Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.12.2013


BGH 05.12.2013 - IX ZB 291/11

Fristbeginn für die Beantragung der Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für die sofortige Beschwerde gegen die Insolvenzverfahrenseröffnung: Anwaltliche Prüfungspflichten bei Handaktenvorlage zur Fertigung der Beschwerdebegründung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.12.2013
Aktenzeichen:
IX ZB 291/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Karlsruhe, 5. Oktober 2011, Az: 11 T 259/11vorgehend AG Karlsruhe, 27. April 2011, Az: G 1 IN 951/10 (3)
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Werden dem Rechtsanwalt zur Abfassung der Beschwerdebegründung die Handakten vorgelegt, hat er auch zu prüfen, ob die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 5. Oktober 2011 wird auf Kosten der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1 als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 54.706,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der weitere Beteiligte zu 2 beantragte mit Schreiben vom 9. August 2010 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Mit Beschluss vom 13. August 2010 bestellte das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten zu 3 zum vorläufigen Insolvenzverwalter und beauftragte ihn zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliege. Nach den Angaben des weiteren Beteiligten zu 1 im Anhörungsbogen des Insolvenzgerichts vom 27. August 2010 sind sowohl er als auch der weitere Beteiligte zu 2 Geschäftsführer der Schuldnerin. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2010 zeigte Rechtsanwalt Dr. A.        die Vertretung sowohl für die Schuldnerin als auch für den weiteren Beteiligten zu 1 an und beantragte, den Antrag auf Eröffnung zurückzuweisen.

2

Mit Beschluss vom 27. April 2011 hat das Insolvenzgericht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Dieser Beschluss wurde am 28. April 2011 im Internet veröffentlicht und am 4. Mai 2011 Rechtsanwalt Dr. A.      zugestellt. Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2011 - per Telefax vorab beim Insolvenzgericht am 17. Mai 2011 eingegangen - hat Rechtsanwalt Dr. A.       hiergegen sofortige Beschwerde namens der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1 eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 16. Juni 2011 begründet hat. Mit weiterem Schriftsatz vom 10. August 2011 hat Rechtsanwalt Dr. A.      für die Beschwerdeführer wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand verworfen. Hiergegen wenden sich die Schuldnerin und der weitere Beteiligte zu 1 mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die gemäß §§ 6, 7 aF, 34 Abs. 2 InsO, § 238 Abs. 2, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil Gründe für eine Sachentscheidung gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die geltend gemachten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten greifen nicht durch.

4

Die Annahme des Beschwerdegerichts, die beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist könne der Schuldnerin und dem weiteren Beteiligten zu 1 als Beschwerdeführer nicht gewährt werden, weil der Antrag nicht innerhalb der nach § 234 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Zweiwochenfrist gestellt worden sei, ist zutreffend. Verfahrensgrundrechte der Beschwerdeführer werden hierdurch nicht verletzt.

5

1. Die am 17. Mai 2011 beim Insolvenzgericht per Telefax eingegangene sofortige Beschwerde der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 27. April 2011 war verfristet. Die Notfrist von zwei Wochen, innerhalb der die sofortige Beschwerde nach § 4 InsO, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einzulegen war, begann gemäß § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 34 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 InsO zwei Tage nach der am 28. April 2011 erfolgten öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses im Internet und endete am 16. Mai 2011. Der Umstand, dass der Beschluss der Schuldnerin nach der Bekanntmachung im Internet auch noch persönlich zugestellt wurde, hatte auf den Lauf der Frist keinen Einfluss (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2009 - IX ZB 173/08, ZInsO 2009, 2414 Rn. 9; vom 12. Juli 2012 - IX ZB 42/10, ZIP 2012, 1779 Rn. 6; vom 14. November 2013 - IX ZB 101/11, WM 2013, 2372 Rn. 5).

6

a) Die Notfrist von zwei Wochen nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO begann mit der Zustellung der Entscheidung. Gemäß § 9 Abs. 3 InsO genügt die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligte, auch wenn das Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorsieht.

7

b) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO gilt die Bekanntmachung als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind. Vorliegend erfolgte die Veröffentlichung im Internet am 28. April 2011. Der zweite Tag nach Veröffentlichung fiel auf einen Samstag. Gemäß § 4 InsO, § 222 Abs. 2 ZPO endete die Frist deshalb mit Ablauf des nächsten Werktages, also des Montags, dem 2. Mai 2011 (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2013, aaO Rn. 7).

8

c) Die zweiwöchige Beschwerdefrist berechnet sich sodann nach § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Fall 2 BGB und endet mit Ablauf des Montags, 16. Mai 2011 (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2013, aaO Rn. 9 ff). Der am 17. Mai 2011 eingegangene Beschwerdeschriftsatz der Schuldnerin und des weiteren Beteiligten zu 1 war mithin verfristet.

9

2. Zutreffend und ohne Grundsatzfragen zu berühren ist das Beschwerdegericht auch davon ausgegangen, dass die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand jedenfalls am 16. Juni 2011 in Gang gesetzt wurde. Mit der Abfassung und Einreichung der Beschwerdebegründung war der Verfahrensbevollmächtigte in der Lage, festzustellen, dass seine Beschwerdeschrift nach Fristablauf eingereicht worden war.

10

a) Die Kontrolle, ob die Rechtsmittelschrift innerhalb der gesetzlichen Frist beim Rechtsmittelgericht eingegangen ist, stellt mit der Vorlage der Handakten an den Anwalt zur Vorbereitung oder Durchführung einer fristgebundenen Prozesshandlung keine routinemäßige Büroarbeit mehr dar, sondern erfordert die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für das beabsichtigte oder bereits eingelegte Rechtsmittel, die in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts fällt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994 - XII ZB 57/94, VersR 1995, 69, 70; vom 21. März 1990 - XII ZB 131/89, VersR 1991, 119, 120; vom 16. Oktober 2008 - III ZB 31/08, NJW 2008, 3706 Rn. 8). Diese Prüfung beschränkt sich, wenn die Akten beispielsweise zur Abfassung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nicht auf die Kontrolle, ob die hierfür laufende Frist noch gewahrt ist. Da dies nur eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist, hat sich der Rechtsanwalt auch zu vergewissern, dass schon zuvor die Berufung rechtzeitig eingelegt worden war (BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994, aaO; vom 16. Oktober 2008, aaO). Dadurch, dass nunmehr gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nF die Berufungsbegründungsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils beginnt, hat sich an der Pflicht des Rechtsanwalts, die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Berufung insgesamt zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nichts geändert (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008, aaO Rn. 9).

11

b) Diese Grundsätze gelten auch für die hier in Rede stehende Anfertigung einer Beschwerdebegründung. Auch hierfür hat der Anwalt vor Abfassung der Begründung den Inhalt seiner Handakte durchzuarbeiten und ist daher in der Lage, den Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses, der mit der Beschwerde angefochten wird, festzustellen. Bei der weiteren Durchsicht der Akte kann er die - regelmäßig kurz hinter der Durchschrift der Beschwerdeschrift abgeheftete - Mitteilung des Amtsgerichts oder Beschwerdegerichts über deren Eingang ohne weiteres in den Blick nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008, aaO Rn. 10). Im Übrigen ergibt sich die Prüfungspflicht des Anwalts auch daraus, dass er gehalten ist, seinen Mandanten von der Durchführung eines aussichtslosen Rechtsmittels abzuraten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 1958 - IV ZB 44/58, MDR 1958, 496, 497; Urteil vom 17. April 1986 - IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372, 376; vom 26. September 2013 - IX ZR 51/13, WM 2014, 89 Rn. 11).

12

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Kayser                      Gehrlein                        Vill

               Fischer                         Grupp