Entscheidungsdatum: 17.05.2018
Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, seinem Mandanten auf Verlangen die gesamte Handakte herauszugeben. Soweit der Anwalt die Herausgabe mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen sonstiger Mandanten verweigert, hat er dies unter Angabe näherer Tatsachen nachvollziehbar darzulegen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Heidelberg vom 13. September 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 25. November 2014 über das Vermögen der U. G. mbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 26. März 2015 eröffneten Insolvenzverfahren.
Die Beklagte, eine Rechtsanwaltsgesellschaft, vertrat die Schuldnerin in einem vor dem Landgericht Mannheim und dem Oberlandesgericht Karlsruhe gegen S. und die R. S. GmbH & Co. KG geführten Rechtsstreit. Ferner übernahm die Beklagte die außergerichtliche Vertretung der Schuldnerin bei der Geltendmachung von Zahlungsansprüchen gegen M. S. . Die Mandate waren der Beklagten von dem Geschäftsführer der Schuldnerin unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrages erteilt worden.
Der Kläger forderte die Beklagte wiederholt ohne Erfolg auf, die Handakten beider Verfahren herauszugeben. Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung des weitergehenden Begehrens verurteilt, die Handakten mit Ausnahme solcher Schriftstücke herauszugeben, die von Dritten, zu denen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestand oder besteht, im Rahmen dieses Mandatsverhältnisses verfasst oder übergeben wurden. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, die Beklagte zur uneingeschränkten Herausgabe der Handakten zu verurteilen.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Der Bundesgerichtshof gehe davon aus, dass den Rechtsanwalt im Grundsatz aus dem Anwaltsvertrag gegenüber dem Mandanten eine Herausgabepflicht hinsichtlich der Handakten treffe (BGHZ 109, 260, 264). Der Rechtsanwalt könne die Herausgabe und die Erteilung von Auskünften verweigern, soweit er andernfalls gegen seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verstoße. Das Berufsgeheimnis bestehe nicht im eigenen Interesse des Rechtsanwalts, wohl aber in dem des "Geheimnisherrn", der den Rechtsanwalt von seiner Verpflichtung entbinden könne (BGHZ 109, 260, 269).
Erfolge eine solche Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht nicht, könnten Geheimhaltungsinteressen Dritter, zu denen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestanden habe, ein Auskunftsverweigerungsrecht begründen. In dieser Fallkonstellation sei es als ausreichend zu erachten, dass sich das Gericht auf die anwaltliche Versicherung stütze, dass sich in den Handakten Schriftstücke von Personen befänden, zu denen ein separates Mandatsverhältnis bestanden habe. Der Bundesgerichtshof habe es bei der prozessualen Würdigung von Wahrnehmungen eines Rechtsanwalts, die im Wesentlichen seine eigene Tätigkeit beträfen, gebilligt, dass von dem als richtig versicherten Vortrag ausgegangen werden könne, solange nicht konkrete Anhaltspunkte ausschlössen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend zu erachten. Deshalb könne von der Beklagten nicht mehr als die anwaltliche Versicherung verlangt werden, dass sich in den Handakten Schriftstücke von Personen befänden, zu denen Mandatsverhältnisse bestünden.
An die Darlegungslast der Beklagten könnten nicht die Anforderungen angelegt werden, die der Bundesgerichtshof im Falle der Auskunftsverweigerung des Rechtsanwalts gegenüber einem Insolvenzverwalter im Hinblick auf persönliche Geheimhaltungsinteressen von Organmitgliedern einer Insolvenzschuldnerin aufstelle, die den Rechtsanwalt in eigener Sache mandatiert habe (BGHZ 109, 260, 271). Dabei gehe der Bundesgerichtshof davon aus, dass die Interessen der Insolvenzschuldnerin, über die der Insolvenzverwalter disponiere, Vorrang vor den Interessen der außerhalb des Mandatsverhältnisses stehenden Organmitglieder habe. Hier lägen die Dinge anders. Es könne differenziert werden zwischen dem Mandatsverhältnis der Schuldnerin und der Beklagten einerseits und dem Mandatsverhältnis der Beklagten zu sonstigen Personen andererseits.
Selbst wenn in der von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Sache zu den Organmitgliedern ein Mandatsverhältnis bestanden haben sollte, ändere dies an der Bewertung nichts. Die gesteigerten Darlegungsanforderungen seien vielmehr darin begründet, dass das Verhältnis der Organmitglieder zu dem Rechtsanwalt gegenüber dem Mandatsverhältnis zu der Insolvenzschuldnerin nachrangig sei. Den Organmitgliedern sei es verwehrt, ihren eigenen Geheimhaltungsbelangen gegenüber denen der Schuldnerin den Vorrang einzuräumen. Diese Erwägungen griffen in dem hier zu entscheidenden Fall nicht durch, weil von der Beklagtenseite nicht Geheimhaltungsinteressen von Organmitgliedern, sondern die sonstiger Dritter als Argument für die Auskunftsverweigerung ins Feld geführt würden. Soweit der Kläger annehme, dass es sich bei den Dritten ebenfalls um Organmitglieder der Schuldnerin handle, sei dies gerade nicht erwiesen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht von einer nur eingeschränkten Pflicht der Beklagten zur Herausgabe der von ihr für die Schuldnerin geführten Handakten ausgegangen werden.
1. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB Anwendung. Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe der die anwaltliche Tätigkeit des Beklagten betreffenden Akten folgt aus § 667 BGB in Verbindung mit § 50 BRAO.
a) Zu den nach § 667 BGB herauszugebenden Unterlagen gehören die Handakten des Rechtsanwalts (BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 264; vom 3. November 2014 - AnwZ 72/13, NJW-RR 2015, 186 Rn. 11; RGRK/Steffen, BGB, 12. Aufl., § 667 Rn. 12; Soergel/Beuthien, BGB, 13. Aufl., § 667 Rn. 11; Dauner-Lieb/Langen/Schwab, BGB, 3. Aufl., § 667 Rn. 7; Erman/Berger, BGB, 16. Aufl., § 667 Rn. 8). Diese Herausgabepflicht wird auch in § 50 BRAO vorausgesetzt (vgl. Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50 Rn. 27, 35 ff; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, 9. Aufl., § 50 Rn. 17; Tauchert/Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 11; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 50 Rn. 4). Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat er gemäß § 50 Abs. 1 BRAO seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben. Dabei fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 BGB. Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist daher insbesondere der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassen auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat (BGH, Urteil vom 30. November 1989, aaO S. 265).
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin steht der Herausgabeanspruch aus § 667 BGB dem Kläger zu. Der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten ist mit Insolvenzeröffnung erloschen (§§ 115, 116 InsO). Für ein Fortbestehen des Mandats nach der Ausnahmeregelung des § 115 Abs. 2 InsO fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Daraus folgt, dass die aus dem beendeten Mandatsverhältnis entstandenen Ansprüche der Schuldnerin in die Insolvenzmasse fallen und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Klägers unterliegen (§ 80 InsO). Dies bedeutet, dass der Kläger unter den gleichen Voraussetzungen und in demselben Umfang Herausgabe oder Einsichtsgewährung der Handakte verlangen kann, wie es ohne die Insolvenz die Schuldnerin bei einer anderweitigen Mandatsbeendigung selbst gekonnt hätte (BGH, aaO S. 264).
b) Der Anwalt ist jedoch nicht stets zur umfassenden Herausgabe der Handakte verpflichtet. Ausnahmsweise können Eigeninteressen des Anwalts oder Geheimhaltungsinteressen Dritter Vorrang genießen.
aa) Eine Ausnahme hinsichtlich der Herausgabepflicht gilt für solche Unterlagen, die nicht lediglich über das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung Aufschluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die der Anwalt in den Gesprächen gewonnen hat, wiedergeben. Aufzeichnungen des Anwalts über derartige persönliche Eindrücke sind oft nützlich; sie sind im Zweifel jedoch nicht für die Einsicht durch den Mandanten bestimmt und eine solche wäre dem Anwalt auch nicht zumutbar. Ein Anwalt, der zur Herausgabe von Handakten verpflichtet ist, braucht daher nicht auch derartige Aufzeichnungen offenzulegen. Darüber hinaus wird dem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein gewisser Freiraum zuzuerkennen sein, vertrauliche "Hintergrundinformationen" zu sammeln, die er auch und gerade im wohl verstandenen Interesse seines Mandanten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegenüber verschweigen darf. Aufzeichnungen über derartige Vorgänge unterliegen nicht der Herausgabepflicht (BGH, aaO S. 265).
bb) Zudem bestehen Verschwiegenheitspflichten des auf Herausgabe der Handakte in Anspruch genommenen Rechtsanwalts mit Rücksicht auf Interessen seiner sonstigen Mandanten. Die Verschwiegenheitspflicht findet ihre Grundlage in dem auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruhenden Anwaltsvertrag (Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 339; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger, Handbuch der Beraterhaftung, 2018, Kap. 3 Rn. 15). Der Rechtsanwalt ist zudem berufsrechtlich gemäß § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht, die sich auf alles bezieht, was dem Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, betrifft insbesondere Kenntnisse aus einzelnen Mandatsverhältnissen, die sonstigen Mandanten nicht offenbart werden dürfen. Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht kann eine Vertragshaftung des Rechtsanwalts aus § 280 Abs. 1 BGB, aber auch eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründen (Heinemann in Greger/Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl., § 15 Rn. 3; Vill, aaO § 2 Rn. 340; Weinland, aaO Kap. 3 Rn. 18).
cc) Persönliche Geheimhaltungsinteressen von an Besprechungen mit dem Anwalt beteiligten dritten Personen vermögen für diesen zumindest nicht ein uneingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen. Dies hat der Bundesgerichtshof für Gespräche entschieden, die der Anwalt der späteren Schuldnerin mit deren Organmitgliedern geführt hat (BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271). Ein Auskunftsverweigerungsrecht kommt in einer solchen Konstellation nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Anwalt und dem einzelnen Organmitglied eine besondere Vertrauensbeziehung bestanden hat, die individuell begründet worden ist, etwa dadurch, dass das betreffende Mitglied den Anwalt ausdrücklich um eine persönliche Beratung gebeten hat. Nur für einen solchen Ausnahmefall könnte es gebilligt werden, dass es sich bei den Beziehungen des Anwalts zu der Schuldnerin einerseits und den Organmitgliedern andererseits um zwei getrennte, rechtlich selbständige Rechtsverhältnisse gehandelt habe. An die dem Anwalt insoweit obliegende Darlegungslast sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, zumal eine solche Konstellation deswegen ungewöhnlich wäre, weil die Gefahr eines Interessenkonflikts mit dem ursprünglichen Auftraggeber nicht von der Hand zu weisen ist (BGH, aaO S. 272). Insoweit obliegt die Darlegungslast dem beklagten Rechtsanwalt (BGH, aaO S. 273 f).
2. Nach diesen im Schrifttum geteilten (Heinemann, aaO § 15 Rn. 17; Vill, aaO § 2 Rn. 370; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 2 Rn. 684; Weinland, aaO Kap. 3 Rn. 41), weiter gültigen Grundsätzen hat die Beklagte ihrer Darlegungslast, mit Rücksicht auf Belange Dritter einer nur eingeschränkten Herausgabepflicht zu unterliegen, nicht genügt.
a) Soweit der Anwalt unter Berufung auf Verschwiegenheitspflichten die Herausgabe der Handakte verweigert, hat er den Darlegungspflichten eines Zeugen zu genügen, der ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt (vgl. § 386 Abs. 1, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Ist der Grund der Herausgabeverweigerung nicht ohne weiteres erkennbar, ist die Angabe näherer Tatsachen unerlässlich (RG JW 1903, 241 Nr. 15). Das Gericht muss sich auf der Grundlage der Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnis aufzudecken ist, ein Bild davon machen können, um was es geht (MünchKomm-ZPO/Damrau, 5. Aufl., § 386 Rn. 2). Deshalb müssen die Angaben so weit ins Einzelne gehen, dass dem Richter ein Urteil über den Weigerungsgrund möglich ist (Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 386 Rn. 1). Handelt es sich um eine Auskunftsverweigerung aus beruflichen Gründen, bedarf es der beweisgeeigneten Darlegung, dass es sich um Tatsachen handelt, die im Rahmen der Berufsausübung anvertraut oder bekannt geworden sind. Insoweit ist in geeigneten Sachverhalten von der anerkannten Befugnis Gebrauch zu machen, eine vollständig anonymisierte Darstellung abzugeben, die keine Bezugsherstellung zu den beteiligten Personen gestattet (AnwG Köln, AnwBl. 2009, 792, 793 aE). Im Blick auf die Tatsachen, aus denen die Auskunftsverweigerung hergeleitet wird, ist nach Möglichkeit Beweis anzubieten. Im Streitfall käme die zeugenschaftliche Vernehmung von Rechtsanwalt D. als zuständigem Sachbearbeiter in Betracht, der nicht zu den vertretungsberechtigten Organen der Beklagten gehört. Diesen Darlegungsanforderungen ist entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts unabhängig davon zu genügen, ob der Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakte im Blick auf von ihm gefertigte persönliche Aufzeichnungen, Interessen anderer Mandanten oder dritter Personen verweigert, weil die Verschwiegenheitspflicht unterschiedslos gilt.
b) Den Anforderungen an die Spezifizierung (Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 386 Rn. 6) hat die Beklagte durch die bloße, nicht näher unterlegte Angabe, dass Interessen anderer Mandanten durch die Herausgabe der Akten beeinträchtigt werden können, nicht genügt. Es fehlt an jeglichen Angaben, inwiefern die Mandate der Schuldnerin Berührungspunkte zu sonstigen Mandaten der Beklagten haben können. Darum kann nach bisherigem Sach- und Streitstand nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Herausgabe der Handakten mit Rücksicht auf die Geheimhaltungsinteressen anderer Mandanten verweigern darf.
aa) Die Vordergerichte durften im Streitfall nicht allein auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens zu der Überzeugung gelangen, dass einer uneingeschränkten Herausgabepflicht der Akten Geheimhaltungsinteressen anderer Mandanten der Beklagten entgegenstehen. Dem Richter ist es zwar grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (§ 286 ZPO). Ein solches Verfahren darf aber nur in Ausnahmefällen angewandt werden, wenn der vorgetragene Sachverhalt beider Parteien klar, widerspruchsfrei und überzeugend ist (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1981 - X ZR 57/80, BGHZ 82, 13, 20 f; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 286 Rn. 14; MünchKomm-ZPO/Prütting, 5. Aufl., § 286 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 9. Aufl., § 286 Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben, weil die Beklagte widersprüchlich vorgetragen hat.
(1) Die Beklagte hat sich vorgerichtlich lediglich darauf berufen, dass "in diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Diese Darstellung hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit dahin ergänzt, dass der Schriftwechsel mit diesen Personen für die Schuldnerin geführt worden sei. Ferner hat sie ausgeführt, der Inhalt der Handakte betreffend das Mandat gegen S. und die R. S. GmbH & Co. KG bestehe, lasse man den Schriftwechsel mit der Schuldnerin außer Betracht, aus den erstinstanzlich und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätzen. Die Handakte aus dem Mandat gegen M. S. beschränke sich auf ein Anspruchsschreiben der Beklagten, durch das namens der Schuldnerin der Rücktritt von Kaufverträgen über Eigentumswohnungen erklärt worden sei, sowie ein Antwortschreiben des von M. S. beauftragten Rechtsanwalts. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht hat die Beklagte geltend gemacht, in den Handakten seien Schriftstücke dritter Personen enthalten, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe.
(2) Angesichts des wechselnden, von dem Kläger bestrittenen Sachvortrags kann nicht davon ausgegangen werden, dass die herauszugebenden Handakten dritte Personen betreffende Schriftstücke enthalten, die durch ein Mandatsverhältnis mit der Beklagten verbunden sind. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte zunächst lediglich ohne Bezug auf ein Mandatsverhältnis geltend gemacht hat, dass "in diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Daraus kann schon nicht entnommen werden, ob die Schriftstücke von diesen Personen stammen oder diese Personen lediglich im Rahmen der Mandate schriftsätzlich erwähnt wurden. Überdies legen die erstinstanzlichen schriftsätzlichen Darlegungen der Beklagten nahe, dass die Handakten tatsächlich nur das Mandatsverhältnis zu der Schuldnerin betreffende Unterlagen aufweisen. Die Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, zu dritten Personen sei ein Mandatsverhältnis begründet worden, entbehrt jeder auch nur abstrakten Konkretisierung. Da eine besondere Geheimhaltungspflicht erst nachträglich behauptet wurde, hätte sie zumindest plausibel gemacht werden müssen. Ferner kommt hinzu, dass die Beklagte von der Schuldnerin in zwei Verfahren mandatiert wurde. Es erscheint erklärungsbedürftig, dass ausgerechnet mit diesen beiden Mandaten gesonderte Mandate der Beklagten zu dritten Personen verknüpft sind.
bb) Zudem ist eine erhöhte Darlegungspflicht der Beklagten geboten, weil es die anwaltlichen Berufspflichten verletzen kann, unterschiedliche Mandate betreffende Schriftsätze in einer Handakte zu vereinigen.
cc) Gemäß § 50 Abs. 1 BRAO muss der Rechtsanwalt durch Anlegen von Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben können. Um dieser Verpflichtung zu genügen, hat der Anwalt zu jedem Mandat eine eigenständige Akte anzulegen. Die Pflicht zur Anlegung der Handakte ist lückenlos (Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50 Rn. 6, 11 f; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, 9. Aufl., § 50 Rn. 1; Tauchert/Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 3). Die Norm bezweckt die Sicherstellung der Mindestvoraussetzung einer Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeit einerseits und die Schaffung eines Beweismittels für den Rechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. Die Regelung dient dem Schutz des Mandanten, der mit der Handakte ein Beweismittel für ein etwaiges Fehlverhalten des Anwalts erhält (Tauchert/Dahns, aaO). Die Führung einer Handakte für unterschiedliche Verfahren stellt darum regelmäßig einen Organisationsmangel des Rechtsanwalts dar (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 1999 - III ZB 44/98, NJW-RR 1999, 716).
dd) Bei dieser Sachlage war es der Beklagten ohne besonderen Anlass verwehrt, andere Mandate betreffende Schriftstücke in die Handakten einzufügen, welche die Verfahren der Schuldnerin zum Gegenstand haben. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer eingehenden Darlegung, warum die Beklagte für die unterschiedlichen Mandate nicht gesonderte Handakten geführt hat.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es wird aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird nunmehr aufgrund ergänzenden Sachvortrags der Beklagten darüber zu befinden haben, ob sie den Anforderungen an die Darlegung einer Geheimhaltungspflicht genügt hat.
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