Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.05.2010


BGH 06.05.2010 - IX ZB 216/07

Restschuldbefreiung: Glaubhaftmachung einer Leistungsvermeidung durch unrichtige Steuererklärungen im Wege der Vorlage der zugelassenen Anklageschrift in einem Steuerstrafverfahren


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
06.05.2010
Aktenzeichen:
IX ZB 216/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Augsburg, 26. Oktober 2007, Az: 7 T 3792/07, Beschlussvorgehend AG Augsburg, 10. Juli 2007, Az: 3 IK 1323/05
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur Glaubhaftmachung einer Leistungsvermeidung durch unvollständige oder unzutreffende Angaben gegenüber der Finanzbehörde kann die Vorlage einer zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift in einem gegen den Schuldner geführten Steuerstrafverfahren ausreichen .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 26. Oktober 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Auf Eigenantrag des Schuldners vom 15. November 2005 wurde am 5. Dezember 2005 über dessen Vermögen das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 zum Treuhänder bestellt. In seinem Schlussbericht erhob der Treuhänder keine Bedenken gegen die Erteilung der Restschuldbefreiung. Im Schlusstermin am 23. Januar 2007 beantragte der weitere Beteiligte zu 1, dem Schuldner die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu versagen. Er nahm hierbei auf ein gegen den Schuldner vor dem Landgericht Augsburg anhängiges Steuerstrafverfahren Bezug und legte u.a. die ihm zugrunde liegende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor.

2

Das Insolvenzgericht hat antragsgemäß mit Beschluss vom 10. Juli 2007 die Restschuldbefreiung versagt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2007 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er seinen Antrag auf Zurückweisung des Versagungsantrages weiter verfolgt.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 289 Abs. 2 Satz 1, §§ 7, 6 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Beschwerdegericht.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Gläubiger habe den geltend gemachten Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO genügend glaubhaft gemacht. Hierfür reiche die vorgelegte Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in dem gegen den Schuldner gerichteten Steuerstrafverfahren aus. Hieraus ergebe sich ein begründeter Tatverdacht gegen den Schuldner hinsichtlich einer Steuerverkürzung in Höhe von insgesamt 3.848.220,86 €. Angesichts der vielen Einzelverstöße und unter Berücksichtigung des Gesamtschadens scheide ein fahrlässiges Verhalten des Schuldners aus. Auf den Ausgang des anhängigen Steuerstrafverfahrens komme es nicht an. Den Schuldner entlaste es nicht, dass die unrichtigen steuerlichen Angaben für eine juristische Person erfolgt seien. Der Schuldner sei insoweit als Organträger im Sinne des § 18 UStG tätig geworden, weshalb ihm die Handlungen auch zugerechnet werden müssten.

5

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

6

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist allerdings davon auszugehen, dass der weitere Beteiligte zu 1 den von ihm geltend gemachten Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO glaubhaft gemacht hat.

7

aa) Der gesetzlich geforderte Gläubigerantrag ist nur zulässig, wenn der Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird. Zur Glaubhaftmachung kann sich der Insolvenzgläubiger gemäß § 4 InsO, § 294 Abs. 1 ZPO aller Beweismittel bedienen, wozu auch einfache Abschriften von Urkunden gehören (BGHZ 156, 139, 141, 143). Jedenfalls eine aufgrund richterlicher Prüfung ergangene rechtskräftige Entscheidung reicht in aller Regel zur Glaubhaftmachung des aus ihr ersichtlichen rechtserheblichen Sachverhalts aus (BGHZ 156, 139, 144).

8

bb) Das Beschwerdegericht konnte davon ausgehen, dass der vorgelegte Auszug aus der Anklageschrift als Mittel der Glaubhaftmachung genügte. Wie aus dem im Schlusstermin vorgelegten Schreiben der Bußgeld- und Steuerstrafsachenstelle des Finanzamtes Augsburg-Stadt vom 8. Januar 2007 ersichtlich ist, wurde die Anklageschrift vom Landgericht Augsburg zugelassen. Dies setzt einen hinreichenden Tatverdacht gegen den Schuldner voraus (§ 203 StPO). Hinzu kommt, dass hinsichtlich der Tatumstände der weitere Beteiligte zu 1 das gegen Mittäter ergangene rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Augsburg vom 22. Januar 2007 vorgelegt hat, aus dem sich weitere Einzelheiten der Begehungsweise ergeben. Aus diesen Unterlagen konnte mithin das Beschwerdegericht ableiten, dass für die Richtigkeit des dort dargelegten Vorwurfs einer Steuerverkürzung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. BGHZ 156, 139, 142).

9

b) Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet, fehlt es jedoch an hinreichenden Feststellungen des Beschwerdegerichts, dass der Schuldner die ihm vorgeworfenen Steuerverkürzungen tatsächlich vorgenommen hat.

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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Insolvenzgericht, wenn der Gläubiger einen Versagungsgrund glaubhaft gemacht hat, von Amts wegen zu ermitteln, ob der Versagungsgrund auch tatsächlich zu seiner vollen Überzeugung (§ 286 ZPO) besteht (BGHZ 156, 139, 147). Die dem Schuldner angelasteten Steuerstraftaten stellen eine Leistungsvermeidung im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar (vgl. HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 290 Rn. 8). Das Insolvenzgericht hat den maßgeblichen Sachverhalt selbst zu ermitteln und zu subsumieren (Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl. § 290 Rn. 42; Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, S. 127). Eine rechtskräftige Verurteilung des Schuldners ist im Gegensatz zu § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wie der unterschiedliche Wortlaut ausweist, für die hier einschlägige Fallgruppe des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht erforderlich (Uhlenbruck/Vallender, aaO; Nerlich/Römermann, InsO § 290 Rn. 61).

11

bb) Das Beschwerdegericht hat bislang lediglich ausgeführt, dass aus der vorgelegten Anklageschrift ein begründeter Tatverdacht abgeleitet werden kann. Auf den Ausgang des Strafverfahrens komme es nicht an, maßgeblich sei alleine, dass der Gläubiger den geltend gemachten Versagungsgrund genügend glaubhaft gemacht hat. Hieraus lässt sich die gebotene eigenständige Feststellung der in Rede stehenden Steuerverkürzung nicht entnehmen, insbesondere fehlt es an der Würdigung, dass das Beschwerdegericht von dem Fehlverhalten des Schuldners überzeugt ist.

12

cc) Bei den nachzuholenden Feststellungen wird das Beschwerdegericht auch zu prüfen haben, ob die dem Schuldner angelasteten Falschangaben seine wirtschaftlichen Verhältnisse betreffen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind nur Angaben zu den eigenen Verhältnissen des Schuldners bedeutsam. Der Begriff der wirtschaftlichen Verhältnisse umfasst hierbei das gesamte Einkommen und Vermögen des Schuldners. Beziehen sich dagegen die unrichtigen Erklärungen des Schuldners allein auf Dritte, dann können sie auch dann nicht dem Vermögen des Schuldners zugerechnet werden, wenn sie für ihn von wirtschaftlichem Interesse sind (BGHZ 156, 139, 145; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 290 Rn. 37; Wenzel, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO § 290 Rn. 10 b; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 290 Rn. 20; Nerlich/Römermann, aaO § 290 Rn. 43).

13

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO maßgebliche Falschangaben auch dann vorliegen können, wenn sie sich auf eine teilrechtsfähige Personengesellschaft beziehen (BGHZ 156, 139, 145; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 290 Rn. 12; FK-InsO/Ahrens, aaO § 290 Rn. 20; Uhlenbruck/Vallender, aaO § 290 Rn. 29; Wenzel, aaO § 290 Rn. 10 b). Maßgeblich ist, ob die Umstände, die sich auf das Vermögen der Gesellschaft auswirken, zugleich unmittelbar die wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Gesellschafters betreffen. Jedenfalls bei einer Kapitalgesellschaft des hier in Rede stehenden Zuschnitts einer personalistisch strukturierten Familiengesellschaft ist dies ebenfalls anzunehmen. Der vom Beschwerdegericht nicht näher dargestellte Begriff der steuerrechtlichen Organträgerschaft erscheint dagegen nicht geeignet, als Abgrenzungskriterium zu dienen, weil hierdurch die Vermögensverhältnisse, insbesondere bezogen auf den Schuldner, nicht verlässlich belegt werden.

14

Das Beschwerdegericht wird daher zu prüfen haben, inwieweit die sich auf die J. GmbH beziehenden Angaben vermögensrechtlich dem Schuldner zuzuordnen sind. Soweit es sich um Umsatzvorsteueranmeldungen handelt, die die Tätigkeit der Firma H. W., Inhaber W. W. (beispielsweise Umsatzsteuervoranmeldungen Februar bis August 2003) betreffen, erscheint eine unmittelbare Zuordnung zum Vermögensbereich des Schuldners ohnehin als nahe liegend.

III.

15

Die Beschwerdeentscheidung ist somit aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 4 InsO, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Ganter                               Gehrlein                           Vill

                  Fischer                                  Grupp