Entscheidungsdatum: 20.01.2011
Fehlt es an einer wirksamen Urteilszustellung, beginnt auch für eine im Ausland wohnhafte, nicht anwaltlich vertretene Partei die Frist für die Einlegung der Berufung grundsätzlich fünf Monate nach Verkündung des Urteils zu laufen .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. August 2009 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Streitwert wird auf 1.012,52 € festgesetzt.
I.
Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 20. November 2008 zur Zahlung von Anwaltshonorar in Höhe von 409,32 € an die Kläger verurteilt; zugleich wurde seine auf Zahlung von 603,20 € gerichtete Widerklage abgewiesen. Das Urteil wurde dem erstinstanzlich anwaltlich nicht vertretenen Beklagten, der bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Griechenland wohnhaft war, nicht wirksam zugestellt.
Am 18. Mai 2009 beauftragte der Beklagte einen Rechtsanwalt, gegen ein möglicherweise inzwischen ergangenes Urteil Berufung zum Landgericht Mainz einzulegen. Auf fernmündliche Bitte übermittelte das Amtsgericht noch am 18. Mai 2009 dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten per Fax das am 20. November 2008 verkündete Urteil, dessen Rubrum für den Beklagten eine Wohnanschrift in Griechenland ausweist. Der Prozessbevollmächtigte beantragte am 19. Mai 2009 Akteneinsicht und legte mit Schriftsatz vom selben Tag Berufung zum Landgericht Mainz ein. Der ihm von dem Amtsgericht am 20. Mai 2009 übersandten Akte entnahm der Prozessbevollmächtigte am 27. Mai 2009, dass auch in der Klageschrift für den Beklagten eine Wohnanschrift in Griechenland angegeben war. Am 12. Juni 2009 legte der Beklagte, der außerdem die Berufung beim Landgericht Mainz zurücknahm, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Oberlandesgericht Koblenz Berufung ein.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, er habe am 18. Mai 2009 seinen Prozessbevollmächtigten mandatiert und beauftragt, gegen ein etwaiges Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen. Dabei habe er als Berufungsgericht das Landgericht Mainz genannt. Noch am 18. Mai 2009 habe das Amtsgericht das Ersturteil seinem Prozessbevollmächtigten durch Telefax übermittelt. Die auf den Akteneinsichtsantrag vom 19. Mai 2009 seitens des Amtsgerichts am 20. Mai 2009 übermittelten Akten habe sein Prozessbevollmächtigter am Abend des 27. Mai 2009 durchgearbeitet und dabei festgestellt, dass bereits in der Klageschrift ein griechischer Wohnsitz des Beklagten angegeben worden sei. Auf Rückfrage habe der Beklagte seinem Prozessbevollmächtigten sodann erklärt, dass er bereits bei Klageeinreichung in Griechenland gelebt habe und dies seinem Prozessbevollmächtigten habe bekannt sein müssen, weil er ihn bereits im Jahr 2006 in einer anderen Sache vertreten habe.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung und den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil kein Zulässigkeitsgrund eingreift (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Berufungsfrist habe mangels einer ordnungsgemäßen Zustellung fünf Monate nach der am 20. November 2008 erfolgten Verkündung des Urteils mit dem 20. April 2009 zu laufen begonnen. Die am 20. Mai 2009 verstrichene Frist sei durch die am 12. Juni 2009 eingelegte Berufung nicht gewahrt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne bereits deshalb nicht gewährt werden, weil der Antrag nicht binnen zwei Wochen nach Behebung des der rechtzeitigen Einlegung entgegenstehenden Hindernisses gestellt worden sei. Es könne dahinstehen, wann der Beklagte erstmals Kenntnis von dem angefochtenen Urteil erhalten habe. Jedenfalls habe ein etwa bestehendes Hindernis bereits Monate zuvor behoben werden können, weil sich der Beklagte trotz des ihm für den 20. November 2008 bekannt gegebenen Verkündungstermins in den darauf folgenden Monaten nicht nach dem Verbleib der Entscheidung erkundigt habe. Überdies beruhe die Fristversäumung jedenfalls auf einem dem Beklagten zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten. Dieser habe trotz des in Griechenland gelegenen Wohnsitzes des Beklagten die gebotene Klärung versäumt, bei welchem Gericht die Berufung einzulegen sei. Sofern dem Prozessbevollmächtigten die gebotene Prüfung bis zum Fristablauf nicht möglich gewesen sei, hätte er nach Maßgabe des sichersten Weges Berufung sowohl bei dem Landgericht als auch bei dem Oberlandesgericht einlegen müssen.
2. Die nicht rechtsgrundsätzliche Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 103 Abs. 1 GG); auch der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) ist nicht verletzt.
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Berufungsfrist im Streitfall gemäß § 517 Halbsatz 2 ZPO am 20. Mai 2009 abgelaufen und deshalb die am 12. Juni 2009 eingelegte Berufung verfristet ist.
Die Berufungsfrist von einem Monat beginnt regelmäßig mit der Zustellung des angefochtenen Urteils zu laufen. Fehlt es - wie im Streitfall - an einer wirksamen Zustellung, wird die Berufungsfrist mit dem Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des angefochtenen Urteils in Lauf gesetzt (§ 517 Halbsatz 2 ZPO). Die Regelung trifft Vorsorge dagegen, dass in Fällen einer fehlerhaften Zustellung niemals formelle Rechtskraft eintreten kann (Zöller/Heßler, ZPO 28. Aufl. § 517 Rn. 17). Deshalb wird eine Ausnahme von der Vorschrift des § 517 Halbsatz 2 ZPO nur für den - hier nicht gegebenen – Fall erwogen, dass die beschwerte Partei in dem Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war (BGH, Beschl. v. 2. März 1988 - IVb ZB 10/88, NJW 1989, 1432, 1433; v. 1. März 1994 - XI ZB 23/93, NJW-RR 1994, 1022; v. 29. September 1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144). Eine weitere, über den Wortlaut hinausgehende Beschränkung der Norm zugunsten von anwaltlich nicht vertretenen Ausländern ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit nicht angezeigt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch rechtsunkundige Inländer mit dem Inhalt des § 517 ZPO in aller Regel nicht vertraut sind. Etwaigen Erschwernissen kann abgeholfen werden, indem für die Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses der rechtzeitigen Einlegung auf die jeweiligen Verhältnisse der betroffenen, etwa im Ausland ansässigen Partei abgestellt wird (BGH, Beschl. v. 2. März 1988, aaO S. 1433). Bei dieser Sachlage lief im Streitfall die Frist für die Einlegung der Berufung am 20. Mai 2009 ab; die am 12. Juni 2009 eingelegte Berufung war mithin verspätet.
b) Die Würdigung des Berufungsgerichts, wonach die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht beachtet ist, begegnet - ungeachtet etwaiger Erkundigungspflichten des Beklagten (vgl. BGH, Beschl. v. 1. März 1994, aaO; v. 29. September 1999, aaO S. 144) - im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die am 18. Mai 2009 in Lauf gesetzte zweiwöchige Frist war jedenfalls am 3. Juni 2009 verstrichen. Mithin erweist sich der Wiedereinsetzungsantrag vom 12. Juni 2009 als verspätet.
aa) Nach § 234 Abs. 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, die mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Behoben ist das Hindernis, wenn sein Weiterbestehen nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Bei der Vertretung durch einen Rechtsanwalt, dessen Verschulden dem Wiedereinsetzung Beantragenden nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, beginnt diese Frist daher spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können; auch der Wegfall des Hindernisses vor Ablauf einer später versäumten Notfrist setzt die Frist des § 234 ZPO in Lauf (BGH, Beschl. v. 26. Juli 2004 - VIII ZR 10/04, NJW-RR 2005, 143, 144; v. 23. November 2004 - XI ZB 4/04, NJW-RR 2005, 435, 436; v. 28. Februar 2008 - V ZB 107/07, NJW-RR 2008, 1084 Rn. 10).
bb) Das Hindernis der fehlenden Kenntnis des anzufechtenden Urteils und der Bestimmung des zuständigen Berufungsgerichts war hier bereits am 18. Mai 2009 mit der Übersendung des verkündeten Urteils an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten behoben. Dieser konnte dem Urteil nicht nur den Verkündungszeitpunkt, sondern auch den in Griechenland gelegenen Wohnsitz des Beklagten entnehmen. Ferner war auszuschließen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz erst nach Rechtshängigkeit ins Ausland verlegt hatte. Denn das Amtsgericht hat - wie den Ausführungen eingangs der Entscheidungsgründe zu entnehmen ist - nach Hinweis auf den im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gelegenen Wohnsitz des Beklagten seine örtliche Zuständigkeit im Blick auf den im Inland gegebenen Erfüllungsort aus der Regelung des Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO hergeleitet. Angesichts dieser Umstände musste der Prozessbevollmächtigte, der nicht auf die Richtigkeit eines Hinweises seines ausländischen, ersichtlich mit der hiesigen Gerichtsorganisation nicht näher vertrauten Mandanten über das zuständige Berufungsgericht vertrauen durfte, bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt erkennen, dass nach der hier noch anzuwendenden Regelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG das Oberlandesgericht zuständiges Berufungsgericht war. Da die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO am Montag, den 18. Mai 2009, zu laufen begann und das Fristende auf Pfingstmontag, den 1. Juni 2009, fiel, war sie mit Ablauf des 2. Juni 2009 verstrichen (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB, § 222 Abs. 2 ZPO). Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob vorliegend der Wiedereinsetzungsantrag bereits daran scheitert, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach Kenntnisnahme von dem Urteil am 18. Mai 2009 ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, die Berufung fristwahrend bis zum 20. Mai 2009 einzulegen.
c) Eine andere Bewertung griffe auch dann nicht durch, wenn man das Hindernis zur Fristwahrung erst in dem Zeitpunkt als beseitigt ansieht, als der Prozessbevollmächtigte durch Einsichtnahme in die Verfahrensakte erkannte, dass der Wohnsitz des Beklagten bereits bei Klagezustellung in Griechenland gelegen war. Insoweit fehlt es an der gebotenen Darlegung, dass gerechnet ab Eingang der Akte bei dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beachtet ist.
aa) Nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO müssen alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Zu diesen Tatsachen gehören auch diejenigen, die die Einhaltung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergeben. Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998 - VI ZB 10/98, NJW 1998, 2678, 2679). Zum notwendigen Inhalt eines Wiedereinsetzungsgesuchs gehört Sachvortrag, demzufolge der Antrag rechtzeitig nach der Behebung des Hindernisses (§ 234 Abs. 2 ZPO) gestellt wurde (BGH, Beschl. v. 10. Dezember 1996 - VI ZB 16/96, NJW 1997, 1079; v. 13. Dezember 1999 - II ZR 225/98, NJW 2000, 592). Daran fehlt es im Streitfall.
bb) Nach den Angaben des Beklagten wurde die Verfahrensakte auf den Antrag seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Mai 2009 durch das Amtsgericht noch am 20. Mai 2009 an diesen versandt. Es ist jedoch die notwendige Darlegung unterblieben, wann die Akte bei seinem Prozessbevollmächtigten eingetroffen ist. Ging die Akte entsprechend den üblichen Postlaufzeiten einen bis zwei Werktage später bei seinem Prozessbevollmächtigten, der seinerseits die Akte binnen zwei Tagen an das Amtsgericht zurückgeleitet hat, ein, musste dieser umgehend in die Akte zur Bestimmung des zuständigen Berufungsgerichts Einblick nehmen. Mit Rücksicht auf eine Postlaufzeit von zwei Werktagen und die notwendige Einsichtnahme wäre das Hindernis dann bereits am 25. Mai 2009 entfallen und die zweiwöchige Frist am 8. Juni 2009 abgelaufen. Einer weiteren Rücksprache mit dem Beklagten hätte es nicht mehr bedurft, weil der vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene ausländische Gerichtsstand für das Rechtsmittelverfahren zugrunde zu legen war (BGH, Beschl. v. 10. Juli 2007 - VIII ZB 73/06, NJW-RR 2008, 144 Rn. 4). Auch bei dieser Bewertung würde sich der am 12. Juni 2009 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag als verfristet erweisen.
Kayser Raebel Gehrlein
Grupp Möhring