Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.02.2012


BGH 16.02.2012 - IX ZR 218/10

Restschuldbefreiung: Behandlung von Säumniszuschlägen bei Strafbarkeit des Schuldners wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.02.2012
Aktenzeichen:
IX ZR 218/10
Dokumenttyp:
Versäumnisurteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Potsdam, 23. September 2010, Az: 3 S 9/10vorgehend AG Potsdam, 11. November 2009, Az: 31 C 177/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Hat sich der Schuldner wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 266a StGB strafbar gemacht, gehören Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV nicht zu den von einer Restschuldbefreiung ausgenommenen Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. September 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 11. November 2009 auch bezüglich der über den Teilbetrag von 2.320,74 € hinausgehenden Forderung der Beklagten zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger war Geschäftsführer der K.        GmbH. Er unterließ es, die für die Arbeitnehmer der GmbH zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge der Monate September 2000 bis Februar 2001 an die Beklagte als Einzugsstelle abzuführen. Am 1. September 2004 erwirkte die Beklagte ein Versäumnisurteil, durch das der Kläger verurteilt wurde, die vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile zuzüglich Säumniszuschlägen an die Beklagte zu zahlen. Das Versäumnisurteil wurde rechtskräftig. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers meldete die Beklagte ihre Forderung am 22. Juni 2009 im Gesamtbetrag von 4.291,73 € als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zur Tabelle an. Der Kläger widersprach der Forderung dem Grunde nach; gleichwohl wurde die Forderung mit dem angemeldeten Rechtsgrund zur Tabelle festgestellt.

2

Mit der Klage verfolgt der Kläger seinen Widerspruch fort. Er begehrt die Feststellung, dass die von der Beklagten angemeldete Forderung aus dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gegen den Kläger nicht besteht. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt im Umfang der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dies ist, weil die Beklagte im Verhandlungstermin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil auszusprechen, das inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81).

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei analog § 184 Abs. 2 InsO zulässig. Sie sei aber unbegründet. Zwar stehe nicht bereits aufgrund des Versäumnisurteils fest, dass die Forderung der Beklagten auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe. Hierüber müsse im vorliegenden Rechtsstreit entschieden werden. Die begehrte Feststellung, dass die Forderung der Beklagten nicht auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe, könne jedoch nicht getroffen werden. Der Kläger habe eine unerlaubte Handlung begangen, indem er die Arbeitnehmeranteile zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung nicht an die Beklagte abgeführt und dadurch gegen § 266a StGB verstoßen habe. Anhaltspunkte dafür, dass die Gesellschaft die Beiträge wegen Zahlungsunfähigkeit nicht abführen konnte, lägen nicht vor, da sie noch bis April 2001 Löhne gezahlt habe. Der Kläger habe jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt, weil er nicht Vorsorge dafür getroffen habe, dass die Arbeitnehmerbeiträge vorrangig abgeführt wurden. Der Kläger könne sich auch nicht erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen. Die begehrte Feststellung betreffe einen titulierten Anspruch, welcher der dreißigjährigen Verjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB unterfalle. Die Beurteilung, welches Rechtsverhältnis dem titulierten Anspruch zugrunde liege, verjähre nicht.

II.

5

Diese Ausführungen treffen weitgehend zu. Das Berufungsgericht hat jedoch die Säumniszuschläge in die Feststellung mit einbezogen, obwohl diese nicht auf der Vorsatzhandlung beruhen.

6

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht die negative Feststellungsklage des Schuldners als zulässig behandelt. Ihn trifft zwar nicht die Feststellungsobliegenheit des § 184 Abs. 2 InsO, weil durch das Versäumnisurteil nur die Forderung als solche, nicht aber der vom Kläger bestrittene Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung tituliert ist. In einem solchen Fall ist § 184 Abs. 2 InsO nicht entsprechend anzuwenden (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 41/10, WM 2011, 93 Rn. 12). Das rechtliche Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung des Rechtsgrundes (§ 256 Abs. 1 ZPO) folgt jedoch aus dem Bedürfnis, frühzeitig und nicht erst im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zu klären, ob die Forderung der Beklagten nach § 302 Nr. 1 InsO von einer Restschuldbefreiung ausgenommen bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 124/08, WM 2009, 313 Rn. 12; vom 2. Dezember 2010, aaO Rn. 8; vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09, BGHZ 187, 337 Rn. 8).

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2. Die (negative) Feststellungsklage ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die in Rede stehende, von der Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung durch das Versäumnisurteil vom 1. September 2004 rechtskräftig tituliert ist. Die Rechtskraft dieses Urteils erstreckt sich nicht darauf, dass der zuerkannte Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht und deshalb von einer etwaigen Restschuldbefreiung des Schuldners nicht ergriffen wird (BGH, Urteil vom 5. November 2009 - IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 Rn. 15 bis 18).

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3. Umgekehrt ist der Feststellungsantrag des Klägers nicht schon deshalb begründet, weil ein Anspruch der Beklagten auf Feststellung des Rechtsgrundes ihrer Forderung als solcher aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung verjährt wäre. Der Senat hat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden, dass dieser Anspruch nicht verjährt; insbesondere unterliegt er nicht den Verjährungsvorschriften, welche für die Verjährung des Leistungsanspruchs gelten (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010, aaO Rn. 10 ff).

9

4. Entgegen der Ansicht der Revision ist ein Anspruch der Beklagten auf die Feststellung, dass ihre Forderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhe, auch nicht verwirkt (§ 242 BGB). Nachdem die Beklagte im Jahr 2004 gegen den Kläger ein Versäumnisurteil erwirkt hatte, dem die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zu Sozialversicherungsbeiträgen zugrunde lag, musste der Kläger damit rechnen, dass die Beklagte die titulierte Forderung im Insolvenzverfahren über sein Vermögen mit dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zur Tabelle anmelden würde. Zwar hat die Beklagte bei der Titulierung ihrer Forderung den Rechtsgrund nicht gesondert feststellen lassen, und sie hat ihre Forderung in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers erst im Jahr 2009, vier Jahre nach der Eröffnung des Verfahrens, angemeldet. Einen Vertrauenstatbestand hat sie dadurch aber beim Kläger nicht geschaffen. Auch ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Kläger zu einem früheren Zeitpunkt bessere Möglichkeiten gehabt hätte, der Beweisführung der Beklagten zum Rechtsgrund ihrer Forderung entgegenzutreten.

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5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger sei der Beklagten wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB zum Schadensersatz verpflichtet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Unstreitig hat der Kläger als Geschäftsführer der K.       GmbH in den Monaten von September 2000 bis Februar 2001 die fälligen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung nicht an die Beklagte als Einzugsstelle für diese Beiträge entrichtet. Der Einwand der Revision, der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, die Beiträge abzuführen, weil die Gesellschaft zahlungsunfähig gewesen sei, greift nicht durch. Zwar liegt der Tatbestand des § 266a StGB grundsätzlich nicht vor, wenn der Arbeitgeber seine Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Sozialversicherung wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllen kann (BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 - IX ZR 176/05, WM 2007, 659 Rn. 17 mwN). Zum einen erlaubt aber der von der Revision angeführte Umstand, dass im Dezember 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt wurde, nicht den Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft im Zeitraum von September 2000 bis Februar 2001. Zum anderen hat die Gesellschaft ihren Arbeitnehmern nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im fraglichen Zeitraum und darüber hinaus bis einschließlich April 2001 die Löhne bezahlt. Der Arbeitgeber ist nach § 266a Abs. 1 StGB verpflichtet, im Falle eines Mangels an Zahlungsmitteln vorrangig die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abzuführen und geeignete Vorkehrungen zu treffen, um ausreichende Liquidität zur Begleichung dieser Beiträge bei Fälligkeit bereitzustellen. Notfalls muss er die Auszahlung der Löhne kürzen. Verletzt er - wie hier - diese Pflicht, ist der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirklicht, wenn der Beitragsschuldner zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 2007, aaO Rn. 18; vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09, WM 2011, 88 Rn. 23 mwN, insoweit in BGHZ 187, 337 nicht abgedruckt).

11

6. Die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Klägers hat bei der Beklagten einen Schaden in Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge verursacht, die unstreitig 2.320,74 € betrugen. Dieser Schaden wäre entgegen der Ansicht der Revision nicht in gleicher Höhe eingetreten, wenn der Kläger die Beiträge pflichtgemäß abgeführt hätte. Ein nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a Abs. 1 StGB ersatzfähiger Schaden des Sozialversicherungsträgers entfällt zwar, wenn dieser pflichtgemäß geleistete Zahlungen später nach den Bestimmungen über die Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung hätte zurückzahlen müssen (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09, aaO Rn. 19 mwN). Die Voraussetzungen eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs hat der Schädiger darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2000 - VI ZR 149/99, WM 2001, 162, 164; vom 18. April 2005 - II ZR 61/03, WM 2005, 1180, 1182; vom 29. September 2008 - II ZR 162/07, WM 2008, 2213 Rn. 14). Im Streitfall wäre, weil ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nicht eröffnet wurde, allenfalls eine Gläubigeranfechtung nach den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes in Betracht gekommen. Der Kläger hat aber weder zu den Anfechtungsvoraussetzungen schlüssig vorgetragen noch hat er behauptet, dass ein Gläubiger von einer etwa bestehenden Anfechtungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hätte. Hinsichtlich der Hauptforderung der Beklagten in Höhe von 2.320,74 € ist die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts daher mit Recht zurückgewiesen worden.

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7. Das angefochtene Urteil kann hingegen keinen Bestand haben, soweit es die Berufung auch hinsichtlich der über den Betrag von 2.320,74 € hinausgehenden Forderung der Beklagten zurückgewiesen hat. Welche Forderungen des Geschädigten im Falle einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO ausgenommen sind, bestimmt sich danach, welche Rechtsfolgen das materielle Schadensrecht an die unerlaubte Handlung knüpft (BGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - IX ZR 151/10, ZInsO 2011, 1608 Rn. 7 ff z.V.b. in BGHZ). Nach materiellem Schadensrecht haftet der Geschäftsführer einer GmbH bei einer Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 266a StGB auch für die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung der Einzugsstelle und für Verzugs- und Prozesszinsen, nicht jedoch für Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV (BGH, Urteil vom 11. Juni 1985 - VI ZR 61/84, ZIP 1985, 996, 998; Beschluss vom 14. Juli 2008 - II ZR 238/07, WM 2008, 2125; Urteil vom 18. November 2010 - IX ZR 67/10, WM 2011, 131 Rn. 16; vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09, WM 2011, 88 Rn. 24). Diese Unterscheidung hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Es hat deshalb nicht festgestellt, aus welchen Teilbeträgen sich der über die Hauptforderung von 2.320,74 € hinausgehende Teil der Gesamtforderung von 4.291,73 € zusammensetzt und auf welcher Rechtsgrundlage die Teilbeträge jeweils beruhen. Nach dem Inhalt des Versäumnisurteils vom 1. September 2004 und der Forderungsanmeldung der Beklagten im Insolvenzverfahren liegt es nahe, dass die angemeldete Forderung auch Säumniszuschläge enthält.

II.

13

Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit es die Berufung des Klägers auch bezüglich der über den Betrag von 2.320,74 € hinausgehenden Forderung der Beklagten zurückgewiesen hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Kayser                                             Raebel                                                 Pape

                         Grupp                                                Möhring