Entscheidungsdatum: 16.06.2016
1. Hat das Insolvenzgericht im Schutzschirmverfahren nach § 270b Abs. 3 InsO allgemein angeordnet, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet, hat dieser kein Wahlrecht. Die Begründung von Masseverbindlichkeiten richtet sich dann nach den gesetzlichen Vorschriften, die für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter gelten.
2. Nimmt der allgemein nach § 270b Abs. 3 InsO ermächtigte Schuldner die Arbeitsleistung seiner Arbeitnehmer aus schon bestehenden Arbeitsverhältnissen in Anspruch, begründet er wegen des Bruttolohnanspruchs des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten; Masseverbindlichkeiten sind auch die Ansprüche auf Zahlung der Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung.
3. Auf die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den nach § 270b Abs. 3 InsO allgemein ermächtigten Schuldner findet § 55 Abs. 3 InsO entsprechende Anwendung.
4. Eine Umqualifizierung der nach § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeit geltenden Forderungen in Insolvenzforderungen nach § 55 Abs. 3 InsO setzt voraus, dass der Schuldner die Forderungen noch nicht erfüllt hat.
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 15. April 2015 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Der Kläger macht als Sachwalter der M. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) gegen die beklagte gesetzliche Krankenkasse Ansprüche aus Deckungsanfechtung geltend.
Auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 7. Februar 2014 ordnete das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 10. Februar 2014 das Schutzschirmverfahren an und ermächtigte die Schuldnerin nach § 270b Abs. 3, § 55 Abs. 2 InsO dazu, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Mit Schreiben vom 17. Februar 2014 informierte die Schuldnerin die Beklagte über diese Umstände und kündigte an, dass zur Vermeidung nachteiliger Folgen die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung erfolgen werde, diese Zahlungen aber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten werden könnten. Diesen Hinweis wiederholte sie später mit Schreiben vom 1. April 2014. Am 10. März 2014 zahlte die Schuldnerin Arbeitnehmeranteile in Höhe von 32.019,79 € an die Beklagte, am 2. April 2014 solche Anteile in Höhe von 32.174,09 €, zusammen 64.193,88 €.
Mit Beschluss vom 1. Mai 2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren, ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Kläger zum Sachwalter. Dieser forderte von der Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückzahlung der genannten Beträge, was die Beklagte ablehnt.
Nach Bestätigung eines Insolvenzplans hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren nach § 258 InsO auf. Der Insolvenzplan sieht die Fortführung rechtshängiger Anfechtungsrechtsstreitigkeiten vor.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Sprungrevision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Die zulässige Sprungrevision (§ 566 Abs. 7, § 551 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ist begründet. Die Klage ist abzuweisen.
I.
Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Der Kläger sei nach § 259 Abs. 3 InsO prozessführungsbefugt. Die Klage sei auch gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO begründet. Es habe sich um Zahlungen der Schuldnerin gehandelt. Diese seien nach dem Eröffnungsantrag erfolgt. Die Forderungen der Beklagten seien Insolvenzforderungen, keine Masseverbindlichkeiten gewesen. Gemäß § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO sei zwar bei der vorläufigen Eigenverwaltung § 55 Abs. 2 InsO anwendbar. Satz 1 dieser Vorschrift sei jedoch nicht einschlägig, weil die Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern nicht vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden seien. Auch ein Fall des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO liege nicht vor, weil zwischen der Schuldnerin und der Beklagten kein Dauerschuldverhältnis vorgelegen habe, für die der vorläufige Insolvenzverwalter Gegenleistungen in Anspruch genommen habe. Die Beklagte sei an den Arbeitsverträgen zwischen der Schuldnerin und ihren Arbeitnehmern nicht beteiligt. Der von der Beklagten gewährte Versicherungsschutz bereichere auch nicht die Masse, sondern komme den versicherten Arbeitnehmern zugute, weshalb auch ein Bargeschäft ausscheide. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei die Beklagte gemäß § 259 Abs. 3 Satz 2 InsO zur Zahlung an die Schuldnerin zu verurteilen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger prozessführungsbefugt ist.
a) Bei angeordneter Eigenverwaltung ist gemäß § 280 InsO nur der Sachwalter befugt, die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff InsO geltend zu machen. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlischt gemäß § 259 Abs. 1 InsO das Amt des Insolvenzverwalters. Für den Sachwalter fehlt zwar eine entsprechende Regelung ebenso wie eine ausdrückliche Verweisung auf § 259 Abs. 1 InsO. Da er aber gemäß § 270c InsO anstelle des Insolvenzverwalters bestellt wird und gemäß § 274 InsO auch andere Vorschriften für den Insolvenzverwalter auf den Sachwalter entsprechend anwendbar sind, muss im Falle der Aufhebung des Verfahrens auch § 259 Abs. 1 InsO entsprechend gelten.
b) Aus denselben Gründen ist auch § 259 Abs. 3 InsO auf den Sachwalter entsprechend anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2016 - IX ZR 157/14, DB 2016, 1013). Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen hier vor.
aa) Der Insolvenzplan sieht im zweiten Abschnitt (Gestaltender Teil) unter Buchstabe F Ziffer I vor, dass durch den Sachwalter die bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahren rechtshängig gemachten Rechtsstreitigkeiten, welche die Insolvenzanfechtung zum Gegenstand haben, gemäß § 259 Abs. 3 InsO fortgeführt werden können, sofern die betroffenen Ansprüche bis spätestens eine Woche vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin gegenüber dem Gläubiger geltend gemacht worden sind. Dies war hier der Fall, weil die Ansprüche bereits mit Schreiben vom 16. Mai 2014 erhoben worden sind.
bb) Die Klage war auch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtshängig gemacht worden (zu diesem Erfordernis vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102 Rn. 10; vom 11. April 2013 - IX ZR 122/12, DZWiR 2013, 437 Rn. 9 ff). Sie ist am 16. September 2014 bei Gericht eingereicht und am 13. Oktober 2014 zugestellt worden. Das Insolvenzverfahren ist nach der Bekanntmachung vom 12. Februar 2015 aufgehoben worden, nachdem der Insolvenzplan mit Beschluss vom 2. Januar 2015 bestätigt worden war. Das Datum des Aufhebungsbeschlusses und seine Rechtskraft sind zwar nicht festgestellt. Das Landgericht hat das von ihm angegebene Datum 2. Januar 2015 offensichtlich mit dem Beschlussdatum für den Bestätigungsbeschluss verwechselt. Die Aufhebung erfolgte aber offensichtlich erst nach Rechtshängigkeit.
cc) Da im Plan keine von § 259 Abs. 3 Satz 2 InsO abweichende Regelung getroffen ist, wird der Rechtsstreit für Rechnung der Schuldnerin geführt, an die folglich ein auszuurteilender Betrag zu zahlen wäre.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die vom Kläger allein geltend gemachte Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO greift nicht durch. Diese Vorschrift setzt voraus, dass einem Insolvenzgläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO) Sicherung oder Befriedigung gewährt worden ist. Das Landgericht hat eine Insolvenzforderung zu Unrecht bejaht.
a) Forderungen der Beklagten gegen die Schuldnerin, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, stellen allerdings grundsätzlich gemäß § 38 InsO Insolvenzforderungen dar. Das Insolvenzgericht hatte jedoch gemäß § 270b Abs. 3 InsO angeordnet, dass die Schuldnerin Masseverbindlichkeiten begründet. Für sie galt gemäß § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO die Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO entsprechend.
aa) Hat das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 3 InsO angeordnet, dass die Schuldnerin Masseverbindlichkeiten begründet, gelten für die Schuldnerin dieselben Grundsätze wie für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dieser begründet Masseverbindlichkeiten nach Maßgabe des § 55 Abs. 2 InsO. Die auf Anregung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages eingeführte Regelung des § 270b Abs. 3 InsO hat den Zweck, das Vertrauen in den eigenverwaltenden Schuldner zu stärken und ihn dadurch zu unterstützen, dass ihm die Möglichkeit eröffnet wird, über eine Anordnung des Gerichts in die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters einzurücken. Der eigenverwaltende Schuldner hat die Wahl, ob er sich bei Gericht Einzelermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilen oder aber sich mit einer globalen Ermächtigung ausstatten lässt (BT-Drucks. 17/7511, S. 37).
Im vorliegenden Fall hatte die Schuldnerin beantragt, "die Schuldnerin zu berechtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen." Hierauf hatte das Insolvenzgericht entschieden: "Auf Antrag der Schuldnerin wird angeordnet, dass diese Masseverbindlichkeiten begründen darf (§§ 270b Abs. 3, 55 Abs. 2 InsO)."
Dies war eine Globalermächtigung, weil eine Beschränkung auf bestimmte Geschäfte nicht vorgenommen wurde. Der Antrag der Schuldnerin hatte zwar in seiner Begründung von einer Einzelermächtigung gesprochen, aber nicht ausgeführt, auf welches Geschäft sich diese beziehen sollte. Im Antrag selbst hatte dies zudem keinen Niederschlag gefunden.
Eine Ermächtigung, bei der es in das Ermessen des Schuldners gestellt wird zu bestimmen, wozu er ermächtigt sein soll, kommt sowohl im Hinblick auf die dargelegte Entstehungsgeschichte (BT-Drucks. 17/7511, aaO) als auch deshalb nicht in Betracht, weil derartige Ermächtigungen selbst beim vorläufigen Verwalter nicht zulässig sind (BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 366f; vom 3. Dezember 2009 - IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rn. 22).
Hat sich der Schuldner aber - wie hier - mit der globalen Ermächtigung ausstatten lassen, steht er grundsätzlich einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter gleich (BT-Drucks. 17/7511, aaO). Es steht nicht in seinem Belieben, ob er im Einzelfall Masseverbindlichkeiten oder Insolvenzforderungen begründet. Maßgebend hierfür ist allein das Gesetz, insbesondere § 55 Abs. 2 InsO (vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2012, § 270b Rn. 78; HK-InsO/Landfermann, 8. Aufl., § 270b Rn. 46).
bb) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Schuldnerin keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet hat. Dies wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten wurden nicht von der Schuldnerin im Rahmen ihrer Ermächtigung nach § 270b Abs. 3 InsO begründet, sondern beruhen auf den vor dem Insolvenzantrag abgeschlossenen Arbeitsverträgen mit den Beschäftigten. Für § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gilt, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, nichts anderes als bei § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Verbindlichkeit muss durch den Verwalter/Schuldner selbst erst begründet worden sein (Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, aaO, 2010, § 55 Rn. 213; FK-InsO/Bornemann, 8. Aufl., § 55 Rn. 50).
cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts begründete die Schuldnerin jedoch gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO Masseverbindlichkeiten, weil sie aus dem Dauerschuldverhältnis mit den Arbeitnehmern deren Gegenleistung in Anspruch genommen hat.
(1) Die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt aus Arbeitsverträgen, die bei Insolvenzantragstellung bereits bestanden, sind Masseverbindlichkeiten, wenn sie der starke vorläufige Insolvenzverwalter tatsächlich weiterbeschäftigt und nicht freistellt, denn § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO erfasst ein Verhalten des vorläufigen starken Insolvenzverwalters, mit dem er die Gegenleistung nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß hätte unterbinden können (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2003 - IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, 364). Masseverbindlichkeiten wurden folglich gegenüber den Arbeitnehmern nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO begründet, soweit die Schuldnerin nach der Anordnung gemäß § 270b Abs. 3 InsO die Arbeitnehmer - wie geschehen - weiter beschäftigt hat (vgl. MünchKomm-InsO/Hefermehl, 3. Aufl., § 55 Rn. 233; FK-InsO/Bornemann, aaO, § 55 Rn. 56; Jaeger/Henckel, InsO, § 55 Rn. 96; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 14. Aufl., § 55 Rn. 97 ff; HK-InsO/Lohmann, 8. Aufl., § 55 Rn. 31).
(2) Für die hier streitigen Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge gilt nichts anderes. Denn sie sind Bestandteil des Bruttolohnanspruchs der Arbeitnehmer im Sinne einer Masseverbindlichkeit. Die Verpflichtung zur Zahlung des Bruttoentgelts stellt in vollem Umfang eine Geldschuld des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer dar (BAGE 97, 150 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. November 2009 - IX ZR 233/08, BGHZ 183, 86 Rn. 9 ff). Durch die Zahlung des Arbeitgebers an die Einzugsstelle erfüllt dieser den Bruttolohnanspruch der Arbeitnehmer (BGH, aaO Rn. 13). Handelt es sich dabei um eine Insolvenzforderung, kann die Zahlung an die Einzugsstelle insolvenzrechtlich angefochten werden, weil trotz der Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Leistung des Arbeitgebers an die Einzugsstelle vorliegt (BGH, aaO).
Der einheitliche Bruttolohnanspruch des Arbeitnehmers kann für denselben Zeitraum nicht teilweise Insolvenzforderung, teilweise Masseverbindlichkeit sein. Der an die Einzugsstelle abzuführende Teil des Bruttolohns teilt die Rechtsnatur des an den Arbeitnehmer auszuzahlenden Teils seines Bruttolohnanspruchs. Wie bei einer Neubegründung einer Verbindlichkeit durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter ist auch hier eine einheitliche Betrachtung geboten.
Dieses Verständnis des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO liegt auch der Regelung des § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO zugrunde. Diese ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge im Falle des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO Masseverbindlichkeiten sind. Andernfalls ginge die entsprechend § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO vorgesehene Herabstufung zur Insolvenzforderung stets ins Leere (OLG Hamburg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - 1 U 196/14, Umdruck S. 10, nV; LG Hamburg, ZInsO 2015, 451, 455; für den entsprechenden Fall des § 55 Abs. 1 Nr. 2 ebenso: HmbKomm-InsO/Jarchow, 5. Aufl., § 55 Rn. 40; Jaeger/Henckel, aaO, § 55 Rn. 57). Die Regelung des § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO ist gerade klarstellend für den auch hier vorliegenden Fall eingeführt worden, dass der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Gegenleistung der Arbeitnehmer gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO in Anspruch genommen hat, weil andernfalls die Masseverbindlichkeiten, welche auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen, den Zweck des Insolvenzverfahrens beeinträchtigen könnten. Die Regelung in Abs. 3 Satz 2 betrifft ergänzend die Sozialversicherungsbeiträge, die nach § 175 Abs. 2 SGB III gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben und nicht auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen (BT-Drucks. 14/5680, S. 25 f).
(3) Soweit die Auffassung vertreten wird, die Befriedigung von Masseverbindlichkeiten durch den gemäß § 270b Abs. 3 InsO ermächtigten Schuldner sei anfechtbar, wenn sie nicht der Sanierung oder Betriebsfortführung gedient und der Gläubiger die hieraus folgende Zweckwidrigkeit der Zahlung gekannt habe (LG Hamburg, ZInsO 2016, 1108, 1110; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2013, 760, 763), kann dem nicht gefolgt werden. Auch der von der Schuldnerin erklärte Vorbehalt der Anfechtung bei der Zahlung ist unbehelflich. Der nach § 270b Abs. 3 InsO generell ermächtigte Schuldner hat - wie ausgeführt - ebenso wie der starke vorläufige Insolvenzverwalter kein Wahlrecht, ob er Masseschulden begründen will. Masseverbindlichkeiten entstehen vielmehr, wenn dies das Gesetz vorsieht. Ihre Erfüllung ist nicht anfechtbar. Um die Erfüllung einer Insolvenzforderung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder den nach § 270b Abs. 3 InsO generell ermächtigten Schuldner geht es hier nicht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 10 ff).
dd) Die danach entstandenen Masseverbindlichkeiten sind nicht durch § 55 Abs. 3 InsO zu Insolvenzforderungen umqualifiziert worden.
(1) § 55 Abs. 3 InsO findet im Schutzschirmverfahren analog Anwendung, wenn der Schuldner gemäß § 270b Abs. 3 InsO ermächtigt worden ist, Masseverbindlichkeiten zu begründen. § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO sieht die Anwendbarkeit nicht vor, weil dort lediglich § 55 Abs. 2 InsO in Bezug genommen worden ist. Hinsichtlich § 55 Abs. 3 InsO besteht jedoch eine planwidrige Regelungslücke, die durch analoge Anwendung zu schließen ist.
Eine solche Regelungslücke wäre allerdings zu verneinen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst von der Bezugnahme ausgenommen hat, weil er § 55 Abs. 3 InsO für die vorliegende Konstellation nicht angewandt wissen wollte. Solche Anhaltspunkte bestehen indessen nicht. Die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in das Gesetz aufgenommen. Er hat in seiner Begründung näher ausgeführt, dass die Notwendigkeit bestehe, den eigenverwaltenden Schuldner in seinem Bemühen um das Vertrauen des Geschäftsverkehrs zu unterstützen und ihm die Möglichkeit zu eröffnen, über eine Anordnung des Gerichts die Rechtsstellung eines vorläufigen starken Insolvenzverwalters zu erlangen. Gleichzeitig sollte die Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters auf die Überwachungsfunktion begrenzt werden (BT-Drucks. 17/7511, S. 37). Ein Grund für die Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO wird dagegen nicht aufgeführt. Das lässt darauf schließen, dass der Rechtsausschuss eine punktuelle Verbesserung des Gesetzentwurfes erreichen wollte, die Auswirkungen dieser Änderungen aber nicht vollständig überblickt hat. Die Annahme der Sprungrevision, es könne ausgeschlossen werden, dass der Rechtsausschuss die Vorschrift des § 55 Abs. 3 InsO übersehen habe, erscheint dagegen lebensfremd. Bei umfassender Prüfung der Folgen der Einführung des § 270b Abs. 3 InsO hätten auch Ausführungen dazu nahegelegen, welche Regelungen in Abgrenzung hierzu im Fall des § 270a InsO gelten sollten. Diese Frage, die nunmehr höchst streitig ist, lag unmittelbar auf der Hand, findet aber in der Begründung ebenfalls keine Erwähnung. Auch die Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO wird nicht begründet.
Fehlte im Gesetz schon eine Verweisung auf § 55 Abs. 2 InsO, hätte die Anwendbarkeit sowohl von § 55 Abs. 2 wie Abs. 3 InsO nahegelegen, weil durch die Anordnung nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO eine Gleichstellung mit dem vorläufig starken Insolvenzverwalter erreicht werden sollte und gewollt war. Gründe dafür, § 55 Abs. 3 InsO nicht anzuwenden, sind dagegen nicht erkennbar. Die Regelung war mit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710) in das Gesetz eingefügt worden, um aufgekommene Streitfragen zu § 55 Abs. 2 InsO zu klären (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 25 f). Warum beabsichtigt gewesen sein soll, diese Streitfragen nunmehr beim Tätigwerden des ebenfalls zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigten Schuldners ungeklärt bleiben oder werden zu lassen, ist nicht erkennbar. Sollte der Schuldner dem starken vorläufigen Verwalter weitgehend gleichgestellt werden, ist nicht anzunehmen, dass für die Problematik des Abs. 3, die hier in gleicher Weise auftritt, etwas anderes gelten und die Gefahr des Scheiterns der Sanierung heraufbeschworen werden sollte, die § 55 Abs. 3 InsO gerade ausräumen will (vgl. BT-Drucks. 14/5680, aaO). Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift liegt umso näher, als durch die Stärkung der Eigenverwaltung die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens begünstigt werden sollte. Die entsprechende Anwendung von § 55 Abs. 3 InsO entspricht deshalb zu Recht herrschender Meinung (HK-InsO/Landfermann, 8. Aufl., § 270b Rn. 45; Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl., § 270b Rn. 14; Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl. § 270b Rn. 26; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 356; Geißler, ZInsO 2013, 531, 537).
(2) Die Voraussetzungen der Herabstufung zur Insolvenzforderung nach § 55 Abs. 3 InsO liegen jedoch nicht vor.
(a) Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO kann die Bundesagentur für Arbeit die auf sie nach § 169 SGB III übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die nach § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten sind, nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen. § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO ordnet die entsprechende Anwendung von Satz 1 auf die in § 175 Abs. 1 SGB III bezeichneten Ansprüche an, soweit diese gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben. Nach § 175 Abs. 1 SGB III werden die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die letzten dem Insolvenzereignis (insbesondere: die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vgl. § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III) vorausgegangenen drei Monate (also den Zeitraum, für den Anspruch auf Insolvenzgeld besteht; vgl. § 165 Abs. 1 SGB III), sofern diese bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch nicht bezahlt worden sind, von der Agentur für Arbeit an die zuständige Einzugsstelle bezahlt. Anders als nach § 169 SGB III gehen die Ansprüche gegen den Arbeitgeber gemäß § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB III aber nicht auf die Bundesagentur für Arbeit über, sondern bleiben für die Einzugsstelle gegenüber dem Schuldner bestehen. Erbringt dieser Zahlungen an die Einzugsstelle, hat diese der Bundesagentur für Arbeit die von dieser geleisteten Beträge zu erstatten.
Die Ansprüche der Einzugsstelle gegen den insolventen Arbeitgeber bleiben bestehen, bis dieser sie gegenüber der Einzugsstelle erfüllt hat. Erfüllt der Schuldner den Anspruch, erlischt dieser nach § 362 Abs. 1 BGB und § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO findet keine entsprechende Anwendung.
(b) Hintergrund der Regelung des § 55 Abs. 3 InsO ist es, auch dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter, der den Betrieb fortführt und die Leistung der Arbeitnehmer einfordert oder entgegennimmt, eine sinnvolle Insolvenzgeldvorfinanzierung zu ermöglichen. Er soll hinsichtlich der Fortführung des Betriebes nicht schlechter gestellt werden als ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter, der keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO begründen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 357 ff; Beschluss vom 4. Dezember 2014 - IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261 Rn. 3). Andernfalls hätte beim starken vorläufigen Insolvenzverwalter die Bundesagentur für Arbeit die übergegangenen Ansprüche als Masseverbindlichkeiten geltend machen und die Masse auszehren können, was häufig zur Masseunzulänglichkeit führen würde (BT-Drucks. 14/5680, S. 25).
§ 55 Abs. 3 Sätze 1 und 2 InsO setzen übereinstimmend voraus, dass die Masseverbindlichkeit noch nicht erfüllt ist. § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO grenzt zudem ausdrücklich danach ab, inwieweit erfüllt ist. Die Umqualifizierung findet nur statt, "soweit" die Ansprüche bestehen bleiben. Dies war hinsichtlich der hier streitigen Arbeitnehmeranteile nicht der Fall. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 InsO lagen deshalb nicht vor (LG Hamburg, ZInsO 2015, 451, 456; OLG Hamburg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - 1 U 196/14, Umdruck S. 12; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 3. Aufl., § 55 Rn. 237; Schmidt/Thole, InsO, 19. Aufl., § 55 Rn. 44; HK-InsO/Lohmann, 8. Aufl., § 55 Rn. 33; im Ergebnis wohl auch Buchalik, ZInsO 2012, 349, 356; Geißler, ZInsO 2013, 531, 537).
(c) Soweit die Auffassung vertreten wird, dass auch bei durch den Schuldner erfolgter Zahlung vor dem Eintritt des Insolvenzereignisses eine Herabstufung zur Insolvenzforderung zu erfolgen habe (Schmidt/Undritz, aaO, § 270b Rn. 14; wohl auch Uhlenbruck/Sinz, aaO, § 55 Rn. 103; möglicherweise auch Jaeger/Henckel, InsO, § 55 Rn. 96, der allerdings auf die konkrete Problematik nicht näher eingeht), ließe sich dies allenfalls damit erklären, dass § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO nur eine Rechtsfolgenverweisung enthalte, die weiteren Voraussetzungen des Satzes 2 (Bestehenbleiben des Anspruchs der Einzugsstelle gegenüber dem Schuldner), aber auch diejenigen des Satzes 1 nicht vorliegen müssten. Hierfür besteht kein Anhaltspunkt. § 55 Abs. 3 InsO übernimmt die Formulierung des § 59 Abs. 2 KO, den man bei Schaffung der Insolvenzordnung zunächst für entbehrlich gehalten hatte (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 26). Sowohl § 55 Abs. 3 Satz 1 wie auch Satz 2 InsO, § 169 Abs. 1 in Verbindung mit § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sowie § 175 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB III setzen voraus, dass der Schuldner die Ansprüche nicht befriedigt hat. Eine Rückstufung zur Insolvenzforderung hätte demnach nur die mittelbare Wirkung, dass damit die Tatbestandsvoraussetzung der Insolvenzgläubigereigenschaft in der Deckungsanfechtung nach § 130 f InsO (rückwirkend) fingiert würde. Dafür, dass der Gesetzgeber dieses Anliegen verfolgt hätte, fehlen ausreichende Anhaltspunkte.
(d) Der Senat versteht unter Insolvenzgläubigern im Sinne des § 130 InsO Gläubiger, die ohne die erlangte Deckung an dem anschließenden Insolvenzverfahren in Bezug auf die befriedigte Forderung nur im Range der §§ 38, 39 InsO teilgenommen hätten (BGH, Urteil vom 6. April 2006 - IX ZR 185/04, WM 2006, 1018 Rn. 11 f; vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 12). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Qualifizierung einer vor Eröffnung erfüllten Forderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ohne Berücksichtigung der erlangten Deckung zu erfolgen hat, weil die Qualifizierung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ohnehin erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt (vgl. § 38 InsO, § 55 Abs. 2 InsO).
Verbindlichkeiten, die der starke vorläufige Insolvenzverwalter oder der zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270b Abs. 3 InsO ermächtigte Schuldner nach § 55 Abs. 2 InsO begründet haben, unterfallen zwar der Definition der Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Sie gelten aus Gründen des Gläubigerschutzes gemäß § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten. Rechtshandlungen des starken vorläufigen Verwalters oder des zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270b Abs. 3 InsO allgemein ermächtigten Schuldners sind deshalb unanfechtbar, soweit sie als Organ der (künftigen) Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO begründet, besichert oder erfüllt haben. Denn im Interesse des schutzwürdigen Vertrauens des Rechtsverkehrs darf die Begründung oder Erfüllung von Masseschulden nicht anfechtungsrechtlich rückabgewickelt werden (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 11). Die Erfüllung der (künftigen) Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung ändert deshalb anfechtungsrechtlich nichts an ihrer Qualifizierung.
Die Umqualifizierung von Masseverbindlichkeiten in Insolvenzforderungen nach § 55 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO, die jeweils voraussetzt, dass die Forderung noch nicht erfüllt wurde, ist hiervon unabhängig und stellt eine materielle Voraussetzung dar. Wurde die Forderung nicht erfüllt, gilt sie zwar gemäß § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeit, wird aber im Interesse einer erleichterten Unternehmensfortführung zur Insolvenzforderung umqualifiziert. Mit Erfüllung entfällt die Umqualifizierung. Die Erfüllung selbst ändert nichts mehr daran, dass die Forderung im Falle der Eröffnung als (erfüllte) Masseverbindlichkeit zu qualifizieren ist. Würde man dies anders sehen, wären alle nach § 55 Abs. 2 InsO begründeten (künftigen) Masseverbindlichkeiten nach ihrer Erfüllung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder den im Schutzschirmverfahren allgemein ermächtigten Schuldner anfechtbar. Das wäre im Interesse des schutzwürdigen Vertrauens der betroffenen Gläubiger auf den Bestand der Erfüllung nicht hinnehmbar, selbst für den Zeitraum des Insolvenzgeldanspruchs.
(e) Die Umqualifizierung in eine Insolvenzforderung findet nach § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO erst statt, wenn die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gemäß § 169 SGB III auf die Bundesagentur übergegangen sind, was bereits aber auch erst mit dem Antrag auf Insolvenzgeld geschieht (Peters-Lange in Gagel, SGB II und III, 2016, § 169 SGB III Rn. 5). Ab diesem Zeitpunkt findet auch die gegen die Arbeitnehmer begründete Anfechtung gemäß § 169 Satz 2 SGB III gegen die Bundesagentur statt. Vor dem Antrag auf Insolvenzgeld bleibt es folglich in jedem Fall bei der Masseverbindlichkeit. Zahlt der Schuldner vor Antragsstellung, zahlt er also auf eine Masseverbindlichkeit. Für § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO, für den Satz 1 entsprechend gilt, kann in der Abgrenzung nichts anderes gelten.
3. Die Vorsatzanfechtung hat der Kläger nicht geltend gemacht, ihre Voraussetzungen nicht ansatzweise dargelegt. Sie scheidet, wie dargelegt, schon deshalb aus, weil eine Masseverbindlichkeit erfüllt wurde.
III.
Das Urteil des Landgerichts kann somit keinen Bestand haben. Der Senat kann selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist abzuweisen.
Kayser Vill Lohmann
Pape Möhring