Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.01.2016


BGH 14.01.2016 - IX ZB 57/15

Berufungsbeschwer nach Abweisung einer Klage auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.01.2016
Aktenzeichen:
IX ZB 57/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:140116BIXZB57.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG München, 15. Juni 2015, Az: 13 U 927/15vorgehend LG München I, 9. Februar 2015, Az: 35 O 3496/14, Urteilnachgehend OLG München, 22. Dezember 2017, Az: 13 U 927/15, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Bei einer Klage auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle bestimmt sich der Wert des Beschwerdegegenstandes für die Berufung nach dem Betrag, der zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten war.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Juni 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: Bis zu 1.500 €.

Gründe

I.

1

Die Kläger erwarben drei Kommanditbeteiligungen an einer Fonds KG. Die S.                       GmbH (fortan: Schuldnerin) ist Gründungsgesellschafterin und Komplementärin des Fonds. Die Kläger machten Schadensersatzansprüche aus dem Erwerb der Kommanditbeteiligungen gegen die Schuldnerin geltend. Das Amtsgericht München eröffnete mit Beschluss vom 26. April 2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

2

Mit drei Schreiben vom 7. Juni 2013 meldeten die Kläger zwei Forderungen über 26.250 € sowie eine Forderung über 21.000 €, jeweils zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20 € zur Tabelle an. Der Beklagte lehnte die Feststellung zur Tabelle ab.

3

Mit ihrer Feststellungsklage beantragen die Kläger in erster Linie, eine Insolvenzforderung von 73.500 € Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte aus den Kommanditbeteiligungen der Kläger festzustellen. Der Beklagte machte in erster Instanz unter anderem geltend, dass die liquiden Mittel gerade ausreichend seien, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen. Eine Quote sei nicht zu erwarten. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und den Streitwert auf 500 € festgesetzt. Die von den Klägern eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

5

1. Das Berufungsgericht hat gemeint, der nach § 511 Abs. 2 ZPO erforderliche Beschwerdewert von über 600 € sei nicht erreicht. Gemäß § 182 InsO in Verbindung mit § 3 ZPO komme es auf das wirtschaftliche Interesse des Gläubigers an der Feststellung seiner Forderung an. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Streitwertfestsetzung sei gemäß § 182 InsO derjenige der Klageerhebung. Zu diesem Zeitpunkt sei keine Quote zu erwarten gewesen. Änderungen, die im Laufe des Rechtsstreits einträten, seien unerheblich. Dass zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels möglicherweise eine andere Quote zu erwarten gewesen sei, ändere nichts. § 4 ZPO besage nur, dass ein Steigen oder Sinken des Wertes des Streitwerts im Vergleich zum Tag des Eingangs der Klage oder des Eingangs der Rechtsmittelschrift ohne Einfluss auf die Zuständigkeit oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels sei.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Wie die Rechtsbeschwerde darlegt, weicht das Berufungsgericht mit seiner Rechtsprechung vom allgemeinen Verständnis des § 4 ZPO ab.

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a) Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht § 4 ZPO missversteht. Ob eine Berufung die erforderliche Beschwerdesumme erreicht, richtet sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung.

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aa) Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist grundsätzlich der Zeitpunkt seiner Einlegung maßgebend (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2009 - XII ZB 146/08, NJW-RR 2009, 793 Rn. 9 mwN). Damit ist auch für die Bemessung des Wertes der Beschwer regelmäßig auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung abzustellen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1950 - I ZR 7/50, BGHZ 1, 29, 30; vom 9. September 1999 - IX ZR 80/99, ZIP 1999, 1811, 1812 mwN; vom 17. Juli 2008 - IX ZR 126/07, ZIP 2008, 1744 Rn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 4 Rn. 9; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 511 Rn. 19). Durch eine spätere Verminderung der Beschwerdesumme wird das Rechtsmittel regelmäßig nicht unzulässig (BGH, Urteil vom 17. Juli 2008, aaO mwN). Dies ergibt sich aus § 4 ZPO, der den Stichtag für die Wertberechnung festlegt, ohne selbst einen Bewertungsmaßstab aufzustellen. Damit sind im Allgemeinen die in diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse für die Wertberechnung maßgeblich.

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bb) Dies gilt auch für die Fälle, in denen sich - bei unverändertem Streitgegenstand - der Wert des Beschwerdegegenstandes gegenüber dem Zuständigkeitsstreitwert erster Instanz verändert hat.

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(1) § 4 ZPO bestimmt unterschiedliche Zeitpunkte für die Wertberechnung. Danach ist im Allgemeinen die Einreichung der Klage entscheidend, in der Rechtsmittelinstanz jedoch der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels. Es handelt sich dabei um eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers. § 4 ZPO stellte ursprünglich für die Wertberechnung ausschließlich auf den Zeitpunkt der Erhebung der Klage ab; der für den Zeitpunkt der Klageerhebung angenommene Wert sollte für die Dauer des Rechtsstreits maßgebend bleiben (Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Band 2, ZPO, S. 147). Erst mit Gesetz vom 8. Juli 1922 (RGBl I 1922, 569) erhielt § 4 ZPO als Reaktion auf die damalige Inflationszeit und die damit einhergehenden Veränderungen des Wertmaßstabes (Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 4 Rn. 16) die heutige Fassung.

11

§ 4 ZPO zielt damit darauf ab, die Bedeutung von Wertschwankungen bei gleichbleibendem Streitgegenstand für die Dauer einer Instanz auszuschließen. Hingegen ist der Rechtsmittelwert ohne Bindung an den Zuständigkeitsstreitwert festzustellen (Kruis, aaO Rn. 10). Angesichts der vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Zeitpunkte für den Zuständigkeits- und den Rechtsmittelstreitwert können sich bei identischem Streitgegenstand unterschiedliche Werte ergeben (Kruis, aaO Rn. 16). Dabei kann der Wert höher oder niedriger als bei Einreichung der Klage sein.

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(2) § 182 InsO bestimmt lediglich, welche Maßstäbe für die Wertberechnung bei einer Klage auf Feststellung einer Forderung anzulegen sind, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten wird. Die Vorschrift sagt jedoch nichts darüber aus, welcher Zeitpunkt für die Wertberechnung maßgebend ist. Insoweit bleibt es gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 ZPO bei den allgemeinen Regeln (MünchKomm-InsO/Schumacher, 3. Aufl. § 182 Rn. 10).

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Mithin kommt es im Streitfall für die Frage, ob die Mindestbeschwer erreicht ist, darauf an, welche Quote für die Forderung zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung zu erwarten war (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 1994 - VIII ZR 28/94, ZIP 1994, 1193, 1194; Urteil vom 9. September 1999 - IX ZR 80/99, ZIP 1999, 1811, 1812; OLG Celle ZIP 2005, 1571 f.; MünchKomm-InsO/Schumacher, aaO; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 182 Rn. 26; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 182 Rn. 4). Unerheblich ist hingegen, welche Quote bei Einreichung der Klage zu erwarten war.

14

b) Nach diesen Maßstäben ist die Berufung der Kläger zulässig. Da das Landgericht die Feststellungsklage in vollem Umfang abgewiesen hat, ist für die Beschwer der Kläger maßgeblich, welchen Wert die Feststellungsklage bei Einlegung der Berufung hatte. Dies war hier der 11. März 2015. Nach den ausführlichen Angaben des Beklagten, die sich die Kläger zu eigen gemacht haben und an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, war selbst bei ungünstigen Annahmen am 11. März 2015 jedenfalls mit einer Quote von 1,91 v.H. zu rechnen. Dies ergibt gemäß § 182 InsO, § 3 ZPO eine Beschwerdesumme von mindestens 1.403,85 €, welche die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt.

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3. Das Berufungsgericht wird daher in der Sache zu entscheiden haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass Forderungen, die von einer Gegenleistung abhängen, nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden können (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 165/02, ZIP 2003, 2379, 2381; vom 21. Mai 2015 - III ZR 384/12, WM 2015, 1243 Rn. 18 mwN; MünchKomm-InsO/Riedel, 3. Aufl., § 174 Rn. 15). Ansprüche, die durch eine Zug-um-Zug zu erbringende Leistung eingeschränkt sind, müssen entsprechend § 45 Satz 1 InsO in einen Geldbetrag umgerechnet werden.

Kayser                   Vill                               Lohmann

               Pape                  Schoppmeyer