Entscheidungsdatum: 23.01.2014
Das Insolvenzverfahren kann nicht wegen Wegfall des Eröffnungsgrundes eingestellt werden, wenn nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bei noch laufendem Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung erteilt wird und dadurch die Insolvenzforderungen, die zur Eröffnung des Verfahrens geführt haben, zu unvollkommenen Verbindlichkeiten geworden sind.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 2. Mai 2013 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Über das Vermögen des Schuldners war mit Beschluss vom 21. Mai 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung wurde dem Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 2009 (IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 ff) rechtskräftig Restschuldbefreiung erteilt.
Der Schuldner begehrt die Einstellung des Insolvenzverfahrens nach § 212 InsO mit der Begründung, dass nach Erteilung der Restschuldbefreiung der Insolvenzeröffnungsgrund weggefallen sei. Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Rechtspflegererinnerung des Insolvenzverwalters hat der Amtsrichter diesen Beschluss aufgehoben. Die Rechtspflegerin hat daraufhin ein Gutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, dass drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliege. Mit Beschluss vom 4. Oktober 2012 hat die Rechtspflegerin den Antrag auf Einstellung des Insolvenzverfahrens erneut zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Voraussetzungen der Verfahrenseinstellung gemäß § 212 InsO lägen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zwar die Restschuldbefreiung auch dann zu erteilen, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Der Insolvenzbeschlag des in die Masse gefallenen Vermögens bleibe jedoch aufrecht erhalten. Das Insolvenzverfahren sei fortzuführen, weil sonst die Gläubigerinteressen unzulässig beeinträchtigt würden. Das gelte auch dann, wenn die Befriedigung der Verfahrenskosten und der Massegläubiger die Masse weitgehend aufzehre. Das Interesse der Insolvenzgläubiger an der verbleibenden Masse überwiege das Interesse des Schuldners an einem wirtschaftlichen Neuanfang unter Verwendung des in die Masse gefallenen, nach Befriedigung der Massegläubiger verbleibenden Vermögens.
2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, nach Erteilung der Restschuldbefreiung seien die Voraussetzungen des § 212 Satz 1 InsO gegeben, wenn gewährleistet sei, dass beim Schuldner als natürlicher Person weder Zahlungsunfähigkeit noch drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben sei. Diese Voraussetzung sei hier glaubhaft gemacht und nachgewiesen. Durch die Restschuldbefreiung hätten sich die Insolvenzforderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten gewandelt, die zwar weiterhin erfüllbar, aber nicht mehr erzwingbar seien. Sie könnten deshalb bei der Feststellung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit nicht mehr berücksichtigt werden. Das eingeholte Gutachten habe ergeben, dass drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliege. Durch die Einstellung des Verfahrens würden Gläubigerinteressen nicht unangemessen beeinträchtigt.
3. Die Ausführungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung stand. Die Einwendungen der Rechtsbeschwerde greifen nicht durch.
Ist dem Schuldner nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung Restschuldbefreiung erteilt worden, obwohl das Insolvenzverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschlussreif war, entfällt zwar der Insolvenzbeschlag für den Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung. Hinsichtlich des zuvor in die Masse gefallenen Vermögens ist jedoch das Insolvenzverfahren zu Ende zu führen. Eine Einstellung nach § 212 InsO allein im Hinblick auf die erteilte Restschuldbefreiung kommt nicht in Betracht.
a) Nach § 212 Satz 1 InsO ist das Insolvenzverfahren zwar auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn gewährleistet ist, dass nach der Einstellung beim Schuldner, der eine natürliche Person ist, weder Zahlungsunfähigkeit noch drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Dabei können jedoch die im laufenden Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldeten und festgestellten Insolvenzforderungen nicht unberücksichtigt bleiben. Richtig ist zwar, dass sich diese Forderungen, von den hier nicht vorliegenden Ausnahmen des § 302 InsO abgesehen, aufgrund der Restschuldbefreiung in unvollkommene Verbindlichkeiten umwandeln, die zwar weiterhin erfüllbar, aber deren Durchsetzung nicht mehr erzwingbar ist (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 Rn. 11 mwN). Derartige unvollkommene Verbindlichkeiten können deshalb bei der Feststellung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit für ein nach Erteilung der Restschuldbefreiung zu eröffnendes Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt werden.
Für das laufende Insolvenzverfahren verlieren sie ihre Berücksichtigungsfähigkeit jedoch nicht. Das wäre mit der Systematik des Insolvenzverfahrens unvereinbar.
b) Im Normalfall wird erst nach Rechtskraft des Beschlusses über die Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO das Insolvenzverfahren gemäß § 289 Abs. 2 Satz 2 InsO aufgehoben. Es schließt sich die Wohlverhaltensperiode an. Erst nach ihrem Abschluss wird gemäß § 300 InsO die Restschuldbefreiung erteilt. Nach der ursprünglichen Konzeption des § 287 Abs. 2 InsO ging der Entscheidung über die Restschuldbefreiung also stets die Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 19 ff).
Der Zweck des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26. Oktober 2001 war es, den Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens zu lösen. Dabei hatte der Gesetzgeber nicht bedacht, dass das Insolvenzverfahren länger als sechs Jahre und damit länger als die Frist der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO nF laufen kann. Um dem Willen des Gesetzgebers zum Erfolg zu verhelfen, dem Schuldner sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (vgl. § 1 Satz 2 InsO), hat der Senat entschieden, dass für die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in jedem Fall das Ende des Insolvenzverfahrens abgewartet werden muss, auf dessen Dauer der Schuldner keinen Einfluss hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO, insbesondere Rn. 16 ff).
c) Diese Rechtsprechung, die dem Schuldner sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen soll, kann jedoch nicht dazu führen, dass die Insolvenzgläubiger in dem laufenden Verfahren ihre Rechte verlieren, obwohl auch sie auf die Dauer dieses Verfahrens keinen Einfluss haben.
Würde man im Hinblick auf die erteilte Restschuldbefreiung eine Einstellung des Verfahrens nach § 212 InsO vornehmen, hätte der Verwalter zuvor nur noch die Masseverbindlichkeiten nach Maßgabe des § 214 Abs. 3 InsO zu berichtigen. Der Schuldner erhielte mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 215 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Gläubiger der Insolvenzforderungen könnten jedoch ihre Forderungen entgegen § 201 Abs. 1 und 2 InsO wegen der Restschuldbefreiung gemäß § 215 Abs. 2 Satz 2, § 201 Abs. 3 InsO nicht mehr durchsetzen.
Eine solche Folge einer Restschuldbefreiung vor Abschluss des Verfahrens wäre mit dem weiteren Zweck des Insolvenzverfahrens nicht vereinbar, der gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 InsO vor allem in der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger besteht.
Der Senat hat deshalb schon in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2009 über die vorzeitige Restschuldbefreiung festgestellt, dass auch danach eine Verteilung des bis zum Ablauf der Abtretungsfrist in die Masse gefallenen Vermögens und Neuerwerbs möglich ist, weil der Insolvenzbeschlag insoweit bis zur Aufhebung des Verfahrens aufrecht erhalten bleibt (BGH, aaO Rn. 22; ebenso bereits Amtsgericht Göttingen, NZI 2009, 779, 780). Das Verfahren ist nach einer solchen vorzeitigen Restschuldbefreiung fortzusetzen (AG Göttingen, aaO).
Das kann im Beschluss über die vorzeitige Restschuldbefreiung klargestellt werden (BGH, aaO). Eine solche Klarstellung ist auch im vorliegenden Fall erfolgt. Im Beschluss über die Restschuldbefreiung wurde ausdrücklich festgestellt, dass hinsichtlich des bis zum Ablauf der Abtretungsfrist in die Masse gefallenen Neuerwerbs und der sonstigen Insolvenzmasse der Insolvenzbeschlag bis zur Aufhebung des Verfahrens weiterbesteht. Zudem wurde klargestellt, dass das Insolvenzverfahren wie üblich fortgesetzt wird. Zweifel über die Folgen der Restschuldbefreiung konnten deshalb beim Schuldner von vorneherein nicht entstehen.
d) Dass eine Verfahrenseinstellung nach § 212 InsO, also ohne Verteilung der Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger, nach vorzeitiger Restschuldbefreiung nicht in Betracht kommt, ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des § 289 Abs. 3 InsO. Der Einstellung nach § 212 InsO liegt der Gedanke zugrunde, dass der Schuldner alle Gläubiger befriedigen kann (Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2000, § 212 Rn. 20). Der Insolvenzverwalter wird demgemäß unverzüglich die Verwertung des in die Masse gefallenen Schuldnervermögens abzuschließen sowie die Schlussverteilung und den Abschluss des Verfahrens vorzubereiten haben.
Kayser Gehrlein Vill
Fischer Grupp