Entscheidungsdatum: 14.10.2010
1. Veräußert der Insolvenzverwalter nach eingetretener Masseunzulänglichkeit Massegegenstände, gehört die dabei anfallende Umsatzsteuer nicht zu den vorrangig zu berichtigenden Kosten des Insolvenzverfahrens .
2. Führt der Insolvenzverwalter unter Verletzung des gesetzlichen Vorrangs der Verfahrenskosten Umsatzsteuer an das Finanzamt ab, ist sein bei Stundung der Verfahrenskosten bestehender Anspruch auf Vergütung gegen die Staatskasse entsprechend zu kürzen .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 16. September 2008 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Der Wert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 10.569,51 € festgesetzt.
I.
Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan auch: der Beteiligte) ist Verwalter in dem am 15. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Mit Beschluss vom gleichen Tag wurden dem Schuldner die Kosten des Verfahrens gestundet. Am 5. Februar 2004 zeigte der Beteiligte die Unzulänglichkeit der Masse an. Im Laufe des Insolvenzverfahrens verwertete er Gegenstände des Anlagevermögens der vom Schuldner betriebenen Zimmerei durch freihändige Veräußerung. Die dabei angefallene Umsatzsteuer führte er an das Finanzamt ab. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Beschwerdegericht die dem Beteiligten für seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter zustehende Vergütung einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer auf 17.349,18 € festgesetzt. Den dem Beteiligten im Rahmen der Stundung der Verfahrenskosten aus der Landeskasse zu erstattenden Betrag hat es auf 6.779,67 € festgesetzt. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Beteiligte gegen die Beschränkung seines Anspruchs gegen die Landeskasse.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 63 Abs. 2, § 64 Abs. 3 InsO entsprechend, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Beteiligte habe die Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO verletzt. Diese gelte entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung auch im Falle der Stundung der Verfahrenskosten nach § 4a InsO. Der Beteiligte hätte deshalb die Umsatzsteuerforderungen als Neumasseverbindlichkeiten nicht vor den Kosten des Verfahrens befriedigen dürfen.
2. Der Rechtsbeschwerdeführer meint demgegenüber, die gestundeten Verfahrenskosten seien bei der Verteilung nach § 209 InsO nicht zu berücksichtigen. Andernfalls wäre der Verwalter im Stundungsverfahren nicht in der Lage, die von ihm begründeten Neumasseverbindlichkeiten zu erfüllen. Vereinnahmte Umsatzsteueranteile seien für ihn Fremdgeld, zu deren Abführung er verpflichtet sei. Komme er dieser Pflicht nicht nach, könne er von der Finanzbehörde durch Haftungsbescheid persönlich in Anspruch genommen werden.
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Prüfung stand. Die Einwendungen der Rechtsbeschwerde greifen nicht durch.
Das Beschwerdegericht hat den Erstattungsanspruch des Beteiligten gegen die Landeskasse mit Recht um die Umsatzsteuerbeträge gekürzt, die der Beteiligte während des Insolvenzverfahrens an das Finanzamt abgeführt hat. Nach § 63 Abs. 2 InsO steht dem Insolvenzverwalter im Falle der Stundung der Verfahrenskosten für seine Vergütung und seine Auslagen ein Anspruch gegen die Staatskasse zu, soweit die Insolvenzmasse dafür nicht ausreicht. Die zweite Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
a) Der Senat hat nach Einlegung der Rechtsbeschwerde entschieden, dass bei Masseunzulänglichkeit die Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO auch dann gilt, wenn dem Schuldner die Verfahrenskosten gestundet wurden. Die Berichtigung der Kosten des Insolvenzverfahrens und damit auch der Vergütung und der Auslagen des Insolvenzverwalters (§ 54 Nr. 2 InsO) hat auch im Falle der Stundung der Verfahrenskosten absoluten Vorrang vor der Befriedigung der Masseverbindlichkeiten (BGH, Beschl. v. 19. November 2009 - IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 Rn. 19 bis 24). Hält der Insolvenzverwalter diese Reihenfolge nicht ein, ist sein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse nach § 63 Abs. 2 InsO entsprechend zu kürzen.
b) Die vom Insolvenzverwalter befriedigten Umsatzsteuerschulden, die durch die Veräußerung von Massegegenständen entstanden sind, können nicht als Kosten des Insolvenzverfahrens im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO angesehen werden.
aa) Was zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu zählen ist, ist in § 54 InsO gesetzlich definiert. Hierunter fallen die Gerichtskosten sowie die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Damit werden offensichtlich nicht die vom Beteiligten getätigten Umsatzsteuerzahlungen erfasst.
bb) Im Schrifttum wird teilweise befürwortet, so genannte "unausweichliche Verwaltungskosten" den Verfahrenskosten in § 26 Abs. 1 Satz 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 und § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO gleichzustellen (HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 207 Rn. 5 ff; FK-InsO/Kießner, 5. Aufl. § 207 Rn. 7 ff; HmbKomm-InsO/Weitzmann, 3. Aufl. § 207 Rn. 5 und § 209 Rn. 3; Graf-Schlicker/Riedel, InsO, 2. Aufl. § 207 Rn. 12). Der Senat hat unvermeidbare Steuerberatungskosten unter bestimmten Voraussetzungen als Auslagen behandelt, die dem Insolvenzverwalter bei Verfahrenskostenstundung und Masseunzulänglichkeit nach § 63 Abs. 2 InsO aus der Staatskasse zu erstatten sind (BGH, Beschl. v. 22. Juli 2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 183). Im Übrigen hat er die Einordnung der unausweichlichen Verwaltungskosten bisher offen gelassen (BGH, Beschl. v. 19. November 2009 - IX ZB 261/08, aaO Rn. 27). Über sie muss auch im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Denn die vom Insolvenzverwalter beglichenen Umsatzsteuerschulden stellen keine unausweichlichen Verwaltungskosten dar. Unter diesem Begriff werden Aufwendungen erörtert, die der Insolvenzverwalter in Erfüllung seiner Pflichten nicht vermeiden kann, weil sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zwingend aufgebracht werden müssen (etwa Kosten für die Erhaltung der Masse, für die Verkehrssicherung oder für eine Steuererklärung). Dazu zählt die Abführung der Umsatzsteuer aus der Veräußerung eines Massegegenstands nicht. Die Umsatzsteuer fällt erst als Folge einer solchen Veräußerung an; die Durchführung des Veräußerungsgeschäfts setzt ihre Begleichung gegenüber dem Fiskus nicht voraus.
cc) Umsatzsteuer aus der Verwertung von Massegegenständen kann auch nicht außerhalb des Begriffs der unausweichlichen Verwaltungskosten zu den erstrangig zu befriedigenden Kosten des Verfahrens gezählt werden.
(1) Dies widerspräche dem Willen des Gesetzgebers der Insolvenzordnung. § 209 InsO ist Teil des Regelungskonzepts der Insolvenzordnung für Fälle geringer Masse. Der Gesetzgeber wollte die Voraussetzungen für die Durchführung und Fortsetzung eines Insolvenzverfahrens in solchen Fällen durch ein gegenüber der Konkursordnung geringeres Deckungserfordernis herabsetzen (Begründung zu § 30 und § 317 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 118 und 218). Sowohl für die Nichteröffnung als auch für die Einstellung des Verfahrens mangels Masse sollte es nur noch auf die Deckung der reinen Verfahrenskosten i.S.d. § 54 InsO ankommen, während unter der Geltung der Konkursordnung zusätzlich u.a. die Kosten der Verwertung gedeckt sein mussten (§ 58 Nr. 2 KO), zu denen auch die bei der Verwertung anfallende Umsatzsteuer zählte (etwa BFH ZIP 1993, 1247, 1248 m.w.N.). An dem bewusst eng gefassten Begriff der Verfahrenskosten in §§ 26, 207 InsO hat der Gesetzgeber auch bei der Novellierung der Insolvenzordnung im Jahr 2007 festgehalten (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227 S. 12; zu dem entsprechenden Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Insolvenzrecht" vgl. Graf-Schlicker, ZIP 2002, 1166, 1174 f). Für ein davon abweichendes Verständnis des Begriffs der Verfahrenskosten in § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO spricht nichts.
(2) Es ist für den Insolvenzverwalter auch nicht unzumutbar, bei Masseunzulänglichkeit und gestundeten Verfahrenskosten aus dem Erlös der Veräußerung von Massegegenständen keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen, sondern den entsprechenden Teil des Erlöses vorrangig zur Deckung seines Vergütungsanspruchs zu verwenden. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde droht ihm in diesem Fall keine persönliche Haftung für die Umsatzsteuerschuld. Dies gilt sowohl im Blick auf den Abschluss des Geschäfts als auch im Blick auf die Verwendung des Umsatzsteueranteils am Erlös.
Beim Abschluss des Geschäfts mag absehbar gewesen sein, dass die entstehende Umsatzsteuerschuld wegen des Vorrangs der Befriedigung der Verfahrenskosten nicht erfüllt werden konnte. Ein Haftungsbescheid wegen der Verletzung steuerrechtlicher Pflichten nach §§ 191, 69, 34 AO kann darauf aber nicht gestützt werden, weil § 69 AO nicht die Begründung von Steuerpflichten sanktioniert. Der Vertreter des Schuldners ist auch in Zeiten der Krise nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann (BFHE 204, 391, 394). Ein insolvenzrechtlicher Schadensersatzanspruch nach § 60 InsO scheidet aus, weil der Verwalter durch den Abschluss eines derartigen Geschäfts keine insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber dem Fiskus verletzt. Auch eine Ersatzpflicht des Verwalters nach § 61 InsO kommt nicht in Betracht. Zwar ist die Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). § 61 InsO dient jedoch nur dem Schutz von Gläubigern, die für oder im Zusammenhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse eine Gegenleistung erbringen (BGH, Urt. v. 2. Dezember 2004 - IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236, 240). Dies ist beim Gläubiger einer Steuerforderung nicht der Fall (a.A. Webel, ZInsO 2009, 363, 366 f).
Auch die Verwendung des Umsatzsteueranteils am Veräußerungserlös für die Deckung der Verfahrenskosten begründet keine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für die Umsatzsteuerschuld. Eine Schadensersatzpflicht nach § 61 InsO scheidet schon deshalb aus, weil diese Norm nur die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten betrifft und nicht spätere Pflichtverletzungen (BGH, Urt. v. 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 108 f). § 60 InsO greift nicht ein, weil der Verwalter mit der insolvenzrechtlich vorgeschriebenen vorrangigen Befriedigung der Verfahrenskosten keine insolvenzspezifischen Pflichten verletzt. Ein Haftungsbescheid nach der Abgabenordnung kann nicht ergehen, weil eine mögliche Verletzung steuerrechtlicher Pflichten in Form der unterlassenen Anmeldung der Umsatzsteuer nicht ursächlich für den Steuerausfall ist. Denn der Umsatzsteueranteil am Veräußerungserlös stand wegen des Vorrangs der Verfahrenskosten und fehlender sonstiger ausreichender Masse nicht zur Befriedigung des Finanzamts zur Verfügung (BFHE 164, 203, 206 f; BFH ZIP 1996, 429 f). Die Nichterfüllung der Umsatzsteuerschuld ist unter diesen Umständen bereits nicht pflichtwidrig.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp