Entscheidungsdatum: 21.07.2011
Der Beschluss der Gläubigerversammlung, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, kann nicht im Verfahren nach § 78 Abs. 1 InsO angefochten werden .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 12. März 2010 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 2 mit der Maßgabe als unzulässig verworfen, dass seine sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14. September 2009 als unzulässig verworfen wird.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 7.806 € festgesetzt.
I.
Am 23. März 2009 stellte die F. GmbH (fortan: Schuldnerin), beraten durch einen insolvenzrechtlich erfahrenen Rechtsanwalt, Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit mit dem Ziel, die Gesellschaft in Eigenverwaltung mit Hilfe eines Insolvenzplans zu sanieren. Noch am gleichen Tag ordnete das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen an und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1 als vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser regte an, das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu eröffnen und für das fortführungsfähige Unternehmen Eigenverwaltung anzuordnen. Mit Beschluss vom 1. Juni 2009 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und ordnete - wie von der Schuldnerin beantragt - Eigenverwaltung an. Zum Sachwalter ernannte es den bisherigen vorläufigen Insolvenzverwalter. In der ersten Gläubigerversammlung beschlossen 40 anwesende Gläubiger mit einem Forderungsbetrag von 72.655.283,63 € gegen 56 anwesende Gläubiger mit einem Forderungsbetrag von 34.964.590,37 € die Aufhebung der Eigenverwaltung, wobei die Summenmehrheit von 67,51 vom Hundert sich im Wesentlichen aus den Forderungen der Kreditinstitute zusammensetzte.
Ein leitender Angestellter der Schuldnerin mit einer Forderung von 7.806 €, der weitere Beteiligte zu 2, hat noch in der Gläubigerversammlung die Aufhebung dieses Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der angefochtene Beschluss der Gläubigerversammlung widerspreche den gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger, weil es nach Aufhebung der Eigenverwaltung zur Zerschlagung der Schuldnerin kommen werde. Die Aufhebung der Eigenverwaltung würde bei Kunden und Vertragspartnern einen "Schock auslösen" und zu einem endgültigen Vertrauensverlust führen. Ebenso würde bei der gesamten Belegschaft ein nachhaltiger Motivationsverlust eintreten. Auch trügen die leitenden Mitarbeiter die eingeplante Gehaltskürzung nicht mit, wenn die Eigenverwaltung aufgehoben würde.
Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht als unbegründet zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der weitere Beteiligte zu 2 die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 7 InsO). Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde setzt gemäß § 7 InsO voraus, dass bereits das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gemäß § 6 Abs. 1 InsO eröffnet war (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2004 - IX ZB 128/03, NZI 2005, 32; vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08, NZI 2009, 553 Rn. 5). Das ist hier nicht der Fall. Gegen den Beschluss der Gläubigerversammlung, nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, steht dem überstimmten Gläubiger weder ein Rechtsmittel zu, noch kann er die Aufhebung des Beschlusses gemäß § 78 Abs. 1 InsO verlangen. Sein entsprechender Antrag war mithin unstatthaft; das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen den seinen Antrag als unbegründet zurückweisenden Beschluss des Insolvenzgerichts war deswegen unzulässig. Die Rechtsbeschwerde wird auch nicht dadurch eröffnet, dass das Beschwerdegericht nach §§ 6, 78 Abs. 2 InsO ein Beschwerderecht angenommen hat. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht eröffneter Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des Gerichts der ersten Beschwerde nicht eröffnet werden. Die Statthaftigkeit der Erstbeschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009, aaO Rn. 5, 8).
1. In der Literatur ist allerdings streitig, ob die Entscheidung der Gläubigerversammlung, nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu beantragen, die vom Insolvenzgericht angeordnete Eigenverwaltung aufzuheben, gemäß § 78 Abs. 1 InsO auf Antrag eines überstimmten Gläubigers darauf überprüft werden kann, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht.
a) Einerseits wird vertreten, aus § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ergebe sich, dass § 78 InsO auf § 272 InsO einschränkungslos anwendbar sei, weil § 272 Abs. 1 InsO die Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausschließe. Dabei gehe es nicht nur um den potentiellen Gläubigernachteil der Mehrkosten. Vielmehr bestehe die Gefahr eines Mehrheitsmissbrauchs, wenn einige Großgläubiger gemeinschaftlich oder eine geschickt agierende Kleingläubigergruppe eine den Gesamtgläubigerinteressen entsprechende und sie fördernde Eigenverwaltung aus Eigennutz zu Fall bringen könnten (vgl. FK-InsO/Foltis, 6. Aufl., § 272 Rn. 10; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl., § 272 Rn. 3).
b) Eine zweite Meinung, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, räumt zwar ein, dass die Anwendung von § 78 InsO nicht schlechthin ausgeschlossen sei, die Insolvenzgläubiger erlitten jedoch in der Regel durch die Aufhebung der Eigenverwaltung keinen Schaden (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 272 Rn. 3).
c) Nach einer dritten Meinung steht dem einzelnen Gläubiger gegen den Beschluss der Gläubigerversammlung, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, kein Recht zum Widerspruch nach § 78 InsO zu. Das Interesse der Gläubiger, dass durch die Eigenverwaltung geringere Kosten für die Masse entstehen, sei kein durch § 78 InsO geschütztes Interesse. Eine Verletzung des durch § 78 InsO geschützten Gesamtinteresses durch die Aufhebung der Eigenverwaltung und die Anordnung der Regelverwaltung sei im Übrigen ausgeschlossen. In § 272 InsO setze sich die Gläubigerautonomie mit ihrer freien Entscheidung über die Art der Verfahrensabwicklung durch, wie sich auch darin zeige, dass die Gläubigerversammlung den Antrag, die Eigenverwaltung aufzuheben, nach dem Gesetz nicht zu begründen brauche. Es käme sonst zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Gläubigerversammlung ihren Antrag zwar nicht zu rechtfertigen brauche, das Gericht im Falle eines Antrages nach § 78 InsO aber doch eine Abwägung vornehmen müsse (Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2007, § 272 Rn. 3, 3a; MünchKomm-InsO/Wittig/Tetzlaff, 2. Aufl., § 272 Rn. 9).
2. Die zuletzt dargestellte Ansicht ist richtig.
a) Der Übergang der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis auf einen unabhängigen Insolvenzverwalter (§ 80 InsO) ist nach der Gesetzessystematik, aber auch nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Insolvenzverfahren der Regelfall (Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 222). Ob die Verwaltung der Masse durch den Insolvenzverwalter oder den Schuldner in Eigenverwaltung erfolgt, ist allein vom Gläubigerwillen, nicht aber von dem angestrebten Verfahrensergebnis, von der beabsichtigten Form der Masseverwertung (Zwangsverwertung oder Plan) oder von der subjektiven Würdigkeit des Schuldners abhängig. Die Vorschriften über die Eigenverwaltung enthalten nämlich einen deutlichen Vorrang der Gläubigerautonomie vor den Einflussmöglichkeiten des Schuldners oder des Insolvenzgerichts (BT-Drucks. 12/2443, S. 100; Windel in Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S. 449, 469). Das Insolvenzgericht entscheidet im Eröffnungsbeschluss nur vorläufig über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung (BT-Drucks. 12/2443, S. 223), ohne dass diese Entscheidung nach der Rechtsprechung des Senats mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden könnte (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 - IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 Rn. 7 ff). Die endgültige Entscheidung darüber, ob dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausnahmsweise belassen werden soll, hat der Gesetzgeber der Gläubigerversammlung übertragen. Ein Schuldner kann die Anordnung der Eigenverwaltung gegen den Willen der Gläubiger nicht erzwingen. Die Anordnung setzt die - nicht durch das Gericht ersetzbare - Zustimmung des die Verfahrenseröffnung beantragenden Gläubigers voraus (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Das Insolvenzgericht muss die beantragte Eigenverwaltung anordnen, wenn die erste Gläubigerversammlung dies beschließt (§ 271 Satz 1 InsO). Beantragt die Gläubigerversammlung umgekehrt die Aufhebung der durch das Insolvenzgericht angeordneten Eigenverwaltung, hat das Insolvenzgericht diesem Antrag ohne Sachprüfung zu entsprechen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Antrag der Gläubigerversammlung ist an keine gesetzlichen Voraussetzungen geknüpft und steht in ihrem freien Ermessen. Gegen die auf die Anträge der Gläubigerversammlung ergehenden Beschlüsse des Insolvenzgerichts nach § 271 Satz 1 InsO und § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO sieht die Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vor. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung sind vom Insolvenzgericht nach dem Gesetz nur in zwei Fällen zu prüfen: Bei der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens mit oder ohne Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 2 InsO) sowie dann, wenn ein einzelner Gläubiger nachträglich geltend macht, es sei den Umständen nach nicht mehr zu erwarten, dass die Anordnung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen werde (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 - IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 Rn. 12 bis 16; HmbKomm-InsO/Fiebig, 3. Aufl., § 272 Rn. 2; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2007, § 272 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Wittig/Tetzlaff, 2. Aufl., § 272 Rn. 7, 8; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 272 Rn. 1, 3 f).
Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelungen widerspräche es, wenn das Insolvenzgericht auf Antrag eines überstimmten Gläubigers im Rahmen des § 272 InsO ermitteln und prüfen müsste (§ 5 InsO), ob der nicht zu begründende Beschluss der Gläubigerversammlung, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, mit dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger im Einklang steht, § 78 Abs. 1 InsO (vgl. Pape aaO Rn. 3 f). Die Gläubigerversammlung würde dadurch nachträglich gezwungen, ihre Entscheidung gegenüber dem Insolvenzgericht zu rechtfertigen, obwohl nach der Konzeption des Gesetzes sie und nicht das Insolvenzgericht letztverbindlich über die Anordnung der Eigenverwaltung zu entscheiden hat. Die beabsichtigte Stärkung der Gläubigerautonomie würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn § 78 Abs. 1 InsO zur Anwendung käme.
b) Die hiergegen vorgebrachten Gegenargumente sind nicht stichhaltig. Dies gilt zunächst für die geäußerte Befürchtung, dass durch die Aufhebung der Eigenverwaltung die gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt würden, weil in den Fortführungsfällen daran, dass der Schuldner Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsmacht sei, regelmäßig das Vertrauen der Geschäftspartner geknüpft sei und dieses mit dem Austausch der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erheblich Schaden nehmen könne (vgl. FK-InsO/Foltis, 6. Aufl., § 272 Rn. 10). Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche die Gläubigerversammlung bei ihrer autonomen Entscheidung berücksichtigen kann. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung folgt daraus nicht.
Entsprechendes gilt auch für den geltend gemachten Kostennachteil. Da die Eigenverwaltung grundsätzlich kostengünstiger ist als die Regelverwaltung, könnte die Gläubigerversammlung anderenfalls die Aufhebung der angeordneten Eigenverwaltung nur bei festgestellten Nachteilen für die Masse beantragen, die den Kostenvorteil zumindest kompensieren. Für den Gesetzgeber war ein Motiv für die Einführung der Eigenverwaltung, dass dieses Verfahren insgesamt weniger Aufwand und Kosten verursache (Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; vgl. Windel, aaO S. 469). Er hat dies aber weder zur Voraussetzung der Anordnung der Eigenverwaltung gemacht, noch stehen nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO die höheren Kosten einer Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag eines einzelnen Gläubigers entgegen. Die Vermeidung eines Kostennachteils ist deswegen kein geschütztes Interesse, was die Aufrechterhaltung der Eigenverwaltung gegen den erklärten Willen der Gläubigerversammlung rechtfertigen kann (MünchKomm-InsO/Wittig/Tetzlaff, 2. Aufl., § 272 Rn. 9; vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2007, § 272 Rn. 3a).
c) Bei der Aufhebung der gerichtlich angeordneten Eigenverwaltung geht es darum, wer das wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen saniert oder abwickelt, der Schuldner oder der vom Insolvenzgericht eingesetzte Insolvenzverwalter (vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 270 Rn. 6; Frind, ZInsO 2002, 745, 751 ff). Diese Entscheidung ähnelt der Entscheidung über die Auswahl des Insolvenzverwalters, die letztendlich ebenfalls allein die Gläubigerversammlung trifft (vgl. § 57 InsO). Die von ihr getroffene Auswahlentscheidung ist nicht anfechtbar und kann auch nicht im Verfahren nach § 78 InsO aufgehoben werden, weil § 57 Sätze 3 und 4 InsO insoweit eine abschließende Sonderregelung enthalten (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2003 - IX ZB 530/02, NZI 2003, 607 f; vom 7. Oktober 2004 - IX ZB 128/03, NZI 2005, 32 f). Nichts Anderes kann angesichts der gleichen Interessenlage für § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO gelten.
Auch das geplante Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) ändert daran nichts. Zwar will es die Eigenverwaltung erleichtern, doch bleibt auch nach dem Regierungsentwurf immer noch die Gläubigerversammlung das letztentscheidende Organ. Die vorgeschlagene Neufassung des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO will nur den Einfluss der Großgläubiger beschränken, weil es für die Bestimmung der Gläubigermehrheit – wie bei § 57 Satz 2 InsO schon heute – nicht mehr allein auf die Summenmehrheit, sondern zusätzlich auf die (Kopf-) Mehrheit der abstimmenden Gläubiger ankommen soll (RegE, BT-Drucks. 17/5712 S. 19, 42). An der bisher fehlenden Überprüfbarkeit des Entscheidungsermessens der Gläubigerversammlung ändert sich nichts.
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring