Entscheidungsdatum: 19.05.2011
Die Rückschlagsperre wird auch durch einen zunächst aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässigen Eröffnungsantrag ausgelöst, sofern dieser zur Verfahrenseröffnung führt .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. November 2009 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 17.459,07 € festgesetzt.
I.
Mit Beschluss vom 19. Mai 2009 pfändete das Amtsgericht auf Antrag des Gläubigers M. die Ansprüche des G. W. (fortan: Schuldner) aus einer Lebensversicherung bei der R. AG und überwies sie dem Gläubiger zur Einziehung. Der Beschluss wurde der Drittschuldnerin am 12. Juni 2009 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2009, beim Insolvenzgericht eingegangen am 13. Juli 2009, beantragte der Schuldner die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Er führte aus, das nach § 305 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren werde nunmehr durchgeführt, und bat darum, das Eröffnungsverfahren einstweilen auszusetzen. Hintergrund des Eröffnungsantrags sei, dass die Pfändung der Lebensversicherung der Rückschlagsperre des § 88 InsO unterfallen solle. Am 15. September 2009 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und Rechtsanwältin R. zur Treuhänderin bestellt. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht seinen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss "klarstellend" aufgehoben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Gläubiger gegen die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Amtsgericht habe den Antrag der Treuhänderin als Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO ansehen und bei seiner Prüfung die Vorschrift des § 88 InsO berücksichtigen dürfen. Die Pfändung und Überweisung sei nach dieser Bestimmung unwirksam, weil sie im letzten Monat vor dem Antrag des Schuldners vom 13. Juli 2009 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Dieser Antrag habe zur Eröffnung des Verfahrens geführt. Ob er zulässig gewesen sei, sei ohne Bedeutung.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
a) Ob über den Antrag der Treuhänderin auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses das Insolvenzgericht anstelle des Vollstreckungsgerichts hätte entscheiden müssen, kann dahinstehen. Denn die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 576 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für die funktionelle Zuständigkeit (BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZB 16/06, ZIP 2007, 2330 Rn. 4 mwN).
b) Die vom Gläubiger mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner am 12. Juni 2009 erlangte Sicherung wurde mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 15. September 2009 nach §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO unwirksam.
aa) Die in § 88 InsO normierte so genannte Rückschlagsperre erfasst Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Zwangsvollstreckung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt hat. Handelt es sich wie hier um ein Verbraucherinsolvenzverfahren, das auf einen Antrag des Schuldners eröffnet wird, beträgt die in § 88 InsO genannte Frist drei Monate (§ 312 Abs. 1 Satz 3 InsO). In diese Frist fällt das am 12. Juni 2009 vom Gläubiger erlangte Pfandrecht, denn der Eröffnungsantrag des Schuldners ging am 13. Juli 2009 bei Gericht ein.
bb) Der Umstand, dass der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens gestellt hat, ohne zuvor das nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren durchzuführen, ändert an dieser Beurteilung nichts.
(1) Für die Berechnung der in § 88 InsO genannten Frist und folglich auch für die nach § 312 Abs. 1 Satz 3 InsO verlängerte Frist gilt § 139 InsO. Nach dessen Absatz 2 ist bei mehreren Eröffnungsanträgen der erste zulässige und begründete Eröffnungsantrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren aufgrund eines späteren Antrags eröffnet worden ist. Die Zulässigkeit eines als Anknüpfungspunkt für die Rückschlagsperre in Betracht kommenden Eröffnungsantrags ist danach nur dann gesondert zu prüfen, wenn das Insolvenzverfahren aufgrund eines anderen Antrags eröffnet wird. Soll die Rückschlagsperre hingegen an den Antrag geknüpft werden, welcher zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat, erübrigt sich eine solche Prüfung, weil das Verfahren nur auf einen zulässigen Antrag eröffnet werden darf. Die Rückschlagsperre wird daher durch jeden Antrag ausgelöst, der letztlich zur Verfahrenseröffnung geführt hat, auch wenn er zunächst mangelhaft war, weil er den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen hat (BayObLG NZI 2000, 371 und 427; Kirchhof ZInsO 2001, 1, 6; FK-InsO/App, 6. Aufl., § 88 Rn. 18; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 3. Aufl., § 88 Rn. 9). Ob dies auch gilt, wenn der Eröffnungsgrund erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
(2) Dies gilt auch im Falle eines ohne vorheriges außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren beantragten Verbraucherinsolvenzverfahrens. Die Verlängerung der Frist für die Rückschlagsperre auf drei Monate in § 312 Abs. 1 Satz 3 InsO beruht zwar auf der Überlegung, dass der vor einem Eröffnungsantrag des Schuldners durchzuführende außergerichtliche Einigungsversuch von Störungen durch Vollstreckungszugriffe einzelner Gläubiger frei gehalten werden soll (BT-Drucks. 14/5680, S. 15 und 33). Beantragt der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne eine außergerichtliche Einigung versucht zu haben, besteht ein solches Schutzbedürfnis nicht. Nach dem Gesetz setzt die Verlängerung der Frist jedoch lediglich einen Eröffnungsantrag des Schuldners voraus. Eine nicht hinnehmbare Missbrauchsmöglichkeit ergibt sich daraus nicht. Beantragt der Schuldner die Verfahrenseröffnung, ohne die nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgeschriebene Bescheinigung über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung vorzulegen, muss er damit rechnen, dass er vom Insolvenzgericht aufgefordert wird, diese Bescheinigung unverzüglich nachzureichen; kommt er dieser Aufforderung nicht binnen eines Monats nach, gilt sein Eröffnungsantrag als zurückgenommen (§ 305 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO). Geht dem Eröffnungsantrag des Schuldners ein Gläubigerantrag voraus, beträgt die Frist drei Monate (§ 306 Abs. 3 Satz 3, § 305 Abs. 3 Satz 3 InsO). Im Falle der Fristversäumung führt der Eröffnungsantrag wegen der Rücknahmefiktion somit nicht zur Verfahrenseröffnung und kann die Rückschlagsperre nicht auslösen. Weist der Schuldner andererseits innerhalb der Frist die Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs nach und wird auf seinen Antrag das Verfahren eröffnet, besteht kein Grund, wegen des ursprünglichen, später behobenen Zulässigkeitsmangels die Rückschlagsperre nicht eingreifen zu lassen.
c) Das Beschwerdegericht hat auch nicht die Rechtsfolgen der Rückschlagsperre nach §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO verkannt. Sicherungen, die unter die Rückschlagsperre des § 88 InsO fallen, werden mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes unwirksam. Die Unwirksamkeit erfasst die materiell-rechtliche Wirkung der Pfändung, mithin das Pfändungspfandrecht, nicht die Verstrickung. Besteht die Verstrickung noch fort, kommt ein Wiederaufleben der Sicherung des Gläubigers in Betracht, wenn der betroffene Gegenstand vom Insolvenzverwalter frei gegeben oder das Insolvenzverfahren ohne Verwertung des Gegenstands aufgehoben wird (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 20-23; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 88 Rn. 36-40). Die Unwirksamkeit nach § 88 InsO ist insofern eine schwebende. Dies hindert das Vollstreckungsorgan jedoch nicht, die von ihm angeordnete Vollstreckungsmaßnahme im Falle des § 88 InsO von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten uneingeschränkt aufzuheben und damit die Verstrickung zu beseitigen (Jaeger/Eckardt, InsO, § 88 Rn. 61 und 70; MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. § 88 Rn. 23; HK-InsO/Kayser, aaO Rn. 45; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. § 88 Rn. 24 und 27). Ein solches Vorgehen kann schon deshalb angezeigt sein, um zu verhindern, dass der Drittschuldner weiterhin mit befreiender Wirkung an den Gläubiger leisten kann (vgl. § 836 Abs. 2 ZPO).
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring