabei die Würdigung angegriffen, der Kläger habe eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nachgewiesen. In diesem Zusammenhang hat sie darauf verwiesen, dass sich die Schuldnerin nach dem Eröffnungsgutachten des Klägers jedenfalls bis Ende 2008 nicht in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Den Schwerpunkt der Berufung haben jedoch Angriffe gegen die Annahme des Landgerichts gebildet, die Beklagte habe einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt. Der Kläger hat zu diesen Angriffen in seiner Berufungserwiderung Stellung genommen und unter anderem darauf hingewiesen, dass die vom Landgericht festgestellte Zahlungseinstellung nur dadurch beseitigt werden könne, dass der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnehme, was die Beklagte zu beweisen habe. Die Beklagte habe aber dazu nicht substantiiert vorgetragen. Der pauschale Verweis auf gewinnbringendes Wirtschaften der Schuldnerin bis 2008 sei nicht belegt, zumal die im Gutachten vom 9. März 2011 angesprochenen Bilanzen unzutreffend sein dürften.
bb) Unter diesen Umständen war das Berufungsgericht nicht der Pflicht enthoben, den Kläger rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass nach seiner Auffassung die Schuldnerin zwar im Frühjahr 2006 zahlungsunfähig war, die Zahlungsunfähigkeit aber spätestens Ende 2009 nicht mehr bestanden habe, weil die einzelnen im Gutachten des Klägers vom 9. März 2011 wiedergegebenen Umstände die Feststellung rechtfertigten, dass die Schuldnerin spätestens Ende des Jahres 2009 ihre Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen habe. Die Frage, welche Schlüsse aus dem späteren Eröffnungsgutachten des Klägers im Einzelnen für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzungen gezogen werden konnten, war kein zentraler Streitpunkt der Parteien im Berufungsverfahren. Soweit das Gutachten angesprochen wurde, ging es zudem wesentlich darum, ob sein Inhalt den vom Kläger zu erbringenden Nachweis des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit bereits im Jahr 2006 in Frage stellte. Das Berufungsgericht hat hingegen entscheidend darauf abgestellt, dass aufgrund der vom Kläger in seinem Gutachten gemachten Angaben die Beklagte den Wegfall der zuvor eingetretenen Zahlungsunfähigkeit durch eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen bewiesen habe. Hiermit musste der Kläger nicht rechnen.
cc) Das Berufungsgericht hat den gebotenen Hinweis in der Berufungsverhandlung erteilt und seine Auffassung ausführlich begründet. Wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der Materie war es dem Kläger aber nicht zuzumuten, hierauf sogleich in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Sein Recht auf rechtliches Gehör hätte in dieser Situation nur dadurch gewahrt werden können, dass ihm das beantragte Schriftsatzrecht gewährt und dadurch Gelegenheit gegeben worden wäre, zu den Hinweisen des Gerichts im Anschluss an die Berufungsverhandlung Stellung zu nehmen und seinen Sachvortrag entsprechend zu ergänzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn der Kläger nach Gewährung des Schriftsatzrechts so vorgetragen hätte, wie er es im Beschwerdeverfahren dargelegt hat.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Insolvenzgläubiger können durch Zahlungen des Schuldners auch dann im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO benachteiligt werden, wenn der zum Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähige Schuldner vor dem Eintritt der zur Verfahrenseröffnung führenden Insolvenz vorübergehend seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt. Sowohl für die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO als auch für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Diese setzt nicht eine durchgängige Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraus. Zahlungen des Schuldners aus seinem pfändbaren Vermögen verkürzen die den späteren Insolvenzgläubigern haftende Masse grundsätzlich auch dann, wenn der Schuldner zunächst noch oder später vorübergehend wieder zahlungsfähig ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erst bei der Beurteilung der weiteren Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO sowie bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO.
b) Bei der Prüfung, ob die Beklagte Kenntnis von einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO), ist auf den Zeitpunkt der jeweils angefochtenen Zahlung abzustellen (§ 140 Abs. 1 InsO). Steht jedoch fest, dass der Anfechtungsgegner zu einem früheren Zeitpunkt von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat der Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen. Dabei sind die Anforderungen zu beachten, die der Senat an einen solchen Nachweis stellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - IX ZR 109/15, WM 2016, 560 Rn. 24, 28 ff mwN).
Kayser Gehrlein Pape
Grupp Möhring